Update Arbeitsrecht 25|2023 vom 13.12.2023
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Arbeitgeber können Diensteinteilungen per SMS ist auch an arbeitsfreien Tagen verschicken
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22
Arbeitgeber können Arbeitnehmern den Arbeitsbeginn am nächsten Arbeitstag auch währen der Freizeit per SMS mitteilen. Die Kenntnisnahme solcher Weisungen ist zumutbar und stellt keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne dar.
§ 106 Gewerbeordnung (GewO); § 12 Abs.3 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG); §§ 130 Abs.1 Satz 1; 315; 242; 611a; 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.2 Nr.1 Richtlinie 2003/88/EG; § 2 Abs.1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
Rechtlicher Hintergrund
Arbeitnehmer sind gemäß § 611a Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verpflichtet, im Dienst des Arbeitgebers weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu verrichten. Das Weisungsrecht kann u.a. die Zeit der Arbeitsleistung betreffen, wie sich aus § 611a Abs.1 Satz 2 BGB und aus § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) ergibt.
Fraglich ist, ob Arbeitnehmer auch verpflichtet sind, während ihrer Freizeit Vorgaben des Arbeitgebers in Bezug auf die Lage der Arbeitszeit bzw. den Dienst-oder Schichtbeginn zur Kenntnis zu nehmen.
Hier liegt es im Zeitalter der Home-Office-Arbeit nahe, auch kurzzeitige dienstliche Vorgänge wie die Kenntnisnahme einer E-Mail oder einer SMS als „Arbeit“ im arbeitsvertraglichen (vergütungsrechtlichen) und auch im arbeitszeitrechtlichen Sinne zu verstehen.
In diesem Sinne hatte vor gut einem Jahr das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden.
Dieser Ansicht nach sind Arbeitnehmer nicht verpflichtet, in ihrer Freizeit Weisungen des Arbeitgebers in Bezug auf den Dienstbeginn am nächsten Arbeitstag zur Kenntnis zu nehmen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022, 1 Sa 39 öD-22, s. dazu Update Arbeitsrecht 24|2022). In ihrer Freizeit haben Arbeitnehmer ein „Recht auf Unerreichbarkeit“, so jedenfalls das LAG Schleswig-Holstein (Urteil, Rn.64).
Die Gegenposition lautet, dass Arbeitgeber bei bestimmten Gestaltungen der Dienstpläne bzw. der Arbeitsschichten nicht dazu in der Lage sind, per Weisung den Dienstbeginn festzulegen, wenn sie solche arbeitszeitbezogenen Weisungen dem Arbeitnehmer nicht auch in dessen Freizeit mitteilen können.
Dieser Ansicht zufolge ist die Kenntnisnahme des Dienstbeginns am nächsten Arbeitstag noch keine Arbeitsleistung, sondern eine bloße Vorbereitungshandlung, die die ordnungsgemäße Erbringung der Arbeitsleistung absichern soll.
In einer vor kurzem veröffentlichten Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) dieser Meinung angeschlossen und daher das o.g. Urteil des LAG Schleswig Holstein aufgehoben.
Sachverhalt
Im Streitfall hatte ein Notfallsanitäter gegen seinen Arbeitgeber, den Betreiber eines Rettungsdienstes, auf Entfernung einer Abmahnung und auf Gutschrift von Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto geklagt.
Denn der Sanitäter war an jeweils einem Tag im April und im September 2021 nicht frühzeitig genug zu einem Springerdienst erschienen, dessen Beginn der Arbeitgeber dem Sanitäter am Vortag während seiner Freizeit per SMS mitgeteilt hatte.
Dazu war in einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit geregelt, dass für einzelne Arbeitnehmer kurzfristig angeordnete Sonderschichten („Springerdienste“) bis um 20:00 Uhr des Vortags in Bezug auf die zeitliche Lage des Dienstes „weiter konkretisiert werden“ konnten. Gab es keine derartigen Arbeitsanweisungen, hatte sich der Arbeitnehmer „zu Dienstbeginn am vom Arbeitgeber zugewiesenen Dienstort“ einzufinden.
Der Arbeitgeber teilte den Sanitäter im April und September 2021 zu einem auf einen freien Tag folgenden Springerdienst ein. Die Einteilung zum Springerdienst an diesen Tagen war dem Sanitäter zwar bereits einige Tage zuvor bekannt, nicht aber der konkrete Arbeitsbeginn.
Den Arbeitsbeginn (um jeweils 06:00 Uhr) teilte der Arbeitgeber dem Sanitäter erst am Vortag mit, d.h. während seines arbeitsfreien Tages. Dazu versuchte er, den Sanitäter telefonisch zu informieren.
Der Sanitäter war aber telefonisch nicht erreichbar. Auch eine an ihn gerichtete SMS, mit der er über den Beginn des Springerdienstes am Folgetag informiert wurde, nahm er nicht zur Kenntnis.
Infolgedessen erschien er an den beiden Springerdienst-Tagen erst um 07:30 Uhr bei der Arbeit. Der Arbeitgeber hatte die Schicht inzwischen anders besetzt und zog dem Sanitäter die Arbeitsstunden dieser Schichten von seinem Arbeitskonto ab. Wegen der zweiten versäumten Schicht im September 2021 erteilte er eine Abmahnung.
Die Klage des Sanitäters auf Entfernung der Abmahnung und Gutschrift der beiden Schichten auf dem Arbeitszeitkonto hatte vor dem Arbeitsgericht Elmshorn keinen Erfolg (Urteil vom 27.01.2022, 5 Ca 1023 a/21). Dagegen meinte das LAG Schleswig-Holstein als Berufungsinstanz, dass der Fehler beim Arbeitgeber und nicht beim Sanitäter lag (Urteil vom 27.09.2022, 1 Sa 39 öD-22, s. dazu Update Arbeitsrecht 24|2022).
Entscheidung des BAG
Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und wies die Klage des Sanitäters ab. Zur Begründung heißt es:
Der Kläger konnte keine Korrektur des Arbeitszeitkontos wegen der beiden streitigen Tage im April und September 2021 verlangen, da kein Annahmeverzug des Arbeitgebers im Sinne von § 615 Satz 1 BGB vorlag. Denn der Sanitäter hatte seine geschuldete Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß, d.h. tatsächlich - wie angewiesen - um 06:00 Uhr angeboten (§ 294 BGB).
Das hätte er aber tun müssen. Denn die Weisung des Arbeitgebers, an diesen beiden Tagen bereits um 06:00 Uhr bei der Arbeit zu erscheinen, war für den Sanitäter verbindlich. Er war verpflichtet, diese Weisungen zur Kenntnis zu nehmen. Dass er das faktisch nicht getan hatte, ging zu seinen Lasten.
Die Kenntnisnahme der Anweisungen war keine Arbeitsleistung, sondern „eine mit der Arbeitspflicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Nebenleistungspflicht“, so das BAG. Die Pflicht zur Kenntnisnahme am Vortag folgte im Streitfall aus den Regelungen der Betriebsvereinbarung. Dieser Pflicht hatte er auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit nachzukommen.
Denn nach § 241 Abs.2 BGB sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dazu gehören im Arbeitsverhältnis „leistungssichernden Maßnahmen“ wie z.B. im Streitfall die Pflicht, die Mitteilung des Schichtbeginns am Folgetag bereits am Vortag während der Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.
Dazu musste der Sanitäter auch nicht ununterbrochen erreichbar sein. Es blieb ihm überlassen, wann und wo er die SMS-Mitteilung des Dienstbeginns zur Kenntnis nehmen wollte. Er musste nicht den gesamten Tag auf sein Handy schauen und sich dienstbereit halten. Es war ausreichend, einmal nach 20:00 Uhr kurz die SMS-Nachricht zu lesen. Dies hätte der Sanitäter sogar noch am Morgen des Dienstvertrages machen können.
Eine solche leistungssichernde Nebenpflicht steht nicht im Widerspruch zu den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) und der Richtlinie 2003/88/EG. Die bloße Kenntnisnahme der Weisung zum Dienstbeginn am nächsten Tag ist keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne, so das BAG.
Praxishinweis
Es gibt kein absolutes „Recht auf Unerreichbarkeit“ während der Freizeit. Die bloße Mitteilung des Arbeitgebers, zu welcher Uhrzeit der Arbeitnehmer am nächsten Arbeitstag seine Arbeit aufnehmen muss, ist vielmehr als leistungssichernde Maßnahme vom Arbeitnehmer zur Kenntnis zu nehmen.
Mit dieser Entscheidung hat das BAG Arbeitgebern aber keinen Freibrief gegeben, beliebig viele arbeitsvorbereitende Tätigkeiten in die Freizeit des Arbeitnehmers zu verlagern. Vielmehr hat das BAG nur für den Fall der Anweisung des Arbeitsbeginns am nächsten Arbeitstag festgestellt, dass die Entgegennahme einer solchen Weisung noch keine Arbeitsleistung darstellt.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022, 1 Sa 39 öD-22
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