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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 05|2022

Update Arbeitsrecht 05|2022 vom 09.03.2022

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Verdacht der Fälschung von Verkaufszahlen rechtfertigt Drohung mit fristloser Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21

Verstöße gegen das „Gebot fairen Verhandelns“ bei Aufhebungsvertragsgesprächen bleiben die seltene Ausnahme.

§§ 123; 142; 147 Abs.1; 242; 311 Abs.2 Nr.1; 623; 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitgeber sollten auf den Verdacht erheblicher Pflichtverletzungen nicht sofort mit einer fristlosen Kündigung reagieren, sondern erst einmal in einem Personalgespräch einen Aufhebungsvertrag anbieten. Solche Gespräche sind unangenehm, denn es geht um die bestehenden Verdachtsmomente und um die möglichen weiteren rechtlichen Schritte des Arbeitgebers, d.h. um eine mögliche fristlose Kündigung oder sogar eine Strafanzeige.

Arbeitnehmer, die in einer solchen Lage einen Aufhebungsvertrag unterschreiben, können ihn meist nicht mit Erfolg anfechten. Zwar sieht § 123 Abs.1 Fall 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Anfechtung vor, wenn ein Vertragspartner zu seiner Zustimmung „widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist“, doch ist die Drohung mit einer Kündigung oder Strafanzeige meist nicht „widerrechtlich“ im Sinne von § 123 Abs.1 BGB. Denn wenn ein „verständiger“ Arbeitgeber Kündigung oder Strafanzeige wegen der bestehenden Verdachtsmomente ernsthaft in Betracht ziehen durfte, hat er zwar gedroht, aber das durfte er auch, so das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Nach der BAG-Rechtsprechung kann ein Aufhebungsvertrag aber nicht nur mit einer Anfechtung angegriffen werden, sondern auch deshalb unwirksam sein, weil der Arbeitgeber gegen das „Gebot fairen Verhandelns“ verstoßen hat (BAG, Urteil vom 07.02.2019, 6 AZR 75/18). „Unfair“ ist es, wenn der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers erheblich erschwert oder unmöglich macht (BAG, Urteil vom 07.02.2019, 6 AZR 75/18, Rn.34). Fälle dieser Art sind selten.

Im Mai 2021 hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm entschieden, dass es nicht unfair ist, wenn der Arbeitgeber konkrete Anhaltspunkte für massive Pflichtverstöße des Arbeitnehmers hat, ihn daher zur Rede stellt und ihm einen Aufhebungsvertrag vorschlägt, wobei er weiterhin für den Fall der Nichtannahme mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige droht (LAG Hamm, Urteil vom 17.05.2021, 18 Sa 1124/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 13|2021 vom 30.06.2021).

Vor kurzem hat das BAG dieses Urteil bestätigt: BAG, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21.

Sachverhalt

Eine Verkaufsangestellte, die seit über vier Jahren in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern arbeitete, hatte mehrfach Einkaufspreise, die im Warenwirtschaftssystem hinterlegt waren, ohne Rücksprache und ohne sachlichen Grund herabgesetzt. In drei Fällen hatte sie nicht nur die Einkaufspreise reduziert, sondern die von ihr verkauften Waren auch zu einem unangemessen niedrigen Preis weggegeben.

Davon erfuhr der Arbeitgeber Mitte November 2019 und konfrontierte die Verkäuferin mit diesen Vorgängen in einem persönlichen Gespräch am 22.11.2019, in dem er sich durch einen Anwalt unterstützen ließ. Ob er dabei mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige wegen der o.g. Vorfälle drohte, war zwischen den Parteien streitig, doch war es wohl so, wie sich später durch gerichtliche Zeugenbefragung herausstellte. Jedenfalls unterzeichnete die Verkäuferin einen Aufhebungsvertrag, der das Arbeitsverhältnis zu Ende November 2019 auflöste, was zu einer erheblichen Verkürzung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von sechs Monaten führte.

Einige Tage später erklärte sie die Anfechtung des Aufhebungsvertrags und berief sich auf eine angeblich widerrechtliche Drohung, woraufhin der Arbeitgeber(jetzt doch) eine fristlose Kündigung erklärte. Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage und Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags hatte vor dem Arbeitsgericht Paderborn Erfolg (Urteil vom 03.08.2020, 2 Ca 1619/19). Das Arbeitsgericht ging nach Zeugenvernehmung davon aus, dass die streitigen Drohungen erklärt worden waren.

Dagegen wies das LAG Hamm die Klage ab. Denn auch bei Richtigkeit der klägerischen Behauptungen zum Gesprächsverlauf gab es hier keinen Anfechtungsgrund und keinen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns (LAG Hamm, Urteil vom 17.05.2021, 18 Sa 1124/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 13|2021 vom 30.06.2021).

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG Hamm und wies die Revision der Klägerin zurück. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung heißt es zur Begründung:

Auch wenn die klägerische Version des Gesprächsverlaufs richtig sein sollte, d.h. wenn der Arbeitgeber mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht haben sollte, war die Drohung nicht widerrechtlich. Denn ein verständiger Arbeitgeber durfte im Streitfall eine außerordentliche Kündigung und auch eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen.

Darüber hinaus hatte der Arbeitgeber auch nicht unfair verhandelt und dadurch gegen seine Pflichten aus § 311 Abs.2 Nr.1 in Verb. mit § 241 Abs.2 BGB verstoßen. Die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin wurde nicht dadurch verletzt, dass der Arbeitgeber den Aufhebungsvertrag gemäß § 147 Abs.1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hatte. Die Arbeitnehmerin musste zwar über die Annahme des Vertragsangebots sofort entscheiden, doch war das rechtlich in Ordnung, so das BAG.

Dabei betont das BAG, dass das LAG die vom BAG aufgestellten Rechtsgrundsätze über das Gebot des fairen Verhandelns (BAG, Urteil vom 07.02.2019, 6 AZR 75/18) richtig angewandt hatte, wobei diese Rechtsgrundsätze den Arbeitsgerichten und LAG einen erheblichen Beurteilungsspielraum lassen.

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. Die im Streitfall vom Arbeitgeber vorgetragenen und im Wesentlichen unstreitigen Verdachtsmomente waren so schwerwiegend, dass man dem Arbeitgeber nicht vorwerfen konnte, die Verkäuferin aus nichtigem Anlass oder in einer unfairen Art und Weise zu einem Aufhebungsvertrag gedrängt zu haben.

Es wird auch in Zukunft nur sehr wenige Fälle geben, in denen Arbeitnehmer unter Berufung auf das Fairnessgebot von einem Aufhebungsvertrag wieder loskommen. Denn wie das BAG schon in seiner grundlegenden Entscheidung zum Fairnessgebot betont hat, müssen Arbeitgeber bei Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag ihre Interessen nicht verleugnen.

Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, eine angenehme Verhandlungssituation zu schaffen oder dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit und/oder ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht zu gewähren. Es besteht auch keine Pflicht, dem Arbeitnehmer vorab anzukündigen, dass es bei einem Personalgespräch um einen Aufhebungsvertrag gehen soll.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21 (Pressemitteilung des Gerichts)

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 17.05.2021, 18 Sa 1124/20

 

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