Update Arbeitsrecht 16|2020 vom 05.08.2020
Entscheidungsbesprechungen
LAG Köln: Keine unbeschränkte nachvertragliche Pflicht zur Geheimhaltung
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 02.12.2019, 2 SaGa 20/19
Catch-all-Klauseln sind unwirksam, wenn sie zur lebenslangen Geheimhaltung aller „Angelegenheiten und Vorgänge“ des ehemaligen Arbeitgebers verpflichten.
§§ 307, 310 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); §§ 1, 2, 4, 6 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG); § 74 Abs.2 Handelsgesetzbuch (HGB)
Rechtlicher Hintergrund
Ein Geschäftsgeheimnis ist gemäß § 2 Nr.1 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) eine Information, die in den einschlägigen Kreisen weder allgemein bekannt noch ohne Weiteres zugänglich ist, die daher wirtschaftlich wertvoll ist, die durch ihren rechtmäßigen Inhaber in angemessenem Umfang geschützt bzw. geheim gehalten wird und bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.
Da gemäß § 1 Abs.3 N.4 GeschGehG die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis „unberührt“ bleiben sollen, und weil Geschäftsgeheimnisse gemäß § 4 Abs.1 Nr.1 GeschGehG vor „unbefugten“ Maßnahmen geschützt werden, dürfen Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses diejenigen betriebswirtschaftlichen und technischen Kenntnisse sowie diejenigen persönlichen und geschäftlichen Kontakte in ihrem weiteren Berufsleben nutzen, die sie in rechtmäßiger Weise erworben haben, d.h. durch ihre gewöhnliche (erlaubte) Arbeitstätigkeit bei ihrem (Ex-)Arbeitgeber.
Fraglich ist allerdings, wie weit an dieser Stelle arbeitsvertragliche Geheimhaltungsklauseln gehen können. Da solche Klauseln aus Arbeitgebersicht erst einmal „nichts kosten“, sind sehr weitgehende Klauseln beliebt. Sie sehen z.B. vor, dass Arbeitnehmer nicht nur während der Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern auch danach (zeitlich unbeschränkt) Stillschweigen über alle im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erlangten Informationen zu (sämtlichen) betrieblichen „Angelegenheiten und Vorgängen“ bewahren sollen.
Nimmt man solche Catch-all-Klauseln beim Wort, dürften ausgeschiedene Arbeitnehmer noch nicht einmal den Namen ehemaliger Kollegen preisgeben oder die ungefähre Art der Zusammenarbeit mit ihnen. In einem aktuellen Urteil hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden, dass solche Klauseln unwirksam sind, wenn sie ausgeschiedene Arbeitnehmer dazu verpflichten, alle Angelegenheiten und Vorgänge ihres ehemaligen Arbeitgebers ohne zeitliche Beschränkung geheim zu halten (LAG Köln, Urteil vom 02.12.2019, 2 SaGa 20/19).
Sachverhalt
Geklagt hatte ein Unternehmen, das Abfüllmaschinen für die Lebensmittelindustrie vertreibt sowie dazu gehörige Verbindungsstücke, sog. „Sleeves“ (Ärmel), die zusammen mit den Abfüllmaschinen zur Verpackung von flüssigen, keimfrei zu haltenden Lebensmitteln eingesetzt werden. Verklagt war ein ehemaliger Arbeitnehmer des Unternehmens, der nach seinem Ausscheiden die Seiten gewechselt hatte und jetzt für einen Kunden seines Ex-Arbeitgebers arbeitete, und zwar im Qualitätsmanagement.
Dort hatte er u.a. die Aufgabe, Reklamationen gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber durchzusetzen. Dazu nutzte er auch Daten seines Ex-Arbeitgebers, die dieser als Geschäftsgeheimnis bewertete, die aber dem neuen Arbeitgeber des beklagten Arbeitnehmers bekannt gemacht wurden, um die Qualitätsüberwachung durchführen zu können.
Das klagende Unternehmen hatte sich durch eine von ihm vorformulierte Vertragsklausel von seinem Ex-Arbeitnehmer die Geheimhaltung aller Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie aller sonstigen, im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangten Angelegenheiten und Vorgänge des Unternehmens versprechen lassen, und zwar zeitlich unbeschränkt bzw. über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus.
Unter Berufung darauf wollte das Unternehmen seinen Ex-Arbeitnehmer im gerichtlichen Eilverfahren verpflichten, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse des Unternehmens, die ihm im Rahmen des Arbeitsverhältnisses anvertraut oder zugänglich gemacht worden sind, unbefugt an Dritte mitzuteilen oder weiterzugeben. Darüber hinaus hatte das klagende Unternehmen einige konkrete Dokumente und technische Daten genannt, deren Geheimhaltung ihm besonders wichtig war.
Das Arbeitsgericht Aachen wies den Antrag des Unternehmens zurück (Urteil vom 09.05.2019, 8 Ga 9/19).
Entscheidung des LAG Köln
Auch das LAG Köln entschied gegen das klagende Unternehmen, und zwar aus folgenden Gründen:
Erstens war die vertragliche Geheimhaltungsklausel als Catch-all-Klausel unwirksam, denn sie benachteiligte den Arbeitnehmer in unangemessener Weise (§§ 307, 310 Abs.4 BGB). Ein so weitgehendes Geheimhaltungsgebot schränkt den ausgeschiedenen Arbeitnehmer erheblich in seiner weiteren Berufstätigkeit ein, und zwar ohne zeitliche Grenze und ohne eine finanzielle Gegenleistung, wie sie § 74 Abs.2 Handelsgesetzbuch (HGB) für nachvertragliche Wettbewerbsverbote vorschreibt (Urteil, Rn.21).
Zweitens konnte sich das Unternehmen auch nicht auf den gesetzlichen Unterlassungsanspruch gemäß § 6 GeschGehG berufen. Denn dazu hätte das Unternehmen nachweisen müssen, dass es die von ihm genannten konkreten Dokumente und technische Daten durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen schützt (Urteil, Rn.29). Hier verlangt das Gericht den Nachweis eines Geheimschutz-Managements, den das klagende Unternehmen nicht geführt hatte.
Drittens hatte das Unternehmen es unterlassen, zusammen mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Klage im Hauptsacheverfahren einzureichen. Da das Eilverfahren mittlerweile seit November 2018 anhängig war, hätte ein Hauptsacheverfahren seitdem in der ersten Instanz bereits entschieden werden können. Daher meinte das LAG, dass die Angelegenheit auch nicht (mehr) eilbedürftig war (Urteil, Rn.30).
Praxishinweis
Ob man als Arbeitgeber umfassende Geheimhaltungsklauseln in seine arbeitsvertraglichen allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) aufnehmen möchte oder nicht, ist eine Frage des Ermessens.
Juristisch sind solche Klauseln wertlos, wie die Entscheidung des LAG Köln zeigt.
Andererseits haben sie möglicherweise eine psychologische Wirkung auf ausscheidende Arbeitnehmer, die allerdings fragwürdig ist. Denn wenn sich ein Arbeitnehmer ernsthaft über seine Verpflichtung aus einer solchen Klausel Gedanken macht, wird er rasch herausfinden, dass sie unwirksam ist. Arbeitgeber, die auf Seriosität Wert legen, sollten das bedenken.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 02.12.2019, 2 SaGa 20/19
Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Arbeitsrecht aktuell: 19/102 Geschäftsgeheimnisgesetz und Arbeitsrecht
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