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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 16|2022

Update Arbeitsrecht 16|2022 vom 10.08.2022

Entscheidungsbesprechungen

LAG Schleswig-Holstein: Diskriminierende Stellenausschreibung bei eBay-Kleinanzeigen

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, 2 Sa 21/22

Wer sich über das Internetportal „eBay-Kleinanzeigen“ auf eine Stellenausschreibung als Interessent meldet, ist „Bewerber“ im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

§§ 1; 2 Abs.1 Nr.1; 6 Abs.1 Satz 2; 7 Abs.1; 11; 15 Abs.1, 2, 4; 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 61b Abs.1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)

Rechtlicher Hintergrund

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligungen im Berufsleben, die auf bestimmten persönlichen Merkmalen der benachteiligten Person beruhen, u.a. auf dem Geschlecht (§ 1 AGG). Wer als Frau oder Mann oder aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem dritten Geschlecht im Erwerbsleben willkürlich benachteiligt wird, kann sich unter Berufung auf das AGG dagegen rechtlich zur Wehr setzen. Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes sind unzulässig (§ 7 Abs.1 AGG).

Der Diskriminierungsschutz beginnt bei der Bewerbung, d.h. beim Zugang zur Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs.1 Nr.1 AGG). Nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden vom AGG geschützt, sondern auch Bewerberinnen und Bewerber (§ 6 Abs.1 Satz 2 AGG). 

Für Arbeitgeber, die auf Personalsuche sind, heißt das, dass sie freie Stellen nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs.1 AGG ausschreiben dürfen (§ 11 AGG). Es ist unzulässig, in einer Stellenanzeige nach einem „Maurer“, einem „Polier“ oder nach einer „Übersetzerin“ zu suchen. Denn mit solchen, auf ein bestimmtes Geschlecht eingegrenzten Berufsbezeichnungen werden mögliche Bewerberinnen und Bewerber des jeweils anderen Geschlechts ausgegrenzt.

Nicht geschlechtsneutral formulierte Stellenanzeigen sind aus Bewerbersicht ärgerlich und für Arbeitgeber, die sie veröffentlichen, rechtlich und finanziell riskant. Denn wenn sich jemand ohne Erfolg mit einem laut Stellenausschreibung nicht „passenden“ Geschlecht bewirbt, kann er gemäß § 15 Abs.1, 2 AGG eine Geldentschädigung verlangen.

Er hat nämlich wegen seines Geschlechts und damit wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als Bewerber mit dem „richtigen“ Geschlecht erfahren (§ 3 Abs.1 AGG). Die nicht geschlechtsneutrale Stellenanzeige bzw. der Verstoß gegen § 11 AGG ist dabei ein Indiz, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lässt (§ 22 AGG). Daher müsste der Arbeitgeber beweisen, dass die Abweisung des Bewerbers mit dem „falschen“ Geschlecht nicht auf einer Diskriminierung beruht. Ein solcher Nachweis ist nur schwer möglich bzw. praktisch unmöglich.

Dies musste ein Kleinunternehmen in einem aktuellen Streitfall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein erfahren.

Sachverhalt

Ein familiengeführter Kleinbetrieb mit weniger als zehn Arbeitnehmern schaltete im April 2021 eine Anzeige auf dem Internetportal eBay-Kleinanzeigen mit folgendem Inhalt: 

„Sekretärin gesucht! Beschreibung: Wir suchen eine Sekretärin ab sofort. Vollzeit/Teilzeit Es wäre super, wenn sie Erfahrung mitbringen. Standort: 2…. B.“

Ein 1994 geborener Industriekaufmann und Wirtschaftsjurist, dessen Wohnsitz etwa 250 km vom Betrieb entfernt war, bewarb sich über die Chat-Funktion von eBay. In seiner Nachricht hieß es u.a.:

„Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle. Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann.“

Auf die Frage des Unternehmens, wer er sei und warum er sich bewerbe, schrieb der Bewerber: 

„Hallo ich heiße M. W. und suche eine neue berufliche Herausforderung. Ich hätte Interesse an ihrer ausgeschriebenen Stelle. Suchen Sie denn nur eine Frau? In ihrer Stellenbeschreibung haben Sie dies so angegeben.“

Daraufhin teilte das Unternehmen mit:

„Sehr geehrter Herr W., vielen Dank für Interesse in unserem Hause. Wir suchen eine Dame als Sekretärin. Wir wünschen Ihnen alles Gute Vielen Dank. Mit freundlichen Grüßen R. Y.“

Der Bewerber verlangte schriftlich und fristgemäß binnen zwei Monaten nach der Ablehnung (§ 15 Abs.4 AGG) eine Geldentschädigung von 3.500,00 EUR, die das Unternehmen ablehnte. Daraufhin klagte er, wiederum fristgemäß binnen drei Monaten nach der Entschädigungsforderung (§ 61b Abs.1 Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG), vor dem Arbeitsgericht Elmshorn auf Zahlung einer Entschädigung von drei Monatsgehältern (7.800,00 EUR), berechnet auf der Grundlage eines angenommenen Monatsverdienstes von 2.600,00 EUR. 

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Seiner Ansicht nach war der Kläger wegen der Kontaktaufnahme über eBay gar nicht als ein „Bewerber“ im Sinne von § 6 Abs.1 AGG anzusehen (Urteil vom 16.12.2021, 4 Ca 592 a/21).

Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein

Das LAG Schleswig-Holstein hob das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn auf und verurteilte das Unternehmen zu einer Entschädigung von drei Gehältern bzw. von 7.800,00 EUR.

Denn der Kläger war sehr wohl als ein „Bewerber“ gemäß § 6 Abs.1 AGG an das beklagte Unternehmen herangetreten. Ein Mindestmaß an Angaben zur Person des Bewerbers wird vom AGG nicht gefordert, so das LAG. Außerdem hatte der Kläger Angaben zu seiner Person gemacht und seine Qualifikation als Industriekaufmann angegeben. Er hatte auch - mehrfach und ausdrücklich - sein Interesse an der Stelle bekundet. Da das Unternehmen die Stelle unter eBay-Kleinanzeigen annonciert hatte, musste es damit rechnen, dass Bewerbungen über Ebay-Kleinanzeigen hereinkommen würden. 

Mit ausführlicher Begründung wies das LAG auch das Argument des beklagten Unternehmens zurück, dass sich der Kläger angeblich missbräuchlich unter Verstoß gegen § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beworben hatte, d.h. dass es ihm angeblich nur darum gegangen sein soll, die formale Stellung eines Bewerbers zu erlangen, um eine Geldentschädigung zu kassieren. 

Auch die mehrfache Nachfrage des Klägers, ob das Unternehmen tatsächlich nur eine Frau suche, belegte keine provozierenden Absichten, wie das Unternehmen gemeint hatte. Vielmehr lässt sich diese Nachfrage auch so erklären, dass der Kläger „schlichtweg erstaunt über die deutlich diskriminierende Stellenausschreibung war“ (LAG, Urteil, Rn.65).

Bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigung auf drei Gehälter berücksichtigte das LAG zulasten des beklagten Unternehmens, dass es den Kläger durch die mehrfache und ausdrückliche Bestätigung der Suche nach einer Frau in besonders intensiver Weise diskriminiert hatte (LAG, Urteil, Rn.78).

Praxishinweis

Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein ist korrekt und konnte kaum anders ausfallen, auch in Bezug auf die Höhe der ausgeurteilten Entschädigung. 

15 Jahre nach Inkrafttreten des AGG im August 2006 kann man auch von kleinen Unternehmen erwarten, dass sie offenkundig diskriminierende Ausschreibungstexte unterlassen.

Bemerkenswert ist an dem Fall, dass das Arbeitsgericht Elmshorn die Klage abgewiesen hat. Angesichts der klaren Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist dies eine kaum verständliche Entscheidung.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, 2 Sa 21/22

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