Update Arbeitsrecht 01|2019 vom 02.10.2019
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Verhandlungen über einen Anspruch hemmen nicht den Ablauf einer Ausschlussfrist auf erster Stufe
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2019, 5 AZR 331/18
Die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der zufolge eine Ausschlussfrist auf zweiter Stufe gehemmt ist, wenn die Parteien über den Anspruch verhandeln, ist auf die erste Stufe nicht anzuwenden.
§ 203 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 242 BGB; § 309 Nr.13 BGB
Rechtlicher Hintergrund
Viele Arbeitsverträge enthalten Ausschlussklauseln, denen zufolge die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis untergehen, wenn sie nicht innerhalb einer in der Klausel festgelegten Frist, der Ausschlussfrist, gegenüber dem anderen Vertragspartner geltend gemacht werden. Üblicherweise betragen arbeitsvertragliche Ausschlussfristen drei Monate, da die Rechtsprechung kürzere Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen nicht gelten lässt.
Verlangt die Ausschlussklausel über die Geltendmachung hinaus (Ausschlussfrist erster Stufe), dass der Anspruchsinhaber im Falle der Zurückweisung des Anspruchs binnen einer weiteren Frist Klage erhebt (Ausschlussfrist zweiter Stufe), spricht man von einer zweistufigen Ausschlussfrist.
Im Sommer letzten Jahres hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Auswirkungen arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen zweiter Stufe ein wenig begrenzt, und zwar durch die Anwendung von § 203 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Ausschlussfristen (BAG, Urteil vom 20.06.2018,5 AZR 262/17). Unmittelbar betrifft diese Vorschrift nur die Verjährung von Ansprüchen, nicht aber vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen. § 203 BGB lautet:
„Schweben zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, so ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein.“
Fraglich ist, ob auch Ausschlussfristen erster Stufe so lange gehemmt sind, d.h. vorübergehend nicht weiter laufen, solange zwischen den Vertragsparteien außergerichtliche Gespräche über einen streitigen Anspruch geführt werden.
Sachverhalt
Im Streitfall hatte ein Angestellter nach seinem Ausscheiden eine Leistungsprämie eingeklagt, die ihm arbeitsvertraglich versprochen worden war. Konkret ging es um die Prämien für die Jahre 2014 und 2015, jeweils in Höhe von 15.000,00 EUR pro Jahr. Vertraglich war vereinbart, dass die jährlichen Prämien bis zum 31.03. des jeweiligen Folgejahres zahlbar sein sollten.
Der Arbeitsvertrag enthielt eine zweistufige, jeweils dreimonatige Ausschlussfrist.
Vor Einreichung der Klage hatte der Angestellte, so jedenfalls seine Version des Geschehens, über Monate hinweg mit dem Arbeitgeber über die Prämienansprüche verhandelt, wobei er angeblich lange Zeit hingehalten worden sein soll. Außerdem hatte er dem Arbeitgeber im November 2015 eine Liste von Themen übergeben, über die ein Gespräch stattfinden sollte. In dieser Liste war u.a. die Zahlung von „Tantiemen“ für die Jahre 2014 und 2015 angesprochen.
Letztlich hatte der Angestellte seine Prämienansprüche aber erstmals in Form einer Klageschrift unzweideutig geltend gemacht, wobei die Klage dem Arbeitgeber am 17.02.2017 zugestellt worden war.
Das Arbeitsgericht Rosenheim (Urteil vom 31.05.2017, 3 Ca 213/17) und das Landesarbeitsgericht (LAG) München (Urteil vom 14.11.2017, 9 Sa 406/17) wiesen die Klage ab. Ihrer Meinung nach hatte der Kläger die erste Stufe der Ausschlussfrist versäumt, da er die Prämienansprüche nicht binnen drei Monaten ab Fälligkeit (31.03.2015 und 31.03.2016) gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht hatte.
Entscheidung des BAG
Auch vor dem BAG hatte der Angestellte keinen Erfolg. Das BAG wies seine Revision zurück. Dabei stellen die Erfurter Richter drei Dinge klar:
Erstens führen außergerichtliche Verhandlungen über einen streitigen Anspruch nicht dazu, dass eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist erster Stufe gehemmt wäre. Auch wenn sich der Arbeitgeber auf solche Verhandlungen einlässt, muss der Arbeitnehmer seine Ansprüche ausdrücklich geltend machen, will er verhindern, dass der Anspruch infolge der Ausschlussfrist untergeht (BAG, Urteil vom 17.04.2019, 5 AZR 331/18, Rn.33).
Zweitens war die Auflistung von Gesprächsthemen vom November 2015 keine Geltendmachung. Denn zur Geltendmachung eines Anspruchs im Sinne von arbeits- oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen gehört es, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern (BAG, Urteil vom 17.04.2019, 5 AZR 331/18, Rn.26).
Und drittens hätte der Arbeitnehmer hier im Streitfall seine Prämienansprüche sogar dann fristgemäß bis zum 31.03.2015 bzw. bis zum 31.03.2016 einfordern können, wenn er zu diesem Zeitpunkt noch keinen Anspruch auf Zahlung gehabt hätte, sondern (möglicherweise) nur einen Anspruch auf Festsetzung der Höhe der Prämien nach Ermessen des Arbeitgebers. Dann nämlich hätte der Angestellte eben seinen Anspruch auf Prämienfestsetzung durch den Arbeitgeber „zumindest dem Grunde“ nach geltend machen müssen, so das BAG (Urteil vom 17.04.2019, 5 AZR 331/18, Rn.17).
Praxishinweis
Arbeitnehmer scheuen sich aus nachvollziehbaren Gründen oft, im (noch) bestehenden Arbeitsverhältnis konkrete Ansprüche unmissverständlich einzufordern, um dadurch den Ablauf einer Ausschlussfrist zu verhindern. Dass das ein Fehler ist, zeigt der vorliegende Fall.
Zur Wahrung einer Ausschlussfrist erster Stufe ist es erforderlich, klar zu sagen bzw. zu schreiben, dass man Inhaber einer konkreten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Ein solches Schreiben (E-Mail genügt) muss die Art des Anspruchs eindeutig bezeichnen, darüber hinaus seine Höhe (bei Zahlungsansprüchen) und außerdem den Zeitraum, für den der Anspruch besteht. Schließlich müssen je nach Art des Anspruchs auch die die Tatsachen angegeben werden (z.B. die Leistung von Überstunden an bestimmten Tagen bzw. Stunden), auf die man seinen Anspruch stützt.
Hier im Streitfall hätte der Angestellte daher binnen drei Monaten nach dem 31.03.2015 bzw. nach dem 31.03.2016 an den Arbeitgeber schreiben können: „Hiermit fordere ich Sie dazu auf, mir die leistungsabhängige Prämie für das Jahr 2014 (bzw. 2015) in Höhe von 15.000,00 EUR brutto zu zahlen.“ Ein solcher kurzer Satz per E-Mail hätte eine nicht unerhebliche finanzielle Einbuße verhindert.
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