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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 02|2023

Update Arbeitsrecht 02|2023 vom 25.01.2023

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Steuervereinbarungen zulasten des Arbeitnehmers bei Auslandsensendung sind zulässig

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2023, 5 AZR 108/22

Vom Arbeitgeber vorformulierte Arbeitsvertragsklauseln können vorsehen, dass ein ins Ausland entsandter Arbeitnehmer den Nettolohn bekommt, den er bei hypothetischer Weitergeltung des deutschen Steuerrechts erhalten würde.

§§ 305c Abs.1; 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); §§ 3, 4 Tarifvertragsgesetz (TVG)

Rechtlicher Hintergrund

Wer länger als sechs Monate bzw. 183 Kalendertage von seinem Arbeitgeber zur Arbeitsleistung ins Ausland entsandt wird, muss nicht in Deutschland, dafür aber in aller Regel im Gastland Steuern zahlen.

Demgegenüber bleibt die Sozialversicherungspflicht in Deutschland bei einer vorübergehenden Auslandsentsendung länger bestehen, bei einer Entsendung in ein anderes EU-Land bis zu zwei Jahren.

Grundlage der Entsendung ist meist ein Entsendungsvertrag, der als Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag regelt, wie lange der Auslandseinsatz dauern soll und welche finanziellen Leistungen der Arbeitgeber erbringen muss, angefangen von Reise-, Umzugs- und Wohnkosten bis hin zu Clubgebühren und Zuschüssen für Kindergärten und Schulen. Auch steuerliche Fragen werden in Entsendungsverträgen geregelt.

Steuerliche Vereinbarungen werden dabei oft auf der Grundlage des sog. Hypotax-Verfahrens getroffen. Mit „Hypotax“ ist die „hypothetical tax“ bzw. die hypothetische Steuer gemeint, die der Arbeitnehmer bezogen auf sein Bruttogehalt zahlen müsste, wenn er nicht im Ausland, sondern weiter in Deutschland arbeiten und Steuern zahlen würde.

Zahlt der Arbeitgeber die ausländische Steuer, auch wenn sie die hypothetische deutsche Steuer übersteigt, und gleicht er zusätzlich den Vorteil an den Arbeitnehmer aus, der sich aus einer geringeren ausländischen Steuer im Vergleich zur hypothetischen deutschen Steuer ergibt, hat der Arbeitnehmer durch eine solche „tax protection“ die größtmögliche Sicherheit vor steuerlichen Nachteilen.

Weniger günstig sind aus Arbeitnehmersicht Vereinbarungen auf der Grundlage von Hypotax-Berechnungen, wenn das Unternehmen den Arbeitnehmer zwar vor Steuernachteilen durch die ausländische Steuerlast schützt, indem es diese in jedem Fall vollständig bezahlt, wenn dafür aber bei geringeren ausländischen Steuern der Steuervorteil beim Unternehmen verbleibt („tax equalization“). 

Dadurch wird dem Arbeitnehmer im Ergebnis sein steuerliches Nettogehalt auf der Grundlage der deutschen hypothetischen Steuerlast garantiert. Entsendungsvertragliche Vereinbarungen zur „tax equalization“ sind daher Nettolohnvereinbarungen.

Vor kurzem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass arbeitsvertragliche Hypotax-Vereinbarungen in Form der „tax equalization“ zulässig sind, auch wenn sie sich finanziell zulasten des entsandten Arbeitnehmers auswirken.

Sachverhalt

Ein Ausstattungselektriker, der seit 2002 bei einem tarifgebundenen metallverarbeitenden Industrieunternehmen in Hamburg arbeitete, wurde aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme nach den für Hamburg und Umgebung geltenden Tarifverträgen der Metall-und Elektroindustrie vergütet.

Ab Februar 2018 war er Mitglied der IG Metall, so dass die Lohnregelungen der arbeitsvertraglich vereinbarten Metalltarifverträge seitdem auch aufgrund beiderseitiger Tarifbindung galten, d.h. gemäß § 4 Abs.1 in Verb. mit § 3 Abs.1 Tarifvertragsgesetz (TVG).

Eine in dem Unternehmen des Arbeitgebers angewandte „Konzernbetriebsvereinbarung über Auslandsentsendungen“ (KBV) hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) München 2019 hinsichtlich der in ihr enthaltenen Regelungen zum Hypotax-Verfahren rechtskräftig für unwirksam erklärt (LAG München, Beschluss vom 25.09.2019, 4 TaBV 52/18).

Von April 2017 bis März 2019 arbeitete der Elektriker auf der Grundlage eines Entsendungsvertrages am Standort der Beklagten in Toulouse. In dem Entsendungsvertrag, dessen Klauseln einseitig vom Unternehmen vorformuliert worden und daher als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) anzusehen waren, hieß es u.a.:

„Zur Erfüllung der Steuerpflicht des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin im Gastland wird für die Dauer der Entsendung das >Tax Equalization< genannte Prinzip eines Steuerausgleiches (KBV über Auslandsentsendungen Anhang B Entsendungsbedingungen) angewandt. Hierzu wird über den Weg einer hypothetischen Besteuerung das deutsche Steuerniveau beibehalten. Die tatsächlichen Steuern im Gastland trägt das Unternehmen.“

Auf der Grundlage dieser Vereinbarung übernahm der Arbeitgeber die in Frankreich angefallenen, im Vergleich zur deutschen Steuerlast geringeren Steuern und zog vom Gehalt des Elektrikers die hypothetischen - nicht abzuführenden - deutschen Lohnsteuern ab.

Der Elektriker hielt das für rechtswidrig und klagte auf 17.302,11 EUR, die aufgrund der vereinbarten „Tax Equalization“ beim Unternehmen verblieben waren. 

Das Arbeitsgericht Hamburg gab der Klage überwiegend statt und wies sie nur für die Zeit von April bis Juni 2017 wegen Nichteinhaltung der tariflichen Ausschlussfrist ab (Urteil vom 27.04.2021, 24 Ca 28/21). Das LAG Hamburg wies die beiderseits eingelegten Berufungen zurück (LAG Hamburg, Urteil vom 10.11.2021, 9 Sa 39/21).

Entscheidung des BAG

Die Revision des Arbeitgebers hatte teilweise Erfolg. 

Bis zum Eintritt der beiderseitigen Tarifbindung ab Februar 2018 galt die arbeitsvertraglich vereinbarte Regelung zur „Tax Equalization“, so das BAG. Ab Februar 2018 bestand allerdings ein Anspruch des Klägers auf den in den Entgelttarifverträgen vorgesehenen Bruttolohn, den das Unternehmen nicht vollständig erfüllt hatte. 

Denn die im Entsendungsvertrag getroffenen Vereinbarungen über die „Tax Equalization“ waren trotz der Bezugnahme auf die (unwirksame) KBV gültig, denn die Parteien hatten damit eine rechtsbegründende („konstitutive“) Regelung getroffen, die unabhängig von der KBV gelten sollte (BAG, Urteil, Rn.34). Diese arbeitsvertragliche Regelung ging bis Ende Januar 2018 den tariflichen Regelungen zum Bruttolohnanspruch des Klägers vor.

Sie war auch keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), da sie bei mehrjährigen Entsendungsverträgen üblich ist.

Ob die Klausel zu einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers im Sinne von § 307 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 BGB führen könnte, war nicht gerichtlich zu überprüfen, da es sich um eine Vereinbarung handelte, die unmittelbar das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung betraf (BAG, Urteil, Rn.49).

Denn mit der Hypotax-Regelung hatten die Parteien die Bezahlung des Klägers für die Zeit seiner Entsendung neu geregelt. Solche Regelungen sind Nettolohnvereinbarungen besonderer Art (BAG, Urteil, Rn.50). Auf ihrer Grundlage soll der Arbeitnehmer die Nettovergütung erhalten, die er bei hypothetischer Geltung des deutschen Steuerrechts erhalten würde.

Die Steuerklausel bzw. Nettolohnvereinbarung verstieß auch nicht gegen das Transparenzgebot bzw. gegen § 307 Abs.1 Satz 2 BGB (BAG, Urteil, Rn.54-56).

Allerdings konnte der Arbeitgeber ab Februar 2018, d.h. ab Beginn der Mitgliedschaft des Klägers in der Gewerkschaft, den tariflich festgelegten Bruttolohn nicht (mehr) auf der Grundlage der hier auf arbeitsvertraglicher Grundlage getroffenen Steuervereinbarung unterschreiten.

Denn das Unternehmen hatte den Anspruch auf die tarifliche Bruttovergütung in Höhe der eingeklagten Nachzahlungsbeträge weder durch die bereits geleisteten Nettozahlungen noch durch die Abführung von Beiträgen und der in Frankreich angefallenen Lohnsteuer noch durch weitere Leistungen gemäß dem Entsendungsvertrag im Sinne von § 362 Abs.1 BGB erfüllt.

Der Einbehalt der - nur hypothetisch - in Deutschland abzuführenden Lohnsteuer führt nicht zur Erfüllung des tariflichen Bruttolohnanspruchs, da das Unternehmen diese Steuern gerade nicht an das deutsche Finanzamt abgeführt hatte (BAG, Urteil, Rn.59).

Praxishinweis

In Entsendungsverträgen enthaltene, vom Arbeitgeber als AGB vorformulierte Klauseln können vorsehen, dass ein ins Ausland entsandter Arbeitnehmer während der Auslandstätigkeit den Nettolohn bekommt, den er bei hypothetischer Weitergeltung des deutschen Steuerrechts erhalten würde. 

Dies gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer kraft beiderseitiger Tarifbindung einen tariflich festgelegten Bruttolohn beanspruchen kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2023, 5 AZR 108/22

Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 10.11.2021, 9 Sa 39/21

 

Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Handbuch Arbeitsrecht: Entsendung ins Ausland (Auslandsentsendung, Auslandstätigkeit)

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