Update Arbeitsrecht 05|2019 vom 27.11.2019
Leitsatzreport
Arbeitsgericht Hagen: Der Entwurf eines Interessenausgleichs ist keine Anhörung zu Kündigungen im Einzelfall gemäß § 102 Abs.1 BetrVG
Arbeitsgericht Hagen, Urteil vom 18.07.2019, 1 Ca 333/19
§ 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Leitsätze der Redaktion:
1. Die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs.1 und Abs.2 BetrVG ist in zwei Verfahrensabschnitte aufgeteilt. Zunächst hat der Arbeitgeber das Anhörungsverfahren einzuleiten, § 102 Abs.1 BetrVG. In einem weiteren Schritt hat sich der Betriebsrat mit der geplanten Kündigung zu befassen, wobei er über eine mögliche Stellungnahme entscheiden muss, § 102 Abs.2 BetrVG.
2. Die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber gemäß § 102 Abs.1 BetrVG, d.h. die Einleitung des Anhörungsverfahrens unter Hinweis auf eine konkret geplante Kündigung, soll den Betriebsrat veranlassen, dazu Stellung zu nehmen. Eine ausdrückliche Aufforderung an den Betriebsrat zur Stellungnahme ist zwar nicht immer erforderlich, doch muss der Betriebsrat zweifelsfrei erkennen können, dass er zu einer konkret geplanten Kündigung Stellung nehmen soll.
3. Es stellt keine rechtlich korrekte Anhörung des Betriebsrats dar, wenn dieser eine ihm mitgeteilte Kündigungsabsicht nicht unzweifelhaft als Einleitung eines Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG auffassen kann.
4. Die Übersendung des Entwurfs für einen Interessenausgleich durch den Arbeitgeber an den Betriebsrat ohne ausdrücklichen Hinweis darauf, dass damit ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG eingeleitet werden soll, ist keine Anhörung zu betriebsbedingten Kündigungen im Sinne von § 102 Abs.1 BetrVG.
Hintergrund:
Ein Autozulieferungsbetrieb verlor seinen größten Auftraggeber und musste daher etwa 300 von 460 Arbeitnehmern entlassen. Die Geschäftsleitung verhandelte von Oktober 2018 bis Januar 2019 mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Am 11.01.2019 übersandte sie dem Betriebsrat einen korrigierten Entwurf eines Interessenausgleichs. In dem Schreiben war eine Liste mit Sozialdaten und der Kündigungsfristen sämtlicher Mitarbeiter enthalten, außerdem ließen sich ihm die Kündigungsabsichten des Arbeitgebers entnehmen sowie die Sozialpunktezahl der zu kündigenden Arbeitnehmer. Da sich die Betriebsparteien weiterhin nicht einig werden konnten, verhandelten sie am 15.01.2019 und am 24.01.2019 vor der Einigungsstelle. Auch dort kam es nicht zu einer raschen Einigung, weshalb der Arbeitgeber Ende Januar 2019 betriebsbedingte Kündigungen aussprach. Einer der gekündigten Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und berief sich u.a. darauf, dass der Betriebsrat vor der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei, so dass die Kündigung gemäß § 102 Abs.1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei. Damit hatte er vor dem Arbeitsgericht Hagen Erfolg. Denn das an den Betriebsrat gerichteten Schreiben des Arbeitgebers vom 11.01.2019 ließ nicht erkennen, dass damit ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG eingeleitet werden sollte (Urteil, Rn.58 bis 65).
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