Update Arbeitsrecht 20|2020 vom 30.09.2020
Leitsatzreport
LAG Schleswig-Holstein: Abmahnungen sind auch in den ersten Tagen eines Arbeitsverhältnisses nötig
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.06.2020, 1 Sa 72/20
§§ 622 Abs.3, 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsätze des Gerichts:
1. Fehlt ein Arbeitnehmer an einem einzigen Tag seines Arbeitsverhältnisses unentschuldigt, rechtfertigt das in der Regel nicht die fristlose Kündigung. Auch in diesem Fall sind eine Arbeitsaufforderung und eine Abmahnung in der Regel erforderlich. Das gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst zwei Tage bestanden hat.
2. Die Parteien des Arbeitsvertrags können die gesetzliche Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit (§ 622 Abs.3 BGB) nicht auf eine Woche abkürzen. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien gemäß § 622 Abs.4 BGB zu einer Abänderung befugt sind, verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz.
3. Weist ein Sozialleistungsträger den Arbeitgeber darauf hin, dass er an einen (ehemaligen) Arbeitnehmer Leistungen gewährt und deswegen ein Anspruchsübergang nach § 116 SGB X in Betracht kommt, begründet dies kein Feststellungsinteresse für eine Drittwiderklage des Arbeitgebers gegen den Sozialleistungsträger.
Hintergrund:
Eine Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte (ReNo) wurde zum 01.08.2019 von einem Anwalt eingestellt. Die ersten sechs Monate sollten gemäß arbeitsvertraglicher Vereinbarung als Probezeit gelten. Dadurch wird die normalerweise vierwöchige Kündigungsfrist (§ 622 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) kraft Gesetzes auf zwei Wochen verkürzt (§ 622 Abs.3 BGB). Abweichend von der gesetzlichen zweiwöchigen Probezeitkündigungsfrist war im Arbeitsvertrag vereinbart, dass während der Probezeit eine Kündigungsfrist von nur einer Woche gelten sollte. Nachdem die ReNo am 01. und 02.08.2019 (Donnerstag und Freitag) gearbeitet hatte, kam sie am 05. und 06.08.2019 (Montag und Dienstag) vereinbarungsgemäß nicht, da ihr Sohn in der Kindertagesstätte eingewöhnt wurde. Mit Schreiben vom 05.08.2019 (Montag), das der ReNo am folgenden Dienstag zuging, kündigte der Anwalt „ordentlich“, d.h. mit der vertraglich vereinbarten einwöchigen Frist, zum nächsten Montag (12.08.2019). Am 07.08.2020 (Mittwoch) fehlte die ReNo unentschuldigt, für die nächsten beiden Tage reichte sie eine Krankschreibung ein. Als Reaktion auf das eintägige unentschuldigte Fehlen am Mittwoch sprach der Anwalt eine fristlose Kündigung aus, die der ReNo am 09.08.2019 (Freitag) zuging. Die ReNo verklagte den Anwalt auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis erst mit der gesetzlichen Probezeitkündigungsfrist von zwei Wochen beendet wurde, d.h. zum 20.08.2020 (Dienstag). Damit hatte sie vor dem Arbeitsgericht Elmshorn Erfolg (Urteil vom 21.01.2020, 3 Ca 1180 d/19). Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hielt die fristlose Kündigung für unwirksam, da eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht hätte. Ein unentschuldigtes Fehlen für nur einen einzigen Tag ist kein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB für eine fristlose Kündigung, so das LAG. Das gilt auch in den ersten Tagen des Arbeitsverhältnisses. Schließlich war die arbeitsvertragliche Verkürzung der gesetzlichen Zweiwochenfrist für eine Probezeitkündigung unwirksam, da die in § 622 Abs.3 BGB geregelte Frist nicht vertraglich abbedungen werden kann.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.06.2020, 1 Sa 72/20
Handbuch Arbeitsrecht: Abmahnung
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