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LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27.01.2011, L 1 R 226/07
Schlagworte: | Sozialversicherungsrecht | |
Gericht: | Landessozialgericht Sachsen-Anhalt | |
Aktenzeichen: | L 1 R 226/07 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 27.01.2011 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Sozialgericht Halle, Urteil vom 7.05.2007, S 13 RA 322/04 | |
Sozialgerichtsbarkeit Bundesrepublik Deutschland
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als Modedesignerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) versicherungspflichtig ist.
Die geborene Klägerin studierte von bis an der Hochschule in H. und erlangte einen Abschluss als Diplom-Modedesignerin. Danach hatte sie nach eigenen Angaben einen Lehrauftrag am Berufsbildenden Institut H. für Design-, Kunst- und Kostümgeschichte inne.
Zum 12. April 1999 zeigte sie bei dem Finanzamt H. den Beginn einer freiberuflichen Tätigkeit – Modedesign und Koordination der Fertigung und Marketing, Grafikdesign, Kostümdesign – an. Zum 1. September 1999 schloss sie mit einer Schneiderin einen Arbeitsvertrag, musste dieser aber zum 15. Oktober 2000 aus betrieblichen Gründen kündigen. Danach arbeite sie ohne Schließung eines Arbeitsvertrages mit einer anderen Schneiderin zusammen. Im Zeitraum Dezember 2002 bis November 2003 bezog die Klägerin Sozialhilfe. Während dieser Zeit führte sie Kostümpraktika bei Filmproduktionsfirmen durch (vom 2. Juli bis zum 21. August 2003 und vom 25. August bis zum 2. Oktober 2003).
In einem Fragebogen der Beklagten gab sie im Dezember 2003 an, als Garderobiere/Kostümbildnerin bzw. auf dem Gebiet Modedesign (hauptsächlich) für Braut- und Festmode/Umstandsmode, Grafikdesign selbständig künstlerisch tätig zu sein. Auf Nachfrage der Beklagten erklärte sie, zu 98% die Tätigkeit als Modedesignerin und Kostümbildnerin auszuüben. Begonnen hätte sie ihre Tätigkeit im April 1999. Sie legte außerdem einen Flyer, eine Kopie ihres Eintrags in den Gelben Seiten, den Nachweis ihres Internetauftritts ( ) und Rechnungen für von ihr erbrachte Leistungen vor.
Mit Bescheid vom 10. März 2004 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliege. Zur Begründung führte sie u. a. aus, die Tätigkeit könne nicht als künstlerisch/publizistisch im Sinne des KSVG angesehen werden. Würden Einzelstücke nach eigenen Entwürfen manuell angefertigt, liege nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) keine künstlerische Tätigkeit vor, wenn der Produzent seine Wertschätzung und sein Einkommen nicht allein aus seiner Entwurfstätigkeit, sondern auch aus dem mit handwerklicher Qualität hergestellten Endprodukt beziehe. Dies gelte insbesondere dann, wenn dieses Endprodukt mit vergleichbaren Produkten aus industrieller oder rein handwerklicher Tätigkeit konkurriere. Der derzeitige Tätigkeitsschwerpunkt der Klägerin liege in der Maßschneiderei und somit im handwerklichen Bereich. Es erfolge keine Vermarktung der eigenen Entwürfe sowie Kollektionen über Modefirmen, sondern es würden Kleidungsstücke nach Kundenwünschen entworfen und erstellt. Eine erwerbsmäßige Tätigkeitsausübung im Bereich Modedesign liege daher trotz vorhandenem Diplom im Bereich Modedesign nicht vor.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 7. April 2004 Widerspruch, den sie u. a. damit begründete, dass sich ihre Tätigkeit auf den kreativen und gestalterischen Anteil bei der Erschaffung der Mode beschränke. Die Annahme einer überwiegend "maßschneiderischen" Tätigkeit treffe auf sie
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nicht zu. Dafür fehlten ihr die Ausbildung und die handwerklichen Fähigkeiten. Ihre Entwürfe seien nicht mit industrieller bzw. rein handwerklicher Konfektion vergleichbar. Als diplomierte Modedesignerin gestalte sie Entwürfe und lasse diese von einer Schneidermeisterin fertigen. Die Zuordnung zum Bereich der Kunst sei nach der Rechtsprechung unproblematisch, wenn sich die Tätigkeit nicht auf die Herstellung des Endproduktes erstrecke, wie dies etwa bei einem Designer der Fall sei, der sich allein mit der Anfertigung von Entwürfen beschäftige. Außerdem beschrieb sie den Ablauf der Zusammenarbeit mit ihren Kundinnen und teilte mit, dass sie Ausstellungstücke z. B. für Modenschauen gestalte, die Unikate seien und direkt nach der Modenschau verkauft würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach den von der Klägerin eingereichten Unterlagen bestehe ihre erwerbsmäßige Tätigkeit im Entwurf und dem Verkauf einzelner Bekleidungsstücke. Dabei handle es sich jedoch nicht um eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des § 2 KSVG. Es reiche nicht, dass die hergestellten Produkte gestalterische Elemente mit eigenschöpferischem Charakter aufwiesen und als Unikate gefertigt würden, denn gestalterische Elemente seien bei zahlreichen Arbeiten unabdingbar, die unzweifelhaft dem Bereich des Handwerks zugeordnet werden müssten. Gerade dem Kunsthandwerk sei ein gestalterischer Freiraum immanent und es bleibe dennoch Handwerk. Unproblematisch sei eine Zuordnung zum Bereich der Kunst hingegen bei einem Designer, der sich allein mit der Anfertigung von Entwürfen beschäftige. Eine reine Designertätigkeit liege bei der Klägerin jedoch nicht vor. In einem ähnlich gelagerten Fall habe das Sozialgericht Berlin entschieden, dass eine Tätigkeit im Bereich Entwurf, Rekonstruktion, Vertrieb und Beratung hinsichtlich "klassischer Gartenmöbel" nicht künstlerisch im Sinne des KSVG sei (Urteil vom 18. Juni 1999, Az: S 75 KR 797/97). Zudem habe das BSG in Grenzfällen zwischen künstlerischer und kunsthandwerklicher Tätigkeit entschieden, dass eine Zuordnung zum Bereich der Kunst nur vorzunehmen sei, wenn der Betreffende mit seinen Werken in einschlägigen fachkundigen Kreisen als Künstler anerkannt und behandelt werde (Urteil vom 24. Juni 1998, Az: B 3 KR 13/97 R).
Am 5. Juli 2004 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Sie arbeite als freiberufliche diplomierte Modedesignerin und entwerfe spezielle Kleidungsstücke als Unikate. Bei den Entwürfen handle es sich um ihre schöpferische Leistung und nicht nur eine kunsthandwerkliche Gestaltung. Sie erarbeite Vormodelle und gebe Stoff- bzw. Materialproben an die Kunden. Es entstünden die Persönlichkeit des Kunden unterstreichende Einzelstücke. Die externen Näharbeiten setzten nur ihre eigenschöpferische Leistung um und stünden im Hintergrund. Erst die handwerkliche Umsetzung lasse den künstlerischen Entwurf real werden. Der Verweis der Beklagten auf das Urteil des BSG vom 24. Juni 1998, welches zu einem Feintäschner ergangen sei, sei verfehlt. Grundsätzlich handle es sich bei Modedesign um Kunst.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihre Brautmoden wie jede andere Maßschneiderei verkaufe und mit ihren Produkten in Konkurrenz mit den sonstigen Anbietern trete. Sie hat nochmals auf das Urteil des BSG vom 24. Juni 1998 hingewiesen. Danach könne, wenn Einzelstücke nach eigenen Entwürfen manuell gefertigt würden, nicht allein an den eigenschöpferischen Anteil angeknüpft werden, solange der Produzent seine Wertschätzung und sein Einkommen auch aus dem mit handwerklicher Qualität hergestellten Endprodukt beziehe, zumal wenn es sich um einen Gebrauchsgegenstand handele, der mit vergleichbaren Produkten aus industrieller oder handwerklicher Fertigung konkurriere. Die Klägerin stehe aufgrund der Verkäufe für die handwerkliche Qualität der Brautmoden ein. Rechtlich gesehen liege eine reine Designertätigkeit nicht vor. Das BSG stelle in solch einem Fall auf die Anerkennung in den so genannten Fachkreisen ab. Diese Anerkennung habe die Klägerin nicht nachgewiesen.
Mit Urteil vom 7. Mai 2007 hat das SG unter Aufhebung des Bescheides vom 10. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2004 festgestellt, dass die Klägerin seit dem 15. Dezember 2003 nach § 1 KSVG versicherungspflichtig ist. Sie sei selbständige Künstlerin im Sinne des KSVG, da sie bildende Kunst schaffe. Aus den Materialien zum KSVG ergebe sich, dass auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfasst sein sollen, mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und die soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)" aus dem Jahre 1975 beschäftigt habe. Der Gesetzgeber habe damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt sei, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps entspreche. Bei diesen Berufsfeldern sei das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankomme oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt werde.
Als Katalogberuf sei im Künstlerbericht auch der Modedesigner aufgeführt. Entscheidend sei deshalb,
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ob dem Schaffen der Klägerin eine eigenschöpferische Leistung zugrunde liege, die über den Bereich des handwerklichen hinausgehe. Dies sei bei der Klägerin der Fall, denn sie verarbeite ausschließlich eigene Entwürfe und fertige jeden Entwurf individuell für den Kunden an. Ein Gestaltungsspielraum bestehe trotz der Kundenwünsche. Die kreative Gestaltung der Braut- und Festmode stehe dabei im Vordergrund ihrer Arbeit, während die technische und handwerkliche Umsetzung lediglich der Vollendung des Gesamtwerkes diene. Dass die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit auch handwerklich sei, spreche nicht gegen das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit. Eine Vielzahl künstlerischer Tätigkeiten habe auch handwerkliche Aspekte, z. B. die Bildhauerei. Nach den Angaben der Klägerin stehe der handwerkliche Aspekt bei ihr im Hintergrund. Dies ergebe sich insbesondere aus dem detailliert geschilderten Schaffensprozess, der Ausdruck der eigenschöpferischen Tätigkeit sei. Schließlich spreche auch die Ausbildung der Klägerin als diplomierte Modedesignerin für das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit.
Die Anerkennung der Klägerin als Künstlerin scheitere auch nicht daran, dass sie in fachkundigen Kreisen nicht als Künstlerin anerkannt und behandelt werde. Eine solche Anerkennung liege vielmehr im Fall der Klägerin vor. Sie habe einen Lehrauftrag gehabt, nehme an Hochzeits- und Modemessen teil, organisiere solche Messen und sei auch in die Jury für ein Modecasting berufen worden. An das Erfordernis der Anerkennung in Fachkreisen dürften ohnehin keine erhöhten Anforderungen gestellt werden, da bei der Ausübung eines Katalogberufes in aller Regel Kunst geschaffen werde und für den Kunstbegriff des KSVG angesichts des Zwecks der Künstlersozialversicherung, nämlich Schutz des weniger erfolgreichen Künstlers, ein relativ geringes Niveau ausreiche.
Gegen das ihr am 21. Mai 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. Juni 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie ist der Ansicht, die Klägerin sei keine Modedesignerin im Rechtssinne. Zu beachten sei, dass die Klägerin eine Tätigkeit ausübe, die auch ein zulassungsfreies Handwerk nach Anlage B (Nr. 19) zur Handwerksordnung (HwO) darstelle (Damen- und Herrenschneider). Eine solche Tätigkeit sei nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich nicht zum Bereich der Kunst zu zählen. Die daher entscheidende Anerkennung der Klägerin in fachkundigen Kreisen als Künstlerin sei nicht nachgewiesen. Die vom SG zugrunde gelegten Tatsachen reichten nicht aus. Modedesigner nähmen in der Regel an Mode- und Hochzeitsmessen teil; die Organisation einer solchen Messe könne nicht mit der Teilnahme an einer Kunstausstellung der bildenden Kunst gleichgesetzt werden. Auch die Jurorentätigkeit für ein Modecasting sei spezifisch auf den Modebereich beschränkt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2007 zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil für zutreffend. Die Beklagte erkenne im Ergebnis ihren Hochschulabschluss nicht an und verkenne das Berufsbild einer Modedesignerin, welches sich von dem einer Schneiderin unterscheide. Diese Tätigkeiten beherrsche sie überhaupt nicht.
Das Gericht hat den Rechtstreit mit den Beteiligten in einem Termin erörtert und weitere Unterlagen von der Klägerin angefordert. Nach einer vorgelegten Gewerbekarte der Handwerkskammer H. ist sie seit dem 1. Dezember 2005 mit dem zulassungsfreien Handwerk "Damen- und Herrenschneider" in die Gewerberolle eingetragen. Außerdem ist sie seit dem 1. Januar 2007 mit dem Handelsgewerbe – Verkauf von Braut- und Festmoden, festliche Kindermode, Accessoires – bei dem Bezirksamt B. eingetragen (Gewerbeanmeldung vom 14. Dezember 2006). Weiter hat die Klägerin ihre Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2008, Gewinnermittlungen für das Jahr 2009 und die Abschrift eines GbR-Gesellschaftsvertrages eingereicht. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
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Die nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2004 beschwert die Klägerin, soweit es die Beklagte damit auch abgelehnt hat, die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2006 festzustellen.
Dabei hat das Gericht bei einem Bescheid, der die Versicherungspflicht feststellt oder die Feststellung der Versicherungspflicht ablehnt, den Zeitraum bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu prüfen, da es sich um einen Dauerverwaltungsakt handelt. Der Bescheid beschränkt sich nämlich nicht auf eine einmalige Regelung (dazu z. B. Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl., § 45, Rdnr. 63 f.). Bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sind Rechts- und Sachverhaltsänderungen bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen (Castendiek in Lüdtke u. a., SGG, 3. Aufl., § 54, Rdnr. 56).
Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV). Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne des KSVG, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG hat der Gesetzgeber, der in § 2 Satz 1 KSVG nur allgemein von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten" spricht, auf eine Definition des Kunstbegriffs bewusst verzichtet. Der Begriff ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (BSG, Urteil vom 15. November 2007, Az: B 3 KS 3/07 R, dokumentiert in juris, Rdnr. 10 mit weiteren Verweisen). Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfasst, mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)" aus dem Jahre 1975 beschäftigt hatte (a. a. O.). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird (a. a. O.). Voraussetzung ist allerdings, dass die künstlerischen Elemente das Gesamtbild der Beschäftigung prägen, die Kunst also den Schwerpunkt der Berufsausübung bildet (BSG, Urteil vom 23. März 2006, Az: B 3 KR 9/05 R, dokumentiert in juris, Rdnr. 12).
Eine Modedesignerin bzw. ein Modedesigner gehört zu den Künstlern, bei denen das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen ist. Im "Künstlerbericht" (BTDrs. 7/3071) sind zwar die Modedesigner als Berufsgruppe neben den Graphik-Designern, Industrie-Designern und Fotodesignern nicht aufgeführt (S. 6), bei den den Industrie-Designern zugeschriebenen künstlerischen Tätigkeiten findet sich jedoch das Produkt-Design (S. 7), zu denen auch das Modedesign zu zählen ist. Dafür spricht auch die Verordnung zur Durchführung des KSVG vom 23. Mai 1984 (BGBl. I S. 709, außer Kraft), in der die Modedesigner mit den Grafik-, Textil-, Industriedesignern und Layoutern dem Bereich bildende Kunst zugeordnet worden sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 9 der Verordnung; ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. August 1997, Az: L 4 KR 1911/95; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16. September 2009, Az: L 4 KR 216/07, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Juni 2010, Az: L 9 KR 578/07; alle dokumentiert in juris; siehe auch Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 4. Aufl., § 2, Rdnr. 16).
Das Gericht ist überzeugt, dass die Klägerin als Modedesignerin und damit als Künstlerin tätig ist (und zwar seit dem 12. April 1999, dem gegenüber dem Finanzamt angezeigten Beginn). Dafür spricht schon der Umstand, dass die Klägerin einen entsprechenden Abschluss durch ihr Studium erworben hat. Nach den vorgelegten Unterlagen ist sie auch tatsächlich als Modedesignerin tätig und tritt entsprechend werbend am Markt auf. In Werbematerialen, in Zeitungs- bzw. Zeitschriftenartikeln und dem Internetauftritt wird die Klägerin als Modedesignerin beschrieben. In von ihr geschlossenen Verträgen bezeichnet sie sich als Modedesignerin und sie meldete sich entsprechend bei dem Finanzamt an. Sie bietet Leistungen aus dem Bereich des Modedesigns an und erbringt sie auch.
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Dass sie zumindest ab 2005 Einkommen aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer gem. §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt hat und nicht mehr aus selbständiger freiberuflicher (insb. auch künstlerischer) Tätigkeit nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, spricht nicht gegen den Tätigkeitsschwerpunkt als Modedesignerin. Das Einkommensteuerrecht legt nämlich der Abgrenzung der künstlerischen Tätigkeit von anderen selbständigen Tätigkeiten andere Maßstäbe zugrunde (Schmidt, EStG, 26. Aufl., § 18, Rdnr. 66 f.). Es geht insbesondere nicht, wie das KSVG, von einer bestimmten Typologie von Ausübungsformen aus, sondern verlangt eine eigenschöpferische Leistung, die eine künstlerische Gestaltungshöhe erreichen muss.
Es kommt nicht darauf an, wie die Beklagte meint, ob die Klägerin in fachkundigen Kreisen als Künstlerin anerkannt ist. Nach der Rechtsprechung des BSG ist diese Anerkennung nur dann erforderlich, wenn es um die Abgrenzung zu einem "kreativen" Handwerksberuf geht (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005, Az: B 3 KR 37/04 R, dokumentiert in juris). Wenn die handwerkliche Betätigung eine eigenschöpferische Komponente erhält, ist eine Zuordnung zur Kunst nur möglich, wenn der Betroffene mit seinen Werken den handwerklichen Boden verlässt. Dies lässt sich nur dadurch feststellen, dass er in fachkundigen Kreisen als Künstler anerkannt und behandelt wird (a. a. O, Rdnr. 22). Vorliegend ist die Klägerin schon deshalb von § 2 Satz 1 KSVG erfasst, weil sie Modedesignerin ist. Nur wenn sie eine überwiegend handwerkliche Tätigkeit ausüben würde, was bei einer Modedesignerin nicht der Fall ist, müsste zur eigenschöpferischen Leistung noch die Anerkennung in fachkundigen Kreisen hinzukommen. Unschädlich ist, dass die Klägerin auf ihren Namen ein zulassungsfreies Handwerk eingetragen hat. Sie hat zwar nach eigenen Angaben vor ihrem Studium Nähunterricht bekommen, deshalb ist sie jedoch keine Schneiderin. Ihre Entwürfe lässt sie vielmehr von einer Schneidermeisterin anfertigen. Die Klägerin bleibt trotzdem nach Einschätzung des Gerichts im Schwerpunkt Designerin.
Sie ist jedoch in ihrer dem Grunde nach § 1 KSVG versicherungspflichtigen Tätigkeit als Modedesignerin im Zeitraum vom 15. Dezember 2003 bis zum 31. Dezember 2005 und ab 1. Januar 2007 nach § 3 Abs. 1 KSVG versicherungsfrei.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG ist versicherungsfrei, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3 900 Euro nicht übersteigt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KSVG gilt dies nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit. Die Frist von 3 Jahren verlängert sich um die Zeiten, in denen keine Versicherungspflicht nach diesem Gesetz oder Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 KSVG besteht (§ 3 Abs. 2 Satz 2 KSVG).
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. In der Regel kann der Gewinn unverändert den im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünften aus Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit entnommen werden (Fischer in Schlegel u. a., juris Praxiskommentar SGB IV, § 15 Rdnr. 40), da mit der Regelung des § 15 SGB IV eine volle Parallelität zum Einkommensteuerrecht geschaffen wurde (BSG, Urteil vom 25. Februar 2004, Az: B 5 RJ 56/02 R, dokumentiert in juris, Rdnr. 17).
Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse ist wegen des Wortlauts des § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG ("voraussichtlich") eine Prognose zu treffen, die nicht für die Vergangenheit korrigiert werden kann (siehe z. B. Hessisches LSG, Urteil vom 30. November 1995, Az: L 1 Kr 500/94, dokumentiert in juris; Schlegel in Schlegel u. a., a. a. O., § 8 Rdnr. 43 zur Maßgeblichkeit von berechtigten Prognosen). Hier ist aber in der Vergangenheit überhaupt keine Prognose zu dem Einkommen der Klägerin abgegeben worden. Eine bis zum 1. Dezember des Vorjahres für das folgende Kalenderjahr anzustellende Prognose (siehe § 12 Abs. 1 Satz 1 KSVG) kann angesichts des Umstandes, dass nunmehr die Einkommensteuerbescheide bzw. die Gewinnermittlungen vorliegen, nicht mehr ohne Berücksichtigung dieser abgegeben werden.
Aus den Einkommensteuerbescheiden bzw. der Gewinnermittlung ergibt sich, dass die Klägerin in den Jahren 2003 bis 2005 und 2007 bis 2009 ein Einkommen aus ihrer künstlerischen Tätigkeit erzielt hat, welches unter der Grenze des § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG lag. Die Dreijahresfrist des § 3 Abs. 2 Satz 1 KSVG endete am 12. April 2002, so dass das Unterschreiten zu berücksichtigen ist. Für das Vorliegen eines Verlängerungstatbestandes nach § 3 Abs. 2 Satz 2 KSVG ist aus den vorliegenden Unterlagen nichts ersichtlich.
Die Einkünfte aus Beteiligungen sind dabei nicht zu berücksichtigen, da von der Beitragspflicht der
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versicherten selbständigen Künstler und Publizisten zur gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nur Einkünfte aus der künstlerischen und publizistischen Tätigkeit erfasst werden (BSG, Beschluss vom 15. Oktober 1995, Az: 3 BK 11/96, dokumentiert in juris, Rdnr. 7). Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Beteiligungseinkünfte aus ihrer künstlerischen Tätigkeit erzielt hat. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom 21. Januar 2007 besteht der Gesellschaftszweck in dem Betrieb eines Ladenlokals für Braut- und Festmoden in B ... Dass die Klägerin speziell künstlerische Tätigkeit zur Erreichung des Zwecks schuldet, ergibt sich aus den Unterlagen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin teilweise Erfolg hatte.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung unter Hinweis auf das bei dem BSG anhängige Verfahren B 3 KS 4/10 R zugelassen.
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