Update Arbeitsrecht 04|2022 vom 23.02.2022
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Bestimmtheit eines datenschutzrechtlichen Auskunftsverlangens
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.12.2021, 2 AZR 235/21
Ein Antrag auf Erteilung datenschutzrechtlicher Auskünfte, der den Wortlaut von Art.15 Abs.1 DSGVO mit unklaren Konkretisierungen ergänzt, ist nicht ausreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs.2 Nr.2 ZPO.
Art.15 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO); §§ 313 Abs.1 Nr.4; 253 Abs.2 Nr.2; 254 ZPO
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß Art.15 Abs.1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) haben Arbeitnehmer als datenschutzrechtlich „betroffene“ Personen gegen ihren Arbeitgeber - als der datenverwendenden Stelle - einen Anspruch auf Auskunft über die arbeitgeberseitig verarbeiteten personenbezogenen Arbeitnehmerdaten.
Da „personenbezogene Daten“ alle Informationen sind, die sich auf einen bestimmten Menschen beziehen, und da ihre „Verarbeitung“ jede Form der Datenerhebung, Datenspeicherung, Datenänderung, Datenweitergabe bis hin zur Datenlöschung umfasst (Art.4 Nr.1 und Nr.2 DS-GVO), ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch dementsprechend weitgehend.
Er umfasst nicht nur Gehaltsabrechnungen, arbeitsvertragliche Vereinbarungen, Abmahnungen oder andere in der Personalakte vorhandene Dokumente oder gespeicherte Dateien, sondern im Prinzip alle Dateien und alle Schriftstücke, in denen der Name eines bestimmten Arbeitnehmers erwähnt wird.
Konkret bezieht sich der Auskunftsanspruch gemäß Art.15 Abs.1 DS-GVO u.a. auf die Verarbeitungszwecke und die Kategorien der vom Arbeitgeber verarbeiteten Daten, aber auch auf die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Arbeitnehmer-Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden (Art.15 Abs.1 Buchstabe a), b) und c) DS-GVO).
Über die Auskunftspflicht hinaus sind Arbeitgeber gemäß Art.15 Abs.3 Satz 1 DS-GVO verpflichtet, dem Arbeitnehmer „eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung“ zu stellen. Unter Berufung auf diese Vorschrift haben Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren immer wieder auf Erteilung von Kopien des innerbetrieblichen E-Mail-Verkehrs geklagt, an dem sie beteiligt waren.
Dazu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) allerdings im April 2021 entschieden, dass Arbeitnehmer, die nicht wissen, in welchen E-Mails sie erwähnt werden, eine sog. Stufenklage gemäß § 254 Zivilprozessordnung (ZPO) erheben müssen. Sie müssen in einer ersten Stufe auf Auskunft über vorhandene E-Mails klagen und auf einer zweiten Stufe auf Herausgabe der - dann konkret benannten - E-Mail-Kopien (BAG, Urteil vom 27.04.2021, 2 AZR 342/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 10|2021 vom 19.05.2021). Denn ohne genaue Angabe der vom Arbeitgeber in Kopie zur Verfügung zu stellenden E-Mails wäre eine Datenkopie-Klage zu unbestimmt und daher gemäß § 253 Abs.2 Nr.2 ZPO unzulässig.
In einem aktuellen Fall hat das BAG nunmehr auch die Anforderungen verschärft, die Arbeitnehmer bei einer Auskunftsklage beachten müssen: BAG, Urteil vom 16.12.2021, 2 AZR 235/21.
Sachverhalt
Ein Angestellter verklagte seinen Arbeitgeber unter Berufung auf Art.15 Abs.1 DS-GVO auf die Erteilung vieler verschiedener datenschutzrechtlicher Auskünfte, wobei er in seinen Klageantrag weitgehend den abstrakten Wortlaut des Art.15 Abs.1 DS-GVO übernahm. Damit hatte er in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Stuttgart Erfolg (Urteil vom 05.06.2019, 3 Ca 4960/18).
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg wandelte den Urteilsausspruch ab und fasste ihn in einigen Punkten konkreter. Nunmehr wurde der Arbeitgeber verurteilt, dem Arbeitnehmer Auskunft zu erteilen über die Empfänger, denen die arbeitgeberseitig verarbeiteten „Leistungs- und Verhaltensdaten des Klägers“ bisher offengelegt wurden, sowie über die Herkunft der beim Arbeitgeber „verarbeiteten Verhaltens- und Leistungsdaten des Klägers“, soweit diese in bestimmten Bereichen der EDV-Systems des Arbeitgebers erhoben wurden.
Außerdem verurteilte das LAG den Arbeitgeber dazu, dem Arbeitnehmer eine Kopie einer verkörperten Zusammenstellung arbeitgeberseitig verarbeiteten „Verhaltens- und Leistungsdaten des Klägers“ zur Verfügung zu stellen (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2021, 21 Sa 43/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 15|2021 vom 28.07.2021).
Entscheidung des BAG
Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und wies die Klage auf Erteilung von Auskünften und auf Aushändigung von Datenkopien vollständig ab.
Denn Klageanträge und Urteilsausspruch waren im vorliegenden Fall zu unbestimmt und verstießen daher gegen § 313 Abs.1 Nr.4 in Verb. mit § 253 Abs.2 Nr.2 ZPO.
Dabei beanstandet das BAG, dass das LAG bestimmte Teile bzw. Programme des IT-Systems des Arbeitgebers von der Auskunftspflicht ausgenommen hatte (BAG, Urteil, Rn.17), und dass sich der Kläger zur Konkretisierung seines Auskunftsverlangens auf „Leistungs- und Verhaltensdaten“ bezog. Dies sind unbestimmte Rechtsbegriffe, so das BAG, die nicht Grundlage einer möglichen späteren Urteilsvollstreckung sein könnten. Die Reichweite einer solchen Verurteilung des Arbeitgebers wäre daher im vorliegenden Fall unklar (BAG, Urteil, Rn.24).
Dabei lässt das BAG ausdrücklich die Frage offen, ob ein Klageantrag zulässig wäre, der ohne Änderungen oder Zusätze den Gesetzeswortlaut des Art.15 Abs.1 Buchstabe a) bis h) DS-GVO wörtlich wiederholt (BAG, Urteil, Rn.27). Denn Art.15 Abs.1 DS-GVO ist eine europarechtliche Anspruchsgrundlage, so dass über diese Frage der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden müsste. Im Streitfall hatte der Kläger aber Bedingungen und Präzisierungen in seinen Antrag aufgenommen („Leistungs- und Verhaltensdaten“; „nicht in der Personalakte ... gespeichert“), und dadurch seinen Auskunftsantrag unklar gemacht (BAG, Urteil, Rn.27).
Darüber hinaus war auch der Antrag auf Erteilung einer Datenkopie unbegründet, wobei sich das BAG an dieser Stelle auf sein Urteil vom 27.04.2021 (2 AZR 342/20) bezieht (BAG, Urteil, Rn.29-33).
Praxishinweis
Arbeitnehmern ist zu raten, bei datenschutzrechtlichen Auskunftsklagen entweder den Wortlaut des Art.15 Abs.1 DS-GVO ohne Zusätze oder Abstriche in den Klageantrag aufzunehmen oder die verlangten Auskünfte möglichst konkret zu formulieren, z.B. dahingehend, dass man Auskünfte über die vom Arbeitgeber gespeicherten E-Mails verlangt, bei denen der Kläger als Absender genannt wird.
Arbeitgebern ist dagegen zu empfehlen, datenschutzrechtliche Auskunftsklagen sowie Klagen auf Erteilung von Datenkopien daraufhin zu überprüfen, ob der klagende Arbeitnehmer sein Klagebegehren klar genug formuliert hat.
Voraussichtlich werden die hier vom BAG angesprochenen Fragen früher oder später vom EuGH beantwortet werden. Denn angesichts der jetzt ergangenen BAG-Entscheidung ist zu erwarten, dass Auskunftsklagen in der Weise erhoben werden, dass Art.15 Abs.1 DS-GVO wortwörtlich in den Klageantrag übernommen wird. Eine solche Klage kann aber nicht (letztinstanzlich) abgewiesen werden, ohne den Fall zuvor dem EuGH vorzulegen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.12.2021, 2 AZR 235/21
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2021, 21 Sa 43/20
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