Update Arbeitsrecht 03|2019 vom 30.10.2019
Entscheidungsbesprechungen
LAG Niedersachsen: Höhere Gehälter männlicher Kollegen müssen keine Diskriminierung sein
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 01.08.2019, 5 Sa 196/19
Gibt der Arbeitgeber Auskunft über höhere Gehälter männlicher Vergleichsarbeitnehmer gemäß § 11 EntgTranspG, ist das noch kein Diskriminierungsindiz im Sinne von § 22 AGG.
§ 11 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG); § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Rechtlicher Hintergrund
In größeren Betrieben mit über 200 Beschäftigten können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Arbeitgeber Auskunft über das Gehalt vergleichbarer Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts verlangen. Gesetzliche Grundlage ist § 10 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG).
Die Auskunft bezieht sich auf das Vergleichsentgelt, d.h. auf die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung sowie auf ein oder zwei weitere Vergütungsbestandteile (§ 10 Abs.1 Satz 3 EntgTranspG), die Beschäftigte des anderen Geschlechts für eine gleiche oder gleichwertige Arbeit („Vergleichstätigkeit“) bekommen (§ 10 Abs.1 Satz 3 EntgTranspG).
Das Vergleichsentgelt muss auf der Basis einer Vollzeittätigkeit angegeben werden, wobei zunächst ausgehend vom Jahresgehalt das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt zu errechnen ist. Hat man so das durchschnittliche Monatsgehalt der einzelnen Vergleichsarbeitnehmer ermittelt, ist nicht etwa der Durchschnitt dieser Bruttomonatsgehälter als Antwort auf das Auskunftsbegehren mitzuteilen, sondern vielmehr der Median (§ 11 Abs.3 Satz 2 EntgTranspG).
Um den Median zu ermitteln, muss man die Vergleichsarbeitnehmer nach ihrem Gehalt in eine Rangfolge bringen. Der Medianwert bzw. Median-Arbeitnehmer ist dann derjenige, der in dieser Gehaltsreihenfolge genau in der Mitte steht. Bei neun Vergleichsarbeitnehmern wäre es Arbeitnehmer Nr.5, denn er verdient einerseits mehr als vier seiner Kollegen, andererseits aber auch weniger als vier andere Kollegen, die in der Gehaltsrangfolge über ihm stehen. Besteht die Vergleichsgruppe aus einer geraden Anzahl von Beschäftigten, ist das Median-Gehalt zu ermitteln, indem man die Gehälter der beiden in der Mitte stehenden Arbeitnehmer addiert und durch zwei teilt, d.h. deren Durchschnitt errechnet.
Fraglich ist, welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn eine Arbeitnehmerin Auskunft gemäß § 11 EntgTranspG erhält und sich daraus ergibt, dass der Median-Arbeitnehmer der männlichen Vergleichsgruppe mehr verdient als sie. Ist dies bereits ein Indiz für eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung von Frauen im Sinne von § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?
Falls ja, müsste der Arbeitgeber die rechtliche Vermutung einer Lohndiskriminierung entkräften, d.h. er müsste beweisen, dass die bessere Bezahlung von Männern nicht auf einer geschlechtsbedingten Frauendiskriminierung beruht.
Sachverhalt
Im Streitfall hatte eine Arbeitnehmerin geklagt, die seit 1989 in einem größeren Unternehmen als Angestellte tätig war und seit April 2012 als Abteilungsleiterin arbeitete. Im Betrieb des Arbeitgebers werden Abteilungsleiter und Abteilungsleiterinnen außertariflich bezahlt, und zwar auf der Grundlage der zuletzt bezogenen Tarifvergütung als Ausgangsbasis. Außerdem erhalten sie eine Zulage. Anpassungen der Abteilungsleitergehälter werden alle zwei bis drei Jahre vorgenommen.
Auch die Klägerin wurde wegen ihrer Beförderung außertariflich vergütet (ab April 2013). Neben den laufenden Tariflohnerhöhungen, die der Arbeitgeber auch an die außertariflichen Angestellten weitergab, erhielt sie eine Gehaltserhöhung zum 01.04.2013 und eine weitere zum 01.04.2015. Eine turnusmäßig zu erwartende Gehaltserhöhung zum 01.04.2017 blieb aus, weil die Parteien über die Leistungen bzw. das Führungsverhalten der Klägerin uneinig waren.
Ende Januar 2019 betrug die Grundvergütung der Klägerin 5.385,40 EUR brutto und die Zulage 500,00 EUR brutto. Ab Februar 2019 belief sich die Grundvergütung auf 5.688,90 EUR brutto und die Zulage auf 550,00 EUR brutto.
Eine von der Klägerin beantragte Auskunft über das Vergleichsentgelt männlicher Abteilungsleiter ergab Folgendes: In der Gruppe der Männer, die (wie die Klägerin) im Jahre 2012 zum Abteilungsleiter befördert worden waren, erhielt der Median-Arbeitnehmer 5.595,00 EUR brutto Grundvergütung und 550,00 EUR Zulage, d.h. monatlich (6.145,00 - 5.885,40 =) 259,60 EUR mehr als die Klägerin. In der Gruppe aller männlicher Abteilungsleiter, die teilweise schon seit Jahrzehnten diese Tätigkeit ausübten, erhielt der Median-Arbeitnehmer 6.292,00 EUR Grundvergütung und 600,00 EUR Zulage. Verglichen mit diesem Arbeitnehmer bekam die Klägerin (6.892,00 - 5.885,40 =) 1.006,60 EUR weniger.
Diese Gehaltsdifferenz klagte sie für die sechs Monate von August 2018 bis Januar 2019 ein, insgesamt 6.039,60 EUR brutto. Das Arbeitsgericht Göttingen gab der Zahlungsklage statt, da es die von der Klägerin vorgetragenen Gehaltsunterschiede als erheblich ansah (Urteil vom 29.01.2019, 1 Ca 194/18 Ö).
Entscheidung des LAG Niedersachsen
Das LAG Niedersachsen entschied gegen die Klägerin und ließ die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zu.
Zur Begründung heißt es in dem Urteil, dass die Klägerin Indizien für eine geschlechtsbedingter Lohndiskriminierung im Sinne von § 22 AGG hätte vortragen müssen, d.h. Tatsachen, die eine geschlechtsbedingte Diskriminierung überwiegend wahrscheinlich machen. Das war ihr aber laut LAG nicht gelungen.
Bleibt das Gehalt einer Arbeitnehmerin hinter dem Median-Gehalt einer männlichen Vergleichsgruppe zurück, besagt das nämlich für sich genommen noch nicht, dass eine schlechtere Bezahlung der Arbeitnehmerin vorliegt. Das ergibt sich, so das LAG, aus folgender Überlegung:
Wenn eine Gruppe von fünf weiblichen und eine Gruppe von fünf männlichen Beschäftigten jeweils von 1.600,00 EUR bis 2.500,00 EUR monatlich verdient, und wenn auch das Median-Gehalt dieser beiden Gruppen identisch ist und z.B. 1.900,00 EUR beträgt, kann es sein, dass die mit 1.600,00 EUR am schlechtesten verdienende weibliche Beschäftigte sich gegenüber dem Median- Arbeitnehmer der männlichen Vergleichsgruppe benachteiligt fühlt, obwohl eine Schlechterstellung in Wahrheit gar nicht vorliegt. Denn der Gehaltsunterschied von 300,00 EUR besteht sowohl im Vergleich zum (identischen) Median-Gehalt der weiblichen wie der männlichen Gruppe. Der Gehaltsunterschied ergibt sich schlicht daraus, dass die Arbeitnehmerin sowohl in ihrer Gruppe als auch in der Gruppe der Männer am unteren Ende der Gehaltsrangfolge steht (LAG Niedersachsen, Urteil, Rn.40).
Gehaltsunterschiede, die sich aus einer Auskunft gemäß § 11 EntgTranspG ergeben, sind daher als solche noch kein Indiz für eine geschlechtsbedingte Diskriminierung im Sinne von § 22 AGG, so das LAG (Urteil, Rn.41).
Ergänzend stützt das LAG sein Urteil darauf, dass die von der Klägerin herangezogene Vergleichsgruppe aller männlichen Abteilungsleiter viele Arbeitnehmer enthielt, die (viel) länger als sie in dieser Funktion tätig waren, so auch der Median-Arbeitnehmer, auf den sich die Klägerin berufen hatte (er war seit 1999 Abteilungsleiter, die Klägerin erst seit 2012). Bezogen auf die andere Vergleichsgruppe (der seit 2012 tätigen Abteilungsleiter) fiel die Vergütungsdifferenz viel geringer aus, und sie wäre sogar vollständig entfallen, wenn die Klägerin im Jahr 2017 eine turnusmäßige Gehaltserhöhung bekommen hätte. Dass diese Gehaltserhöhung unterblieb, hatte aber unstreitig nichts mit dem Geschlecht der Klägerin zu tun, sondern lag an Meinungsverschiedenheiten über ihren Führungsstil (Urteil, Rn.44).
Praxishinweis
Das Urteil des LAG Niedersachsen entspricht der herrschenden Meinung in der juristischen Literatur, der zufolge es kein Indiz für eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung ist, wenn das Gehalt einer anfragenden Arbeitnehmerin hinter dem Median-Gehalt der männlichen Vergleichsgruppe zurückbleibt (Erfurter Kommentar, § 11 EntgTranspG, Rn.7 mit weit. Nachweisen [Schlachter]). Ob das BAG diese Ansicht absegnen wird, ist offen.
Arbeitnehmerinnen, die eine ungünstige Entgelt-Auskunft erhalten, haben derzeit eher geringe Chancen, eine Lohndifferenzklage zu gewinnen. Besser sind die Erfolgsaussichten nur, wenn es neben der höheren Bezahlung des vergleichbaren männlichen Median-Arbeitnehmers weitere Umstände gibt, die eine schlechtere Bezahlung von weiblichen Beschäftigten im Betrieb zu Folge haben können. Das könnte z.B. eine Praxis sein, Führungspositionen nur mit Vollzeitkräften zu besetzen.
Für Arbeitgeber, die einen Auskunftsanspruch erfüllen müssen, empfiehlt es sich dementsprechend, bei deutlichen Gehaltsunterschieden zu überprüfen, ob bzw. wie sich diese objektiv erklären lassen. Ein Ansatzpunkt ist hier möglicherweise, wie auch im Fall des LAG Niedersachsen, die unterschiedliche Dauer der Berufserfahrung und/oder der Tätigkeit auf einer Führungsposition.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 01.08.2019, 5 Sa 196/19
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