Update Arbeitsrecht 13|2020 vom 24.06.2020
Entscheidungsbesprechungen
BAG stärkt Kündigungsschutz bei Schwangerschaft
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2020, 2 AZR 498/19
Das Verbot der Kündigung einer Schwangeren gilt auch für Kündigungen, die vor der erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit ausgesprochen werden.
§ 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG); § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.6 Abs.4 Grundgesetz (GG); Art.10 Richtlinie 92/85/EWG (Mutterschutzrichtlinie)
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) ist die Kündigung gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder wenn sie ihm binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. In seltenen Ausnahmefällen kann die nach Landesrecht zuständige oberste Arbeitsschutzbehörde eine Kündigung für zulässig erklären, wenn sie mit der Schwangerschaft nichts zu tun hat (§ 17 Abs.2 Satz 1 MuSchG).
Kündigt der Arbeitgeber entgegen § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1 MuSchG, verstößt er gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), so dass die Kündigung nichtig ist.
Arbeitsverträge sehen oft vor, dass das Arbeitsverhältnis erst in einigen Wochen oder Monaten beginnen soll, so dass einige Zeit zwischen dem Vertragsschluss und dem geplanten ersten Arbeitstag vergeht.
Im MuSchG nicht eindeutig geregelt und daher umstritten ist die Frage, ob das Verbot der Kündigung einer Schwangeren auch in dieser Zwischenzeit gilt, d.h. zwischen Vertragsschluss und Arbeitsaufnahme. Ja, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer aktuellen Entscheidung: BAG, Urteil vom 27.02.2020, 2 AZR 498/19.
Sachverhalt
Ein Rechtsanwalt stellte mit schriftlichem Arbeitsvertrag von Mitte Dezember 2017 eine Rechtsanwaltsfachangestellte (ReNo) ein. Das Arbeitsverhältnis sollte Anfang Februar 2018 beginnen, und zwar mit einer sechsmonatigen Probezeit, in der beide Parteien mit einer Frist von zwei Wochen hätten kündigen können.
Eine vertragliche Regelung, der zufolge die Kündigung vor Arbeitsbeginn ausgeschlossen war, hatten die Parteien nicht getroffen, so dass der Arbeitsvertrag schon vor dem 01.02.2018 beiderseits kündbar war.
Am 18.01.2018 informierte die ReNo ihren Chef darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt worden sei. Aufgrund einer Vorerkrankung sei ein ärztliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen worden, d.h. die ReNo hätte den Dienst nicht antreten können (§ 16 Abs.1 MuSchG). Der Rechtsanwalt war nicht begeistert und kündigte mit Schreiben vom 30.01.2018 ordentlich zum 14.02.2018.
Dagegen erhob die ReNo Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Kassel (Urteil vom 03.05.2018, 3 Ca 46/18) und das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) gaben ihr recht (Hessisches LAG, Urteil vom 13.06.2019, 5 Sa 751/18).
Entscheidung des BAG
Auch vor dem BAG zog der Rechtsanwalt den Kürzeren. Der Leitsatz der BAG-Entscheidung lautet:
„Das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1 MuSchG gilt auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme.“
Zur Begründung verweist das BAG auf den Zweck des gesetzlichen Kündigungsverbots, das die Gesundheit und die wirtschaftliche Existenz schwangerer Arbeitnehmerinnen absichern soll (Urteil, Rn.15). Mit dieser Zielsetzung des Gesetzes ist es laut BAG nicht vereinbar, wenn der Kündigungsschutz erst ab der Arbeitsaufnahme bestehen würde.
Die weitherzige Auslegung des gesetzlichen Kündigungsverbots steht auch in Übereinstimmung mit dem Europarecht, so das BAG, d.h. mit Art.10 der Mutterschutzrichtlinie (Richtlinie 92/85/EWG), der mit § 17 Abs.1 Satz 1 Nr.1 MuSchG umgesetzt wird (Urteil, Rn.22 bis 24).
Praxishinweis
Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Da das MuSchG den zeitlichen Beginn des Kündigungsverbots nicht ausdrücklich festlegt, kommt es auf dessen Schutzzweck an, und der spricht dafür, schwangere Arbeitnehmerinnen bereits vor dem geplanten Arbeitsbeginn zu schützen.
Offengelassen hat das BAG, ob das Kündigungsverbot auch gilt, wenn der vereinbarte Dienstantritt so weit in der Zukunft liegt, dass die gesetzlichen „Schutzzeiten“ bis dahin bereits abgelaufen sind (Urteil, Rn.17). Offenbar denkt das BAG hier an den Fall, dass die Arbeitnehmerin erst vier Monate seit der Niederkunft oder danach mit der Arbeit anfangen soll (§ 17 Abs.1 Satz 1 Nr.2 und Nr.3 MuSchG), so dass der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt keine Kündigungsbeschränkungen mehr beachten müsste (Urteil, Rn.17). Auch dann, so das BAG, spricht Einiges für ein Kündigungsverbot in der Zeit vor der Arbeitsaufnahme (Urteil, Rn.17).
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.02.2020, 2 AZR 498/19
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