Update Arbeitsrecht 15|2021 vom 28.07.2021
Leitsatzreport
Hessisches LAG: Anspruch von Fahrradkurieren auf Stellung eines Fahrrads und eines Diensthandys
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 12.03.2021, 14 Sa 306/20
§§ 307 Abs.1 Satz 1, 611a, 615 Satz 3, 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsatz des Gerichts:
Fahrradlieferanten, die Speisen und Getränke an Kunden ausliefern, haben gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Stellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Mobiltelefons zur dienstlichen Nutzung, wenn der Arbeitsvertrag nicht wirksam etwas Abweichendes regelt. Der Anspruch folgt aus §§ 611a, 615 S. 3, 618 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Vor dem Hintergrund der rechtlichen Anerkennung eines tatsächlichen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers kann dieser den Anspruch auf Stellung der zwingend zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Arbeitsmittel einklagen und kann nicht auf Ansprüche auf Annahmeverzugslohn verwiesen werden. Die Pflicht, ohne finanziellen Ausgleich zwingend notwendige Arbeitsmittel von einigem Wert selbst stellen zu müssen, kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht wirksam begründet werden. Eine solche Regelung benachteiligt den Arbeitnehmer nach § 307 Abs.1 S. 1 BGB unangemessen.
Hintergrund:
Ein Kurierfahrer lieferte für seinen Arbeitgeber, einen Kurierdienst, mit dem Fahrrad Speisen und Getränke aus. Einsatzpläne, Restaurantadressen und Kundenadressen wurden ihm per App auf sein Smartphone mitgeteilt. In seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) hatte der Kurierdienst die Arbeitsmittel, die er seinen Fahrern gegen ein Pfand zur Verfügung stellte („Equipment“), einzeln aufgelistet. Fahrrad und Handy waren hier nicht genannt. Der Kurierfahrer verklagte den Kurierdienst darauf, ihm zur Ausübung seiner Tätigkeit ein internetfähiges Mobilfunkgerät mit einem Datennutzungsvertrag im Umfang von einem Datenvolumen von 2 GB monatlich und ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung zu stellen. Das Arbeitsgericht Frankfurt wies die Klage ab (Urteil vom 29.01.2020, 2 Ca 5722/19), das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) entschied zugunsten des Kurierfahrers. Denn Arbeitsmittel muss im Allgemeinen der Arbeitgeber stellen, so das LAG im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 14.10.2003, 9 AZR 657/02, Rn.47). Diese Regel, die das LAG aus den §§ 611a, 615 Satz 3, 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) herleitet, kann zwar vertraglich abbedungen werden, was hier durch die AGB des Kurierdienstes auch geschehen ist, nämlich durch die abschließende Auflistung des vom Kurierdienst zu stellenden Arbeitsmittel. Allerdings bewertete das LAG diese AGB-Regelung als unwirksam, da sie den Fahrer unangemessen benachteiligte (§ 307 Abs.1 Satz 1 BGB). Denn Fahrrad und Handy sind nicht unerhebliche Vermögenswerte, so das LAG. Außerdem werden sie abgenutzt und können durch den Gebrauch während der Arbeit beschädigt werden oder verloren gehen. Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen, wo der Fall inzwischen liegt (AZ des BAG: 5 AZR 334/21).
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 12.03.2021, 14 Sa 306/20
Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
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