HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/038

Ärzt­li­ches At­test: Krank­heit we­gen per­sön­li­cher Kri­se

Kei­ne Wi­der­le­gung durch den Ar­beit­ge­ber: Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm, Ur­teil vom 28.10.2009, 3 Sa 579/09
Chefarzt Be­weis ei­ner Ar­beits­un­fä­hig­keit
24.02.2010. Legt ein Ar­beit­neh­mer ein ärzt­li­ches At­test vor, wird dies von der Recht­spre­chung als Be­weis sei­ner Ar­beits­un­fä­hig­keit we­gen ei­ner Er­kran­kung an­ge­se­hen, die vom Ar­beit­ge­ber nur schwer zu wi­der­le­gen ist.

In der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung hat­te der Ar­beit­ge­ber zur Wi­der­le­gung der Ar­beits­un­fä­hig­keit Äu­ße­run­gen des Ar­beit­neh­mers sel­ber her­an­ge­zo­gen, er sei, so je­den­falls die In­ter­pre­ta­ti­on des Ar­beit­ge­bers, gar nicht krank. In­wie­weit der­ar­ti­ge Äu­ße­run­gen zur Wi­der­le­gung ei­ner Ar­beits­un­fä­hig­keit bei Vor­la­ge ei­nes ärzt­li­chen At­tests aus­rei­chen, hat­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm zu ent­schei­den: LAG Hamm, Ur­teil vom 28.10.2009, 3 Sa 579/09.

Krank­heit und Be­weis­wert ei­nes ärzt­li­chen At­tests

Wenn ein Ar­beit­neh­mer durch Krank­heit ar­beits­unfähig wird, hat er für bis zu sechs Wo­chen ei­nen Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch ge­gen sei­nen Ar­beit­ge­ber (§ 3 Abs.1 S.1 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz - EFZG), d.h. er erhält wei­ter­hin von sei­nem Ar­beit­ge­ber sei­ne Vergütung.

Er muss die Ar­beits­unfähig­keit und ih­re vor­aus­sicht­li­che Dau­er al­ler­dings, will er kei­ne Ab­mah­nung ris­kie­ren, sei­nem Ar­beit­ge­ber un­verzüglich mit­tei­len, da­mit die­ser die Ab­we­sen­heit des Beschäftig­ten ein­pla­nen kann. Zu­dem muss der Ar­beit­neh­mer gem. § 5 Abs.1 EFZG sei­ne Ar­beits­unfähig­keit, wenn sie länger als drei Ta­ge dau­ert, durch Vor­la­ge ei­ner Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung („ärzt­li­ches At­test“) „be­le­gen“.

Die Vor­la­ge ei­ner Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung (AU-Be­schei­ni­gung) gilt nach ständi­ger ar­beits­ge­richt­li­cher Recht­spre­chung als Be­weis, dass der Ar­beit­neh­mer tatsächlich ar­beits­unfähig ist, d.h. der Ar­beit­ge­ber kann sich nicht ein­fach auf den Stand­punk stel­len, die AU-Be­schei­ni­gung ha­be der be­han­deln­de Arzt nur aus Gefällig­keit aus­ge­stellt und der Ar­beit­neh­mer sei in Wirk­lich­keit gar nicht krank.

Der Ar­beit­ge­ber muss viel­mehr trif­ti­ge Gründe anführen, war­um der Ar­beit­neh­mer tatsächlich nicht ar­beits­unfähig krank und die AU-Be­schei­ni­gung des­we­gen un­wahr sein soll und nach­wei­sen, dass die­se Gründe tatsächlich vor­lie­gen. Die Hürden hierfür sind sehr hoch. Wer ei­ne AU-Be­schei­ni­gung vor­le­gen kann, ist dem­ent­spre­chend zu­meist "auf der si­che­ren Sei­te" (vgl. hier­zu auch Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/216: "Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung ver­kehrt her­um").

Zahlt der Ar­beit­ge­ber, war­um auch im­mer, während der Er­kran­kung des Ar­beit­neh­mers des­sen Vergütung nicht wei­ter, springt die Kran­ken­kas­se ein. Hat der Ar­beit­ge­ber sich al­ler­dings zu Un­recht ge­wei­gert, die Vergütung des Ar­beit­neh­mers wei­ter zu zah­len, kann die Kran­ken­kas­se das von ihr an den Ar­beit­neh­mer ge­zahl­te Geld auf­grund der Re­ge­lung in § 115 Abs.1 So­zi­al­ge­setz­buch Zehn­tes Buch (SGB X) von dem Ar­beit­ge­ber zurück­for­dern.

Die Kran­ken­kas­se tritt in die­sem Fall al­so an die Stel­le des Ar­beit­neh­mers und for­dert von dem Ar­beit­ge­ber die aus­ste­hen­den Vergütung, die er ei­gent­lich dem Ar­beit­neh­mer hätte zah­len müssen. Da­bei muss die Kran­ken­kas­se aber (wie auch der Ar­beit­neh­mer selbst es tun müss­te) dar­le­gen und ge­ge­be­nen­falls be­wei­sen, dass der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer die Vergütung hätte wei­ter zah­len müssen, weil die­ser tatsächlich ar­beits­unfähig krank war.

Auch in die­ser Kon­stel­la­ti­on ist pro­ble­ma­tisch, wann die durch ei­ne AU-Be­schei­ni­gung ei­gent­lich be­leg­te Ar­beits­unfähig­keit vom Ar­beit­ge­ber wi­der­legt ist. Frag­lich ist ins­be­son­de­re, ob es zur Wi­der­le­gung der Ar­beits­unfähig­keit reicht, dass der Ar­beit­neh­mer sel­ber erklärt hat­te, nicht ar­beits­unfähig krank zu sein. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich ein Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­rich­tes (LAG) Hamm vom 28.10.2009 (3 Sa 579/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm: We­gen persönli­cher Kri­se erhält Ar­beit­neh­mer ärzt­li­ches At­test. Ar­beit­neh­mer sel­ber hält sich mögli­cher­wei­se für ge­sund

Das En­de des Jah­res 2007 ver­lief dra­ma­tisch für den Beschäftig­ten ei­nes Un­ter­neh­mens der Gebäuderei­ni­gung: Er teil­te sei­nem Ar­beit­ge­ber am 19.12. 2007 vor­mit­tags zunächst nur mit, er müsse die Ar­beit ein­stel­len, da er ein persönli­ches Pro­blem ha­be. Krank sei er aber nicht, soll er zu­dem ge­sagt ha­ben, be­haup­tet der Ar­beit­ge­ber.

In ei­nem Te­le­fon­gespräch am Nach­mit­tag erklärte der Ar­beit­neh­mer, er müsse sei­ne Freun­din "aus der Klapsmühle ret­ten", weil sie dort sta­ti­onär ein­ge­wie­sen wer­den sol­le und er ha­be des­halb ei­ne AU-Be­schei­ni­gung bis 04.01.2008 er­hal­ten. Der Ar­beit­ge­ber be­haup­tet, dass der Ar­beit­neh­mer am Te­le­fon noch mit­teil­te, er ha­be ei­nen Kin­der­kran­ken­schein, weil sich sonst nie­mand um das ge­mein­sa­me Kind kümmern könne. Der Ar­beit­neh­mer be­stritt al­ler­dings, dies ge­sagt zu ha­ben.

Tatsächlich legt der Ar­beit­neh­mer ei­ne AU-Be­schei­ni­gung vor, die ihm at­tes­tier­te, an ei­ner aku­ten schwe­ren Be­las­tungsstörung zu lei­den. Der be­han­deln­de Arzt verlänger­te die „Krank­schrei­bung“ später bis zum 08.01.2008.

Der Ar­beit­ge­ber zahl­te nicht, da er den Stand­punkt ver­trat, der Ar­beit­neh­mer sei gar nicht krank, dies ha­be er schließlich sel­ber zu­ge­ge­ben. Die zuständi­ge Kran­ken­kas­se sprang des­halb zunächst ein und zahl­te dem Gebäuderei­ni­ger Kran­ken­geld bis zum 08.01.2008.

Zu­gleich teil­te sie dem Ar­beit­ge­ber mit, sie prüfe, ob er zu Un­recht die Zah­lung ver­wei­ge­re und sie das Geld des­halb von ihm zurück­for­dern könne und ließ sich ei­ne Erklärung un­ter­zeich­nen, in der der Ar­beit­ge­ber erklärte, sich nicht auf ei­ne mögli­che Verjährung oder ei­nen Ver­fall der Ansprüche be­ru­fen zu wer­den. Hin­ter­grund hierfür war ein auf das Ar­beits­verhält­nis an­zu­wen­den­der Ta­rif­ver­trag für ge­werb­lich Beschäftig­te im Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk, nach dem Ansprüche in­ner­halb ei­ner be­stimm­ten Frist gel­tend ge­macht und ein­ge­klagt wer­den muss­ten und an­dern­falls ver­fie­len (Aus­schluss­frist).

Kur­ze Zeit später for­der­te die Kran­ken­kas­se das von ihr an den Ar­beit­neh­mer ge­zahl­te Geld von dem Ar­beit­ge­ber zurück. Als die­ser sich wei­ger­te zu zah­len, er­hob die Kran­ken­kas­se, al­ler­dings nach der in dem Ta­rif­ver­trag dafür vor­ge­se­he­nen Aus­schluss­frist, Kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Dort­mund.

Der Ar­beit­ge­ber ver­trat wei­ter­hin die Auf­fas­sung, dass der Ar­beit­neh­mer gar nicht krank war und dies schließlich selbst zu­ge­ge­ben hat­te. Außer­dem, so der Ar­beit­ge­ber wei­ter, hat­te die Kran­ken­kas­se zu spät ge­klagt und die Ansprüche sei­en we­gen der ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist des­halb schon ver­fal­len. Denn das Ge­richt, so der Ar­beit­ge­ber, muss die Aus­schluss­frist au­to­ma­tisch und zwin­gend be­ach­ten, so dass sei­ne Zu­si­che­rung in der Erklärung, sich nicht auf die Aus­schluss­frist zu be­ru­fen, un­er­heb­lich sei.

Die Kran­ken­kas­se meint da­ge­gen, we­gen der Zu­si­che­rung des Ar­beit­ge­bers konn­te sie auch nach Ver­strei­chen der Aus­schluss­frist kla­gen. Ge­ra­de bei psy­chi­schen Er­kran­kun­gen ist, so die Kran­ken­kas­se, ei­ne feh­len­de Krank­heits­ein­sicht ty­pisch, so dass Aus­sa­gen, nicht krank zu sein, die Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers nicht wi­der­le­gen.

Das Ar­beits­ge­richt Dort­mund (Ur­teil vom 19.12.2008, 1 Ca 2721/08) folg­te der Auf­fas­sung der Kran­ken­kas­se und gab der Kla­ge der Kas­se statt. Der Ar­beit­ge­ber leg­te des­halb Be­ru­fung zum Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm ein.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm: Nur de­fi­ni­ti­ve Aus­sa­ge, nicht krank zu sein, erschüttert Be­weis­wert des ärzt­li­chen At­tests

Das LAG Hamm wies die Be­ru­fung zurück, d.h. auch es gab der Kran­ken­kas­se Recht.

In sei­ner er­fri­schend kur­zen Be­gründung stellt das Ge­richt zunächst klar, dass die AU-Be­schei­ni­gung die Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­nehmrs be­legt und dass es Sa­che des Ar­beit­ge­bers ist, die­sen Be­weis zu erschüttern. Dies ist dem Ar­beit­ge­ber nach Auf­fas­sung des Ge­richt je­doch nicht ge­lun­gen.

Da­bei ist das LAG sehr wohl der An­sicht, dass es als Ge­gen­be­weis aus­reicht, wenn ein Ar­beit­neh­mer de­fi­ni­tiv erklärt, er ist in Wirk­lich­keit gar nicht ar­beits­unfähig.

Das hat der Gebäuderei­ni­ger je­doch nicht ge­sagt, meint das LAG. Denn selbst wenn der Ar­beit­neh­mer tatsächlich am Te­le­fon sag­te, er müsse sich um das ge­mein­sa­me Kind kümmern, be­deu­tet dies nicht, dass er nicht gleich­zei­tig sel­ber auch ar­beits­unfähig ist, so das LAG.

Auch dass der Ar­beit­neh­mer in dem Gespräch da­vor ge­sagt ha­ben soll, er sei gar nicht krank, lässt das Ge­richt nicht gel­ten. Denn es ist oh­ne Wei­te­res plau­si­bel, dass der Ar­beit­neh­mer erst an­ge­sichts der Si­tua­ti­on, mit der er in der psych­ia­tri­schen Ein­rich­tung kon­fron­tiert war, ar­beits­unfähig wur­de, al­so am Vor­mit­tag tatsächlich noch ge­sund war und erst dann ar­beits­unfähig wur­de, so das LAG.

Dass die Kran­ken­kas­se erst nach Ab­lauf der Aus­schluss­frist ge­klagt hat­te, hält das LAG auch für un­be­acht­lich. Denn aus der vom Ar­beit­ge­ber un­ter­schrie­be­nen Erklärung er­gibt sich nach Auf­fas­sung des Ge­rich­tes in­halt­lich un­miss­verständ­lich, dass Verjährung, Ver­wir­kung und Ver­fall nicht in Be­tracht kom­men sol­len, dar­auf durf­te die Kran­ken­kas­se ver­trau­en. Der Ar­beit­ge­ber verhält sich schlicht wi­dersprüchlich, wenn er sich zunächst be­reit erklärt, sich nicht auf ei­ne Aus­schluss­frist zu be­ru­fen und dies dann doch tut.

Fa­zit: Das Ur­teil des LAG ist im Er­geb­nis völlig rich­tig. Ei­nem Ar­beit­neh­mer in ei­ner psy­chi­schen Not­la­ge an sei­nen ei­gen­dia­gnos­ti­schen Fähig­kei­ten und For­mu­lie­run­gen fest­hal­ten zu wol­len, ist of­fen­sicht­lich ver­fehlt. Al­lein der Um­stand, dass ein Ar­beit­neh­mer das Aus­maß der Be­las­tung an­ders als der be­han­deln­de Arzt einschätzt, kann ei­ne AU-Be­schei­ni­gung nicht ernst­haft in Fra­ge stel­len. Zu Recht muss sich zu­dem der Ar­beit­ge­ber an sei­ner Zu­sa­ge, sich auf die Aus­schluss­frist nicht zu be­ru­fen, fest­hal­ten las­sen.

Zur Ver­mei­dung späte­ren Streits soll­ten Ar­beit­neh­mer, wenn sie auf­grund persönli­cher Pro­ble­me nicht zur Ar­beit er­schei­nen können, al­ler­dings nach Möglich­keit deut­lich ma­chen, ob sie le­dig­lich zur Klärung des Pro­blems frei ha­ben möch­ten oder ob sie (des­we­gen) ar­beits­unfähig krank sind.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Letzte Überarbeitung: 23. März 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de