Update Arbeitsrecht 16|2022 vom 10.08.2022
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Beteiligung nachgeordneter Ärzte an den Erlösen für die privatärztliche Chefarzt-Behandlung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.03.2022, 10 AZR 419/19
Sieht der Chefarztvertrag vor, dass die nachgeordneten Ärzte an den Privatliquidationserlösen beteiligt werden, kann dies als Vertrag zugunsten Dritter auszulegen sein, der den nachgeordneten Ärzten Zahlungsansprüche verschafft.
§§ 133, 157, 242, 328, 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 108 Abs.1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO); §§ 4 Abs.1 Satz 2; 37 Abs.1 Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA); § 29 Abs.3 Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä)
Rechtlicher Hintergrund
Im Krankenhaus tätige Oberärzte und Fachärzte, die an der Behandlung von Privatpatienten durch den Chefarzt mitwirken, erhalten dafür meist eine variable Vergütung. Sie wird aus einem dafür gebildeten finanziellen Pool gezahlt („Poolgelder“), oder auch direkt durch den Chefarzt. Ob auch ein klagbarer Anspruch auf solche Zahlungen besteht, ist eine andere Frage.
Denn obwohl die Chefärzte berufsrechtlich zur Mitarbeiterbeteiligung verpflichtet sind (§ 29 Abs.3 Musterberufsordnung für Ärzte - MBO-Ä), folgt aus dieser berufsrechtlichen Zahlungspflicht kein Zahlungsanspruch nachgeordneter Ärzte. Und aus den Arbeitsverträgen der Oberärzte und Fachärzte folgt zwar die Pflicht zur Unterstützung des Chefarztes bei der Behandlung von Privatpatienten, aber kein gesonderter Vergütungsanspruch. Arbeitsvertraglich ist die Mitwirkung an der privatärztlichen Tätigkeit des Chefarztes mit der normalen Oberarzt- bzw. Facharztvergütung abgegolten.
Daher hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bisher Vergütungsansprüche nachgeordneter Ärzte für die Unterstützung der privatärztlichen Chefarzttätigkeit abgelehnt. Nach dieser BAG-Rechtsprechung konnten Oberärzte ihren Chefarzt auch dann nicht auf Zahlung verklagen, wenn der Chefarzt bereits seit längerem monatlich bestimmte Beträge gezahlt hat (BAG, Urteil vom 21.07.1993, 5 AZR 550/92, Rn.22).
Demgegenüber hat das BAG vor kurzem entschieden, dass Zahlungsansprüche nachgeordneter Ärzte sowohl gegen den Chefarzt als auch gegen den Krankenhausträger möglich sind, vorausgesetzt, dass der Chefarztvertrag eine Pflicht zur Beteiligung der nachgeordneten Ärzte enthält.
Auch dann besteht zwar kein Arbeitsverhältnis zwischen Chefarzt und nachgeordnetem Arzt. Allerdings kann eine Beteiligungsklausel im Chefarztvertrag als Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von § 328 Abs.1 BGB interpretiert werden. Dann können nachgeordnete Ärzte - als begünstigte „Dritte“ - aus dieser Beteiligungsklausel Ansprüche gegen den Chefarzt und/oder gegen den Krankenhausträger herleiten: BAG, Urteil vom 30.03.2022, 10 AZR 419/19.
Sachverhalt
Ein leitender Oberarzt eines kommunalen Krankenhauses hatte seinen Chefarzt, den Leiter der dortigen Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und plastische Gesichtschirurgie, und daneben auch den Krankenhausträger auf Beteiligung an den Erlösen verklagt, die der Chefarzt durch die Behandlung von Privatpatienten von 2015 bis 2017 erzielt hatte.
Auf das Arbeitsverhältnis des Oberarztes war der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) anzuwenden. Dessen § 4 Abs.1 Satz 2 sieht vor, dass Ärzte vom Arbeitgeber verpflichtet werden können, auch im Rahmen einer zugelassenen Nebentätigkeit von Chefärzten oder Belegärzten zu arbeiten. Außerdem fand sich im Dienstvertrag des Chefarztes unter der Überschrift „Finanzielle Beteiligung der nachgeordneten Ärzte“ folgende Regelung:
„(1) Die nachgeordneten Ärzte werden an den Einnahmen beteiligt, für die dem Arzt ein Liquidationsrecht zusteht (§ 8 Abs.2). Zu diesem Zweck führt der Arzt aus den Bruttohonorareinnahmen im Sinne von § 10 Abs.3 nach Abzug eines Bruttojahresgehaltes im Sinne von § 8 Abs.1 einen angemessenen Anteil an den Krankenhausträger ab. Dieser Anteil beträgt mindestens 20 %.
(2) Die Verteilung an die ärztlichen Mitarbeiter erfolgt im Einvernehmen mit dem Arzt. Dabei sind Leistung, Verantwortung und Aufgaben der ärztlichen Mitarbeiter angemessen zu berücksichtigen.“
Der Chefarzt zahlte über Jahre hinweg monatlich 2.000,00 EUR an den Oberarzt. Dafür führte der Krankenhausträger Steuern und Sozialabgaben ab und wies dies in Gehaltsabrechnungen aus. Ab Anfang 2017 verringerte der Chefarzt die Zahlungen auf 1.000,00 EUR pro Monat und kündigte Mitte Februar 2018 „vorsorglich“ eine möglicherweise bestehende Zahlungsverpflichtung zu Ende des Monats. Trotz der Kündigung leistete er weitere Zahlungen in wechselnder Höhe, etwa 1.000,00 EUR monatlich.
Das Arbeitsgericht Siegburg (Urteil vom 05.12.2018, 4 Ca 663/18) gab der auf Zahlung und Auskunft gerichteten Klage des Oberarztes teilweise statt. Die Kündigung sah es als wirksam an. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln verurteilte den Chefarzt zu einer höheren Zahlung. Die Kündigung war aus Sicht des LAG unwirksam, da sie gegen § 241 Abs.2 BGB bzw. gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstieß (LAG Köln, Urteil vom 03.07.2019, 5 Sa 104/19, Rn.82-87, s. dazu Update Arbeitsrecht 07|2020).
Arbeitsgericht und LAG kamen bei der Bewertung der vertraglichen Beziehungen der Parteien zu dem Ergebnis, dass der Chefarzt durch die langjährigen Zahlungen eine Zahlungspflicht übernommen hatte.
Entscheidung des BAG
Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies den Rechtsstreit dorthin zurück. Dabei gab es sowohl der Revision des Chefarztes als auch der des Oberarztes statt.
Zugunsten des verurteilten Chefarztes meinte das BAG, dass die Übernahme einer vertraglichen Zahlungspflicht durch schlüssiges Verhalten bzw. durch vorbehaltlose Zahlungen in gleicher Höhe durch das LAG nicht ausreichend begründet worden war. Daher hatte die Revision des Chefarztes Erfolg.
Aber auch die Anschlussrevision des Oberarztes war begründet. Denn möglicherweise hatte er weitergehende Ansprüche, und zwar aus dem Chefarztvertrag als eines Vertrags zugunsten Dritter. Der im Streitfall maßgebliche Chefarztvertrag, d.h. die Klausel, der zufolge die nachgeordneten Ärzte an den Einnahmen beteiligt werden, war nämlich als echter Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von § 328 Abs.1 BGB auszulegen. Er begründet daher Ansprüche der hier genannten nachgeordneten Ärzte, so das BAG mit ausführlicher Begründung (BAG, Urteil, Rn.69-87).
Für die Abwicklung der Beteiligung, d.h. die Abrechnung und Auszahlung, sollte nach der hier vereinbarten Vertragsklauseln der Krankenhausträger zuständig sein (BAG, Urteil, Rn.77). Daher war der „Versprechende“ im Streitfall der Krankenhausträger, während der „Versprechensempfänger“ der Chefarzt war, der für dieses Versprechen im Gegenzug zusagte, einen angemessenen Anteil der Liquidationserlöse abzuführen (BAG, Urteil, Rn.79).
Praxishinweis
Dem BAG ist zuzustimmen. Aufgrund der Interessenlage der Beteiligten ist es naheliegend, dass der Chefarzt für seine vertraglich übernommene Pflicht zur Beteiligung der nachgeordneten Ärzte diesen einen echten Zahlungsanspruch verschaffen will, der sich aber gegen den Krankenhausträger richtet.
Demgegenüber bestehen im Regelfall zwischen dem Chefarzt und den nachgeordneten Ärzten, die an der privatärztlichen Behandlung durch den Chefarzt mitwirken, keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen, aus denen sich Zahlungspflichten des Chefarztes bzw. Zahlungsansprüche der nachgeordneten Ärzte ergeben.
Im Ergebnis stärkt das BAG-Urteil die rechtlichen Möglichkeiten für Oberärzte und Fachärzte, eine finanzielle Beteiligung an den Chefarzt-Privatliquidationserlösen gerichtlich durchzusetzen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Chefarztvertrag eine Beteiligungsklausel von der Art enthält, wie sie hier im Streitfall vereinbart worden war.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.03.2022, 10 AZR 419/19
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 03.07.2019, 5 Sa 104/19
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