Update Arbeitsrecht 25|2020 vom 09.12.2020
Leitsatzreport
BAG: EuGH soll tarifliche Benachteiligung von Teilzeitpiloten bei Bezahlung von Mehrflugdienststunden beurteilen
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.11.2020, 10 AZR 185/20 (A)
§ 4 Nr.1, Nr.2 Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG; § 4 Abs.1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
Leitsatz des Gerichts:
Tarifvertragliche Bestimmungen, die eine zusätzliche Vergütung davon abhängig machen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden, werfen Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art.267 AEUV um Vorabentscheidung über zwei Fragen. Sie betreffen das Verständnis der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG (juris: EGRL 81/97).
Entscheidungsformel:
I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art.267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:
1. Behandelt eine nationale gesetzliche Vorschrift Teilzeitbeschäftigte schlechter gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten iSv. § 4 Nr.1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG, wenn sie es zulässt, eine zusätzliche Vergütung für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran zu binden, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, und es damit erlaubt, auf die Gesamtvergütung, nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen?
2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird:
Ist eine nationale gesetzliche Vorschrift, die es erlaubt, einen Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung davon abhängig zu machen, dass für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, mit § 4 Nr.1 und dem Pro-rata-temporis-Grundsatz in § 4 Nr.2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG vereinbar, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?
II. Das Revisionsverfahren wird bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.
Hintergrund:
Ein Pilot mit einer Arbeitszeit von 90 Prozent der Vollarbeitszeit hatte seinen Arbeitgeber, eine Fluggesellschaft, auf Zahlung von sog. Mehrflugdienststunden verklagt. Sie werden auf tarifvertraglicher Grundlage gezahlt, wenn Piloten eine bestimmte Anzahl von Flugdienststunden im Monat überschreiten, wobei diese Grenze einheitlich für Vollzeit- wie für Teilzeitpiloten festgelegt ist. Infolge seiner Teilzeit konnte der Pilot nicht in dem Umfang von der tariflichen Vergütung von Mehrflugdienststunden profitieren wie seine Vollzeitkollegen und klagte daher auf Bezahlung von Mehrflugdienststunden, die er angepasst an seine Teilzeitquote berechnete. Aus seiner Sicht verstößt die unterschiedslose Festlegung von monatlichen Flugdienststunden gegen § 4 Abs.1 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), wonach Teilzeitarbeitnehmern alle geldwerten Leistungen mindestens in dem Umfang zu gewähren sind, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitkräfte entspricht. Das Arbeitsgericht München gab dem Piloten recht (Urteil vom 29.05.2019, 12 Ca 13601/18), das Landesarbeitsgericht (LAG) München dagegen der Fluggesellschaft (Urteil vom 19.11.2019, 6 Sa 370/19). Denn laut LAG besteht der Zweck der tariflichen Vergütung von Mehrflugdienststunden nicht in einem Ausgleich der Inanspruchnahme von Freizeit. Vielmehr soll damit - angeblich - die erhöhte Belastung der Piloten ausgeglichen werden und die Fluggesellschaft von einer zu hohen Inanspruchnahme der Piloten abgehalten werden. Daher sah sich das LAG nicht an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gebunden, der zufolge Teilzeitkräfte diskriminiert werden, wenn tarifliche Überstundenzuschläge nur gezahlt werden, wenn die für Vollzeitkräfte geltende Arbeitszeit überschritten wird (BAG, Urteil vom 19.12.2018, 10 AZR 231/18). Nunmehr hat das BAG bzw. sein Zehnter Senat allerdings Bedenken, ob an dem Urteil vom Dezember 2018 festgehalten werden kann. Daher soll nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) darüber entscheiden, wie der pro-rata-temporis-Grundsatz des § 4 Abs.1 Satz 2 TzBfG zu verstehen ist. Denn dahinter steht die Richtlinie 97/81/EG vom 15.12.1997, die in ihrem Anhang eine von Arbeitgebern und Gewerkschaften auf EU-Ebene ausgehandelte „Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit“ enthält. § 4 Nr.1 und Nr.2 der Rahmenvereinbarung schreiben den Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeitkräften und den pro-rata-temporis-Grundsatz fest.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.11.2020, 10 AZR 185/20 (A)
Handbuch Arbeitsrecht: Teilzeitbeschäftigung (Teilzeitarbeit, Teilzeit)
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