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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 21|2023

Update Arbeitsrecht 21|2023 vom 18.10.2023

Entscheidungsbesprechungen

LAG Hamm: Missbräuchliche Stellenbewerbung bei gezielter Nachfrage, ob ausschließlich Frauen gesucht würden

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.03.2023, 18 Sa 888/22

Eine wenig aussagekräftige Bewerbung ohne Unterlagen, das Interesse an Ausschreibungsfehlern, eine große Entfernung zum Arbeitsort und eine Vielzahl von ähnlichen Entschädigungsklagen können ein Anzeichen für Rechtsmissbrauch sein.

§§ 1; 2 Abs.1 Nr.1; 6 Abs.1 Satz 2; 7 Abs.1; 11; 15 Abs.1, 2, 4; 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 61b Abs.1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)

Rechtlicher Hintergrund

Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligungen im Berufsleben verboten, wenn sie auf bestimmten persönlichen Merkmalen der benachteiligten Person beruhen wie z.B. dem Geschlecht (§§ 1, 7 AGG). 

Auch Stellenbewerberinnen und Stellenbewerber sind geschützt, denn der Diskriminierungsschutz beginnt beim Zugang zur Erwerbstätigkeit (§§ 2 Abs.1 Nr.1; 6 Abs.1 Satz 2 AGG). 

Arbeitgeber müssen daher darauf achten, dass sie freie Stellen nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs.1 AGG ausschreiben, denn das ist gemäß § 11 AGG verboten. Unzulässig wäre daher eine Stellenanzeige, mit der nach einem „Geschäftsführer“ oder einer „Assistentin“ gesucht wird. 

Denn Ausschreibungen, die sich sprachlich nur an ein bestimmtes Geschlecht wenden, grenzen mögliche Bewerberinnen bzw. Bewerber des jeweils anderen Geschlechts aus. Richtig und heute üblich ist daher die Suche nach einem „Geschäftsführer (m/w/d)“ oder einem/r „Assistent/in“.

Bewirbt sich eine interessierte Person auf eine nicht geschlechtsneutral formulierte Stellenanzeige und bekommt die Stelle nicht, ist der Verstoß des Arbeitgebers gegen § 11 in Verb. mit § 7 AGG ein Indiz für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung im Sinne von § 22 AGG. Es ist daher zu vermuten, dass die Benachteiligung, d.h. die Ablehnung des Bewerbers, auf einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Geschlechts beruhte.

In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Ablehnung der Bewerbung mit dem „falschen“ Geschlecht des Bewerbers bzw. der Bewerberin nichts zu tun hatte, d.h. dass hier keine Diskriminierung vorlag. Ein solcher Beweis ist nur schwer zu führen.

In solchen Fällen bleibt Arbeitgebern, die auf Zahlung einer Diskriminierungsentschädigung gemäß § 15 Abs.1 und 2 AGG in Anspruch genommen werden, das Argument, dass die Forderung nach einer Entschädigung rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei, weil sich der Bewerber bzw. die Bewerberin nur zum Schein beworben habe mit dem Ziel, eine Entschädigung zu kassieren.

Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hatte diese Argumentation vor kurzem Erfolg (LAG Hamm, Urteil vom 23.03.2023, 18 Sa 888/22).

Sachverhalt

Ein 1994 geborener Student mit dem Abschlussziel Wirtschaftsjurist bewarb sich im Januar 2022 auf eine Stellenausschreibung bei eBay, mit der eine „Sekretärin“ gesucht wurde. Die Entfernung zwischen Wohnort und Betrieb betrug 172 km.

In seiner Bewerbung gab er an, dass er über eine abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann und über Berufserfahrung im Büro verfüge. Ausdrücklich fragte er nach, ob ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau, gesucht werde, da dies in der Stellenanzeige so angegeben war.

Das Unternehmen bestätigte, dass man ausschließlich eine Frau suchte. Weitere Unterlagen wie einen Lebenslauf übersandte der Bewerber nicht. Er wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Infolge eines Fahrradsturzes war der Bewerber seit Anfang Januar 2022 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Er bezog bis Mai 2022 Krankengeld und danach Arbeitslosengeld.

Im Februar 2022 forderte er das Unternehmen auf, eine Entschädigung von 7.800,00 EUR zu zahlen, da man ihn wegen des Geschlechts diskriminiert habe. Dem Aufforderungsschreiben war ein Vergleichsvorschlag beigefügt, der eine Entschädigung von 3.000,00 EUR vorsah. Das Unternehmen lehnte den Vergleich ab.

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen verurteilte das Unternehmen zu einer Geldentschädigung von 5.400,00 EUR (Urteil vom 03.08.2022, 2 Ca 547/22).

In der Berufung vor dem LAG Hamm stellte sich heraus, dass der Kläger innerhalb von 15 Monaten vor dem Arbeitsgericht Berlin elf Klagen auf Entschädigung wegen Diskriminierung durch Ausschreibungen von Stellen als „Sekretärin“ anhängig gemacht hatte, wie einem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin zu entnehmen war (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 23.06.2022, 42 Ca 716/22, Rn.56). 

Im Gütetermin eines Entschädigungsverfahrens, das vor einem anderen Gericht geführt wurde, hatte die dortige Kammervorsitzende mitgeteilt, dass zehn bis zwölf weitere AGG-Verfahren des Klägers gerichtsbekannt seien.

Auch das Urteil des LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 21.06.2022, 2 Sa 21/22) betraf eine Entschädigungsklage, die der Kläger wegen einer erfolglosen Bewerbung auf eine bei eBay ausgeschriebene Stelle einer „Sekretärin“ beim Arbeitsgericht Elmshorn eingereicht hatte (s. dazu Update Arbeitsrecht 16|2022).

Entscheidung des LAG Hamm

Das LAG Hamm hob das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen auf und wies die Klage ab. Denn der Kläger hatte sich nur zum Schein beworben. Sein Entschädigungsverlangen war daher missbräuchlich.

Der missbräuchliche Charakter der Bewerbung ergab sich nach Ansicht des LAG aus folgenden Umständen: 

Der Kläger erwähnte seine Qualifikation und Berufserfahrung nur pauschal und machte keine weiteren Angaben zu seinem Werdegang und zu seiner zuvor ausgeübten Tätigkeit. Zeugnisse oder einen Lebenslauf fügte er seiner Bewerbung nicht bei.

Der Kläger fragte ausdrücklich nach, ob das Unternehmen nur eine Frau suchte. Damit verbesserte er seine Aussichten auf eine Entschädigungszahlung, falls die Frage mit ja beantwortet werden sollte, wie es im Streitfall tatsächlich auch geschah.

Die Entfernung zwischen dem Wohnsitz des Klägers und dem Betrieb betrug 172 für eine Strecke, d.h. hin und zurück 344 km. Dazu gab der Kläger im Prozess an, pendeln zu wollen, sagte aber nicht, wie er das hätte machen wollen. Bei einer eher gering bezahlten Bürotätigkeit wäre dies kaum wirtschaftlich gewesen.

Zu seiner angeblichen Absicht, ggf. seinen Wohnsitz zu verlegen, hatte der Kläger keine weiteren Angaben gemacht. Auch die von Anfang Januar 2022 bis Mai 2022 bestehende Krankheit des Klägers sprach gegen eine ernsthafte Absicht, die Stelle anzutreten.

Die Absicht des Rechtsmissbrauchs folgte nach Ansicht des LAG aus der Vielzahl von AGG-Verfahren in einem kleinen Zeitraum und aus dem ähnlichen Vorgehen des Klägers in diesen Verfahren. 

Praxishinweis

Das Urteil zeigt, dass es in AGG-Entschädigungsprozessen für Arbeitgeber wichtig ist, möglichst viele konkrete Tatsachen vorzutragen, die ein wiederholtes planmäßiges Vorgehen des Klägers belegen. 

In dem Fall des LAG Hamm war - auf der Grundlage des Beklagtenvortrags - die Tatsache nicht zu übersehen, dass sich der Kläger in Dutzenden von Fällen auf eBay-Stellenanzeigen beworben hatte, in denen kleinere und mittlere Unternehmen den Fehler begangen hatten, nach einer „Sekretärin“ zu suchen. 

Das war in dem vom LAG Schleswig-Holstein entschiedenen Fall, obwohl es dort um denselben Kläger wie im Fall des LAG Hamm ging, nach dem dortigen Sach- und Streitstand anders.

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.03.2023, 18 Sa 888/22

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, 2 Sa 21/22

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