Update Arbeitsrecht 04|2024 vom 21.02.2024
Leitsatzreport
LAG Hamm: AGG-Hopping „2.0“
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 05.12.2023, 6 Sa 896/23
§§ 1; 2 Abs.1 Nr.1; 6 Abs.1 Satz 2; 7 Abs.1; 11; 15 Abs.1, 2, 4; 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 61b Abs.1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
Leitsatz des Gerichts:
Einem Entschädigungsverlangen nach dem AGG kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs u.a. auch dann entgegenstehen, wenn ein Kläger sich systematisch auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten Geschäftsmodells „2.0“ bewirbt, mit dem alleinigen Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG durchzusetzen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein solches fortentwickeltes Geschäftsmodell kann sich daraus ergeben, dass ein Kläger - aufgrund von verlorenen Entschädigungsprozessen in der Vergangenheit - gezielt ihm darin durch Gerichte vorgehaltene Rechtsmissbrauchsmerkmale bei zukünftigen Bewerbungen minimiert und die Bewerbungen entsprechend anpasst, die ebenfalls seitens der Gerichte konkret monierten, untauglichen Bewerbungsunterlagen aber bewusst und konstant auf niedrigem Niveau belässt, um bei der Stellenbesetzung selbst nicht berücksichtigt zu werden.
Hintergrund:
Ein 1994 geborener, in Norddeutschland lebender Kaufmann und Vollzeit-Student des Fachs Wirtschaftsrecht hatte sich, wie schon in vielen anderen Fällen zuvor, ohne Erfolg auf eine Stellenausschreibung beworben, in der unter Verletzung des Gebots der geschlechtsneutralen Formulierung (§ 11 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG) eine „Sekretärin“ gesucht wurde. Diesmal ging es um eine auf dem Portal „indeed“ ausgeschriebene Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“. Im Bewerbungsschreiben des Wirtschaftsrechts-Studenten vom 03.01.2023 hieß es u.a.: „Sehr geehrte Damen und Herren, mit Freude und großem Interesse habe ich ihre Stellenausschreibung auf Indeed gelesen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung in ihrem Umkreis oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word, Excel sowie typischen Bürotätigkeiten und Gesetzen gut aus. Lieferscheine kann ich auch schreiben und Rechnungen. Ich habe Berufserfahrung in der Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf. Ihre Anforderungen in der Stellenausschreibung erfülle ich allesamt. Ich bewerbe mich hiermit auf die Stelle. Ich habe eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung als Industriekaufmann und suche derzeit eine neue Herausforderung.“ Mit diesem Wortlaut wich das Bewerbungsschreiben geringfügig von den Bewerbungsschreiben ab, mit denen er sich in der Vergangenheit (ohne Erfolg) auf Ausschreibungen von „Sekretärinnen-“Stellen beworben hatte (um anschließend eine Entschädigung zu verlangen). Die diesmal vor dem Arbeitsgericht Dortmund erhobene Entschädigungsklage wurde dort abgewiesen (Urteil vom 07.07.2023, 10 Ca 640/23). Auch die Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm hatte keinen Erfolg (Urteil vom 05.12.2023, 6 Sa 896/23). Das LAG bewertete das Bewerbungsschreiben im aktuellen Streitfall als eine taktisch begründete, rein oberflächliche Änderung der bisherigen „Bewerbungen“ des Klägers. Mit diesen Änderungen, die das LAG als weiterentwickeltes Geschäftsmodell 2.0 bezeichnet, wollte er die Indizien für ein missbräuchliches Vorgehen bzw. für eine Scheinbewerbung vermeiden, denn Missbrauch war ihm bereits in vielen Urteilen vorgeworfen worden. Außerdem stützt das LAG Hamm sein Urteil auf den Text der Bewerbung, der aus Sicht des Gerichts deutlich macht, dass mit ihm eine Absage provoziert werden sollte. Ergänzend verweist das LAG auf weitere Indizien für eine Scheinbewerbung, u.a. auf die große räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Klägers und dem Betrieb, sowie auf frühere Entschädigungsprozesse.
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom Urteil vom 05.12.2023, 6 Sa 896/23
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.08.2023, 9 Sa 538/22, s. dazu Update Arbeitsrecht 01|2024
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 23.03.2023, 18 Sa 888/22 , s. dazu Update Arbeitsrecht 21|2023
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.01.2023, 3 Sa 898/22, s. dazu Update Arbeitsrecht 13|2023
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, 2 Sa 21/22, s. dazu Update Arbeitsrecht 16|2022
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