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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 14|2020

Update Arbeitsrecht 14|2020 vom 08.07.2020

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Freie Mitarbeiter haben einen Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.06.2020, 8 AZR 145/19

Der Anspruch auf Auskunft über die Bezahlung vergleichbarer Beschäftigter des anderen Geschlechts gilt auch für arbeitnehmerähnliche Beschäftigte.

§§ 5, 11 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG); §§ 15, 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); Richtlinie 2006/54/EG vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit pp. (Richtlinie 2006/54/EG)

Rechtlicher Hintergrund

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten Auskunft über das Gehalt vergleichbarer Beschäftigter des anderen Geschlechts verlangen. Anspruchsgrundlage ist § 10 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG).

Die Auskunft soll den oder die Anfragende(n) in die Lage versetzen, bei Anhaltspunkten für eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung weitere rechtliche Schritte zu ergreifen. Diese könnten z.B. darin bestehen, eine Entschädigung wegen verbotener Diskriminierung gemäß § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu verlangen.

Hat der Arbeitgeber ein gesetzlich begründetes Auskunftsverlangen zu erfüllen, muss er den bzw. die Auskunftsberechtigte(n) über das Vergleichsentgelt, d.h. über die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung sowie über ein oder zwei weitere Vergütungsbestandteile informieren (§ 10 Abs.1 Satz 3 EntgTranspG), die Beschäftigte des anderen Geschlechts für eine gleiche oder gleichwertige Arbeit erhalten (§ 10 Abs.1 Satz 3 EntgTranspG).

Fraglich ist, ob auch freie Mitarbeiter zu den Personen gehören, die einen Auskunftsanspruch haben. Auf den ersten Blick ist das nicht der Fall, denn gemäß einer in § 5 Abs.1 EntgTranspG enthaltenen Aufzählung sind „Beschäftigte“ im Sinne des Gesetzes Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte, Richterinnen und Richter des Bundes, Soldatinnen und Soldaten, Auszubildende sowie Heimarbeiter und die ihnen Gleichgestellten.

In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass diese Auflistung von anspruchsberechtigten Personen zu eng gefasst ist, so dass auch freie Mitarbeiterinnen und freie Mitarbeiter unter diese Vorschrift und damit unter das EntgTranspG fallen (BAG, Urteil vom 25.06.2020, 8 AZ 145/19).

Sachverhalt

Eine seit 2007 beim ZDF freiberuflich tätige Journalistin war 2011 entfristet worden, d.h. sie war seitdem in einem unbefristeten Vertragsverhältnis tätig, und zwar als „Redakteurin mit besonderer Verantwortung“. Wie bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten üblich erhielt sie als unbefristet tätige freie Mitarbeiterin eine tarifliche Vergütung, die sich nach einem beim ZDF geltenden Tarifvertrag richtete.

Im August 2018 verlangte sie gemäß § 10 Abs.1 EntgTranspG vom Personalrat Auskunft über die Bezahlung vergleichbarer männlicher Redakteure. Der Personalrat antwortete nach Rücksprache mit dem Arbeitgeber, dass sie als freie Mitarbeiterin nicht unter das EntgTranspG falle und daher keinen Auskunftsanspruch habe. Daraufhin zog die Journalistin vor das Arbeitsgericht Berlin und verklagte das ZDF u.a. auf Auskunft nach dem EntgTranspG.

Das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 01.02.2017, 56 Ca 5356/15) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg als Berufungsgericht wiesen die Klage ab (Urteil vom 05.02.2019, 16 Sa 983/18). Beide Gerichte stützten sich darauf, dass die Klägerin ihre Arbeit in freier Mitarbeit verrichtete, d.h. sie war keine Arbeitnehmerin. Daher, so das Arbeitsgericht und das LAG, war sie auch keine „Beschäftigte“ im Sinne von § 5 EntgTranspG und konnte sich zur Begründung ihres Auskunftsanspruchs nicht auf das EntgTranspG berufen.

Entscheidung des BAG

Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und verwies den Fall zurück nach Berlin, damit das LAG den Fall erneut prüfen und entscheiden kann. Denn auch arbeitnehmerähnliche Personen können „Arbeitnehmer“ im Sinne von § 5 Abs.2 Nr.1 EntgeltTranspG sein, so das BAG in seiner derzeit allein vorliegenden Pressemeldung.

Die Begriffe des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin in § 5 Abs.2 Nr.1 EntgTranspG sind nämlich unionsrechtskonform, d.h. in Übereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen. Denn andernfalls würde das deutsche Arbeitsrecht die Richtlinie 2006/54/EG nicht ausreichend umsetzen, so das BAG.

Eine Umsetzung des europarechtlichen Prinzips der entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit würde andernfalls laut BAG im deutschen Recht fehlen. Eine solche Umsetzung wurde bislang weder durch das AGG noch durch andere Gesetze vorgenommen. Erst das EntgTranspG enthält nach Ansicht der Erfurter Richter Vorschriften, die die Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG zur Entgeltgleichheit umsetzen sollen.

Praxishinweis

Die praktische Bedeutung der BAG-Entscheidung ist begrenzt. Die Ausweitung des Umkreises anspruchsberechtigter Personen ändert nichts daran, dass der Auskunftsanspruch selbst wenig wert ist.

Weder das Europarecht noch das AGG noch der Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG ändern nämlich etwas daran, dass es aufgrund der Arbeitsvertragsfreiheit erlaubt ist, gleiche Arbeit ungleich zu bezahlen. Insbesondere können Ausbildung und Berufserfahrung sachliche Gründe dafür sein, gleiche Arbeit unterschiedlich zu bezahlen. Verboten sind Unterschiede bei der Vergütung gleicher Arbeit nur dann, wenn sie auf dem Geschlecht beruhen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.06.2020, 8 AZR 145/19

 

Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Geschlecht

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