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BAG, Urteil vom 08.03.1995, 5 AZR 848/93
Schlagworte: | Zeugnis | |
Gericht: | Bundesarbeitsgericht | |
Aktenzeichen: | 5 AZR 848/93 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 08.03.1995 | |
Leitsätze: | 1. Grundsätzlich muß der Arbeitnehmer seine Arbeitspapiere, zu denen auch das Arbeitszeugnis gehört, bei dem Arbeitgeber abholen. 2. Nach § 242 BGB kann der Arbeitgeber im Einzelfall gehalten sein, dem Arbeitnehmer das Arbeitszeugnis nachzuschicken. |
|
Vorinstanzen: | ArbG Kassel LArbG Frankfurt | |
5 AZR 848/93
6 Sa 1631/92 Hessen
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
8. März 1995
Urteil
Clobes,
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In Sachen
PP.
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. März 1995 durch den Vorsitzenden Richter Griebeling, die Richter Schliemann und Dr. Reinecke sowie die ehrenamtlichen Richter Werner und Dr. Frey für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 6. Juli 1993 - 6 Sa 1631/92 - aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 16. Juli 1992 - 1 Ca 12/92 - wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob ein nachträglich verlangtes Arbeitszeugnis beim Arbeitgeber abzuholen ist oder ob der Arbeitgeber es zuzusenden hat.
Die Klägerin war vom 1. Juli 1990 bis 30. Juni 1991 gegen ein Gehalt von 2.500,00 DM brutto als Anwaltsgehilfin bei dem beklagten Rechtsanwalt in Kassel angestellt. Seither ist sie bei ihrem jetzigen Prozeßbevollmächtigten in Kassel beschäftigt. Nachdem sie bei dem Beklagten ausgeschieden war, verlangte sie von ihm ein Arbeitszeugnis. Unter dem 28. November 1991 schrieben ihre Prozeßbevollmächtigten an den Beklagten, die Klägerin habe "bis heute noch kein Zeugnis trotz mehrfacher Mahnungen erhalten" und forderte ihn auf, es bis zum 5. Dezember 1991 zu erteilen. Der Beklagte antwortete hierauf unter dem 29. November 1991, das Zeugnis, sei zwischenzeitlich gefertigt worden und liege zur Abholung für die Klägerin bereit. Mit der Klageschrift vom 20. Dezember 1991, dem Beklagten zugestellt am 13. Januar 1992, verlangte die Klägerin erstmals vom Beklagten, ihr ein "qualifiziertes Zeugnis zu erstellen und zu übersenden". Mit Schriftsatz vom
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29. Januar 1992 teilte darauf der Beklagte mit, das jetzt verlangte qualifizierte Zeugnis liege inzwischen vor; die Klägerin könne es abholen. Ein Anspruch auf Übersendung bestehe nicht.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte sei verpflichtet, ihr das Zeugnis zuzusenden. Sie hat im ersten Rechtszug beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zeugnis zu erstellen und zu übersenden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, aus der Natur des Arbeitszeugnisses und einer inzwischen gewachsenen Verkehrssitte folge, daß der Arbeitgeber ein Arbeitszeugnis nachzusenden habe, wenn es beim Ausscheiden des Arbeitnehmers noch nicht vorliege und deshalb nicht mitgenommen werden könne. Ihr sei nicht zuzumuten, das Arbeitszeugnis persönlich abzuholen. Der Verkehrston zwischen dem Beklagten und desssen Mitarbeitern mit gelegentlichem lautstarken Brüllen des Beklagten und fast täglichen verbalen Auseinandersetzungen mit den Angestellten habe ihr unerträgliche Pein bereitet. Dagegen sei es dem Beklagten ein Leichtes, das Zeugnis in das Gerichtsfach ihres jetzigen Arbeitgebers und Prozeßbevollmächtigten einzulegen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis zu senden.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat erwidert, er sei nicht zur Nachsendung des Zeugnisses verpflichtet,
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weil es sich hierbei um eine Holschuld handele. Die Klägerin könne das Zeugnis entweder selbst abholen oder auch abholen lassen. Jedenfalls habe sie keinen Grund, die Kanzlei des Beklagten nicht mehr zu betreten. Hinsichtlich der nicht substantiierten Vorwürfe zum Verkehrston in seiner Kanzlei wolle er sich auf ein Bestreiten beschränken.
Das Landesarbeitsgericht hat eine schriftliche Auskunft der Rechtsanwaltskammer Kassel eingeholt, ob sich im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Kassel eine Verkehrssitte herausgebildet habe, nach der ein beim Ausscheiden noch nicht bereitliegendes Arbeitszeugnis nachzusenden sei. Die Rechtsanwaltskammer hat mitgeteilt, sie könne nicht bestätigen, daß sich eine Verkehrssitte in dem angegebenen Sinne herausgebildet habe.
Das Landesarbeitsgericht hat den Beklagten verurteilt, das für die Klägerin erstellte Arbeitszeugnis "an diese auf den Weg zu bringen". Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, das für die Klägerin erstellte Arbeitszeugnis "an die Klägerin auf den Weg zu bringen". Dafür fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
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1. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist Erfüllungsort für die Erteilung des Zeugnisses die Kanzlei des Beklagten.
a) Grundsätzlich sind Arbeitspapiere, zu ihnen zählt auch das Arbeitszeugnis, vom Arbeitnehmer abzuholen. Ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen, so hat die Leistung am Wohnsitz des Schuldners zu erfolgen (S 269 Abs. 1 BGB); an die Stelle des Wohnsitzes tritt, wenn der Schuldner seine gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort hat, der Gewerbebetrieb des Schuldners, wenn die Verbindlichkeit in seinem Gewerbebetrieb entstanden ist (§ 269 Abs. 2 BGB). Nach einhelliger Ansicht in der Literatur hat ein Arbeitnehmer ein von ihm begehrtes Arbeitszeugnis bei seinem Arbeitgeber grundsätzlich abzuholen (statt vieler: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 146 I 8; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 630 Rz 42 sowie Vorbem. zu 620 Rz 194; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 630 Rz 34; Eisemann in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 630 Rz 7; Hein Schießmann, Das Arbeitszeugnis, 14. Aufl,, S. 37; Haupt in HzA, Stand Dezember 1994, Gruppe 1, Rz 2057 und 2104). Auch in der Rechtsprechung ist unumstritten, daß die Zeugnisschuld eine Holschuld im Sinne von § 269 Abs. 2 BGB ist (vgl. LAG Frankfurt am Main, Urteil vom 1. März 1984 - 10 Sa 858/83 - DB 1984, 2200; LAG Düsseldorf, Urteil vom 18. Dezember 1962 - 8 Sa 392/62 - DB 1963, 419; Arbeitsgericht Wetzlar, Beschluß vom 21. Juli 1971 - Ca 3/71 - BB 1972, 222).
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b) Allerdings wird in der Literatur wie in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, aus Gründen der nachwirkenden Fürsorge könne aus der Holschuld eine Schickschuld werden, z. B. dann, wenn die Abholung der Arbeitspapiere für den Arbeitnehmer mit unverhältnismäßig hohen Kosten oder besonderen Mühen verbunden sei (vgl. LAG Frankfurt am Main, Urteil vom 1. März 1984, aa0). Das Arbeitsgericht Wetzlar (Beschluß vom 21. Juli 1971, aa0) hat erkannt, der Arbeitgeber habe dem Arbeitnehmer das Zeugnis zuzusenden, wenn der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz inzwischen an einen weit entfernten Ort verlegt habe. Daneben ist eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers angenommen worden, wenn ein Arbeitnehmer die Erteilung des Zeugnisses rechtzeitig vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt hat, es jedoch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen, die in der Sphäre des Arbeitgebers liegen, nicht zur Abholung durch den Arbeitnehmer bereitliegt (LAG Frankfurt am Main, Urteil vom 1. März 1984, aa0).
2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Arbeitgeber sei hier verpflichtet, das Zeugnis an die Klägerin auf den Weg zu bringen, und dazu im wesentlichen ausgeführt: Grundsätzlich sei der Arbeitgeber frei, zu entscheiden, wie er ein nachträglich verlangtes Zeugnis übermitteln wolle. Gemäß § 242 BGB in Verbindung mit dem umfassenden Verhältnismäßigkeitsgebot könnten jedoch im Einzelfall die tatsächlichen Wahlmöglichkeiten dahin beschränkt sein, daß derjenige adäquate Übereignungsweg geschuldet sei, durch den beide Seiten am wenigsten belastet würden. Gegenseitige Schikane als übermäßige Vertretung eigener Rechtspositionen sei ausgeschlossen. Zwar könne die Klägerin nicht verlangen,
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daß der Beklagte ihr das Zeugnis höchstpersönlich übereigne. Andererseits könne der Beklagte nicht verlangen, daß die Klägerin nochmals "in seiner Kanzlei antanze" oder einen Empfangsbevollmächtigten schicke. Der Beklagte schulde hier ein Verbringen des ausgestellten Arbeitszeugnisses an das Gerichtsfach des Klägervertreters und jetzigen Arbeitgebers der Klägerin. Einerseits habe der Beklagte hierfür weder zusätzliche Zeit zu opfern noch zusätzlichen Wegeaufwand zu leisten und werde von seiner Pflicht zur Aufbewahrung des Zeugnisses in seiner Kanzlei bis zu dessen Abholung befreit. Andererseits werde der Klägerin durch diesen Übermittlungsweg der zusätzliche Wegeaufwand von 500 Metern von ihrer jetzigen Kanzlei zur Kanzlei des Beklagten erspart. Bringe der Beklagte das Zeugnis nicht auf den Weg zur Klägerin, so könne das Urteil als Herausgabetitel durch körperliche Wegnahme des Zeugnisses vollstreckt werden.
3. Dieser Begründung vermag der Senat nicht zu folgen. Der Beklagte ist hier nicht entsprechend § 242 BGB bzw. aus Gründen des Schikaneverbots (§ 226 BGB) verpflichtet, der Klägerin das Zeugnis nachzusenden. Es ist der Klägerin nicht unzumutbar, das Zeugnis in der Kanzlei des Beklagten abzuholen oder auch einen Bevollmächtigten abholen zu lassen. Für die Klägerin ist es nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand oder unverhältnismäßigen Kosten verbunden, wenn sie das von ihr nachträglich verlangte qualifizierte Zeugnis in der Kanzlei des Beklagten abholt. Die Entfernung zwischen dem jetzigen Arbeitsort der Klägerin und der Kanzlei des Beklagten beträgt nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts nur 500 Meter. Die Entfernung vom Wohnort der Klä-
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gerin (L ) zur Kanzlei des Beklagten in Kassel beträgt ebenfalls nur wenige Kilometer. Zwar wäre es im Interesse der Klägerin durchaus wünschenswert, wenn sich der Beklagte entschlösse, der Klägerin das begehrte Arbeitszeugnis auf deren Gefahr zu übermitteln. Allein die Tatsache, daß dem Beklagten dies möglich ist, führt jedoch nicht zu einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung.
Der Beklagte ist auch nicht deshalb verpflichtet, der Klägerin das begehrte Zeugnis zuzusenden, weil der Klägerin die Abholung des Zeugnisses nicht mehr zuzumuten wäre. Das Vorbringen der Klägerin, der Verkehrston beim Beklagten habe ihr unerträgliche Pein bereitet, ist nicht hinreichend substantiiert. Zudem kann sich die Klägerin, wenn sie höchstpersönlich nicht mehr mit dem Beklagten zusammentreffen möchte, zur Abholung des Zeugnisses eines bevollmächtigten Boten bedienen.
Griebeling
Schliemann
Reinecke
Werner
Frey
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