Update Arbeitsrecht 02|2019 vom 16.10.2019
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Ein Verzicht auf das Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang muss eindeutig sein
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.02.2019, 8 AZR 201/18
Geht der Arbeitgeber von einem stillschweigenden Einverständnis aus, falls der Arbeitnehmer kein schriftliches Einverständnis zum Arbeitgeberwechsel erklärt, ist ein schriftliches Einverständnis bedeutungslos.
§§ 242, 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Rechtlicher Hintergrund
Wird ein Betrieb oder Betriebsteil veräußert, tritt der Erwerber kraft Gesetzes als neuer Arbeitgeber in die bestehenden Arbeitsverhältnisse ein (§ 613a Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Der alte und/oder der neue Betriebsinhaber sind verpflichtet, die betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang über die bevorstehenden Änderungen zu informieren (§ 613a Abs.5 BGB).
Arbeitnehmer können einem solchen Arbeitgeberwechsel gemäß 613a Abs.6 BGB schriftlich widersprechen, und zwar innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung.
Die Monatsfrist setzt nach der Rechtsprechung allerdings eine korrekte und vollständige Unterrichtung voraus. Damit haben Arbeitgeber oft Probleme, weil die Unterrichtungspflicht auch so umfassende Fragen wie die „wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer“ betrifft (§ 613a Abs.5 Nr.3 BGB). Hier kann man bei der Information leicht Fehler machen.
Es kommt daher recht häufig vor, dass Arbeitnehmer noch Jahre nach einem Betriebsübergang dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen, und zwar mit der Begründung, seinerzeit nicht korrekt informiert worden zu sein. Die Folge eines solchen Widerspruchs ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim Alt-Arbeitgeber.
Allerdings kann ein Widerspruchsrecht, auch wenn es infolge von Fehlern bei der Unterrichtung über die gesetzliche Monatsfrist hinaus besteht, nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) irgendwann einmal verwirken. Denn wenn der Arbeitnehmer eine „lange“ Zeit beim Erwerber arbeitet (Zeitmoment) und durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass er mit dem Arbeitgeberwechsel einverstanden ist (Umstandsmoment), können die beteiligten Arbeitgeber darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben wird. Dann ist es verwirkt.
Dazu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) 2017 entschieden, dass das Widerspruchsrecht im Allgemeinen sieben Jahre nach dem Betriebsübergang verwirkt, falls der Arbeitnehmer zumindest „grundlegende Informationen“ über dem Betriebsübergang erhalten hat, d.h. über den Zeitpunkt, über den Gegenstand des Übergangs und über die Person des Erwerbers (BAG, Urteil vom 24.08.2017, 8 AZR 265/16 - Leitsatz 1).
Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Arbeitgeber, die schneller Rechtssicherheit haben wollen, bitten die Belegschaft daher oft, sich ausdrücklich mit der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber einverstanden zu erklären. Eine Einverständniserklärung kann als Verzicht auf das Widerspruchsrecht ausgelegt werden - vorausgesetzt, eine solche Auslegung ergibt sich „eindeutig und zweifelsfrei“ (BAG, Urteil vom 28.02.2019, 8 AZR 201/18, Leitsatz).
Sachverhalt
Eine Schlachterei informierte im September 2015 die Mitarbeiter des Bereichs „Stall bis Eingang Kühlhaus“ darüber, dass dieser betriebliche Bereich als (angeblicher) Betriebsteil zum 01.09.2015 auf einen Betriebserwerber übergehen würde. In dem Informationsschreiben hieß es:
„Sofern Sie sich für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entscheiden, bitten wir Sie Ihr Einverständnis auf der beigefügten Erklärung bis zum 15.08.2015 schriftlich zu erklären. Sollte bis zu dem Zeitpunkt eine ausdrückliche Erklärung nicht vorliegen, gehen wir von Ihrem stillschweigenden Einverständnis mit dem Betriebsübergang aus.“
Das Informationsschreiben war im Übrigen rechtlich fehlerhaft. Denn den Arbeitnehmern wurde mitgeteilt, Betriebserwerber und -veräußerer würden gesamtschuldnerisch für Ansprüche haften, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind und vor Ablauf von 1,5 Jahren nach dem Übergang fällig werden. Tatsächlich dauert die gemeinsame Haftung von Betriebserwerber und -veräußerer aber nur ein Jahr (§ 613a Abs.2 Satz 1 BGB), und der Veräußerer haftet auch nur zeitanteilig in dem Umfang, „der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht“ (§ 613a Abs.2 Satz 2 BGB). Die finanzielle Absicherung der Arbeitnehmer wurde daher in dem Informationsschreiben beschönigt.
Eine der betroffenen Arbeitnehmerinnen, die als Schlachthilfe zu einem Monatslohn von 1.800,00 EUR tätig war, unterzeichnete die vom Arbeitgeber vorformulierte Einverständniserklärung noch im September 2015.
Nachdem sie etwa ein Jahr bei dem (angeblichen) Betriebsteilerwerber gearbeitet hatte, meldete dieser Insolvenz an. Daraufhin widersprach die Arbeitnehmerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Ihr alter Arbeitgeber wollte den Widerspruch nicht gelten lassen. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin auf Feststellung, dass zwischen ihr und dem alten Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis besteht.
Das Arbeitsgericht Lüneburg (Urteil vom 27.07.2017, 4 Ca 462/16) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen wiesen die Klage ab (LAG Niedersachsen, Urteil vom 05.02.2018, 8 Sa 833/17). Aus ihrer Sicht lag in der Einverständniserklärung ein Verzicht der Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht.
Entscheidung des BAG
Das BAG hob die Urteile der Vorinstanzen auf und entschied den Fall zugunsten der Arbeitnehmerin.
Dabei bezweifelt das BAG zunächst, dass im Streitfall überhaupt ein Betriebsteil im Sinne von § 613a BGB vorgelegen hatte, ließ diese Frage aber letztlich offen, denn die Arbeitnehmerin hatte der Überleitung ihres Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen. Daher hatte die Klage so oder so Erfolg (Urteil, Rn.38 f.).
Die Klägerin konnte dem (vom BAG bezweifelten) Betriebsübergang bzw. der Überleitung ihres Arbeitsverhältnisses noch gut ein Jahr später widersprechen, denn das Informationsschreiben war nicht ordnungsgemäß und löste daher die Monatsfrist für den Widerspruch (§ 613a Abs.6 BGB) nicht aus (Urteil, Rn.46 - 48). Der Fehler lag hier darin, dass die gesetzliche Haftung für Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis unrichtig dargestellt worden war (Urteil, Rn.47 - 48).
Die Klägerin hatte auf ihr Widerspruchsrecht auch nicht verzichtet, denn eine solche Verzichtserklärung muss „eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden“ (Urteil, Rn.58). Das war hier nicht der Fall, denn der Arbeitgeber hatte die Bedeutung der Einverständniserklärung herabgespielt, indem er im Informationsschreiben mitteilte, von einem stillschweigenden Einverständnis auszugehen, falls die schriftliche Einverständniserklärung nicht unterschrieben werden sollte. Damit hatte er zum Ausdruck gebracht, „dass die erbetene Einverständniserklärung ohnehin bedeutungslos war“ (Urteil, Rn.63).
Das Widerspruchsrecht war laut BAG auch nicht verwirkt, denn die Klägerin hatte - außer der schlichten Arbeitsleistung für den Erwerber - nichts getan oder geäußert, was den Schluss zugelassen hätte, dass sie mit der Überleitung des Arbeitsverhältnisses dauerhaft einverstanden wäre.
Praxishinweis
Arbeitnehmer können auf ihr Widerspruchsrecht aus § 613a Abs.6 BGB verzichten. Da das BAG allerdings zurecht betont, „dass ein Verzicht auf Rechte im Allgemeinen nicht zu vermuten ist“ (Urteil, Rn.58), sollten sich Arbeitgeber auf Einverständniserklärungen künftig besser nicht verlassen.
Stattdessen sollten Betriebserwerber übernommenen Arbeitnehmern vorschlagen, auf ihr Widerspruchsrecht ausdrücklich zu verzichten. Im Gegenzug dazu sollten Erwerber fairerweise dazu bereit sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, d.h. die Vergütung zu erhöhen oder (höhere) Einmalzahlungen zu gewähren.
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