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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 13|2021

Update Arbeitsrecht 13|2021 vom 30.06.2021

Entscheidungsbesprechungen

BAG stärkt Mindestlohnschutz für häusliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung von Senioren

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.06.2021, 5 AZR 505/20

Aus dem Ausland entsandte Betreuungskräfte können Mindestlohn auch für Bereitschaftsdienstzeiten verlangen.

§§ 1 Abs.1 und 2; 20 Mindestlohngesetz (MiLoG); §§ 2 Abs.1 Nr.1; 15 Satz 1 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG); §§ 242, 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Aufgrund der Dienstleistungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union (EU) können Unternehmen aus dem EU-Ausland in Deutschland Aufträge übernehmen und dabei über den Preis konkurrieren, was insbesondere osteuropäische Firmen tun. Sie entsenden ihre Arbeitnehmer zur Arbeit nach Deutschland, bezahlen sie aber nach den in ihren Ländern geltenden Regelungen, womit sie geringere Lohnkosten als ihre deutschen Mitbewerber haben.

Als Kompromiss zwischen Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerschutz schreibt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) vor, dass ausländische Arbeitgeber ihren in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmern den Mindestlohn zahlen müssen, der nach dem deutschen Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt (§ 2 Abs.1 Nr.1 AEntG in Verb. mit §§ 1, 20 MiLoG). Den Mindestlohn können nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer auch vor deutschen Arbeitsgerichten einklagen (§ 15 AEntG).

Allerdings: Wo kein Kläger, da kein Richter. Der Mindestlohnschutz wird bei haushaltsnahen Dienstleistungen oft missachtet, denn hier gibt es meist keine zuverlässige Erfassung von Arbeitszeiten. Das gilt vor allem für die häusliche Pflege. Typisch für die Arbeit von pflegenden bzw. betreuenden Haushaltsgehilfen ist, dass sie in den Privathaushalt aufgenommen werden, so dass sich Arbeit und Privatsphäre vermischen.

In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Rechte von ausländischen Pflege- und Betreuungskräften gestärkt, die für einen ausländischen Arbeitgeber arbeiten und dabei nach Deutschland entsandt werden. Sie können den deutschen Mindestlohn verlangen, und zwar auch für Zeiten, die als Bereitschaftsdienstzeiten anzusehen sind: BAG, Urteil vom 24.06.2021, 5 AZR 505/20.

Sachverhalt

Eine bulgarische Betreuerin mit Wohnsitz in Bulgarien verklagte ihren bulgarischen Arbeitgeber Mitte 2018 vor dem Arbeitsgericht Berlin auf ca. 47.000 EUR Mindestlohn abzüglich bereits erhaltener ca. 6.700 EUR netto. Denn sie hatte von Mitte April bis Ende August 2015 und von Oktober bis Dezember 2015 im Auftrag ihres Arbeitgebers in Berlin eine über 90-jährige Pflegebedürftige, Frau Z., im Rahmen einer häuslichen 24-Stunden-Betreuung versorgt und wohnte während dieser Zeit auch bei Frau Z.

Der in Deutschland im Jahr 2015 geltende allgemeine Mindestlohn nach dem MiLoG betrug 8,50 brutto pro Stunde, und diese Bezahlung verlangte die Betreuerin, und zwar für volle 24 Stunden pro Tag. Denn obwohl in ihrem Arbeitsvertrag eine Arbeitszeit von nur 30 Stunden wöchentlich vereinbart war (bei einem arbeitsfreien Samstag und Sonntag), umfassten ihre Aufgaben gemäß dem Dienstleistungsvertrag, den ihr Arbeitgeber mit Frau Z. vereinbart hatte, neben Haushaltstätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Putzen etc. auch eine „Grundversorgung“, d.h. Hilfe bei der Hygiene und beim Ankleiden, und schließlich auch soziale Aufgaben, d.h. das Leisten von Gesellschaft und die „gemeinsame Interessenverfolgung“.

Nach dem Vorbringen der Klägerin arbeitete sie 24 Stunden am Tag, und das sieben Tage pro Woche. Denn sie musste sich jederzeit - auch nachts - bereithalten, Frau Z. falls nötig zu unterstützen. Der beklagte Arbeitgeber pochte dagegen auf die vereinbarten 30 Arbeitsstunden pro Woche und bestritt, dass längere Arbeitszeiten notwendig gewesen seien.

Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage statt (Urteil vom 22.08.2019, 44 Ca 11017/18), und auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg entschied überwiegend zugunsten der Betreuerin, schätzte aber den pro Tag für private Dinge verbleibenden Zeitanteil auf drei Stunden, so dass sich eine Vergütungspflicht für 21 Stunden pro Tag ergab (Urteil vom 17.08.2020, 21 Sa 1900/19).

Entscheidung des BAG

Das BAG hob das LAG-Urteil auf und verwies den Fall zurück zum LAG, das den Fall jetzt noch einmal überprüfen muss. Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden BAG-Pressemeldung:

Betreuungskräfte, die nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandt werden, können den gesetzlichen Mindestlohn für ihre geleisteten Arbeitsstunden verlangen, so das BAG. Denn § 1 Abs.1 und § 20 MiLoG, aus denen sich diese Pflicht ausländischer Arbeitgeber ergibt, gelten unabhängig davon, ob sich das Arbeitsverhältnis in anderen Punkten nach deutschem oder ausländischem Recht richtet. Daher nutzte es dem Beklagten bulgarischen Arbeitgeber im Streitfall nichts, dass der auf Bulgarisch verfasste Arbeitsvertrag wahrscheinlich bulgarischem Recht unterstand.

Weiterhin stellt das BAG klar, dass die bei der häuslichen Pflege anfallenden Bereitschaftsdienstzeiten in vollem Umfang als Arbeitszeit zu bezahlen sind. Ein

Bereitschaftsdienst kann darin bestehen, so das BAG, dass die Betreuungskraft im Haushalt der zu betreuenden Person wohnen muss und verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten.

Allerdings konnte sich das LAG für seine Annahme, dass die Betreuerin geschätzte 21 Stunden pro Tag Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst leistete bzw. drei Stunden pro Tag Freizeit hatte, auf keine ausreichenden faktischen Anhaltspunkte stützen, weshalb das BAG das LAG-Urteil aufhob. Hier muss das LAG nun genauer prüfen, in welchem zeitlichen Umfang die Klägerin gearbeitet hatte.

Praxishinweis

Das Urteil des BAG ist richtig, aber juristisch unspektakulär. Denn es war auch bisher kaum zu bezweifeln, dass osteuropäische Unternehmen an den deutschen Mindestlohn gebunden sind, wenn sie über die Vermittlung von Agenturen wie die „Deutsche Seniorenbetreuung“ Betreuungsaufträge ergattern und ihre Betreuungs- bzw. Pflegekräfte sodann in deutschen Seniorenhaushalten „rund um die Uhr“ arbeiten lassen.

Trotzdem schlägt das BAG-Urteil derzeit hohe Wellen. Denn jetzt ist es amtlich, dass eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause auf legalem Wege nicht für ca. 1.500 bis 2.000 EUR pro Monat zu haben ist (abgesehen von der offensichtlichen und massiven Überschreitung der arbeitszeitrechtlich zulässigen täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten).

Vielmehr führt der aktuell (ab Juli 2021) gültige Mindestlohn von 9,60 EUR bei vollständiger Mindestlohnvergütung eines 24-Stundendienstes rechnerisch zu monatlichen Mindestlohnkosten von etwa 8.400 EUR (ohne den Arbeitgeberanteil am Sozialbeitrag nach deutschem Sozialversicherungsrecht), so dass ein ausländischer Pflegedienst für einen solchen Service um die 10.000 EUR verlangen müsste. Kosten dieser Größenordnung werden voraussichtlich dazu führen, dass der (ohnehin hohe) Schwarzarbeitsanteil an der häuslichen Pflege weiter zunehmen wird.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.06.2021, 5 AZR 505/20 (Pressemeldung des Gerichts)

 

Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitszeit und Arbeitszeitrecht

Handbuch Arbeitsrecht: Bereitschaftsdienst

Handbuch Arbeitsrecht: Entsendung ausländischer Arbeitnehmer

Handbuch Arbeitsrecht: Mindestlohn

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