Update Arbeitsrecht 03|2023 vom 08.02.2023
Entscheidungsbesprechungen
BAG klärt Verjährung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.01.2023, 9 AZR 456/20
Ansprüche auf Urlaubsabgeltung verjähren in drei Jahren nach dem Schluss des Kalenderjahres, in dem Arbeitsverhältnis endet, auch wenn der Arbeitgeber seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten zuvor nicht erfüllt hatte.
Art.7 Richtlinie 2003/88/EG; Art.31 Abs.2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC); § 7 Abs.3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG); §§ 194, 195, 199, 214 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Rechtlicher Hintergrund
Im Dezember des letzten Jahres hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entschieden, dass der Anspruch auf einen vierwöchigen Mindesturlaub zwar der Verjährung unterliegt, dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aber erst beginnt, nachdem der Arbeitgeber seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten erfüllt hat (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20; s. dazu Update Arbeitsrecht 01|2023).
Hintergrund dieser BAG-Entscheidung ist § 7 Abs.3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), wonach nicht genommener Urlaub am Jahresende verfällt. Auf diese Fristenregelung können sich Arbeitgeber nur berufen, wenn sie ihre Arbeitnehmer zuvor rechtzeitig darauf hingewiesen und zum Urlaub aufgefordert haben (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-684/16 [Shimizu]; BAG, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 541/15).
Ohne urlaubsrechtliche Hinweise des Arbeitgebers erhöht der ungenutzte (Mindest-)Urlaub den Urlaubsanspruch des Folgejahres (BAG, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 541/15, Rn.46). Dadurch können im Laufe der Jahre erhebliche Urlaubsansprüche auflaufen.
Die in solchen Fällen entstehenden Urlaubsansprüche aus vergangenen Jahren verjähren, so das BAG in seiner o.g. Entscheidung vom Dezember 2022, nur dann in drei Jahren nach Ablauf des Urlaubsjahres gemäß §§ 195, 199 Abs.1 BGB, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auf den drohenden Verfall am Jahresende hingewiesen und ihn zum Urlaub aufgefordert hat (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20).
Da diese Entscheidung nur den Anspruch auf den Urlaub selbst betrifft, d.h. den Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Erholung, kann sie nicht ohne Weiteres auf den Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs.4 BUrlG übertragen werden. Nach dieser Vorschrift ist nicht genommener Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Der Abgeltungsanspruch entsteht immer (erst) mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Vor kurzem hat das BAG die Frage geklärt, ob möglicherweise auch der Abgeltungsanspruch nur unter erschwerten Voraussetzungen verjährt, d.h. nur dann, wenn der Arbeitgeber seine urlaubsrechtlichen Warn- und Aufforderungspflichten erfüllt hat: BAG, Urteil vom 31.01.2023, 9 AZR 456/20 (Pressemeldung des Gerichts).
Sachverhalt
Ein angestellter Ausbildungsleiter einer Flugschule hatte von Juni 2010 bis Oktober 2015 keinen Urlaub erhalten. Vertraglich vereinbart waren 30 Urlaubstage pro Jahr. Auf den drohenden Verfall des Urlaubs am Jahresende hatte der Inhaber der Flugschule in diesen Jahren nicht hingewiesen.
Am 19.10.2015 vereinbarten die Parteien, dass der Ausbildungsleiter künftig als selbstständiger Dienstnehmer für die Flugschule tätig werden sollte.
Im August 2019 verklagte er die Flugschule auf Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung im Oktober 2019. Die Flugschule berief sich auf Verjährung.
Nach den Buchstaben der gesetzlichen Verjährungsvorschriften war der Abgeltungsanspruch tatsächlich bereits verjährt. Denn er war mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Oktober 2015 entstanden. Und die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginnt am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Anspruchsgegners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs.1 BGB).
Das Arbeitsgericht Hannover (Urteil vom 11.03.2020, 9 Ca 188/19) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen wiesen die Klage ab (LAG Niedersachsen, Urteil vom 20.08.2020 5 Sa 614/20).
Entscheidung des BAG
Das BAG hob das LAG-Urteil auf und gab dem Kläger überwiegend recht. Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG:
Bei verfassungs- und europarechtskonformer Anwendung der Verjährungsregelungen kann die Verjährungsfrist nicht beginnen, solange eine Klageerhebung dem möglichen Kläger aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.
Diesen Grundsatz hielt das BAG dem Kläger für die Abgeltungsansprüche der Jahre 2010 bis 2014 zugute.
Denn nach der damaligen BAG-Rechtsprechung gingen die Urlaubsansprüche mit Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres (oder des Übertragungszeitraums im Folgejahr) unter, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hatte oder nicht.
Erst aufgrund des anderslautenden Grundsatzurteils des EuGHs vom 06.11.2018 (C-684/16 [Shimizu]) bestand Anlass für den Kläger, auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2010 bis 2014 zu klagen.
Dagegen hatte der Kläger keinen Erfolg in Bezug auf die Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015.
Denn schon auf Grundlage der damaligen BAG-Rechtsprechung musste er erkennen, dass die Flugschule den Urlaub aus dem Jahr 2015, in dem das Arbeitsverhältnis endete, abgelten musste.
Daher musste er sich in Bezug auf die Urlaubsabgeltung für 2015 die dreijährige Verjährungsfrist entgegenhalten lassen. Sie begann Ende 2015 und endete am 31.12.2018. Demnach war der Abgeltungsanspruch für 2015 bei Erhebung der Klage im Jahr 2019 bereits verjährt.
Darüber hinaus, d.h. abgesehen von den für Alt-Fälle geltenden Übergangsregeln zum Thema Verjährung, stellt das BAG folgendes klar:
Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs.4 BUrlG unterliegt der regelmäßigen dreijährigen Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet.
Ob der Arbeitgeber bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses seine Mitwirkungspflichten erfüllt hat oder nicht, ist für die Verjährung der Urlausabgeltung ohne Bedeutung, so das BAG.
Denn die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist - im Unterschied zum Urlaubsanspruch - nicht auf bezahlte Freistellung von der Arbeit zu Erholungszwecken gerichtet, sondern auf eine finanzielle Kompensation beschränkt.
Die schwächere Stellung des Arbeitnehmers, die nach Ansicht des BAG für die EuGH-Rechtsprechung zu den Hinweispflichten des EuGH maßgeblich ist, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Praxishinweis
Warnen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer nicht vor dem drohenden Urlaubsverfall am Jahresende und fordern sie nicht zum Urlaub auf, kann der nicht genommene vierwöchige Mindesturlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis weder gemäß § 7 Abs.3 BUrlG verfallen noch gemäß §§ 195, 199 Abs.1 BGB verjähren. Er ist daher bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Ab diesem Zeitpunkt kommt es aber nicht mehr darauf an, ob der Arbeitgeber zuvor, d.h. während des Arbeitsverhältnisses, seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungspflichten erfüllt hatte oder nicht.
Der Abgeltungsanspruch verjährt in jedem Fall in drei Jahren, gerechnet ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.
Längere Verjährungsfristen gelten vorübergehend für Alt-Fälle, d.h. für Abgeltungsansprüche, die vor dem EuGH-Urteil vom 06.11.2018 (C-684/16 [Shimizu]) entstanden sind.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.01.2023, 9 AZR 456/20 (Pressemeldung des Gerichts)
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20 (Pressemitteilung des Gerichts)
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 22.09.2022, C-120/21
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 29.09.2020, 9 AZR 266/20 (A)
Handbuch Arbeitsrecht: Ausschlussfrist
Handbuch Arbeitsrecht: Urlaub, Urlaubsanspruch
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |