Update Arbeitsrecht 09|2022 vom 04.05.2022
Leitsatzreport
LAG Baden-Württemberg: Unklare Hinweise zum Datenschutz bei der Einladung zum BEM
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2021, 4 Sa 70/20
§ 167 Abs.2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX); Art.4 Nr.15; Art.9 Abs.2 Buchstabe a) Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)
Leitsätze des Gerichts:
1. Aus § 167 Abs.2 Satz 3 SGB IX (in der bis zum 09.06.2021 geltenden Fassung, seit 10.06.2021: Satz 4) folgt nicht nur, dass der Arbeitnehmer auf die Art und den Umfang der im betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen ist. Vielmehr ergibt sich hieraus auch, dass die Datenverarbeitung datenschutzkonform zu erfolgen hat.
2. Die Erreichung der Ziele des bEM erfordert nicht, dass nicht im bEM-Verfahren beteiligten Vertretern des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer im Verfahren mitgeteilte Diagnosedaten bekanntzumachen wären. Wenn dem Arbeitnehmer im Rahmen des § 167 Abs.2 Satz 3 SGB IX (in der bis zum 09.06.2021 geltenden Fassung, seit 10.06.2021: Satz 4) dennoch eine Einwilligung in eine solche Datenoffenlegung abverlangt wird, ist im besonderen Maße auf die Freiwilligkeit hinzuweisen.
3. Wird in dem Hinweis über die Datenerhebung und Datenverwendung der fälschliche Eindruck erweckt, dass Gesundheitsdaten an Vertreter des Arbeitgebers weitergegeben werden können, die nicht am bEM-Verfahren beteiligt sind, geht dies zu Lasten des Arbeitgebers. Die vom Arbeitgeber verursachte Fehlvorstellung steht einer ordnungsgemäßen Einleitung des bEM entgegen.
(Bestätigung und Fortentwicklung von LAG Baden-Württemberg 28.07.2021 - 4 Sa 68/20 -)
Hintergrund:
Ist ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank, muss ihm der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs.2 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten, d.h. die gemeinsame ergebnisoffene Suche nach Möglichkeiten, künftige Fehlzeiten zu verhindern. Wichtig ist hier eine rechtliche korrekte Einladung zum BEM. Dazu gehört auch, den betroffenen Arbeitnehmer im Einladungsschreiben auf Art und Umfang der für ein BEM verwendeten Daten hinzuweisen (§ 167 Abs.2 Satz 4 SGB IX). Bereits im Juli 2020 hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg eine datenschutzrechtliche BEM-Information für unzulässig angesehen, der zufolge die Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers auch Führungskräften bekannt gemacht werden könnten, die nicht am BEM-Verfahren beteiligt sind (Urteil vom 28.07.2021, 4 Sa 68/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 20|2021 vom 06.10.2021). Diese rechtliche Vorgabe hat das LAG noch einmal in einem anderen Fall bestätigt (Urteil vom 20.10.2021, 4 Sa 70/20). Hier ging es um eine - offenbar von demselben Unternehmen stammende - missverständliche Datenschutzbelehrung in einem BEM-Einladungsschreiben. Ihr zufolge musste der betroffene Arbeitnehmer davon ausgehen, dass seine Gesundheitsdaten möglicherweise der Standortleitung bekannt gemacht werden könnten, obwohl diese gar nicht am BEM-Verfahren beteiligt sein sollte. Die gegen eine krankheitsbedingte Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hatte dementsprechend vor dem LAG Erfolg.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.02.2022, 10 Sa 62/21
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2021, 4 Sa 68/20
Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Handbuch Arbeitsrecht: Datenschutz im Arbeitsrecht
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Krankheitsbedingte Kündigung
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