Update Arbeitsrecht 01|2019 vom 02.10.2019
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Übertragung von Weisungsrechten in einer Matrixstruktur als Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.06.2019, 1 ABR 5/18
Soll eine Führungskraft von der Unternehmenszentrale aus Arbeitnehmer eines anderen Betriebs leiten, wird sie dort „eingestellt“.
§§ 99, 93 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Rechtlicher Hintergrund
In Unternehmen mit regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über jede Einstellung vorab informieren und seine Zustimmung zu der geplanten Einstellung einholen, § 99 Abs.1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
Verweigert der Betriebsrat innerhalb einer Woche nach der Unterrichtung die Zustimmung, muss er sich dabei auf einen der im Gesetz genannten Sachgründe für eine Zustimmungsverweigerung berufen, z.B. darauf, dass eine gemäß § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung im Betrieb unterblieben ist. Dann kann der Arbeitgeber vor das Arbeitsgericht ziehen und beantragen, dass das Gericht die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung ersetzt (§ 99 Abs.4 BetrVG).
Manchmal ist nicht klar, ob eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vorliegt oder nicht. So ist es z.B. oft beim Einsatz von Fremdfirmenmitarbeitern oder bei einer Führungskraft, die im Rahmen einer Matrixorganisation von der Unternehmenszentrale aus Leitungsaufgaben per E-Mail und Telefon gegenüber Mitarbeitern eines anderen Betriebs wahrnimmt, ohne in diesem Betrieb persönlich anwesend zu sein.
In den vergangenen Jahren haben einige Landesarbeitsgerichte (LAG) zugunsten der Betriebsratsseite entschieden, dass eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs.1 BetrVG vorliegen kann, wenn eine Führungskraft in einer Matrixorganisation, d.h. betriebs- oder unternehmensübergreifend, eine Vorgesetztenstellung gegenüber Arbeitnehmern anderer Betriebe erhält (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.05.2014, Leitsatz; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.06.2015, 17 TaBV 277/15, Rn.20; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2016, 7 TaBV 63/15, Leitsatz). Diese Rechtsprechung ist bisher vom Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht ausdrücklich abgesegnet worden.
Sachverhalt
Im Streitfall hatte ein Telekommunikationsunternehmen mit Unternehmenszentrale in Düsseldorf eine dort tätige Führungskraft, Dr. K., zum Vorgesetzten eines Mitarbeiters, Herrn T., gemacht, der in einem anderen Betrieb arbeitete und dort ein Team von etwa 35 Mitarbeitern leitete. Die Übertragung der Vorgesetztenstellung gegenüber Herrn T. hatte daher zur Folge, dass der in der Düsseldorfer Zentrale arbeitende Dr. K. mittelbar zum Chef eines Teams von etwa 35 Mitarbeitern wurde, in deren Betrieb er aber nur in Ausnahmefällen persönlich anwesend war.
Das Unternehmen hatte zuvor die Zustimmung des Betriebsrats der Unternehmenszentrale eingeholt, der dabei auch auf eine Stellenausschreibung verzichtete, die in einer Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) zum Thema Stellenausschreibung vorgesehen war. Anders als der Betriebsrat der Unternehmenszentrale legte sich der Betriebsrat des Betriebes, in dem Herr T. mit seinem Team arbeitete, quer.
Er verweigerte seine Zustimmung unter Berufung auf die GBV Stellenausschreibung (§ 99 Abs.2 Nr.1 BetrVG) und zudem mit dem Argument, dass in „seinem“ Betrieb auch kraft Gesetzes (gemäß § 93 BetrVG) eine Ausschreibung erforderlich gewesen wäre, d.h. er verweigerte die Zustimmung auch unter Berufung auf § 99 Abs.2 Nr.5 BetrVG.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies den Antrag des Unternehmens auf Zustimmungsersetzung als unzulässig ab, da es die Maßnahme nicht als „Einstellung“ im Sinne von § 99 Abs.1 BetrVG ansah (Arbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 04.09.2017, 15 BV 58/17).
Dagegen gab das LAG Düsseldorf dem Betriebsrat in der Sache Recht, d.h. es wies den Antrag des Arbeitgebers als unbegründet ab. Laut LAG Düsseldorf lag hier eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vor, gegen die der Betriebsrat allerdings zurecht Zustimmungsverweigerungsgründe geltend gemacht hatte (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2017, 12 TaBV 66/17). Aus Sicht des LAG hätte der Arbeitgeber gemäß § 93 BetrVG eine Stellenausschreibung durchführen müssen, und er hatte, so das LAG, auch gegen die GBV Stellenausschreibung verstoßen (LAG Düsseldorf, a.a.O., Rn.100 - 105).
Entscheidung des BAG
Das BAG bestätigte zunächst, dass eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vorliegen kann, wenn eine Führungskraft künftig Arbeitnehmer anweisen soll, die in einem anderen Betrieb tätig sind. Der Leitsatz der BAG-Entscheidung lautet:
„Eine Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt auch vor, wenn ein Arbeitnehmer, der seinen Dienstsitz in einem bestimmten Betrieb des Unternehmens hat und dort regelmäßig tätig ist, zum Vorgesetzten von unternehmensangehörigen Arbeitnehmern eines anderen Betriebs bestellt und durch die Wahrnehmung dieser Führungsaufgaben (auch) der arbeitstechnische Zweck dieses anderen Betriebs verwirklicht wird.“
Damit hat das BAG den Begriff der Einstellung im Sinne von § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG gegenüber seiner bisherigen Rechtsprechung ein wenig ausgeweitet, denn in vergleichbaren Fällen hatte das BAG bisher auf die Unterstellung des Mitarbeiters unter die Weisungsbefugnis der Betriebsleitung des aufnehmenden Betriebs abgestellt (BAG, Beschluss vom 13.12.2005, 1 ABR 51/04, Rn.13, 14; BAG, Beschluss vom 13.03.2001, 1 ABR 34/00, Leitsatz). Eine solche Eingliederung ist bei einer Matrixorganisation wie hier im Streitfall aber nicht gegeben, wenn der externe „Mitarbeiter“ seinerseits den Betrieb überwacht bzw. anleitet, in den er eingegliedert wird.
Im Ergebnis ist dem BAG aber zuzustimmen, denn der Betriebsrat des Betriebes, dessen Mitarbeiter einen externen Vorgesetzten erhalten, sollte die rechtlichen Möglichkeiten gemäß § 99 Abs.2 BetrVG haben.
Trotz dieser aus Sicht des Betriebsrats positiven Klarstellung ging das vorliegende Verfahren zugunsten des Arbeitgebers aus, denn das BAG ersetzte die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung. Obwohl Dr. K. laut BAG in dem umstrittenen Betrieb „eingestellt“ worden war, war ihm nämlich damit kein freier „Arbeitsplatz“ in diesem Betrieb zugeteilt worden, so die Erfurter Richter. Daher konnte sich der Betriebsrat auf den Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs.2 Nr.5 BetrVG nicht berufen, denn das Unternehmen hatte im Streitfall keinen Arbeitsplatz besetzt, weshalb auch keine Ausschreibung gemäß § 93 BetrVG erforderlich war (BAG, Beschluss vom 12.06.2019, 1 ABR 5/18, Rn.42-44). Auch ein Verstoß gegen die GBV Stellenausschreibung lag laut BAG nicht vor, denn auch die GBV regelte die Besetzung freier Arbeitsplätze.
Praxishinweis
Die Übertragung einer Vorgesetztenposition auf einen betriebsexternen Mitarbeiter desselben Unternehmens ist in der Regel eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG, denn der neue Vorgesetzte wird aufgrund seiner Vorgesetztenfunktion in den Betrieb eingegliedert, dessen Mitarbeiter er anleiten soll. Ein freier Arbeitsplatz wird damit allerdings nicht besetzt, denn der Vorgesetzte behält ja seinen bisherigen Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb.
In solchen Fällen kann sich der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes meist nicht auf ein Recht zur Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 Abs.2 Nr.5 BetrVG berufen, u.U. aber auf § 99 Abs.2 Nr.6 BetrVG, falls der neue Vorgesetzte den Betriebsfrieden aus den hier genannten Gründen stören würde. Denkbar ist auch eine Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 Abs.2 Nr.3 BetrVG, wenn Arbeitsplatz oder Bezahlung einer bisher zuständigen betriebsinternen Führungskraft gefährdet sind.
Schließlich ist es auch möglich, in Betriebs- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen zum Thema Matrixorganisation Auswahlrichtlinien im Sinne von § 95 BetrVG festzulegen, denen zufolge zu vergebende Vorgesetztenstellen in allen betroffenen Betrieben auszuschreiben sind. An eine solche Auswahlrichtlinie müsste sich der Arbeitgeber dann halten, will er keine Verweigerung der Zustimmung gemäß § 99 Abs.2 Nr.2 BetrVG riskieren.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.06.2019, 1 ABR 5/18
Handbuch Arbeitsrecht: Leitender Angestellter
Handbuch Arbeitsrecht: Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten
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