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BVerfG, Be­schluss vom 06.10.2015, 1 BvR 1571/15 1 BvR 1588/15 1 BvR 1582/15

   
Schlagworte: Tarifeinheit
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 1 BvR 1571/15
1 BvR 1588/15
1 BvR 1582/15
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 06.10.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT
- 1 BvR 1571/15 -
- 1 BvR 1582/15 -
- 1 BvR 1588/15 -

IM NA­MEN DES VOL­KES

In den Ver­fah­ren
über
die Ver­fas­sungs­be­schwer­den

1. des M... e.V.,

- Be­vollmäch­tig­ter: Prof. Dr. Frank Schor­kopf, Eh­ren­gard-Schramm-Weg 5, 37085 Göttin­gen -

ge­gen Art. 1 Nr. 1 und Art. 2 Nr. 2 und 3 des Ge­set­zes zur Ta­rif­ein­heit vom 3. Ju­li 2015 (BGBl I S. 1130)

- 1 BvR 1571/15 -,

2. des D... e.V.,

- Be­vollmäch­tig­ter: Prof. Dr. Bernd Holz­na­gel, LL.M., Leo­nar­do-Cam­pus 9, 48149 Müns­ter -

ge­gen § 4a des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes in der Fas­sung des Art. 1 des Ge­set­zes zur Ta­rif­ein­heit vom 3. Ju­li 2015 (BGBl I S. 1130)

- 1 BvR 1582/15 -,

3. der V... e.V.,

- Be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte Baum, Rei­ter & Col­le­gen, Ben­ra­ther Schlos­sal­lee 101, 40597 Düssel­dorf -

ge­gen § 4a Abs. 1 und Abs. 2 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes (TVG) in der Fas­sung vom 3. Ju­li 2015 (BGBl I S. 1130)

- 1 BvR 1588/15 -

hier: Anträge auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung

hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - Ers­ter Se­nat -
un­ter Mit­wir­kung der Rich­te­rin­nen und Rich­ter

Vi­ze­präsi­dent Kirch­hof,

Gai­er,

Eich­ber­ger,

Schlu­cke­bier,

Ma­sing,

Pau­lus,

Ba­er,

Britz

am 6. Ok­to­ber 2015 be­schlos­sen:

Die Anträge auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung wer­den ab­ge­lehnt.

Gründe:

A.

Die Be­schwer­deführer wen­den sich mit ih­ren Ver­fas­sungs­be­schwer­den und ih­ren gleich­zei­tig ge­stell­ten Anträgen auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung ge­gen das am 10. Ju­li 2015 in Kraft ge­tre­te­ne Ge­setz zur Ta­rif­ein­heit vom 3. Ju­li 2015 (BGBl I S. 1130).

I.

Die Be­schwer­deführer sind so­ge­nann­te Be­rufs­grup­pen­ge­werk­schaf­ten. Ih­re in der je­wei­li­gen Sat­zung 2 fest­ge­leg­ten Ta­rif­zuständig­kei­ten über­schnei­den sich mit de­nen an­de­rer, re­gelmäßig ei­nen größeren Per­so­nen­kreis abhängig Beschäftig­ter or­ga­ni­sie­ren­der Ge­werk­schaf­ten. Sie wen­den sich ge­gen die neu ein­geführ­te Re­ge­lung über die Ta­rif­ein­heit im Be­trieb, der Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 1 BvR 1571/15 auch ge­gen die da­zu in das Ar­beits­ge­richts­ge­setz in­te­grier­ten ver­fah­rens­recht­li­chen Vor­schrif­ten.

Bis zur Ver­ab­schie­dung des hier an­ge­grif­fe­nen Ge­set­zes war das Verhält­nis meh­re­rer Ta­rif­verträge zu­ein­an­der nicht ge­setz­lich ge­re­gelt. Tatsächlich ent­steht häufig ei­ne Ta­rifp­lu­ra­lität, weil ar­beit­ge­ber­seits meh­re­re Ta­rif­verträge auch mit ver­schie­de­nen Ge­werk­schaf­ten ge­schlos­sen wer­den. Über­schnei­den sich die­se in ei­nem Be­trieb in ih­rem persönli­chen Gel­tungs­be­reich, liegt ei­ne Ta­rif­kol­li­si­on vor. Der Um­gang mit po­ten­ti­el­len Ta­rif­kol­li­sio­nen war in­ner­halb des Deut­schen Ge­werk­schafts­bun­des der Ko­or­di­na­ti­on durch Sch­lich­tungs­ver­fah­ren über­las­sen. Bis zum Jahr 2010 setz­te die Recht­spre­chung im Kol­li­si­ons­fall im ge­sam­ten Be­trieb nach dem Spe­zia­litätsprin­zip den­je­ni­gen Ta­rif­ver­trag durch, der dem Be­trieb räum­lich, be­trieb­lich, fach­lich und persönlich am nächs­ten stand und des­halb den Er­for­der­nis­sen und Ei­gen­ar­ten des Be­triebs am ehes­ten ge­recht wur­de (vgl. BAG, Ur­teil vom 29. März 1957 - 1 AZR 208/55 -, ju­ris, Rn. 7; Ur­teil vom 14. Ju­ni 1989 - 4 AZR 200/89 -, ju­ris, Rn. 21 ff.; Ur­teil vom 5. Sep­tem­ber 1990 - 4 AZR 59/90 -, ju­ris, Rn. 16 ff.; Ur­teil vom 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 -, ju­ris, Rn. 28; stRspr). Nach Ände­rung der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. BAG, Be­schluss vom 27. Ja­nu­ar 2010 - 4 AZR 549/08 (A) -; Ur­teil vom 7. Ju­li 2010 - 4 AZR 549/08 -) wur­den seit 2010 Ta­rif­kol­li­sio­nen hin­ge­nom­men; Ta­rif­kon­flik­te im ein­zel­nen Ar­beits­verhält­nis lösten die Ar­beits­ge­rich­te in ers­ter Li­nie wei­ter nach dem Spe­zia­litätsprin­zip, oh­ne da­mit je­doch be­triebs­wei­te Vor­ran­gent­schei­dun­gen zu tref­fen (vgl. Fran­zen, in: Er­fur­ter Kom­men­tar, 15. Aufl. 2015, TVG, § 4 Rn. 67 ff.). Der Ge­setz­ge­ber ver­folgt mit dem Ta­rif­ein­heits­ge­setz nun­mehr das Ziel, in ei­nem Be­trieb bei Ta­rif­kol­li­sio­nen grundsätz­lich nur ei­nen Ta­rif­ver­trag zur An­wen­dung kom­men zu las­sen (vgl. BT­Drucks 18/4062, S. 1 f.), wo­bei nun nicht mehr das Spe­zia­litätsprin­zip, son­dern das Mehr­heits­prin­zip in Ori­en­tie­rung an der Zahl der in ei­nem Be­trieb von kon­kur­rie­ren­den Ge­werk­schaf­ten or­ga­ni­sier­ten abhängig Beschäftig­ten maßgeb­lich sein soll.

Durch das an­ge­grif­fe­ne Ge­setz, das am 10. Ju­li 2015 in Kraft trat (BGBl I S. 1130) und die Kol­li­si­ons­re­gel des § 4a in das Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG) einfügte, sol­len Ta­rif­kol­li­sio­nen ver­mie­den wer­den. Wer­den Ta­rif­ver­hand­lun­gen auf­ge­nom­men, muss dies nach § 4a Abs. 5 TVG be­kannt­ge­ge­ben wer­den, wor­auf­hin al­le Ge­werk­schaf­ten, die für den Ab­schluss des von der kon­kur­rie­ren­den Ge­werk­schaft an­ge­streb­ten Ta­rif­ver­trags nach ih­rer Sat­zung zu­min­dest teil­wei­se ta­rif­zuständig wären, ein Recht dar­auf ha­ben, vom Ar­beit­ge­ber an­gehört zu wer­den. Sch­ließt der Ar­beit­ge­ber(-ver­band) dann mit zwei Ge­werk­schaf­ten Ta­rif­verträge ab, die sich in ei­nem dem Ta­rif­ver­trag un­ter­fal­len­den Be­trieb in ih­rem persönli­chen Gel­tungs­be­reich teil­wei­se (vgl. BT­Drucks 18/4062, S. 13) über­schnei­den, so liegt in die­sem Be­trieb nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG ein Kol­li­si­ons­fall vor. Dann kann ei­ne be­tei­lig­te Ta­rif­ver­trags­par­tei be­an­tra­gen, dass die Ar­beits­ge­rich­te in ei­nem neu ein­geführ­ten Be­schluss­ver­fah­ren nach § 99 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit § 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG die Ta­rif­kol­li­si­on fest­stel­len. Die Re­ge­lung er­fasst nicht all­ge­mein­ver­bind­li­che (vgl. BT­Drucks 18/4062, S. 12) und auch nicht am 10. Ju­li 2015 gel­ten­de Ta­rif­verträge (§ 13 Abs. 3 TVG). Sie gilt nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG für Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­trags, für be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Nor­men al­ler­dings nur nach Maßga­be des § 4a Abs. 3 TVG. Un­ter­bleibt ein An­trag an die Ar­beits­ge­rich­te, ist der Ar­beit­ge­ber nach § 4a Abs. 2 Satz 1 TVG wei­ter an un­ter­schied­li­che Ta­rif­verträge ge­bun­den, denn die Neu­re­ge­lung soll „sub­si­diär“ gel­ten (BT­Drucks 18/4062, S. 1 un­ter B.; S. 12).

Wird der Kol­li­si­ons­fall in ei­nem Be­trieb fest­ge­stellt, gilt nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG das Mehr­heits­prin­zip. Da­nach ent­fal­tet nur der Ta­rif­ver­trag der­je­ni­gen Ge­werk­schaft Wir­kung, die in die­sem Be­trieb die meis­ten Mit­glie­der hat (vgl. BT­Drucks 18/4062, S. 12). Die Ge­werk­schaft, de­ren Ta­rif­ver­trag ver­drängt wird, kann sich nach Maßga­be des § 4a Abs. 4 TVG dem Ta­rif­ver­trag der Mehr­heits­ge­werk­schaft durch Nach­zeich­nung an­sch­ließen.

Die an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten lau­ten: 

§ 4a TVG Ta­rif­kol­li­si­on

(1) Zur Si­che­rung der Schutz­funk­ti­on, Ver­tei­lungs­funk­ti­on, Be­frie­dungs­funk­ti­on so­wie Ord­nungs­funk­ti­on von Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­trags wer­den Ta­rif­kol­li­sio­nen im Be­trieb ver­mie­den.

(2) 1 Der Ar­beit­ge­ber kann nach § 3 an meh­re­re Ta­rif­verträge un­ter­schied­li­cher Ge­werk­schaf­ten ge­bun­den sein. 2 So­weit sich die Gel­tungs­be­rei­che nicht in­halts­glei­cher Ta­rif­verträge ver­schie­de­ner Ge­werk­schaf­ten über­schnei­den (kol­li­die­ren­de Ta­rif­verträge), sind im Be­trieb nur die Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­trags der­je­ni­gen Ge­werk­schaft an­wend­bar, die zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des zu­letzt ab­ge­schlos­se­nen kol­li­die­ren­den Ta­rif­ver­trags im Be­trieb die meis­ten in ei­nem Ar­beits­verhält­nis ste­hen­den Mit­glie­der hat. 3 Kol­li­die­ren die Ta­rif­verträge erst zu ei­nem späte­ren Zeit­punkt, ist die­ser für die Mehr­heits­fest­stel­lung maßgeb­lich. 4 Als Be­trie­be gel­ten auch ein Be­trieb nach § 1 Ab­satz 1 Satz 2 des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes und ein durch Ta­rif­ver­trag nach § 3 Ab­satz 1 Num­mer 1 bis 3 des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes er­rich­te­ter Be­trieb, es sei denn, dies steht den Zie­len des Ab­sat­zes 1 of­fen­sicht­lich ent­ge­gen. 5 Dies ist ins­be­son­de­re der Fall, wenn die Be­trie­be von Ta­rif­ver­trags­par­tei­en un­ter­schied­li­chen Wirt­schafts­zwei­gen oder de­ren Wertschöpfungs­ket­ten zu­ge­ord­net wor­den sind.

(3) Für Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­trags über ei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­ge nach § 3 Ab­satz 1 und § 117 Ab­satz 2 des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes gilt Ab­satz 2 Satz 2 nur, wenn die­se be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­ge be­reits durch Ta­rif­ver­trag ei­ner an­de­ren Ge­werk­schaft ge­re­gelt ist.

(4) 1 Ei­ne Ge­werk­schaft kann vom Ar­beit­ge­ber oder von der Ver­ei­ni­gung der Ar­beit­ge­ber die Nach­zeich­nung der Rechts­nor­men ei­nes mit ih­rem Ta­rif­ver­trag kol­li­die­ren­den Ta­rif­ver­trags ver­lan­gen. 2 Der An­spruch auf Nach­zeich­nung be­inhal­tet den Ab­schluss ei­nes die Rechts­nor­men des kol­li­die­ren­den Ta­rif­ver­trags ent­hal­ten­den Ta­rif­ver­trags, so­weit sich die Gel­tungs­be­rei­che und Rechts­nor­men der Ta­rif­verträge über­schnei­den. 3 Die Rechts­nor­men ei­nes nach Satz 1 nach­ge­zeich­ne­ten Ta­rif­ver­trags gel­ten un­mit­tel­bar und zwin­gend, so­weit der Ta­rif­ver­trag der nach­zeich­nen­den Ge­werk­schaft nach Ab­satz 2 Satz 2 nicht zur An­wen­dung kommt.

(5) 1 Nimmt ein Ar­beit­ge­ber oder ei­ne Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­ge­bern mit ei­ner Ge­werk­schaft Ver­hand­lun­gen über den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags auf, ist der Ar­beit­ge­ber oder die Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­ge­bern ver­pflich­tet, dies recht­zei­tig und in ge­eig­ne­ter Wei­se be­kannt­zu­ge­ben. 2 Ei­ne an­de­re Ge­werk­schaft, zu de­ren sat­zungs­gemäßen Auf­ga­ben der Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags nach Satz 1 gehört, ist be­rech­tigt, dem Ar­beit­ge­ber oder der Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­ge­bern ih­re Vor­stel­lun­gen und For­de­run­gen münd­lich vor­zu­tra­gen.

§ 2a ArbGG Zuständig­keit im Be­schlußver­fah­ren

1) Die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen sind fer­ner aus­sch­ließlich zuständig für

6. die Ent­schei­dung über den nach § 4a Ab­satz 2 Satz 2 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes im Be­trieb an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trag.§ 58 ArbGG Be­weis­auf­nah­me

(3) Ins­be­son­de­re über die Zahl der in ei­nem Ar­beits­verhält­nis ste­hen­den Mit­glie­der oder das Ver­tre­ten­sein ei­ner Ge­werk­schaft in ei­nem Be­trieb kann Be­weis auch durch die Vor­le­gung öffent­li­cher Ur­kun­den an­ge­tre­ten wer­den.

§ 99 ArbGG Ent­schei­dung über den nach § 4a Ab­satz 2 Satz 2 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes im Be­trieb an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trag

(1) In den Fällen des § 2a Ab­satz 1 Num­mer 6 wird das Ver­fah­ren auf An­trag ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei ei­nes kol­li­die­ren­den Ta­rif­ver­trags ein­ge­lei­tet.

(2) Für das Ver­fah­ren sind die §§ 80 bis 82 Ab­satz 1 Satz 1, die §§ 83 bis 84 und 87 bis 96a ent­spre­chend an­zu­wen­den.

(3) Der rechts­kräfti­ge Be­schluss über den nach § 4a Ab­satz 2 Satz 2 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes im Be­trieb an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trag wirkt für und ge­gen je­der­mann.

(4) 1 In den Fällen des § 2a Ab­satz 1 Num­mer 6 fin­det ei­ne Wie­der­auf­nah­me des Ver­fah­rens auch dann statt, wenn die Ent­schei­dung über den nach § 4a Ab­satz 2 Satz 2 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes im Be­trieb an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trag dar­auf be­ruht, dass ein Be­tei­lig­ter ab­sicht­lich un­rich­ti­ge An­ga­ben oder Aus­sa­gen ge­macht hat. 2 § 581 der Zi­vil­pro­zess­ord­nung fin­det kei­ne An­wen­dung.

II.

1. Der Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 1 BvR 1571/15 (im Fol­gen­den: Be­schwer­deführer zu 1) ist ei­ne 7 Be­rufs­grup­pen­ge­werk­schaft der an­ge­stell­ten Ärz­tin­nen und Ärz­te, die seit dem Jahr 2005 ei­ge­ne Ta­rif­verträge schließt. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de stützt sich auf ei­ne Ver­let­zung in sei­nen Rech­ten aus Art. 9 Abs. 3 GG. Ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung sei ge­bo­ten, weil un­ter Gel­tung des Ta­rif­ein­heits­ge­set­zes be­son­ders schwe­re und prak­tisch nicht wie­der­gut­zu­ma­chen­de Nach­tei­le entstünden. In vie­len Be­trie­ben sei schon struk­tu­rell nur ei­ne Min­der­heit der abhängig Beschäftig­ten zu or­ga­ni­sie­ren; un­ter Hin­weis auf das Ta­rif­ein­heits­ge­setz wei­ger­ten sich Ar­beit­ge­ber be­reits, über­haupt Ta­rif­ver­hand­lun­gen mit dem Be­schwer­deführer auf­zu­neh­men oder brächen die­se ab. In ei­nem Fall sei­en die Beschäftig­ten auf­ge­for­dert wor­den, sich zur Ver­mei­dung von näher um­schrie­be­nen Nach­tei­len auf­grund des Ta­rif­ein­heits­ge­set­zes ar­beits­ver­trag­lich zur Of­fen­le­gung der Mit­glied­schaft in der Bran­chen­ge­werk­schaft zu ver­pflich­ten, wor­auf­hin sie ent­we­der an die je­weils zu ver­han­deln­den Ta­rif­be­din­gun­gen der Bran­chen­ge­werk­schaft ge­bun­den würden oder aber sich ar­beits­ver­trag­lich an den al­ten, vom Be­schwer­deführer ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag bänden und Ge­halts­stei­ge­run­gen höchs­tens in Höhe des von der Bran­chen­ge­werk­schaft er­ziel­ten Ta­rif­ab­schlus­ses er­lang­ten, oh­ne dass dar­auf ein An­spruch bestünde. Gel­te das Ge­setz bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che fort, ver­dränge es den Be­schwer­deführer aus den Be­trie­ben. Dies er­zwin­ge kaum mehr kor­ri­gier­ba­re or­ga­ni­sa­ti­ons- und ver­bands­po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen, führe zum Ver­lust von Mit­glie­dern und zu aty­pi­schen Ta­rif­ver­trags­ab­schlüssen. Meh­re­re Ta­rif­verträge stünden un­mit­tel­bar zur Kündi­gung an. Die Ko­ope­ra­ti­on mit der Mehr­heits­ge­werk­schaft sei ver­bands­po­li­tisch un­zu­mut­bar, da die bis 2005 be­ste­hen­de Ta­rif­ge­mein­schaft be­wusst auf­ge­ge­ben wor­den sei.

2. Der Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 1 BvR 1582/15 (im Fol­gen­den: Be­schwer­deführer zu 2) ist ei­ne 8 Be­rufs­grup­pen­ge­werk­schaft im Jour­na­lis­mus, die aus­sch­ließlich die re­dak­tio­nell Ar­bei­ten­den in den Me­di­en ver­tritt. Mit der Bran­chen­ge­werk­schaft, die eben­falls für die­se Beschäftig­ten zuständig ist, gab es bis­lang ei­ne in­for­mel­le Ko­ope­ra­ti­on; meist wur­den in­halts­glei­che Ta­rif­verträge ab­ge­schlos­sen. Das Ta­rif­ein­heits­ge­setz ver­let­ze sein Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG, weil die Möglich­kei­ten für Min­der­heits­ge­werk­schaf­ten, sich ko­ali­ti­ons­gemäß zu betäti­gen, übermäßig ein­ge­schränkt würden. Das gefähr­de die bis­lang gu­te Ko­ope­ra­ti­on, denn für Mehr­heits­ge­werk­schaf­ten be­ste­he kein An­reiz mehr, die­se fort­zu­set­zen. Ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung sei er­for­der­lich, weil die Po­si­ti­on in Ver­hand­lun­gen und auch im Ar­beits­kampf bis zu ei­ner Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che deut­lich ge­schwächt und im Kol­li­si­ons­fall das Betäti­gungs­feld be­schränkt wer­de, Rechts­po­si­tio­nen ver­lo­ren gin­gen und ein star­ker Mit­glie­der­schwund zu befürch­ten sei, der die Exis­tenz gefähr­de. Dies könne die Ge­werk­schaft nicht ver­hin­dern, da auf­grund der Be­triebs­struk­tu­ren rech­ne­risch kei­ne Mehr­heit zu er­lan­gen sei.

3. Der Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 1 BvR 1588/15 (im Fol­gen­den: Be­schwer­deführer zu 3) ist ei­ne Be­rufs­grup­pen­ge­werk­schaft in der Luft­fahrt, die seit dem Jahr 2000 ta­rif­po­li­tisch ei­genständig han­delt. Mit der Ver­fas­sungs­be­schwer­de wird ei­ne Ver­let­zung von Art. 9 Abs. 3 GG gel­tend ge­macht, wo­bei auch Art. 11 EM­RK und die ILO-Übe­r­ein­kom­men Nr. 87 und Nr. 98 zu be­ach­ten sei­en. Das Ge­setz eröff­ne dem Ar­beit­ge­ber weit­rei­chen­de Steue­rungsmöglich­kei­ten auf Kos­ten der Min­der­heits­ge­werk­schaft. Ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung sei ge­bo­ten, weil be­ste­hen­de Ta­rif­verträge je­der­zeit gekündigt wer­den könn­ten und zahl­rei­che sich über­schnei­den­de Ta­rif­verträge zur Ver­hand­lung anstünden, was Ta­rif­kol­li­sio­nen her­beiführe, wenn der Be­schwer­deführer - wie in drei kon­kret be­nann­ten Be­trie­ben - in der Min­der­heit sei. Kon­kre­te An­zei­chen be­leg­ten, dass sich ei­ne In­dus­trie­ge­werk­schaft L. in Gründung be­fin­de, was den Be­schwer­deführer im­mer in die Min­der­heits­po­si­ti­on brin­gen wer­de. Ein Ar­beit­ge­ber erwäge be­reits, auf Ba­sis des Ta­rif­ein­heits­ge­set­zes nun al­ter­na­tiv mit ei­ner po­ten­ti­el­len Mehr­heits­ge­werk­schaft Ta­rif­verträge ab­zu­sch­ließen. Oh­ne ei­ne Eil­ent­schei­dung entstünden schwe­re und un­zu­mut­ba­re Nach­tei­le, weil die Ge­werk­schaft mit dem Strei­k­ri­si­ko be­las­tet sei und ei­ne letzt­lich exis­tenz­gefähr­den­de Sog­wir­kung der Mit­glied­schaft hin zu den Mehr­heits­ge­werk­schaf­ten ent­ste­he. Die Mit­glie­der er­lit­ten ma­te­ri­el­le, ir­re­ver­si­ble Nach­tei­le, wenn ihr Ta­rif­ver­trag im Kol­li­si­ons­fall ver­drängt würde.

III.

Zu den Anträgen auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung sind Stel­lung­nah­men ein­ge­holt wor­den. Die Bun­des­re­gie­rung und die Bun­des­ver­ei­ni­gung der Deut­schen Ar­beit­ge­ber­verbände hal­ten die Anträge für aus­sichts­los. Der dbb be­am­ten­bund und ta­rif­uni­on, der Ver­band an­ge­stell­ter Aka­de­mi­ker und lei­ten­der An­ge­stell­ter der che­mi­schen In­dus­trie und die Ver­ein­te Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft ver.di so­wie - hin­sicht­lich der Ver­fas­sungs­be­schwer­den - die Un­abhängi­ge Flug­be­glei­ter Or­ga­ni­sa­ti­on tei­len im We­sent­li­chen die Einschätzung der Be­schwer­deführer. Der Deut­sche Ge­werk­schafts­bund hat le­dig­lich zur ta­rif­po­li­ti­schen Si­tua­ti­on Stel­lung ge­nom­men.

B.

Die Anträge auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung sind zulässig, aber un­be­gründet. 

I.

1. a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Streit­fall ei­nen Zu­stand durch einst­wei­li­ge An­ord­nung vorläufig re­geln, wenn dies zur Ab­wehr schwe­rer Nach­tei­le, zur Ver­hin­de­rung dro­hen­der Ge­walt oder aus ei­nem an­de­ren wich­ti­gen Grund zum ge­mei­nen Wohl drin­gend ge­bo­ten ist. Bei der Ent­schei­dung über die einst­wei­li­ge An­ord­nung ha­ben die Gründe, die für die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des an­ge­grif­fe­nen Ho­heits­ak­tes vor­ge­tra­gen wer­den, grundsätz­lich außer Be­tracht zu blei­ben, es sei denn, die in der Haupt­sa­che be­gehr­te Fest­stel­lung oder der in der Haupt­sa­che ge­stell­te An­trag er­wie­se sich als von vorn­her­ein un­zulässig oder of­fen­sicht­lich un­be­gründet. Bei of­fe­nem Aus­gang des Haupt­sa­che­ver­fah­rens muss das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dann im Rah­men ei­ner Fol­ge­nabwägung die Nach­tei­le abwägen, die ein­träten, wenn ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung nicht er­gin­ge, der An­trag aber in der Haupt­sa­che Er­folg hätte, ge­genüber den Nach­tei­len, die entstünden, wenn die be­gehr­te einst­wei­li­ge An­ord­nung er­las­sen würde, dem An­trag in der Haupt­sa­che aber der Er­folg zu ver­sa­gen wäre (vgl. BVerfGE 64, 67 <69>; 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 104, 51 <55>; 118, 111 <122>; 132, 195 <232 Rn. 87>; 134, 135 <137 Rn. 3>; BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 26. Au­gust 2015 - 2 BvF 1/15 -, www.bverfg.de, Rn. 11 m.w.N.; stRspr).

b) We­gen der meist weit­tra­gen­den Fol­gen, die ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung in ei­nem ver­fas­sungs­recht­li­chen Ver­fah­ren auslöst, gilt für die Be­ur­tei­lung der Vor­aus­set­zun­gen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein stren­ger Maßstab (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; 6, 1 <3 f.>; 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 132, 195 <232 Rn. 86>). Soll der Voll­zug ei­nes Ge­set­zes aus­ge­setzt wer­den, erhöht sich die­se Hürde noch (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; 6, 1 <4>; 7, 367 <371>; 64, 67 <69>; 81, 53 <54>; 117, 126 <135>), denn das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt darf von sei­ner Be­fug­nis, den Voll­zug ei­nes Ge­set­zes aus­zu­set­zen, nur mit größter Zurück­hal­tung Ge­brauch ma­chen, weil dies ei­nen er­heb­li­chen Ein­griff in die ori­ginäre Zuständig­keit des Ge­setz­ge­bers dar­stellt (vgl. BVerfGE 82, 310 <313>; 104, 23 <27>; 104, 51 <55>; 112, 216 <220>; 112, 284 <292>; 122, 342 <361>; 131, 47 <61>; stRspr). Müssen die für ei­ne vorläufi­ge Re­ge­lung spre­chen­den Gründe schon im Re­gel­fall so schwer wie­gen, dass sie den Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung un­ab­ding­bar ma­chen, so müssen sie im Fall der be­gehr­ten Außer­voll­zug­set­zung ei­nes Ge­set­zes darüber hin­aus be­son­de­res Ge­wicht ha­ben (vgl. BVerfGE 104, 23 <27 f.>; 117, 126 <135>; 122, 342 <361 f.>; BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 26. Au­gust 2015 - 2 BvF 1/15 -, www.bverfg.de, Rn. 12; stRspr). In­so­weit ist von ent­schei­den­der Be­deu­tung, ob die Nach­tei­le ir­re­ver­si­bel oder nur sehr er­schwert re­vi­dier­bar sind (vgl. BVerfGE 91, 70 <76 f.>; 118, 111 <123>), um das Aus­set­zungs­in­ter­es­se durch­schla­gen zu las­sen.

2. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den sind we­der von vorn­her­ein un­zulässig noch of­fen­sicht­lich un­be­gründet. Ins­be­son­de­re ist schon aus­weis­lich der fach­li­chen Dis­kus­sio­nen im Vor­feld nicht of­fen­sicht­lich, dass ei­ne Ver­let­zung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten Ko­ali­ti­ons­frei­heit aus­zu­sch­ließen wäre (für die Ver­fas­sungsmäßig­keit Gie­sen/Kers­ten, ZfA 2015, S. 201; Hu­fen, NZA 2014, S. 1237; Kem­pen, AuR 2011, S. 51; Pa­pier/Krönke, ZfA 2011, S. 807; Scholz, ZfA Son­der­druck aus Heft 4/2010; Scholz/Lin­ge­mann/Rut­tloff, NZA-Bei­la­ge 2015, S. 3; Waas, AuR 2011, S. 93; ähn­lich Bau­er, DB 2014, S. 2715 <2716>; Hromad­ka, NZA 2014, S. 1105; Wolf, SAE 1/2015, III; da­ge­gen Bay­reu­ther, NZA 2013, S. 1395; Be­p­ler, Ver­hand­lun­gen des 70. Deut­schen Ju­ris­ten­tags, 2014, B 95; Däubler, Gut­ach­ten zum Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung zum Ta­rif­ein­heits­ge­setz, 2015; Die­te­rich, AuR 2011, S. 46 und NZA-Bei­la­ge 2011, S. 84; Di Fa­bio, Ge­setz­lich auf­er­leg­te Ta­rif­ein­heit als Ver­fas­sungs­pro­blem, 2014; Fi­scher, NZA 2015, S. 662; Gaul, Ar­bRB 2015, S. 15; Grei­ner, NZA 2010, S. 743; Kon­zen/Schlie­mann, RdA 2015, S. 1 und Kon­zen JZ 2010, S. 1036; Lin­sen­mai­er, in: Er­fur­ter Kom­men­tar, 15. Aufl. 2015, Art. 9 GG Rn. 68a; Löwisch, BB Die ers­te Sei­te 2014, Nr. 48; Mückl/Kod­den­brock, GWR 2015, S. 6; Preis, Der Preis der Ko­ali­ti­ons­frei­heit, 2014; Reichold, Rechts­gut­ach­ten zur Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­nes von BDA und DGB ge­plan­ten „Ge­set­zes zum Er­halt der Ta­rif­ein­heit“, 2010; Rieb­le/von der Ehe, Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­nes Ge­set­zes zur Re­ge­lung der Ta­rif­ein­heit, 2010; Schlie­mann, NZA 2014, S. 1250; des­glei­chen Hölscher, Ar­bRAk­tu­ell 2015, S. 7 <8>; Rüthers, ZRP 2015, S. 2 <4>; von St­ein­au-St­einrück/Rei­ter, Per­so­nalführung 2015, S. 38 <42>; vgl. auch die Be­den­ken des Wis­sen­schaft­li­chen Diens­tes des Deut­schen Bun­des­ta­ges - WD 6-3000-255/14 - und in der Recht­spre­chung, vgl. BAG, Ur­teil vom 7. Ju­li 2010 - 4 AZR 549/08 -, ju­ris, Rn. 54 ff. m.w.N.; Be­schluss vom 27. Ja­nu­ar 2010 - 4 AZR 549/08 (A) -, Rn. 75 ff.; da­zu Schlie­mann, in: Fest­schrift Hromad­ka, 2008, S. 359 <362 f.>; Fran­zen, in: Er­fur­ter Kom­men­tar, 15. Aufl. 2015, § 4 TVG Rn. 71). Es kann hier of­fen blei­ben, ob Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 20 Abs. 3 GG mit Blick auf die ver­fah­rens­recht­li­chen Re­ge­lun­gen Be­deu­tung er­lan­gen.

II.

1. Der­zeit ist nicht fest­stell­bar, dass es bei Fort­gel­tung der an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che zu so gra­vie­ren­den, nur schwer re­vi­dier­ba­ren Nach­tei­len kommt, dass es zum jet­zi­gen Zeit­punkt un­ab­ding­bar wäre, das an­ge­grif­fe­ne Ge­setz auf der Grund­la­ge des § 32 BVerfGG außer Voll­zug zu set­zen. Der Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung käme hier et­wa dann in Be­tracht, wenn ab­seh­bar wäre, dass den Be­schwer­deführern bei Fort­gel­tung der an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che das Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen als we­sent­li­cher Zweck von Ko­ali­tio­nen (vgl. BVerfGE 94, 268 <283>) länger­fris­tig unmöglich würde, und könn­te dann ge­bo­ten sein, wenn sich die Fort­gel­tung der an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen be­reits so auf den Mit­glie­der­be­stand ei­ner Ge­werk­schaft aus­wirk­te, dass ih­re Ta­riffähig­keit in Fra­ge stünde. Lie­gen kei­ne der­art gra­vie­ren­den Nach­tei­le vor, kann hier of­fen blei­ben, in­wie­weit Nach­tei­le ein­träten, wenn die einst­wei­li­ge An­ord­nung er­las­sen würde.

2. a) Es ist ge­genwärtig nicht er­kenn­bar, dass die Be­schwer­deführer oder Drit­te im Zeit­raum bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che, die der Se­nat bis zum En­de nächs­ten Jah­res an­strebt, gra­vie­ren­de, kaum re­vi­dier­ba­re oder ir­re­ver­si­ble Nach­tei­le er­lei­den, weil die ge­setz­lich an­ge­ord­ne­te Ta­rif­ein­heit schon vor Ein­tritt des Kol­li­si­ons­falls Wir­kun­gen ent­fal­tet. So­weit die Be­schwer­deführer ih­re ta­rif­po­li­ti­sche Ver­hand­lungs­macht durch das Ta­rif­ein­heits­ge­setz ge­schwächt se­hen, liegt dar­in zwar ein Nach­teil. Das an­ge­grif­fe­ne Ge­setz un­ter­sagt je­doch nicht die ta­rif­po­li­ti­sche Betäti­gung an sich. Auch Ge­werk­schaf­ten, die in ei­nem Be­trieb po­ten­ti­ell we­ni­ger Beschäftig­te or­ga­ni­sie­ren können, sind un­ter Gel­tung des Ta­rif­ein­heits­ge­set­zes grundsätz­lich nicht ge­hin­dert, Ta­rif­ver­hand­lun­gen zu führen.

Al­ler­dings hat der Be­schwer­deführer zu 1) ein­zel­ne Fälle vor­ge­tra­gen, in de­nen es Ar­beit­ge­ber un­ter Hin­weis auf das Ta­rif­ein­heits­ge­setz ver­wei­gert ha­ben, Ta­rif­ver­hand­lun­gen zu führen, oder Ta­rif­ver­hand­lun­gen ab­ge­bro­chen ha­ben. Da­bei han­delt es sich um durch­aus ge­wich­ti­ge Nach­tei­le. Dies gilt auch für die Auf­for­de­rung ei­nes Ar­beit­ge­bers, nun­mehr die Ar­beits­verträge zu ändern und den nicht mehr neu ver­han­del­ba­ren Ta­rif­ver­trag des Be­schwer­deführers nur noch sta­tisch gel­ten zu las­sen. Der­ar­ti­ge ta­rif­po­li­ti­sche Nach­tei­le sind für den hier be­grenz­ten Zeit­raum je­doch noch hin­zu­neh­men. Bei ei­ner Ver­wei­ge­rung oder ei­nem Ab­bruch von Ta­rif­ver­hand­lun­gen be­steht zu­dem wei­ter­hin die Möglich­keit, ge­werk­schaft­li­che In­ter­es­sen im We­ge des Ar­beits­kamp­fes ein­zu­for­dern. Das Ta­rif­ein­heits­ge­setz re­gelt nicht die Zulässig­keit von Maßnah­men des Ar­beits­kamp­fes, die grundsätz­lich vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG um­fasst sind (vgl. BVerfGE 84, 212 <224 f.>). Der all­ge­mei­ne Hin­weis in der Be­gründung des Ge­set­zes­ent­wurfs, wo­nach ei­ne Ar­beits­kampf­maßnah­me im Ein­zel­fall un­verhält­nismäßig sein könne, wenn sie auf den Ab­schluss ei­nes we­gen der Kol­li­si­ons­re­gel nicht zur An­wen­dung kom­men­den Ta­rif­ver­trags ge­rich­tet ist (vgl. BT­Drucks 18/4062, S. 12), trägt schon des­halb nicht, weil der Aus­gang des Haupt­sa­che­ver­fah­rens noch of­fen ist und da­her nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass das an­ge­grif­fe­ne Ge­setz mit Wir­kung ex tunc für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt wird.

Der­zeit ist zu­dem nicht er­sicht­lich, dass Ar­beit­ge­ber in ei­nem Maße, das den Be­schwer­deführern das Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen länger­fris­tig unmöglich ma­chen würde, be­triebs­or­ga­ni­sa­to­ri­sche Maßnah­men al­lein des­halb er­grif­fen, um ih­ren Be­trieb als Be­zugs­punkt für die Kol­li­si­ons­re­gel selbst oder in ei­nem Ta­rif­ver­trag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Be­trVG so zu ge­stal­ten, dass trotz der Gren­zen des § 4a Abs. 2 Satz 4, 5 TVG auf­grund dann veränder­ter Mehr­hei­ten nur die mit der präfe­rier­ten Ge­werk­schaft ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge zur An­wen­dung kämen. Selbst wenn dies so wäre, folgt dar­aus nicht die Un­um­kehr­bar­keit die­ser Nach­tei­le für die Be­schwer­deführer. Würde im Haupt­sa­che­ver­fah­ren die Kol­li­si­ons­re­gel des § 4a TVG für nich­tig erklärt, ent­fie­len die mit den be­trieb­li­chen Um­struk­tu­rie­run­gen für die Ta­rif­verträge an­ge­streb­ten Wir­kun­gen.

Durch das Ta­rif­ein­heits­ge­setz mögen schließlich An­rei­ze für Bran­chen­ge­werk­schaf­ten ent­ste­hen, bis­her geübte Ko­ope­ra­tio­nen mit Be­rufs­grup­pen­ge­werk­schaf­ten zu über­den­ken. Das be­wirkt für Be­rufs­grup­pen­ge­werk­schaf­ten, die mit die­sen Bran­chen­ge­werk­schaf­ten kon­kur­rie­ren und in Be­trie­ben struk­tu­rell kei­ne Mehr­heit er­rei­chen können, tatsächlich ta­rif­po­li­ti­sche Nach­tei­le. Sie sind je­doch nicht der­art gra­vie­rend oder un­um­kehr­bar, dass sie nicht bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che hin­ge­nom­men wer­den könn­ten. Im Fall des Be­schwer­deführers zu 2) ist auch nicht kon­kret er­kenn­bar, dass an­de­re Ge­werk­schaf­ten be­ste­hen­de Ko­ope­ra­tio­nen aufkündi­gen und dies sei­ne Hand­lungsfähig­keit gra­vie­rend be­ein­träch­ti­gen würde. Kon­kur­renz ist als durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ter Ko­ali­ti­ons­wett­be­werb (vgl. BVerfGE 18, 18 <33>; 55, 7 <24>) grundsätz­lich hin­zu­neh­men.

b) Es ist der­zeit nicht ab­seh­bar, in­wie­weit es im Zeit­raum bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che tatsächlich in ei­nem Aus­maß zur An­wen­dung der Kol­li­si­ons­re­gel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG kommt, der ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung un­ab­ding­bar er­schei­nen ließe. Zwar kann auch schon in die­sem Zeit­raum ein Kol­li­si­ons­fall auf­tre­ten. Doch ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en un­ter­schied­li­che ta­rif­po­li­ti­sche Möglich­kei­ten, dies zu ver­mei­den. Soll­te im Haupt­sa­che­ver­fah­ren die Nich­tig­keit der an­ge­grif­fe­nen Kol­li­si­ons­re­gel fest­ge­stellt wer­den (vgl. § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG), wirkt dies zu­dem grundsätz­lich ex tunc, wo­mit nicht aus­ge­schlos­sen ist, dass nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG ver­dräng­te Ta­rif­verträge auch für die Ver­gan­gen­heit Gel­tung be­an­spru­chen. Et­wai­gen Ansprüchen auf die­ser Grund­la­ge muss ein schutzwürdi­ges Ver­trau­en in den Be­stand zwi­schen­zeit­lich ge­schlos­se­ner Ver­ein­ba­run­gen an­ge­sichts der schon vor In­kraft­tre­ten des Ge­set­zes um­fas­send geführ­ten öffent­li­chen De­bat­te über die Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­ner ge­setz­lich an­ge­ord­ne­ten Ta­rif­ein­heit und der da­mit nicht of­fen­sicht­lich un­be­gründe­ten Ver­fas­sungs­be­schwer­den je­den­falls nicht von vorn­her­ein ent­ge­gen­ste­hen (vgl. BVerfGE 99, 341 <359 f.>).

c) So­weit die Be­schwer­deführer vor­brin­gen, das Ta­rif­ein­heits­ge­setz gefähr­de sie in ih­rer Exis­tenz, weil er­heb­li­che Mit­glie­der­be­we­gun­gen be­vorstünden, sind ir­re­ver­si­ble oder exis­tenz­gefähr­den­de Verände­run­gen je­den­falls für den Zeit­raum bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che we­der hin­rei­chend kon­kret zu er­war­ten noch zwin­gend. Ei­ne rea­lis­ti­sche Pro­gno­se, ob und wie vie­le Mit­glie­der die Be­schwer­deführer im Zeit­raum bis zur Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che ver­lie­ren, die nicht zurück zu ge­win­nen wären, liegt nicht vor. Es er­scheint viel­mehr nicht un­rea­lis­tisch, dass Ge­werk­schafts­mit­glie­der die Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che ab­war­ten, be­vor sie sich für ei­nen Ge­werk­schafts­wech­sel ent­schei­den. Des­glei­chen ist nicht hin­rei­chend kon­kret er­kenn­bar, dass das Ta­rif­ein­heits­ge­setz kurz­fris­tig zu or­ga­ni­sa­ti­ons- oder ver­bands­po­li­ti­schen Neu­aus­rich­tun­gen der Ge­werk­schaf­ten zwänge, die sich für die­se exis­tenz­gefähr­dend aus­wirk­ten. Je­den­falls ist der­zeit nicht er­sicht­lich, dass die Be­schwer­deführer in ih­rer Ta­riffähig­keit und da­mit ih­rer Exis­tenz als ta­rif­po­li­tisch durch­set­zungsfähi­ge Ge­werk­schaft (vgl. BAG, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2006 - 1 ABR 53/05 -, ju­ris, Rn. 29) ernst­lich gefähr­det wären. Das gilt erst recht, so­weit ih­re Exis­tenz als pri­vat­recht­li­che Ver­ei­ni­gung in Zwei­fel ge­zo­gen wird.

3. Es bleibt den Be­schwer­deführern un­be­nom­men, bei ei­ner er­heb­li­chen Ände­rung der tatsächli­chen Umstände ei­nen er­neu­ten An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen An­ord­nung zu stel­len (vgl. BVerfGE 91, 83 <91>; 122, 120 <132>). Die Si­che­rungs­funk­ti­on der einst­wei­li­gen An­ord­nung kann es auch recht­fer­ti­gen, dass der Se­nat oh­ne ei­nen ent­spre­chen­den An­trag der Be­schwer­deführer ei­ne einst­wei­li­ge An­ord­nung von Amts we­gen erlässt (vgl. BVerfGE 1, 74 <75>; 1, 349 <350>; 46, 337 <338>).

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