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BAG, Ur­teil vom 16.07.2014, 10 AZR 698/13

   
Schlagworte:
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 10 AZR 698/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.07.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Oldenburg, Urteil vom 9.7.2012 - 4 Ca 89/12 Ö
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 1.7.2013 - 13 Sa 1037/12
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


10 AZR 698/13
13 Sa 1037/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

16. Ju­li 2014

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

be­klag­tes, be­ru­fungs­be­klag­tes und re­vi­si­ons­be­klag­tes Land,

hat der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 16. Ju­li 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Rein­fel­der, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Bru­ne so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Thiel und Bick­na­se für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 1. Ju­li 2013 - 13 Sa 1037/12 - auf­ge­ho­ben.


2. Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­sch­ei-dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ta­rif­li­che Son­der­prämi­en für die Spren­gung von 104 Was­ser­bom­ben.


Der Kläger ist als Truppführer im Kampf­mit­tel­be­sei­ti­gungs­dienst des be­klag­ten Lan­des beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­det kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung der Ta­rif­ver­trag zur Re­ge­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen der im Kampf­mit­tel­be­sei­ti­gungs­dienst beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer des Lan­des Nie­der­sach­sen vom 5. März 1991, geändert durch den Ände­rungs­ta­rif­ver­trag Nr. 2 vom 13. De­zem­ber 1999, in der Fas­sung des § 1 Abs. 1 des Eu­ro-TV vom 30. Ok­to­ber 2001, (im Fol­gen­den: TV-Mun-Nds) An­wen­dung.


Im März und April 2011 spreng­te der Kampf­mit­tel­be­sei­ti­gungs­dienst des be­klag­ten Lan­des ins­ge­samt 104 Was­ser­bom­ben aus dem Zwei­ten Welt­krieg, da­von acht des ame­ri­ka­ni­schen Typs MK6 und 96 des bri­ti­schen Typs MK11. Die Bom­ben wa­ren zu­vor un­ter Mit­wir­kung ei­ner ge­werb­li­chen Fir­ma auf ei­ner Sand­bank im Watt vor Wil­helms­ha­ven ge­bor­gen und zu meh­re­ren Spreng­punk­ten ver­bracht wor­den. Dort wur­den sie in Grup­pen zu­sam­men­ge­legt, mit Spreng­la­dun­gen ver­se­hen und auf­ein­an­der­ge­sta­pelt. An der Spren­gung war der Kläger in zwi­schen den Par­tei­en strei­ti­gem Um­fang be­tei­ligt.


Der TV-Mun-Nds enthält im Ab­schnitt II (An­ge­stell­te) un­ter an­de­rem fol­gen­de Re­ge­lun­gen:
 


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„§ 5
Ge­fah­ren­zu­la­ge


(1) ...

(2) Die Truppführer er­hal­ten bei ei­ner Beschäfti­gung von 125 und mehr Ar­beits­stun­den im Mo­nat im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich ei­ne Ge­fah­ren­zu­la­ge von ... 889,65 Eu­ro mo­nat­lich. ...

Pro­to­koll­no­tiz:

Ei­ne Beschäfti­gung im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich im Sin­ne der Absätze 1 und 2 ist das Su­chen, Prüfen, Ent­fer­nen, Entschärfen, Spren­gen oder Zer­le­gen von Mu­ni­ti­on oder Mu­ni­ti­ons­tei­len so­wie de­ren Trans­port.“

Die Ge­fah­ren­zu­la­ge für Ar­bei­ter ist im Ab­schnitt III un­ter § 10 ge­re­gelt. Ab­schnitt IV sieht „Son­der­prämi­en“ vor. Er enthält als ein­zi­ge Vor­schrift den § 11 so­wie ei­ne Pro­to­koll­no­tiz zu des­sen Ab­satz 1. Die­ser Ab­satz lau­tet:

„Für die Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ein­sch­ließlich des et­wa er­for­der­li­chen Trans­ports der noch nicht entschärf­ten Bom­be wird ei­ne Son­der­prämie von ... 567,53 Eu­ro als zusätz­li­che Ge­fah­ren­zu­la­ge gewährt. Die Son­der­prämie erhält je­der Ar­beit­neh­mer, der un­mit­tel­bar an der Ent­fer­nung des Lang­zeitzünders oder beim Trans­port mit­ar­bei­tet. Die Prämie wird je­doch je Bom­be nur ein­mal ge­zahlt.“

Die Pro­to­koll­no­tiz lau­tet: 


„Der Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder steht die Entschärfung ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on (z. B. Tor­pe­dos, Was­ser­bom­ben, See­mi­nen) gleich.“

Die­se Pro­to­koll­no­tiz war durch den Ände­rungs­ta­rif­ver­trag Nr. 2 vom 11. Sep­tem­ber 1979 in den da­mals gel­ten­den TV-Mun-Nds vom 25. Fe­bru­ar 1972 ein­gefügt wor­den. In der Nie­der­schrift zum Ver­hand­lungs­er­geb­nis die­ses Ände­rungs­ta­rif­ver­trags hat­ten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en „zur Son­der­prämie in den Ta­rif­verträgen“ fol­gen­de Erklärung ab­ge­ge­ben:

„Falls ei­ne frei­ge­leg­te Bom­be zur Entschärfung am Fund­ort der Bom­be ver­la­gert wer­den muss, gilt die­se Ver­la­ge­rung ein­ver­nehm­lich als ein zur Entschärfung oder zum Trans­port der Bom­be gehören­der Ar­beits­vor­gang. Die

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Son­der­prämie erhält je­der Ar­beit­neh­mer, der aus die­sem An­lass im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich tätig sein muss.“


Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, bei den 104 Was­ser­bom­ben ha­be es sich um „ent­spre­chen­de See­mu­ni­ti­on“ iSd. Pro­to­koll­no­tiz zu § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds ge­han­delt. Die­se sei durch Spren­gung iSd. § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds „entschärft“ wor­den. Al­le 104 Was­ser­bom­ben hätten über Zünd­sys­te­me verfügt, die eben­so gefähr­lich sei­en wie Lang­zeitzünder. Die Do­ku­men­ta­ti­on des Zünders sei auf­grund der star­ken Se­di­men­t­ab­la­ge­run­gen nicht möglich ge­we­sen. Es sei aus­ge­schlos­sen, dass die Was­ser­bom­ben nach Kriegs­en­de oh­ne Zünd­sys­te­me ver­klappt wor­den sei­en. Da die Was­ser­bom­ben un­weit des frühe­ren Kriegs­ha­fens Wil­helms­ha­ven auf­ge­fun­den wor­den sei­en, sei da­von aus­zu­ge­hen, dass mit ih­nen die Ha­fen­ein­fahrt blo­ckiert wer­den soll­te. Der Kläger meint, un­abhängig da­von stünden ihm die Son­der­prämi­en je­den­falls nach § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-Mun-Nds auf­grund sei­ner Mit­ar­beit am Trans­port der Was­ser­bom­ben zu, da er al­le 104 Was­ser­bom­ben zur Spren­gung vor­be­rei­tet, al­so je­weils an­ge­ho­ben, zu­sam­men­ge­legt, mit der Spreng­la­dung ver­se­hen und sta­pel­wei­se übe­rein­an­der­ge­schich­tet ha­be.


Der Kläger hat be­an­tragt, 


das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, an ihn 59.023,12 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Mai 2011 zu zah­len.

Das be­klag­te Land hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Es hat be­strit­ten, dass al­le 104 Was­ser­bom­ben mit be­son­ders gefähr­li­chen Zünd­sys­te­men ver­se­hen ge­we­sen sei­en, da sich auf den Ge­win­de­bol­zen der zu Do­ku­men­ta­ti­ons­zwe­cken fo­to­gra­fier­ten Was­ser­bom­ben des Typs MK11 - an­ders als sonst bei von Flug­zeu­gen ab­ge­wor­fe­nen Blindgängern - we­der Leit­wer­ke noch Frag­men­te da­von be­fun­den hätten. Sie sei­en da­her - man­gels Bezünde­rung - kei­ne „ent­spre­chen­de See­mu­ni­ti­on“ iSd. Pro­to­koll­no­tiz zu § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds. Zu­dem sei der Kläger nicht un­mit­tel­bar am Trans­port der Was­ser­bom­ben be­tei­ligt ge­we­sen. Sämt­li­che Ar­bei­ten im Zu­sam­men­hang mit der Ber­gung und Ver­la­ge­rung der Was­ser­bom­ben sei­en aus­sch­ließlich mit Gerät und Mit­ar­bei­tern
 


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der hin­zu­ge­zo­ge­nen ge­werb­li­chen Fir­ma durch­geführt wor­den. Der Kläger sei nur an vier Spreng­ta­gen vor Ort ge­we­sen.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Zah­lungs­be­geh­ren wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung kann die Kla­ge nicht ab­ge­wie­sen wer-den. Der Se­nat kann auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht ent­schei­den, ob der Kläger von dem be­klag­ten Land die Zah­lung der ge­for­der­ten Son­der­prämi­en ver­lan­gen kann. Dies führt un­ter Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt.


I. Die Re­vi­si­on ist zulässig. Sie be­schränkt sich auf den ta­rif­li­chen An­spruch. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt - da­ne­ben - auch ei­ne Ver­let­zung des ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes ver­neint hat, greift der Kläger das Be­ru­fungs­ur­teil nicht an. Dies hat er in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat klar­ge­stellt. Die da­mit ver­bun­de­ne Be­schränkung der Re­vi­si­on auf ei­nen von meh­re­ren Streit­ge­genständen ist zulässig (vgl. BAG 29. Ja­nu­ar 2014 - 6 AZR 944/11 - Rn. 16).


II. Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te die Kla­ge mit der von ihm ge­ge­be­nen Be­gründung nicht ab­wei­sen. Es hat zwar zu­tref­fend er­kannt, dass die „Spren­gung“ ei­ner Bom­be nicht der „Entschärfung“ iSd. § 11 Abs. 1 Satz 1 TV-Mun-Nds gleich­steht. Zu Un­recht hat es je­doch an­ge­nom­men, § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds gewähre Ar­beit­neh­mern, die un­mit­tel­bar am Trans­port von „ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on“ iSd. Pro­to­koll­no­tiz zu § 11 Abs. 1


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TV-Mun-Nds mit­ge­ar­bei­tet ha­ben, kei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner Son­der­prämie.


1. Dem Kläger ste­hen für die „Spren­gung“ der Was­ser­bom­ben kei­ne Son­der­prämi­en nach § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds zu. Hier­bei han­delt es sich nicht um die „Entschärfung“ ei­ner Bom­be im Ta­rif­sin­ne.


a) Nach dem Wort­laut des § 11 Abs. 1 Satz 1 TV-Mun-Nds wird die Son­der­prämie „für die Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ein­sch­ließlich des et­wa er­for­der­li­chen Trans­ports“ gewährt. Nach all­ge­mei­nem Sprach­ge­brauch ist es zwar nicht aus­ge­schlos­sen, die „Spren­gung“ ei­ner Bom­be als „Entschärfung“ an­zu­se­hen, weil von ihr nach der Spren­gung kei­ne Ge­fahr mehr aus­geht, sie al­so nicht mehr „scharf“ ist. Ge­gen ein sol­ches Verständ­nis bei der Aus­le­gung des § 11 TV-Mun-Nds spricht je­doch, dass die Pro­to­koll­no­tiz zu § 5 TV-Mun-Nds aus­drück­lich zwi­schen dem „Entschärfen“ und dem „Spren­gen“ von Mu­ni­ti­on und Mu­ni­ti­ons­tei­len als Beschäfti­gung „im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich“ dif­fe­ren­ziert. Dies zeigt, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en „Spren­gen“ und „Entschärfen“ als von­ein­an­der ver­schie­de­ne Tätig­kei­ten an­se­hen. Da nach dem Wort­laut des § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds nur ei­ne da­von - die Entschärfung - prämi­en­re­le­vant ist, spricht dies ge­gen die An­nah­me der Re­vi­si­on, auch ei­ne Spren­gung könne ei­nen An­spruch auf ei­ne Son­der­prämie nach § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds auslösen.


b) Die­ses am Wort­laut der Ta­rif­vor­schrift ori­en­tier­te Aus­le­gungs­er­geb­nis wird durch die Ta­rif­sys­te­ma­tik und den sich hier­aus er­ge­ben­den Re­ge­lungs­zweck bestätigt. Der TV-Mun-Nds enthält in Be­zug auf die Prämi­en ein ge­schlos­se­nes Re­ge­lungs­kon­zept. Die­ses hebt den Vor­gang der Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ein­sch­ließlich des et­wa er­for­der­li­chen Trans­ports ge­genüber an­de­ren Beschäfti­gun­gen im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich deut­lich her­vor.


aa) Zunächst re­gelt der Ta­rif­ver­trag in den Ab­schnit­ten II (§ 5) und III (§ 10) die all­ge­mei­ne „Ge­fah­ren­zu­la­ge“ für An­ge­stell­te und Ar­bei­ter bei ei­ner Beschäfti­gung im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich. Da­zu gehört aus­weis­lich der Pro­to-

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koll­no­tiz zu § 5 TV-Mun-Nds so­wohl das Spren­gen als auch das Entschärfen von Mu­ni­ti­on oder Mu­ni­ti­ons­tei­len so­wie de­ren Trans­port. In § 11 TV-Mun-Nds ist so­dann für ein­zel­ne Tätig­kei­ten (Entschärfung ein­sch­ließlich des et­wa er­for­der­li­chen Trans­ports) an ei­ner spe­zi­el­len Mu­ni­ti­ons­art (Bom­be mit Lang­zeitzünder) ei­ne wei­te­re als „Son­der­prämie“ be­zeich­ne­te Zu­la­ge ge­re­gelt. Die Ta­rif­sys­te­ma­tik ver­deut­lich da­mit, dass nach Auf­fas­sung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die „Entschärfung“ ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ein­sch­ließlich des et­wa er­for­der­li­chen Trans­ports ganz be­son­de­re Ge­fah­ren in sich birgt, die über das hin­aus­ge­hen, was mit der Ge­fah­ren­zu­la­ge nach § 5 und § 10 TV-Mun-Nds ab­ge­gol­ten wer­den soll. Des­halb ha­ben sie für die­se Tätig­keit ei­ne Son­der­prämie vor­ge­se­hen, die glei­cher­maßen für al­le Ar­beit­neh­mer gilt und bei ei­nem An­ge­stell­ten mehr als 60 %, bei ei­nem Ar­bei­ter so­gar mehr als 75 % sei­ner ma­xi­ma­len mo­nat­li­chen Ge­fah­ren­zu­la­ge nach § 5 TV-Mun-Nds beträgt.

bb) Ei­ne Gleich­set­zung von „Spren­gung“ und „Entschärfung“ ei­ner Bom­be in § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds ist mit dem sich aus die­ser Ta­rif­sys­te­ma­tik er­ge­ben­den Re­ge­lungs­zweck un­ver­ein­bar. Ei­ne Bom­be, die nach ih­rem Ab­wurf nicht ex­plo­diert ist, stellt nach dem im ta­rif­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang zum Aus­druck kom­men­den Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­ne über die oh­ne­hin be­ste­hen­de all­ge­mei­ne Gefähr­lich­keit hin­aus­ge­hen­de be­son­de­re Ge­fahr dar, wenn sie über ei­nen Lang­zeitzünder verfügt, der ih­re so­for­ti­ge De­to­na­ti­on beim Auf­schla­gen im Ziel­ge­biet ver­hin­dern soll­te. Da ein Lang­zeitzünder übli­cher­wei­se mit ei­ner Aus­bau­sper­re ver­se­hen ist, die sei­ne Entschärfung ver­hin­dern oder zu­min­dest er­schwe­ren soll, ist des­sen Ent­fer­nung nicht nur außer­gewöhn­lich aufwändig, son­dern auch in be­son­de­rem Maße gefähr­lich. Dem­ent­spre­chend ist nach der be­rufs­ge­nos­sen­schaft­li­chen Richt­li­nie BGR 114 An­hang 5 Zif­fer 12.4 die Entschärfung von Fund­mu­ni­ti­on mit Zündern, bei de­nen kon­struk­ti­ons­be­dingt „ei­ne Auslösung nicht aus­ge­schlos­sen“ wer­den kann, „we­gen der ständi­gen aku­ten Ge­fahr“ nur durch­zuführen, „wenn ei­ne Spren­gung ... aus­nahms­wei­se nicht ge­bo­ten ist“. Dies ver­deut­licht das ta­rif­li­che Re­ge­lungs­ziel, mit der Son­der­prämie nach § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds die Ausübung ei­ner be­son­ders gefähr­li­chen Tätig­keit zusätz­lich zu der Ge­fah­ren­zu­la­ge nach §§ 5, 10 TV-Mun-Nds zu ho­no­rie­ren.
 


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c) Die­ses Ta­rif­verständ­nis verstößt ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht ge­gen den Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sol­cher Ver­s­toß ist dann an­zu­neh­men, wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en es versäumt ha­ben, tatsächli­che Ge­mein­sam­kei­ten oder Un­ter­schie­de der zu ord­nen­den Le­bens­verhält­nis­se zu berück­sich­ti­gen, die so be­deut­sam sind, dass sie bei ei­ner am Ge­rech­tig­keits­ge­dan­ken ori­en­tier­ten Be­trach­tungs­wei­se hätten be­ach­tet wer­den müssen (BAG 11. De­zem­ber 2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 14). Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, de­nen in­so­weit ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve zu­kommt (BAG 11. De­zem­ber 2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 14), ha­ben die all­ge­mei­ne Ge­fah­ren­zu­la­ge nach §§ 5, 10 TV-Mun-Nds als Zu­la­ge für die Tätig­keit ei­nes Ar­beit­neh­mers im un­mit­tel­ba­ren Ge­fah­ren­be­reich iSd. Pro­to­koll­no­tiz zu § 5 TV-Mun-Nds of­fen­bar für aus­rei­chend ge­hal­ten, so­weit der Ar­beit­neh­mer nicht un­mit­tel­bar an der Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ein­sch­ließlich des et­wa er­for­der­li­chen Trans­ports mit­ar­bei­tet und sich da­durch ei­ner be­son­de­ren Ge­fahr aus­setzt. Ei­ne sol­che Un­ter­schei­dung nach der von der Tätig­keit aus­ge­hen­den Ge­fahr ist sach­ge­recht und aus Rechts­gründen nicht zu be­an­stan­den.


2. Nach der Pro­to­koll­no­tiz zu § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds steht der Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder die Entschärfung ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on (zB Tor­pe­dos, Was­ser­bom­ben, See­mi­nen) gleich. Vor­aus­set­zung der Gleich­stel­lung ist da­mit, dass die be­son­de­re Gefähr­lich­keit der See­mu­ni­ti­on der ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ent­spricht. Da­von ist aus­zu­ge­hen, wenn die See­mu­ni­ti­on mit Zünd­sys­te­men aus­ge­stat­tet ist, bei de­ren Ent­fer­nung der Ar­beit­neh­mer ei­ner eben­so großen Ge­fahr aus­ge­setzt ist wie bei der Ent­fer­nung des Lang­zeitzünders ei­ner Bom­be. Für wel­che Zünd­sys­te­me dies zu be­ja­hen ist, hängt von de­ren kon­kre­ter Bau­wei­se und Be­schaf­fen­heit ab.


3. Die Gleich­stel­lung der „Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder“ mit der „Entschärfung ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on“ nach der Pro­to­koll­no­tiz zu § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds be­schränkt sich ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht auf den Vor­gang der „Entschärfung“, son­dern um­fasst auch den „Trans­port“ iSd. § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds. Nach dem Wort­laut der Pro­to­koll­no­tiz steht der Entschärfung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder die Ent-
 


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schärfung ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on gleich. Der Trans­port der See­mu­ni­ti­on ist da­mit zwar in der Pro­to­koll­no­tiz nicht aus­drück­lich erwähnt. Hier­aus kann je­doch, an­ders als vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, nicht der Schluss ge­zo­gen wer­den, die­ser löse die Son­der­prämie nicht aus. Hier­ge­gen spricht die in § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds er­folg­te Gleich­stel­lung bei­der Vorgänge. Wenn die Pro­to­koll­no­tiz für die Zah­lung ei­ner Son­der­prämie vor­aus­setzt, dass die See­mu­ni­ti­on in Be­zug auf die Gefähr­lich­keit ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder zu ent­spre­chen hat, be­trifft dies nicht nur die Ge­fah­ren bei ei­ner Entschärfung, son­dern auch bei ei­nem et­wa er­for­der­li­chen Trans­port. Ei­ne am Zweck der Pro­to­koll­no­tiz ori­en­tier­te Aus­le­gung ge­bie­tet da­her, nicht nur die Entschärfung, son­dern auch die un­mit­tel­ba­re Mit­ar­beit beim Trans­port ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on als ei­ne Tätig­keit an­zu­se­hen, die ei­nen An­spruch auf ei­ne Son­der­prämie nach § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds auslöst. In der Re­gel kann da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en gleich ge­la­ger­te Sach­ver­hal­te nicht oh­ne sach­li­chen Grund un­gleich be­han­deln. Für ei­ne Un­gleich­be­hand­lung zwi­schen Bom­ben mit Lang­zeitzünder und ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on ist in­so­weit kein Grund er­sicht­lich.


4. Un­ter „Trans­port“ iSd. § 11 Abs. 1 TV-Mun-Nds ist das Befördern ei­ner Bom­be an ei­nen an­de­ren Ort zu ver­ste­hen. Das Tat­be­stands­merk­mal „Trans­port“ in die­ser Be­stim­mung setzt nicht die an­sch­ließen­de Entschärfung der trans­por­tier­ten Bom­be vor­aus. Die von der Art ih­rer Bezünde­rung aus­ge­hen­de be­son­de­re Ge­fahr be­steht un­abhängig da­von, ob die Bom­be nach ih­rem Trans­port ge­sprengt oder entschärft wird. Der Ein­schub „et­wa er­for­der­lich“ in § 11 Abs. 1 Satz 1 TV-Mun-Nds steht die­ser Aus­le­gung nicht ent­ge­gen. Er zeigt le­dig­lich an, dass es sich bei dem Trans­port ei­ner mit ei­nem Lang­zeitzünder ver­se­he­nen Bom­be um ei­nen Aus­nah­me­fall han­delt.


5. Zum Trans­port gehört nach Ziff. III 1 der Nie­der­schrift zum Ver­hand­lungs­er­geb­nis vom 11. Sep­tem­ber 1979 zum Ände­rungs­ta­rif­ver­trag Nr. 2 zum TV-Mun-Nds vom 25. Fe­bru­ar 1972 auch das Ver­la­gern ei­ner Bom­be. Er­fasst wird da­mit das An­he­ben, Zu­sam­men­le­gen und Übe­rein­an­der­schich­ten frei­ge­leg­ter Bom­ben und ent­spre­chend bezünder­ter See­mu­ni­ti­on. Dem liegt zu­grun-
 


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de, dass nach Auf­fas­sung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en je­de Be­we­gung ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ganz be­son­de­re Ge­fah­ren in sich birgt, die für die dar­an un­mit­tel­bar mit­wir­ken­den Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf ei­ne Son­der­prämie be­gründen soll. Des­halb gilt dies nicht nur für den Nor­mal­fall der Entschärfung am Fund­ort, son­dern auch dann, wenn ei­ne sol­che Bom­be oder ent­spre­chen­de See­mu­ni­ti­on nach dem Trans­port an ei­nen an­de­ren Ort noch­mals ver­la­gert wer­den muss. Ob die Ver­la­ge­rung am Fund­ort oder an ei­nem an­de­ren Ort statt­fin­det, ist für die be­son­de­re Ge­fah­ren­la­ge, die den Grund für die Prämie bil­det, un­er­heb­lich.


6. In § 11 Abs. 1 Satz 2 TV-Mun-Nds ist klar­ge­stellt, dass die Son­der­prämie auch ein Ar­beit­neh­mer erhält, der aus­sch­ließlich am Trans­port ei­ner noch nicht entschärf­ten Bom­be mit Lang­zeitzünder oder - in Ver­bin­dung mit der Pro­to­koll­no­tiz - „ent­spre­chen­der“ See­mu­ni­ti­on mit­ar­bei­tet. § 11 Abs. 1 Satz 3 TV-Mun-Nds be­grenzt den Prämi­en­an­spruch bei meh­re­ren prämi­en­re­le­van­ten Hand­lun­gen auf ei­ne Prämie je Bom­be.

III. Nach die­sen Grundsätzen war das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts nach § 562 Abs. 1 ZPO auf­zu­he­ben, weil es zu Un­recht an­ge­nom­men hat, die un­mit­tel­ba­re Mit­ar­beit am Trans­port „ent­spre­chen­der See­mu­ni­ti­on“ iSd. Pro­to­koll­no­tiz zu § 11 TV-Mun-Nds löse kei­nen An­spruch auf ei­ne Son­der­prämie aus. Nach­dem das Be­ru­fungs­ge­richt aus sei­ner Sicht fol­ge­rich­tig kei­ne Fest­stel­lun­gen zum Um­fang der Mit­wir­kung des Klägers am Trans­port der Was­ser-bom­ben ge­trof­fen hat, war der Se­nat an ei­ner ei­ge­nen Sach­ent­schei­dung nach § 563 Abs. 3 ZPO ge­hin­dert. Die Sa­che war des­halb an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen. Die­ses hat nun­mehr auf­zuklären, wel­che der 104 ge­spreng­ten Was­ser­bom­ben mit Zünd­sys­te­men aus­ge­stat­tet wa­ren, von de­nen ei­ne mit ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ver­gleich­ba­re Ge­fahr aus­ge­gan­gen ist. Dass ei­ne Un­ter­su­chung der Bezünde­rung der Was­ser­bom­ben nicht statt­ge­fun­den hat, schließt nicht aus, dass die Was­ser­bom­ben über der­ar­ti­ge Zünd­sys­te­me verfügten. Das be­klag­te Land hat den Vor­trag des Klägers in bei­den In­stan­zen be­strit­ten und auf Umstände hin­ge­wie­sen, die auf ei­ne un­bezünder­te Ver­klap­pung der Was­ser­bom­ben hin­deu­ten könn­ten. Der Um­stand, dass die



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Bezünde­rung der Was­ser­bom­ben mögli­cher­wei­se nicht vollständig do­ku­men­tiert wur­de, be­deu­tet da­bei nicht, dass sie ei­ner Be­weis­er­he­bung schlecht­hin ent­zo­gen ist. Viel­mehr er­scheint es denk­bar, dass ein Sach­verständi­ger so­wohl die Fra­ge der Bezünde­rung an sich als auch die von ihr aus­ge­hen­de Ge­fahr (ent­spre­chend Lang­zeitzünder) - et­wa an­hand von Kennt­nis­sen über die Art oder den Typ der ge­spreng­ten Was­ser­bom­ben - be­ant­wor­ten und sich auch da­zu äußern kann, ob die Was­ser­bom­ben nach Kriegs­en­de in un­bezünder­tem Zu­stand ver­klappt wur­den. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird so­dann al­le die­se Umstände im Rah­men der Be­weiswürdi­gung ab­zuwägen ha­ben.


Wei­ter wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­nau fest­zu­stel­len ha­ben, wie vie­le ei­ner Bom­be mit Lang­zeitzünder ent­spre­chend bezünder­te Was­ser­bom­ben der Kläger trans­por­tiert oder ver­la­gert hat. Da­bei wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt dar­auf Be­dacht zu neh­men ha­ben, dass die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen der ta­rif­li­chen An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen hin­sicht­lich je­der ein­zel­nen der 104 ge­spreng­ten Was­ser­bom­ben beim Kläger liegt. Hier­zu ha­ben die Par­tei­en strei­tig vor­ge­tra­gen.

Linck 

W. Rein­fel­der 

Bru­ne

Thiel R.

Bick­na­se

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