HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/198

Glei­che Be­zah­lung für Leih­ar­beit­neh­mer in der Stahl­in­dus­trie

Ein Mo­dell für an­de­re Bran­chen?: Stahl­ta­rif­ab­schluss in der drit­ten Ver­hand­lungs­run­de am 30.09.2010
Taschenrechner auf Geldscheinen Ta­rifer­folg in der Stahl­in­dus­trie
11.10.2010. Vor zwei Wo­chen ei­nig­ten sich die IG Me­tall mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Stahl e.V. auf ei­nen neu­en Ta­rif­ver­trag für die ca. 85.000 Be­schäf­tig­ten der Stahl­in­dus­trie in Nord­rhein-West­fa­len, Bre­men und in Nie­der­sach­sen.

Un­ge­wöhn­lich an die­sem Ta­rif­ver­trag ist, dass er auch Re­ge­lun­gen über die Gleich­be­hand­lung von Leih­ar­bei­tern in der Stahl­bran­che ent­hält. Ob er, wie von ge­werk­schaft­li­cher Sei­te er­hofft, ei­ne "Mus­ter­lö­sung" für die ta­rif­li­che und/oder po­li­ti­sche Re­gu­lie­rung der Leih­ar­beit sein wird, ist aber zwei­fel­haft. So oder so of­fen­bart die­ser Vor­stoß auf ta­rif­po­li­ti­sches Neu­land recht­li­che und po­li­ti­sche Pro­ble­me.

In­no­va­ti­ve Ei­ni­gung in der Stahl­bran­che

Am 30.09.2010 ei­nig­ten sich die IG Me­tall mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Stahl e.V. auf ei­nen neu­en Ta­rif­ver­trag für die ca. 85.000 Beschäftig­ten der Stahl­in­dus­trie in Nord­rhein-West­fa­len, Bre­men und in Nie­der­sach­sen. Vor dem Hin­ter­grund glaub­haf­ter Streik­dro­hun­gen kam ein er­staun­li­ches Er­geb­nis her­aus, das von der IG Me­tall un­gewöhn­lich po­si­tiv kom­men­tiert, vom zuständi­gen Ar­beit­ge­ber­ver­band Stahl e.V. da­ge­gen recht ein­sil­big kom­mu­ni­ziert wur­de. Eck­punk­te der ta­rif­li­chen Ei­ni­gung sind:

  • Erhöhung der Löhne und Gehälter ab dem 01.10.2010 um 3,6 %
  • Ein­mal­zah­lung für Sep­tem­ber 2010 in Höhe von 150,00 EUR
  • Erhöhung der Aus­bil­dungs­vergütun­gen um 40,00 EUR pro Mo­nat
  • Ge­samt­lauf­zeit der Ent­gel­tab­kom­men 14 Mo­na­te
  • Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags zur Be­zah­lung der Leih­ar­beit­neh­mern in den Mit­glieds­fir­men

Das Un­gewöhn­li­che der Ta­rif­ei­ni­gung ist der letz­te Punkt, nämlich die Ein­be­zie­hung der un­gefähr 3.500 Leih­ar­beit­neh­mer, die in den vom Ta­rif er­fass­ten Stahl­un­ter­neh­men Nord­west­deutsch­lands ar­bei­ten. Sie sol­len an­ge­sichts der der­zeit blen­den­den wirt­schaft­li­chen La­ge der Stahl­un­ter­neh­men vom wirt­schaft­li­chen Auf­schwung der Bran­che pro­fi­tie­ren. Und zwar in der Wei­se, dass sie ab dem 01.01.2011 den glei­chen Lohn wie ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer der Stamm­be­leg­schaft er­hal­ten sol­len.

Ei­ne sol­che ta­rif­li­che Re­ge­lung kann man vom An­satz her ver­ste­hen an­ge­sichts des dürf­ti­gen Schutz­ge­hal­tes, den der ak­tu­el­le Ge­set­zes­vor­schlag des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les (BMAS) zur Leih­ar­beit hat (Ge­setz zur Ver­hin­de­rung von Miss­brauch in der Ar­beit­neh­merüber­las­sung, Ent­wurf des BMAS vom 02.09.2010 – wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/199 Ge­set­zes­wurf des BMAS zur Leih­ar­beit). Sieht man aber ge­nau­er hin, zei­gen sich ei­ni­ge hand­fes­te recht­li­che und ta­rif­po­li­ti­sche Pro­ble­me. Sie dürf­ten letzt­lich schwe­rer wie­gen als die Vor­tei­le die­ses neu­ar­ti­gen Ta­rif­ex­pe­ri­ments.

Leih­ar­beits­bran­che re­agiert ver­hal­ten bis ab­leh­nend

Als ei­ner der ers­ten hat sich der Bun­des­ver­band Zeit­ar­beit (BZA) zu Wort ge­mel­det und erklärt, dass die Ein­be­zie­hung der Leih­ar­beit­neh­mer in den er­ziel­ten Ta­rif­ab­schluss ein Ver­trag zu Las­ten Drit­ter sei. Man be­zweif­le, ob dies ei­ner recht­li­chen Prüfung stand­hal­ten würde (Pres­se­mit­tei­lung vom 30.09.2010: Ta­rif­ab­schluss in der Stahl­bran­che. Ta­rif­ver­trag ist für Zeit­ar­beit nicht ak­zep­ta­bel).

Nun sind natürlich die Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men, die ih­re Ar­beit­neh­mer den Un­ter­neh­men der nord­west­deut­schen Stahl­in­dus­trie zur Verfügung stel­len, nicht an die Ta­rif­ei­ni­gung ge­bun­den, die zwi­schen der IG Me­tall und dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Stahl e.V. ge­trof­fen wur­de. Das ha­ben die Ta­rif­par­tei­en aber auch berück­sich­tigt und in dem Ta­rif­ver­trag zur Be­zah­lung der Leih­ar­beit­neh­mern die Pflicht der ta­rif­ge­bun­de­nen Stahl­un­ter­neh­men fest­ge­schrie­ben, auf die von ih­nen be­auf­trag­ten Zeit­ar­beits­fir­men ein­zu­wir­ken mit dem Ziel, dass die­se den bei den Zeit­ar­beits­fir­men beschäftig­ten Leih­ar­beit­neh­mern höhe­re Löhne be­zah­len. Die fi­nan­zi­el­len Mehr­auf­wen­dun­gen, die mit ei­ner Um­set­zung die­ser Loh­nerhöhung in den Leih­ar­beits­fir­men ver­bun­den sind, würden da­bei den Stahl­un­ter­neh­men zur Last fal­len. Von da­her wer­den die Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men, de­ren Ar­beit­neh­mern in Be­trie­ben der nord­west­deut­schen Stahl­in­dus­trie ein­ge­setzt wer­den, von dem hier ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag zu nichts ver­pflich­tet, so dass die­ser auch nicht als (un­wirk­sa­mer) „Ver­trag zu­las­ten Drit­ter“ be­zeich­net wer­den kann.

Aber ob­wohl die der Stahl­in­dus­trie zu­ar­bei­ten­den Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men durch den hier ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag un­mit­tel­bar nicht be­trof­fen sind, bleibt doch der recht­li­che Kri­tik­punkt, dass die IG Me­tall Ar­beit­neh­mer ei­ner an­de­ren Bran­che, eben der Zeit­ar­beits­bran­che, in ih­re Ta­rif­po­li­tik ein­bin­den möch­te. Ob das ta­rif­recht­lich zulässig ist, wer­den die wei­te­ren Dis­kus­sio­nen zei­gen. Der Münche­ner Rechts­pro­fes­sor Vol­ker Rieb­le hat hier je­den­falls schon Be­den­ken ge­gen ei­nen sol­chen „ver­drängen­den Überg­riff frem­der Re­gu­la­to­ren“ an­ge­mel­det (F.A.Z. vom 09./10.10.2010, Bei­la­ge „Be­ruf und Chan­ce“, C 2).

Ist die Son­der­re­ge­lung für Leih­ar­bei­ter ta­rif­po­li­tisch über­haupt sinn­voll?

Aber auch dann, wenn die von den Stahl­ta­rif­par­tei­en ver­ein­bar­te Ein­be­zie­hung von Leih­ar­beit­neh­mern recht­lich nicht zu be­an­stan­den sein soll­te, kann man ih­ren ta­rif­po­li­ti­schen Sinn be­zwei­feln: Im­mer­hin ist der Deut­sche Ge­werk­schafts­bund (DGB) selbst Par­tei ei­nes für die Zeit­ar­beits­bran­che gel­ten­den Ta­rif­ver­trags, der mit dem BZA am 09.03.2010 aus­ge­han­delt und mit ei­ner Lauf­zeit vom 01.07.2010 bis zum 31.10.2013 ver­se­hen wur­de.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, in wel­che Rich­tung die DGB-Ge­werk­schaf­ten beim The­ma Zeit­ar­beit ge­hen wol­len: Ak­zep­tiert man die Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men über­haupt als ei­ne „Bran­che“ im Ta­rif­sinn (dem ent­spricht der vom DGB mit dem BZA aus­ge­han­del­te Zeit­ar­beits­ta­rif) - oder be­han­delt man die Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men als ein Anhäng­sel der Un­ter­neh­men, die Leih­ar­beit­neh­mer ein­set­zen (das ist die Lo­gik des jetzt von der IG Me­tall mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Stahl e.V. ver­ein­bar­ten Leih­ar­beits­ta­rif­ver­trags)? Hier wird man sich ent­schei­den müssen, denn der DGB-BZA-Zeit­ar­beits­ta­rif wird - je­den­falls in der Stahl­bran­che Nord­west­deutsch­lands - durch den jetzt ab­ge­schlos­se­nen Son­der­ta­rif der IG Me­tall so be­han­delt, als sei er kei­ne ak­zep­ta­ble Grund­la­ge für die Ent­loh­nung von Leih­ar­beit­neh­mern. Da­mit wird sei­ne Le­gi­ti­mität fak­tisch in Ab­re­de ge­stellt, d.h. der DGB-BZA- Zeit­ar­beits­ta­rif wird schlicht bei­sei­te­ge­scho­ben.

Ta­rif­po­li­tisch fragwürdig ist auch die Hoff­nung, der Leih­ar­beits­ta­rif für die Stahl­in­dus­trie könn­te Vor­bild für an­de­re Bran­chen sein. Die Vor­be­din­gun­gen für den Leih­ar­beits­ta­rif wa­ren in der Stahl­in­dus­trie güns­ti­ger als in an­de­ren Bran­chen: Die IG Me­tall ist hier mit ei­nem Or­ga­ni­sa­ti­ons­grund von 90 Pro­zent sehr stark, der Ein­satz von Leih­ar­beit hat an­ge­sichts von et­wa 3.500 Leih­ar­beit­neh­mern nur ge­rin­ge Be­deu­tung, die Stahl­bran­che boomt und sie hat ver­gleichs­wei­se ge­rin­ge Pro­ble­me mit den Lohn­kos­ten, die nur et­wa 10 Pro­zent ih­rer Ge­samt­kos­ten aus­ma­chen. Sch­ließlich wer­den die meis­ten der in der Stahl­in­dus­trie beschäftig­ten (we­ni­gen) Leih­ar­bei­ter be­reits jetzt annähernd gleich wie Stamm­kräfte be­zahlt (Frank­fur­ter Rund­schau on­line, 30.09.2010: Durch­bruch bei Leih­ar­beit).

Fa­zit: Ta­rif­ver­trag ist eher sym­bo­lisch als rich­tungs­wei­send

Vor die­sem Hin­ter­grund ist es nicht ver­wun­der­lich, dass wich­ti­ge Ar­beit­ge­ber­verbände rasch si­gna­li­siert ha­ben, dass der für die Stahl­in­dus­trie ver­ein­bar­te Leih­ar­beits­ta­rif­ver­trag ih­rer Mei­nung nach nicht auf an­de­re Bran­chen über­tra­gen wer­den könne.

So äußer­te be­reits Mar­tin Kan­ne­gießer vom Ar­beit­ge­ber­ver­band Ge­samt­me­tall, dass der Stahl­ab­schluss für die Me­tall- und Elek­tro-In­dus­trie in kei­ner Wei­se ein Mo­dell sein könne (Ge­samt­me­tall-In­for­ma­tio­nen für die Pres­se 28/2010 - 04.10.2010). Und auch die Bun­des­ver­ei­ni­gung der Deut­schen Ar­beit­ge­ber­verbände (BDA) ließ ver­lau­ten, die Zeit­ar­beits­re­ge­lung im Ta­rif­ver­trag der Stahl­in­dus­trie sei „höchst pro­ble­ma­tisch“ und „in kei­nem Fall auf an­de­re Bran­chen über­trag­bar“ (BDA, Pres­se-In­for­ma­ti­on Nr. 048/2010, 30.09.2010).

Fa­zit: An­ge­sichts der Un­ent­schlos­sen­heit des Ge­setz­ge­bers, Leih­ar­beit­neh­mer vor Aus­beu­tung zu schützen und ei­nem miss­bräuch­li­chen Ein­satz der Leih­ar­beit ei­nen Rie­gel vor­zu­schie­ben, ist der ta­rif­po­li­ti­sche An­satz der IG Me­tall verständ­lich. Ob der jetzt ver­ein­bar­te Zeit­ar­beits­ta­rif­ver­trag für die Stahl­in­dus­trie aber ein Mo­dell für an­de­re Ta­rif­verträge sein wird, ist zwei­fel­haft. Eher han­delt es sich um ei­nen ein­ma­li­gen sym­bo­li­schen Ta­rif­ab­schluss, mit dem vor al­lem die Po­li­tik be­ein­flusst wer­den soll.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de