Update Arbeitsrecht 05|2019 vom 27.11.2019
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Keine fristlose Kündigung eines LKA-Technikers nach 17jähriger Beschäftigung wegen rassistischer Äußerungen auf Facebook
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.06.2019, 2 AZR 28/19
Auch wenn Arbeitnehmer wegen rassistischer Beleidigungen für sicherheitsrelevante Polizeitätigkeiten ungeeignet sind, ist die Zuweisung anderer Aufgaben gegenüber einer fristlosen Kündigung vorrangig.
§§ 140, 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 78 Thüringer Personalvertretungsgesetz (ThürPersVG)
Rechtlicher Hintergrund
Fremdenfeindliche und/oder rassistische Beleidigungen können eine außerordentliche fristlose Kündigung auf der Grundlage von § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Folge haben, wenn sie im Betrieb oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verübt werden. Fallen solche Äußerungen aber in der Freizeit, liegt ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten nur dann vor, wenn sie einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben.
Das ist z.B. der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner herausgehobenen Position den Arbeitgeber „repräsentiert“, oder auch dann, wenn er bei rassistischen Aussagen in sozialen Medien ein Nutzerprofil verwendet, aus dem hervorgeht, bei welchem Unternehmen er tätig ist. Dann liegen ein Bezug zum Arbeitsverhältnis und damit ein Pflichtverstoß vor.
Besteht dagegen keine Beziehung zum Arbeitgeber, verstößt ein „unappetitliches Freizeitverhalten“ nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten. Denn was der Arbeitnehmer in seiner Freizeit macht, geht den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an.
Allerdings können extreme „Entgleisungen“ in der Freizeit dazu führen, dass der Arbeitnehmer (zwar nicht gegen seine Pflichten verstößt, aber:) aus persönlichen Gründen nicht mehr für seinen Job geeignet ist. Eine (außerordentliche) Kündigung durch den Arbeitgeber ist dann nicht aus verhaltensbedingten, sondern aus personenbedingten Gründen zulässig. In diesem Sinne hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor einigen Jahren entschieden.
Hier ging es um einen Angestellten der Finanzverwaltung, der im Innendienst (ohne Kundenkontakt) arbeitete und sich in seiner Freizeit als eifriger NPD-Aktivist betätigte. Das an sich wäre zwar kein Grund für eine Kündigung gewesen, wohl aber die Tatsache, dass er eine von der NPD stammende E-Mail weitergeleitet hatte, in der zum gewaltsamen politischen Umsturz aufgerufen wurde. Damit hatte er sich für ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst persönlich disqualifiziert, so das BAG (Urteil vom 06.09.2012, 2 AZR 372/11).
Aber stimmt das auch bei einem Angestellten im polizeilichen Innendienst, der sich in seiner Freizeit nicht so extrem positioniert, sondern sich „nur“ zu einigen rassistischen und beleidigenden Äußerungen auf Facebook hinreißen lässt? Einerseits gelten im polizeilichen Dienst höhere Anforderungen an die persönliche Zuverlässigkeit der Arbeitnehmer, andererseits wiegen einzelne verbale Entgleisungen nicht so schwer wie die Weiterleitung eines NPD-Aufrufs zum gewaltsamen Umsturz der politischen Ordnung der Bundesrepublik.
Sachverhalt
Ein Angestellter des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen, der im IT-Innendienst eingesetzt war, hatte im Sommer 2016 auf Facebook unter seinem Namen muslimische Zuwanderer als „Abschaum“ und „Brut“ bezeichnet und andere Diskussionsteilnehmer als „Hohlfrosch“, „Scheißlappen“ und „Nazipack“. Die Aussagen waren öffentlich einsehbar, enthielten aber keinen Hinweis auf die Tätigkeit des Angestellten beim LKA. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Beleidigung ein, das gegen Zahlung einer Geldbuße von 4.000,00 EUR eingestellt wurde.
Der Arbeitgeber hörte den Personalrat daraufhin gemäß § 78 Abs.3 Thüringer Personalvertretungsgesetz (ThürPersVG) zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an, woraufhin der Personalrat erklärte, keine Einwände zu erheben. Zum Zeitpunkt der Kündigung war der Angestellte 52 Jahre alt und bereits mehr als 17 Jahre beim LKA beschäftigt.
Gegen die daraufhin ausgesprochene außerordentliche und fristlose Kündigung erhob der Angestellte Kündigungsschutzklage und hatte damit vor dem Arbeitsgericht Erfurt (Urteil vom 25.08.2017, 8 Ca 739/17) und vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG) Erfolg (Urteil vom 14.11.2018, 6 Sa 204/18).
Entscheidung des BAG
Das BAG segnete die Entscheidung des LAG ab. Denn auch wenn der Kläger, wie das LAG angenommen hatte, infolge seiner (strafbaren und teilweise rassistischen) Äußerungen für den sicherheitsrelevanten IT-Dienst beim LKA persönlich ungeeignet sein sollte, war die Interessenabwägung des LAG in Ordnung, so das BAG (Urteil, Rn.13 bis 16).
Das LAG hatte seine Interessenabwägung nämlich damit begründet, dass der Arbeitgeber den Kläger, auch unter Berücksichtigung seines Alters von 52 Jahren und der langen Beschäftigungsdauer von 17 Jahren, zumindest während der Kündigungsfrist mit anderen, weniger sicherheitsrelevanten Aufgaben hätte beschäftigen können (LAG, Urteil vom 14.11.2018, 6 Sa 204/18, S.17). Damit war die außerordentliche fristlose Kündigung vom Tisch, denn sie setzt gemäß § 626 Abs.1 BGB voraus, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten ist.
Auch eine Umdeutung der unwirksamen fristlosen Kündigung in eine möglicherweise wirksame fristgemäße Kündigung gemäß § 140 BGB kam hier nicht in Betracht. Denn als ordentliche Kündigung wäre die Kündigung verfahrensrechtlich unwirksam, da der Arbeitgeber den Personalrat nur zu der geplanten außerordentlichen Kündigung angehört hatte (gemäß § 78 Abs.3 ThürPersVG), aber kein Mitbestimmungsverfahren zu einer geplanten ordentlichen Kündigung durchgeführt hatte.
Ein solches, gesetzlich anders geregeltes Mitbestimmungsverfahren (gemäß § 78 Abs.1 ThürPersVG) kann zwar ausnahmsweise überflüssig sein, wenn der Personalrat einer außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und ohne Vorbehalt zugestimmt hat. Eine Zustimmung lag im Streitfall aber nicht vor. Der Personalrat hatte nur erklärt, dass „im Rahmen der Anhörung keine Einwände geltend gemacht“ würden.
Praxishinweis
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Rassistische und/oder fremdenfeindliche Beleidigungen in sozialen Medien können zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führen. Wenn der Arbeitgeber davon erfährt, ist außerdem mit einer fristlosen Kündigung zu rechnen.
Ob sie wirksam ist oder nicht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Nach der Rechtsprechung wird es hier für den Arbeitnehmer eng, wenn seine Äußerungen und/oder sein Benutzerprofil erkennen lassen, bei welchem Arbeitgeber er arbeitet.
Aber auch dann, wenn eine solche Verbindung zwischen dem „Freizeitverhalten“ und dem Arbeitsverhältnis nicht besteht, kommt eine personenbedingte fristlose Kündigung in Betracht. Im vorliegenden Fall ist sie letztlich daran gescheitert, dass das LAG die Möglichkeit einer vorübergehenden Beschäftigung mit anderen (nicht sicherheitsrelevanten) Aufgaben unterstellte. Hätte der Arbeitgeber das Gericht hier vom Gegenteil überzeugen können, hätte der LKA-Mitarbeiter den Prozess wahrscheinlich verloren.
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