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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 13|2023

Update Arbeitsrecht 13|2023 vom 28.06.2023

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Erstattung von Vermittlungsprovisionen eines Personaldienstleisters durch den Arbeitnehmer?

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2023, 1 AZR 265/22

Eine formularvertragliche Klausel, der zufolge der Arbeitnehmer im Falle einer Eigenkündigung verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine Personalvermittlungsprovision zu erstatten, ist unwirksam.

§§ 242; 307 Abs.1; 622 Abs.3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.12 Abs.1 Grundgesetz (GG)

Rechtlicher Hintergrund

Übernimmt der Arbeitgeber Kosten, die im Allgemeinen dem Arbeitnehmer zur Last fallen würden, hat er ein berechtigtes Interesse daran, dass sich diese Kosten durch eine bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses bezahlt machen. 

Dieses Interesse können Arbeitgeber arbeitsvertraglich durch Rückzahlungsklauseln absichern. Sie verpflichten den Arbeitnehmer zur Kostenerstattung, falls er das Arbeitsverhältnis innerhalb einer vertraglich festgelegten Frist vorzeitig kündigt, ohne dafür rechtlich anerkennenswerte Gründe zu haben.

Vom Arbeitgeber getragene Aufwendungen, die mit solchen Rückzahlungsklausel abgesichert werden können, sind z.B. Kosten für eine betriebsexterne Fortbildung des Arbeitnehmers oder Umzugskosten, die erforderlich sind, damit das Arbeitsverhältnis überhaupt an einem bestimmten Ort vollzogen werden kann. 

Da Rückzahlungsklauseln praktisch immer einseitig vom Arbeitgeber ausgearbeitet und dem Arbeitnehmer zur Annahme gestellt werden, sind sie Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und müssen daher die gesetzlichen Anforderungen des AGB-Rechts erfüllen, die sich aus den §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergeben.

Fraglich ist, ob Rückzahlungsvereinbarungen auch Provisionen erfassen können, die der Arbeitgeber einem Personaldienstleister für die Vermittlung des Arbeitnehmers gezahlt hat.

Solche Provisionen sind aufgrund des Fachkräftemangels weit verbreitet. Sie können je nachdem, welche beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen ein Arbeitnehmer hat, ein bis zwei Monatsgehälter oder (deutlich) mehr als ein halbes Jahresgehalt betragen.

Gegen die Zulässigkeit solcher Rückzahlungsklauseln spricht, dass sie die Kündigungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers einschränken und ihn dadurch rechtlich belasten, ohne dass er davon einen Vorteil hat, wie dies bei der Übernahme von Fortbildungs- oder Umzugskosten durch den Arbeitgeber der Fall ist.

In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass zeitlich befristete Kündigungseinschränkungen in Verbindung mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers, bei vorzeitiger Kündigung arbeitgeberseitig gezahlte Vermittlungsprovisionen zu erstatten, unwirksam sind: BAG, Urteil vom 20.06.2023, 1 AZR 265/22 (Pressemitteilung des Gerichts).

Sachverhalt

Gemäß einem Ende März 2021 vereinbarten Arbeitsvertrag verpflichtete sich ein Servicetechniker dazu, ab Anfang Mai 2021 für seine Arbeitgeberin im Außendienst tätig zu sein.

Der Arbeitsvertrag kam auf Vermittlung eines Personaldienstleisters zustande, dem die Arbeitgeberin dafür eine Vermittlungsprovision von 4.461,60 EUR zahlte. Weitere 2.230,80 EUR sollten nach Ablauf der arbeitsvertraglich vereinbarten sechsmonatigen Probezeit fällig werden. 

Während der Probezeit betrug die Kündigungsfrist für beide Parteien gemäß § 622 Abs.3 BGB zwei Wochen.
In § 13 des von der Arbeitgeberin einseitig ausgearbeiteten und dem Servicetechniker zur Annahme gestellten Arbeitsvertrags fand sich folgende Klausel:

„Die Arbeitgeberin leistet zur Vermittlung des/der Arbeitnehmers/in eine Vermittlungsprovision in Höhe von insgesamt € 6.695,40 an eine Drittfirma (C.-Co.) - aufgeteilt zu zwei Dritteln nach Abschluss des Arbeitsvertrages (€ 4.461,60) und zu einem Drittel nach Ablauf der Probezeit (€ 2.230,80). Bei dieser Zahlung handelt es sich um einen Vertrauensvorschuss der Arbeitgeberin auf die zu erwartende Betriebstreue des/der Arbeitnehmers/in.

Der/die Arbeitnehmer/in verpflichtet sich, der Arbeitgeberin die tatsächlich angefallenen Beträge zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über den 30.06.2022 hinaus fortbesteht und aus vom Arbeitnehmer/von der Arbeitnehmerin zu vertretenden Gründen vom Arbeitnehmer/von der Arbeitnehmerin selbst, der Arbeitgeberin oder im gegenseitigen Einvernehmen beendet wird.

Die Arbeitgeberin verpflichtet sich ihrerseits, die Zahlung der Vermittlungsprovision in diesem Fall nachzuweisen. Dem/der Arbeitnehmer/in ist seinerseits/ihrerseits der Nachweis gestattet, dass die entsprechenden Aufwendungen nicht oder nicht in der hier angegebenen Höhe bei der Arbeitgeberin entstanden sind.“

Nachdem der Arbeitnehmer fristgerecht zum 30.06.2021 gekündigt hatte, behielt die Arbeitgeberin unter Verweis auf diese Vereinbarung 809,21 EUR netto von dem Gehalt für Juni 2021 ein. Diesen Einbehalt klagte der Arbeitnehmer daraufhin ein. Die Arbeitgeberin verlangte ihrerseits im Wege der Widerklage Erstattung der restlichen Vermittlungsprovision von 3.652,39 EUR. 

Das Arbeitsgericht Lübeck (Urteil vom 08.12.2021, 4 Ca 1331/21) und das für die Berufung zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein gaben der Klage des Arbeitnehmers statt und wiesen die Widerklage der Arbeitgeberin ab (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12. Mai 2022, 4 Sa 3/22).

Entscheidung des BAG

Das BAG wies die Revision der Arbeitgeberin zurück, die damit den Prozess in allen drei Instanzen verloren hatte. In der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG heißt es zur Begründung:

Die Vertragsbindungs- und Rückzahlungsklausel in § 13 des Arbeitsvertrags war zwar nur zur einmaligen Verwendung bestimmt, doch genügte das gemäß § 310 Abs.3 Nr.2 BGB, um die Klausel rechtlich am Maßstab des § 307 Abs.1 Satz 1 BGB zu überprüfen. Und nach § 307 Abs.1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des AGB-Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.

Das war hier der Fall, so das BAG. Denn der Servicetechniker wurde durch die streitige Klausel in seinem von Art.12 Abs.1 Satz 1 Grundgesetz (GG) garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Arbeitgeberin gerechtfertigt wäre. 

Denn im Allgemeinen hat der Arbeitgeber das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht lohnen, weil der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. 

Im Streitfall hatte die Arbeitgeberin daher kein rechtlich anzuerkennendes („billigenswertes“) Interesse, die von ihr aufgewendeten Vermittlungskosten auf den Kläger zu übertragen. Er erhielt durch die Vermittlungsprovisionen auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes ausgleichen könnte.

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. Eine formularvertragliche Klausel, die den Arbeitnehmer im Falle einer Eigenkündigung verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Personalvermittlungsprovision zu erstatten, stellt eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 Abs.1 Satz 1 BGB dar und ist daher unwirksam.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2023, 1 AZR 265/22 (Pressemitteilung des Gerichts)

 

Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Handbuch Arbeitsrecht: Rückzahlungsklausel

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