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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 16|2023

Update Arbeitsrecht 16|2023 vom 09.08.2023

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Rückzahlung von Fortbildungskosten bei Nicht-Ablegen der Prüfung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.05.2023, 9 AZR 187/22

Formularvertragliche Klauseln, die die Erstattung von Fortbildungskosten bei wiederholtem Nicht-Ablegen der Prüfung vorsehen, müssen eine Ausnahme für Eigenkündigungen aufgrund arbeitgeberseitigen Fehlverhaltens enthalten.

§ 307 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.12 Grundgesetz (GG)

Rechtlicher Hintergrund

Fortbildungsmaßnahmen lohnen sich für Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer die Fortbildung erfolgreich absolviert und danach eine gewisse Zeit im Unternehmen bleibt. 

Zur Absicherung dieser Erwartung ist es zulässig, die Übernahme von Kursgebühren und einer bezahlten Freistellung durch arbeitgeberseitig vorformulierte Rückzahlungsvereinbarungen abzusichern, die den Arbeitnehmer zur Erstattung der vom Arbeitgeber getragenen Fortbildungskosten verpflichten, falls er vor Ablauf einer vereinbarten Bleibefrist geht.

Solche Vereinbarungen sind vom Arbeitgeber gestellte allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und dürfen den Arbeitnehmer daher nicht unangemessen benachteiligen, § 307 Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Außerdem müssen sie klar und verständlich sein (§ 307 Abs.1 Satz 2 BGB). 

Daraus leitet das Bundesarbeitsgericht (BAG) ab, dass vereinbarte Vertragsbindung unter Berücksichtigung von Dauer und Kosten der Fortbildung angemessen sein muss, dass die vom Arbeitnehmer ggf. zu erstattenden Kosten genau festgelegt sein müssen, und dass sich die Rückzahlungspflicht nach und nach verringert muss, je länger der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis bleibt.

Außerdem müssen Rückzahlungsklauseln die Fälle genau beschreiben, in denen eine Vertragsauflösung zur Rückzahlungspflicht führt bzw. nicht führt.

So müssen sie z.B. ausdrücklich klarstellen, dass eine vom Arbeitgeber unverschuldete dauerhafte Unmöglichkeit, die Arbeitsleistung zu erbringen, keine Rückzahlungspflicht auslöst (BAG, Urteil vom 01.03.2022, 9 AZR 260/21, s. dazu Update Arbeitsrecht 10|2022), und sie müssen eine Ausnahme für den Fall vorsehen, dass eine vorzeitige Kündigung durch den Arbeitnehmer durch vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers veranlasst ist (BAG, Urteil vom 18.03.2014, 9 AZR 545/12, Rn.17).

In einem aktuellen Fall hat das BAG diese Grundsätze auf eine Rückzahlungsklausel übertragen, der zufolge die Arbeitnehmerin zur Kostenerstattung verpflichtet sein sollte, falls sie wiederholt die Prüfung nicht ablegen sollte: BAG, Urteil vom 25.05.2023, 9 AZR 187/22.

Sachverhalt

Eine Steuerkanzlei verklagte eine ehemalige, von April 2017 bis Juni 2020 in der Kanzlei tätige Buchhalterin auf Rückzahlung von 4.083,93 EUR Fortbildungskosten. Dabei handelte es sich um Lehrgangsgebühren von 3.883,93 EUR und um eine Anmeldegebühr von 200,00 EUR zur Steuerberaterprüfung. 

Die Buchhalterin nahm ab August 2017 an einem betriebsexternen Lehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung 2018/2019 teil. Im Dezember 2017 vereinbarte sie mit der Kanzlei, dass diese die Vorbereitung auf das Examen mit maximal 10.000,00 EUR fördern würde. Dieses Budget schöpfte die Buchhalterin sodann in Höhe von 4.083,93 EUR aus.

In der von der Kanzlei als AGB vorgegebenen Rückzahlungsklausel war eine Erstattungspflicht für drei Fälle vorgesehen, nämlich dann, wenn die Buchhalterin binnen 24 Monaten nach bestandenem Examen die Kanzlei verlassen sollte (Fall 1), oder wenn sie binnen 24 Monaten nach nicht bestandenem Examen gehen sollte (Fall 2), oder falls sie das Examen wiederholt nicht ablegen sollte.

Für den dritten Fall, der weder vom Examenserfolg noch von dem weiteren Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig war, sahen die AGB eine Härtefallregelung vor. 

Danach sollte das mehrfache Auslassen einer Examensprüfung - zunächst - keine Rückzahlungspflicht auslösen, falls die Buchhalterin aus einem nicht von ihr zu vertretenden objektiven Grund wie z.B. einer dauerhaften Erkrankung oder der Pflege von Angehörigen die Prüfung nicht ablegen können sollte. 

Dann sollte sie aber verpflichtet sein, die Fortbildung nach Fortfall des Hinderungsgrundes wieder aufzunehmen und abzuschließen. Sollte dies aufgrund eines zu großen Zeitablaufs oder wegen der Vorgaben der Prüfungseinrichtung nicht (mehr) möglich sein, sollte die Rückzahlungspflicht entfallen.

Die Buchhalterin trat weder 2018 noch 2019 noch 2020 zur Steuerberaterprüfung an und hatte damit eine Examensprüfung mehrfach ausgelassen. Nachdem sie zu Ende Juni 2020 gekündigt hatte, klagte die Kanzlei auf Erstattung der 4.083,93 EUR Fortbildungskosten.

Das Arbeitsgericht Lingen (Urteil vom 03.03.2021, 1 Ca 397/20) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen gaben der Klage statt (LAG Niedersachsen, Urteil vom 23.02.2022, 8 Sa 229/21). 

Entscheidung des BAG

Das BAG hob die Urteile der Vorinstanzen auf und wies die Klage ab. Denn die streitige Rückzahlungsklausel führte - als AGB der Steuerkanzlei - zu einer unangemessenen Benachteiligung der Ex-Buchhalterin im Sinne von § 307 Abs.1 Satz 1 BGB.

Es ist nämlich nicht zulässig, so das BAG, eine formularvertragliche Rückzahlungspflicht ohne Einschränkungen an das wiederholte Nichtablegen der angestrebten Prüfung zu knüpfen. Vielmehr müssen die Gründe dafür in der Klausel aufgegriffen werden. 

Unter Heranziehung der BAG-Rechtsprechung zu Rückzahlungspflicht bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers müssen die praktisch wichtigen Fallkonstellationen, in denen die Nichtablegung der Prüfung vom Arbeitnehmer nicht zu verantworten sind, von der Rückzahlungspflicht ausdrücklich ausgenommen werden (BAG, Urteil, Rn.22).

Übertragen auf den vorliegenden Fall beanstandete das BAG die Klausel, die ein mehrfaches Nicht-Ablegens der Prüfung regelte. Diese Klausel hätte eine Ausnahme vorsehen müssen für den Fall, dass das Auslassen von Examensprüfungen dadurch verursacht ist, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines Fehlverhaltens des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis kündigt (BAG, Urteil, Rn.25, 26). 

Das Fortbestehen einer Rückzahlungspflicht auch in einem solchen Fall stellt eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 Abs.1 Satz 1 BGB dar, so das BAG.

Im Übrigen konnten weder die streitige Klausel noch die ergänzende Härtefallregelung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie unausgesprochen, d.h. als eine Art General- oder Auffangklausel, auch diesen Fall mit abgedeckt hätten (Urteil, Rn.29). 

Warum die Buchhalterin im Streitfall die Möglichkeiten zur Ablegung des Steuerberater-Examens mehrfach ausgelassen hatte, war rechtlich unerheblich. Denn die Klausel selbst war bereits unwirksam und daher keine tragfähige Rechtsgrundlage für die Klageforderung (Urteil, Rn.31).

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. Es gibt keine triftigen sachlichen Gründe, warum Rückzahlungsklauseln, die auf das Nicht-Ablegen der angestrebten Prüfung abstellen, weniger genau formuliert sein müssten als Rückzahlungsklauseln, die die Erstattungspflicht des Arbeitnehmers von seinem vorzeitigen Ausscheiden abhängig machen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.05.2023, 9 AZR 187/22

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 23.02.2022, 8 Sa 229/21

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.03.2022, 9 AZR 260/21

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2014, 9 AZR 545/12

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