Update Arbeitsrecht 25|2021 vom 15.12.2021
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Kein Urlaub für Zeiten einer Kurzarbeit Null
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.11.2021, 9 AZR 225/21
Fallen im Jahresverlauf einzelne Arbeitstage wegen Kurzarbeit aus, ist der Jahresurlaub zeitanteilig vermindert.
§§ 1, 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG); Art.7 Abs.1 Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-Richtlinie); § 17 Abs.1 Satz 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)
Rechtlicher Hintergrund
Nach der älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entstanden Urlaubsansprüche auch dann, wenn Arbeitnehmer im Urlaubsjahr (Kalenderjahr) gar nicht gearbeitet haben, z.B. wegen eines Sabbatjahres (BAG, Urteil vom 06.05.2014, 9 AZR 678/12, Leitsatz).
Diese Rechtsprechung ist aber bereits seit einigen Jahren überholt, da sich das BAG der urlaubsrechtlichen Betrachtungsweise des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angepasst hat. Laut EuGH müssen sich Arbeitnehmer ihren Urlaubsanspruch erarbeiten - abgesehen von dem Sonderfall der Erkrankung, die jedenfalls für die Dauer von 15 Monate nach Beendigung des Urlaubs- bzw. Kalenderjahrs nicht zum Untergang des Urlaubsanspruchs führen darf.
So ist es nach Ansicht des EuGH mit Art.7 Abs.1 der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) zu vereinbaren, dass Arbeitnehmer während einer Kurzarbeit Null keine neuen Urlaubsansprüche erwerben (EuGH, Urteil vom 08.11.2012, C-229/11 und C-230/11 - Heimann und Toltschin). Und es verstößt auch nicht gegen Art.7 der Arbeitszeitrichtlinie, wenn man während eines Elternurlaubs keine Urlaubsansprüche erwirbt (EuGH, Urteil vom 04.10.2018, C-12/17 - Maria Dicu).
Entsprechend dieser Linie des EuGH hat das BAG schon 2019 entschieden, dass die in § 17 Abs.1 Satz 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) vorgesehene Möglichkeit, den Urlaub für jeden vollen Monat einer Elternzeit anteilig zu kürzen, rechtens ist (BAG, Urteil vom 19.03.2019, 9 AZR 362/18). Und man erwirbt auch keine Urlaubsansprüche während der Freistellungsphase einer Altersteilzeit, die im Blockmodell durchgeführt wird (BAG, Urteil vom 24.09.2019, 9 AZR 481/18).
Bis vor kurzem gab es noch keine ausdrückliche Bestätigung seitens des BAG, dass Arbeitnehmer während der Zeit einer sog. Kurzarbeit Null keine Urlaubsansprüche erwerben. In diesem Sinne haben die Erfurter Richter nur entschieden: BAG, Urteil vom 30.11.2021, 9 AZR 225/21 (Pressemeldung des Gerichts).
Sachverhalt
Eine seit März 2011 bei einer Bäckerei angestellte Teilzeitkraft hatte an drei Tagen in der Woche zu arbeiten. Im Arbeitsvertrag waren ein Urlaubsanspruch von 28 Werktagen (Montag bis Samstag) vereinbart.
Aufgrund der Dreitagewoche der Angestellten, die aufs Jahr gerechnet eine jährliche Anzahl von (3 x 52 Wochen =) 156 Tage mit Arbeitspflicht ergibt, entsprachen die vereinbarten 28 Werktage Urlaub einem jährlichen Urlaubsanspruch von 14 Urlaubstagen (= 28 vereinbarte Werktage Urlaub x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage pro Jahr).
Aufgrund der Corona-Epidemie vereinbarten die Parteien Kurzarbeit, weshalb die Angestellte in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete.
Wegen der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle berechnete der Arbeitgeber den Urlaub für 2020 neu, und zwar mit 11,5 Arbeitstagen. Die Angestellte meinte dagegen, ihr stünde trotz der Arbeitsausfälle der volle Jahresurlaub zu, d.h. die ungekürzten arbeitsvertraglich vereinbarten 14 Urlaubstage.
Die darauf gerichtete Feststellungsklage hatte vor dem Arbeitsgericht Essen keinen Erfolg (Urteil vom 06.10.2020, 1 Ca 2155/20). Und auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf wies die Klage zurück, mit der die Angestellte zuletzt noch die (14 - 11,5 =) 2,5 weiteren bzw. streitigen Urlaubstage festgestellt sehen wollte (LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2021, 6 Sa 824/20).
Entscheidung des BAG
Auch das BAG entschied gegen die Angestellte. Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG:
Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dieser Arbeitsausfall bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen. Daher hatte die Klägerin im Streitfall keinen Anspruch auf weitere 2,5 Arbeitstage Urlaub für 2020.
Nach § 3 Abs.1 BUrlG beträgt der jährliche Urlaub bei einer Sechstagewoche 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit auf weniger (oder mehr) als sechs Arbeitstage pro Woche verteilt, sind Urlaubstage des Arbeitnehmers individuell unter Berücksichtigung seines Arbeitsrhythmus zu berechnen, und zwar nach der Umrechnungsformel (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).
Diese Berechnungsweise gilt im Allgemeinen, so das BAG, auch für einen vertraglichen Mehrurlaubsanspruch, wenn im Arbeitsvertrag für den Mehrurlaub keine andere Berechnungsweise vereinbart wurde. Eine solche, d.h. vom BUrlG abweichende Berechnung hatten die Parteien im Streitfall für den arbeitsvertraglichen Mehrurlaubsanspruch der Klägerin nicht festgelegt.
Bei der Dreitagewoche der Klägerin ergibt sich zunächst im Normalfall ein Jahresurlaub von 14 Arbeitstagen (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage), so das BAG. Der Urlaubsanspruch für 2020 übersteigt wegen der Kurzarbeit jedenfalls nicht die vom Arbeitgeber berechneten 11,5 Arbeitstage. Allein bei Berücksichtigung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig ausfiel (April, Mai und Oktober 2020), hätte die Angestellte nur einen Urlaubsanspruch von 10,5 Arbeitstagen (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).
Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG ist zutreffend und nicht überraschend. In diesem Sinne hat das BAG bereits, wie oben erwähnt, seit einigen Jahren in vergleichbaren Fällen entschieden, so z.B. für die Freistellungsphase einer Altersteilzeit, für Elternzeiten oder auch andere Fälle einer unbezahlten Freistellung (Sabbatjahr).
Dass die BAG-Entscheidung auch nicht gegen das Europarecht verstößt, ist angesichts der diesbezüglichen EuGH-Rechtsprechung offensichtlich. Außerdem kann sich das BAG auf die praktisch allgemeine Meinung in der juristischen Literatur stützen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.11.2021, 9 AZR 225/21 (Pressemeldung des Gerichts)
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