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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 22|2022

Update Arbeitsrecht 22|2022 vom 02.11.2022

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Sachgrundbefristung wegen der „Eigenart der Tätigkeit“ bei Managementaufgaben?

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.06.2022, 7 AZR 151/21

Die Tatsache, dass ein Universitätsklinikum einem kaufmännisch tätigen Manager in herausgehobener Position in besonderem Maße vertrauen können muss, ist kein Befristungssachgrund gemäß § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG.

§§ 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4; 17 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG); Art.5 Abs.1 Satz 2, Abs.3 Grundgesetz (GG); § 35 Abs.1 Satz 1 GmbH-Gesetz (GmbHG); § 14 Abs.2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Rechtlicher Hintergrund

Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist bei Neueinstellungen ohne einen sachlichen Grund bis zur Höchstdauer von zwei Jahren zulässig (§ 14 Abs.2 Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG). Andernfalls, d.h. wenn keine Neueinstellung vorliegt, setzen Befristungen im Allgemeinen einen Sachgrund voraus. Einer der in § 14 Abs.1 TzBfG genannten acht Sachgründe besteht in der „Eigenart der Arbeitsleistung“ (§ 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG).

Darauf können sich z.B. Rundfunkanstalten stützen, wenn sie das Arbeitsverhältnis mit programmgestaltenden Redakteuren, d.h. mit sog. „Tendenzträgern“ befristen wollen. Denn wegen der verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit (Art.5 Abs.1 Satz 2 Grundgesetz - GG) muss es Rundfunkanstalten möglich sein, Arbeitsverhältnisse mit Tendenzträgern auch ohne Kündigung zu beenden. 

Unter den Befristungsgrund der „Eigenart der Arbeitsleistung“ fallen auch sog. Verschleißfälle. Das sind Arbeitsverhältnisse, die aufgrund des Zeitablaufs nach einer bestimmten Dauer nicht mehr richtig „funktionieren“. Verschleißtatbestände erkennt die Rechtsprechung z.B. bei Schauspielern an, deren Tätigkeit dem „Abwechslungsbedürfnis des Publikums“ unterliegt, oder auch bei muttersprachlichen Fremdsprachendozenten oder Übersetzern, die nach einigen Jahren in Deutschland den Kontakt zu ihrer Muttersprache allmählich verlieren, so dass sie für ihre Arbeitsaufgaben weniger gut geeignet sind. 

Möglicherweise kann eine Befristung auch auf die „Eigenart der Arbeitsleistung“ im Sinne von § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG gestützt werden, wenn der Arbeitnehmer eine besonders verantwortungsvolle Managementposition bekleidet. Aus Arbeitgebersicht kann man hier argumentieren, dass auch das Vertrauen in die Managementtätigkeit allmählich verschleißen kann, so dass es dem Arbeitgeber möglich sein sollte, turnusmäßig nach Ablauf einer Befristung frei zu entscheiden, ob das erforderliche Vertrauen noch vorhanden ist.

Anfang 2021 hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig Holstein eine solche Argumentation zurückgewiesen und der Entfristungsklage eines angestellten Managers stattgegeben (Urteil vom 26.01.2021, 1 Sa 241 öD/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 09|2021). Diese Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor kurzem bestätigt: BAG, Urteil vom 01.06.2022, 7 AZR 151/21.

Sachverhalt

Ein Universitätsklinikum mit etwa 12.000 Arbeitnehmern und zwei räumlich getrennten Unterabteilungen („Campus K.“ und „Campus L.“) unterhielt zwei campusübergreifende Zentren, ein Radiologiezentrum und ein Diagnostikzentrum, die jeweils durch eine Zentrumsleitung geführt wurden. 

Der für beide Zentren zuständige geschäftsführende Direktor, der kaufmännische bzw. verwaltende Aufgaben hatte, war zunächst befristet von Juli 2013 bis Ende Juni 2018 eingestellt worden. Im Juni 2015 einigten sich die Parteien auf eine neue Befristung bis Ende 2019 und auf eine Gehaltserhöhung. Infolge einer Satzungsänderung des Universitätsklinikums arbeitete der Manager ab Februar 2019 unter der Bezeichnung „kaufmännischer Direktor“.

Nachdem das Universitätsklinikum den Vertrag nicht über 2019 hinaus verlängern wollte, erhob der Manager Entfristungsklage gemäß § 17 TzBfG, d.h. er klagte auf die gerichtliche Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht wirksam befristet war. Der Arbeitgeber berief sich auf den Befristungsgrund des § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG, d.h. die Eigenart der Arbeitsleistung. 

Während der Manager vor dem Arbeitsgericht Kiel zunächst keinen Erfolg hatte (Urteil vom 01.07.2020, 4 Ca 89 öD a/20), gab das LAG Schleswig Holstein der Klage wie erwähnt statt (LAG Schleswig Holstein, Urteil vom 26.01.2021, 1 Sa 241 öD/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 09|2021).

Entscheidung des BAG

Das BAG wies die Revision des Universitätsklinikums zurück. Die streitige Befristung war unwirksam. Der arbeitgeberseitig reklamierte Befristungsgrund des § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG lag im Streitfall nicht vor.

Auf verfassungsrechtliche Grundsätze, d.h. die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art.5 Abs.3 GG), konnte sich das Klinikum nicht berufen. Denn die Klinik war nicht Grundrechtsträger, sondern aus diesem Grundrecht heraus verpflichtet. 

Als geschäftsführender Direktor hatte der Kläger auch keine organschaftliche Stellung. Vielmehr hatte er die Weisungen des Vorstandes zu beachten. 

Aber auch dann, wenn der Kläger weitgehend weisungsungebunden gewesen sein sollte, würde sich daraus kein Befristungsrund im Sinne von § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG ergeben. Denn auch die Befristung des Arbeitsverhältnisses mit leitenden Angestellten setzt einen Sachgrund voraus, so das BAG auf seine bisherige Rechtsprechung. Die geringere Bindung leitender Angestellter an (Einzel-)Weisungen genügt nicht als Befristungsgrund. Die vom Klinikum betonte „geschäftsführerähnliche“ Stellung ist kein Befristungsgrund, so das BAG.

Schließlich konnte das Klinikum die Befristung auch nicht auf eine Vorgabe seiner Satzung stützen, der zufolge der geschäftsführende Direktor der Zentrumsleitung für fünf Jahre bestellt wird. Denn autonomes Satzungsrecht kann die Befristung eines Arbeitsverhältnisses außerhalb des TzBfG nicht rechtfertigen (BAG, Urteil, Rn.40). 

Hinzukam im Streitfall, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Manager von Juli 2013 bis Dezember 2019 immerhin sechseinhalb Jahre dauerte, so dass die Mitte 2015 vereinbarte weitere Befristung bis Ende Dezember 2019 mit dieser Satzungsvorgabe ohnehin nicht übereinstimmte.

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. Letztlich konnte sich das Klinikum nur auf das Argument stützen, dass es seinem angestellten kaufmännischen Manager, dem „geschäftsführenden Direktor“, in besonderem Maße vertrauen können musste. 

Das allein kann aber nicht für eine wirksame Befristung auf der Grundlage von § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.4 TzBfG ausreichen. Andernfalls hätte der Anwendungsbereich dieses Befristungsgrundes keine klaren Grenzen mehr.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.06.2022, 7 AZR 151/21

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.01.2021, 1 Sa 241 öD/20

 

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