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ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 22|2021

Update Arbeitsrecht 22|2021 vom 03.11.2021

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl wegen Verwendung einer teilweise unrichtigen Wählerliste

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30.06.2021, 7 ABR 24/20

Die Verwendung einer Telefonliste als Wählerliste zur Durchführung einer Betriebsratswahl führt auch dann, wenn einzelne Wahlberechtigte von der Wahl ausgeschlossen werden, nicht zur Nichtigkeit der Wahl.

§ 19 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG); §§ 2 Abs.2; 4 Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung - WO), vom 11.12.2001

Rechtlicher Hintergrund

Eine Betriebsratswahl ist gemäß § 19 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) arbeitsgerichtlich anfechtbar, wenn bei der Wahl gegen Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde, und wenn die Möglichkeit besteht, dass dadurch das Wahlergebnis geändert oder beeinflusst wurde. Anfechtungsberechtigt sind gemäß § 19 Abs.2 Satz 1 BetrVG die die wahlberechtigten Arbeitnehmer, von denen sich mindestens drei für ein Anfechtungsverfahren zusammenschließen müssen, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft sowie der Arbeitgeber.

Eine Wahlanfechtung ist gemäß § 19 Abs.2 Satz 2 BetrVG nur innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses möglich. Daher kann der Fall eintreten, dass innerhalb dieser kurzen Frist niemand vor Gericht zieht und es daher bei dem anfechtbaren Wahlergebnis bleibt. Dann bleibt der - anfechtbar gewählte - Betriebsrat bis zur nächsten Betriebsratswahl im Amt, in der Regel also vier Jahre.

Demzufolge sind Regelverstöße, die eine Betriebsratswahl anfechtbar machen, zwar keine Kleinigkeiten, andererseits aber auch nicht so schwerwiegend, dass man mit dem regelwidrig zustande gekommenen Wahlergebnis nicht vier Jahre lang leben könnte. Wirklich extreme Regelverstöße bei einer Betriebsratswahl führen daher nicht zur Anfechtbarkeit, sondern zur sog. Nichtigkeit der Wahl.

Bei einer nichtigen Betriebsratswahl besteht noch nicht einmal der Anschein eines regelkonformen Wahlverfahrens, d.h. die Rechtswidrigkeit der Wahl ist offensichtlich. Dann ist der „gewählte“ Betriebsrat niemals im Amt, auch nicht vorübergehend bis zu einer gerichtlichen Entscheidung. Für die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit gilt keine Frist, d.h. sie kann immer geltend gemacht werden.

Im August 2020 berichteten wir über eine Entscheidung des Thüringer Landesarbeitsgerichts (LAG), mit der das Gericht eine Betriebsratswahl als nichtig bewertet hatte, weil der Wahlvorstand als Wählerliste eine Telefonliste unklarer Herkunft verwendet hatte (Thüringer LAG, Beschluss vom 24.06.2020, 4 TaBV 12/19, s. dazu Update Arbeitsrecht 17|2020 vom 19.08.2020).
Vor kurzem hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Fall des Thüringer LAG andersherum entschieden: BAG, Beschluss vom 30.06.2021, 7 ABR 24/20.

Sachverhalt

Arbeitgeber und Wahlvorstand hatten sich 2017 arbeitsgerichtlich durch Vergleich darüber geeinigt, dass der Arbeitgeber dem Wahlvorstand eine Liste der im Betriebsteil E. beschäftigten Arbeitnehmer überreichen sollte. Nachdem der Wahlvorstand vom Arbeitgeber auch eine Liste mit Arbeitnehmern am Standort A. haben wollte, diese allerdings nicht erhielt, erstellte er selbst eine solche Liste auf der Grundlage eines Telefonverzeichnisses.

Auf der vom Wahlvorstand erstellten Liste befanden sich vier Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl im April 2018 bereits aus dem Betrieb ausgeschieden waren, sowie ein Fremdfirmen-Mitarbeiter. Außerdem fehlten auf dieser Liste vier wahlberechtigte Arbeitnehmer sowie zwei wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen.

Die rechtzeitig vom Arbeitgeber eingeleitete Wahlanfechtung hatte vor dem Arbeitsgericht Erfurt keinen Erfolg (Beschluss vom 13.03.2019, 3 BV 51/18), während das Thüringer LAG sogar zu dem Ergebnis kam, dass die Wahl nichtig war (Beschluss vom 24.06.2020, 4 TaBV 12/19, s. dazu Update Arbeitsrecht 17|2020 vom 19.08.2020).

Entscheidung des BAG0 19.08.2020

Das BAG hob den Beschluss des LAG auf und erklärte die Betriebsratswahl zwar für unwirksam, stellte dabei aber klar, dass hier keine nichtige Wahl vorlag.

Denn dass der Wahlvorstand den Arbeitgeber nicht durch ein arbeitsgerichtliches Eilverfahren zur Überreichung einer Liste mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angehalten hatte, sondern auf eigene Faust eine Liste auf der Grundlage eines Telefonverzeichnisses erstellt hatte, war kein grober Verstoß gegen die Rechtsgrundsätze des Wahlverfahrens. Ein solcher - grober - Verstoß läge z.B. vor, wenn entgegen § 2 Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung - WO) gar keine Wählerliste aufgestellt würde (BAG, Beschluss, Rn.33).

Hier hatte die fehlerhafte Liste „nur“ zur Folge, dass wahlberechtigte Arbeitnehmer von der Wahl ausgeschlossen wurden. Das ist zwar ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht (§ 7 BetrVG), berechtigt aber im Allgemeinen nur zur Anfechtung der Wahl (BAG, Beschluss, Rn.33).

Ergänzend verweist das BAG auf die Möglichkeit, gegen die Richtigkeit der Wählerliste Einspruch beim Wahlvorstand zu erheben (§ 4 WO). Da ein solcher Einspruch fristgebunden ist und nur binnen zwei Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens eingelegt werden kann, belegt diese Vorschrift, dass einzelne Fehler der Wählerliste der Durchführung der Wahl nicht im Wege stehen bzw. später im Rahmen einer (ebenfalls fristgebundenen) Wahlanfechtung gemäß § 19 BetrVG geltend gemacht werden müssen (BAG, Beschluss, Rn.34).

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist richtig. Die Fehler, die der Wahlvorstand hier im Streitfall bei der Erstellung einer Wählerliste gemacht hatte, führen nicht zur Nichtigkeit der Wahl, sondern berechtigen nur zur Wahlanfechtung.

Nach dem neuen § 19 Abs.3 BetrVG, der durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz vom 14.06.2021 (BGBl I, S.1762) in das Gesetz eingefügt wurde und seit dem 18.06.2021 in Kraft ist, ist sogar die Wahlanfechtung durch die Wahlberechtigten ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, wenn nicht zuvor aus demselben Grund ordnungsgemäß Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde. Dies gilt nicht, wenn die hinter der Anfechtung stehenden Wahlberechtigten an der Einlegung eines Einspruchs gehindert waren.

Darüber hinaus ist auch die Wahlanfechtung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist, falls diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht (§ 19 Abs.3 Satz 3 BetrVG).

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30.06.2021, 7 ABR 24/20

Thüringer Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.06.2020, 4 TaBV 12/19

 

Handbuch Arbeitsrecht: Anfechtung der Wahl zum Betriebsrat

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratswahl - Arbeitnehmer und Wahlberechtigung

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratswahl - Betrieb und Betriebsteil: Wo wird gewählt

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratswahl - Betriebsgröße und Wahlverfahren: Wie wird gewählt?

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsratswahl - Größe und Zusammensetzung des Betriebsrats: Wer ist zu wählen?

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