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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 23|2021

Update Arbeitsrecht 23|2021 vom 17.11.2021

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Kurierdienste müssen Fahrradlieferanten Fahrrad und Mobiltelefon stellen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.11.2021, 5 AZR 334/21

Fahrradkuriere, die ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, können vom Arbeitgeber die Überlassung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines internetfähigen Handys verlangen.

§§ 307, 611a, 615 Satz 3, 618, 670 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Durch den Arbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitnehmer dazu, im Dienste des Arbeitgebers nach dessen Weisungen zu arbeiten, § 611a Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Typisch für die arbeitsvertragliche Leistungspflicht ist ihre Fremdbestimmtheit, d.h. die Eingliederung in die Organisation des Arbeitgebers und die Verpflichtung des Arbeitnehmers, Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen. Im Gegenzug ist der Arbeitgeber zur Lohnzahlung verpflichtet (§ 611a Abs.2 BGB).

Da Arbeitnehmer normalerweise in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert sind, nutzen sie bei der Arbeit meist die vom Arbeitgeber gestellten Betriebsmittel. Dies allerdings ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt und jedenfalls nicht zwingend vorgeschrieben. Es ist daher zulässig, im Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass der Arbeitnehmer bei der Arbeit seine eigenen Sachen verwendet. Immerhin gilt auch im Arbeitsrecht das Prinzip der Vertragsfreiheit.

Fraglich ist, wo hier die Grenzen der Vertragsfreiheit verlaufen. Denn da dem Arbeitgeber das wirtschaftliche Resultat der Arbeitsleistung zugutekommt, wäre es in vielen Fällen nicht fair, Anschaffungs- und Verschleißkosten für notwendige Arbeitsmittel auf den Arbeitnehmer abzuwälzen.

Vor einigen Monaten sorgte eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) für Aufsehen, mit der das LAG einem angestellten Fahrradkurier recht gegeben hatte, der seinen Arbeitgeber, einen Kurierdienst, auf Stellung eines Fahrrads und eines internetfähigen Handys verklagt hatte (Hessisches LAG, Urteil vom 12.03.2021, 14 Sa 306/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 15|2021 vom 28.07.2021). Vor kurzem hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) über diesen Fall zu entscheiden (BAG, Urteil vom 10.11.2021, 5 AZR 334/21).

Sachverhalt

Ein Fahrradlieferant („Rider“) lieferte für seinen Arbeitgeber, einen Kurierdienst, mit dem Fahrrad Speisen und Getränke aus. Einsatzpläne, Restaurantadressen und Kundenadressen wurden ihm per App auf sein Smartphone übermittelt.

Für seine Fahrten benutzte der Rider sein eigenes Fahrrad und sein Mobiltelefon. Die Verpflichtung hierzu ergab sich aus den vom Kurierdienst vorgegebenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Darin waren die Arbeitsmittel, die der Arbeitgeber den Fahrern gegen ein Pfand zur Verfügung stellte („Equipment“), einzeln aufgelistet. Fahrrad und Handy waren hier nicht genannt.

Immerhin gewährte der Kurierdienst seinen Fahrern eine Reparaturgutschrift von 0,25 EUR pro Arbeitsstunde, die aber nur bei einem arbeitgeberseitig vorgegebenen Unternehmen eingelöst werden konnte.

Der Fahrer verklagte den Kurierdienst darauf, ihm zur Ausübung seiner Tätigkeit ein internetfähiges Mobilfunkgerät mit einem Datennutzungsvertrag im Umfang von 2 GB Datenvolumen monatlich sowie ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung zu stellen. Seiner Meinung nach sind Arbeitgeber rechtlich dafür verantwortlich, notwendige Arbeitsmittel bereitzustellen. Dieser Grundsatz sei durch die AGB des Kurierdienstes nicht wirksam abbedungen worden, so der Fahrer.

Der Kurierdienst hielt dagegen, dass die Rider ohnehin ein Fahrrad und ein internetfähiges Handy hätten, so dass sie durch die Benutzung ihrer Sachen nicht erheblich belastet würden. Außerdem hätten sie die gesetzliche Möglichkeit, Aufwendungsersatz gemäß § 670 BGB zu verlangen. Dadurch und durch das Reparaturbudget seien sie ausreichend geschützt.

Das Arbeitsgericht Frankfurt wies die Klage ab (Urteil vom 29.01.2020, 2 Ca 5722/19), während das Hessische LAG zugunsten des Kurierfahrers entschied (Hessisches LAG, Urteil vom 12.03.2021, 14 Sa 306/20, s. dazu Update Arbeitsrecht 15|2021 vom 28.07.2021).

Entscheidung des BAG

Auch vor dem BAG zog der Arbeitgeber den Kürzeren. Das BAG wies seine Revision zurück. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:

Die in den AGB des Kurierdienstes vereinbarte Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons durch den Kläger beinhaltete eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs.1 Satz 1, Abs.2 Nr.1 BGB. Diese Regelung war mit wesentlichen Grundgedanken der durch sie abbedungenen gesetzlichen Regelung unvereinbar.

Der Fahrer konnte deshalb von dem Kurierdienst nach § 611a Abs.1 BGB verlangen, dass ihm die für seine Arbeit als Rider notwendigen Arbeitsmittel bereitgestellt würden, nämlich ein Fahrrad und ein Mobiltelefon, auf das die Lieferaufträge und -adressen per App übermittelt werden.

Die Unangemessenheit der AGB-Regelung folgt nach Ansicht des BAG daraus, dass der Kurierdienst als Arbeitgeber von Anschaffungs- und Betriebskosten für Fahrräder und Mobiltelefone entlastet wird und auch nicht für Verschleiß, Wertverfall, Verlust oder Beschädigung einstehen muss. Diese Nachteile bzw. Risiken liegen vielmehr beim Arbeitnehmer. Das widerspricht, so das BAG, „dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses“, demzufolge Arbeitgeber zur Stellung der wesentlichen Arbeitsmittel verpflichtet sind und auch für deren Funktionsfähigkeit sorgen müssen.

Außerdem sahen die arbeitsvertraglichen Regelungen im Streitfall keinen ausreichenden Ausgleich für die Belastungen des Klägers vor. Ein solcher Ausgleich lag weder in dem gesetzlichen Sowieso-Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 670 BGB) noch in dem Fahrrad-Reparaturbudget. Denn das Budget orientierte sich nicht an der Fahrleistung, sondern an der Arbeitszeit, der Kläger konnte nicht frei über das Budget verfügen und sogar die Werkstatt durfte er nicht frei wählen. Außerdem war ein Ausgleich für die Nutzung des Handys gar nicht vorgesehen.

Praxishinweis

Arbeitnehmer können im Regelfall vom Arbeitgeber verlangen, dass er ihnen die Arbeitsmittel zur Verfügung stellt, die für die Arbeitsleistung wesentlich sind. Zu diesen Arbeitsmitteln gehören bei Fahrradkurieren ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon.

Dieser Rechtsgrundsatz ist allerdings nicht zwingend, d.h. die Arbeitsvertragsparteien können von ihm per Vertrag abweichen, auch durch AGB des Arbeitgebers. Solche AGB stellen aber eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar, wenn sie keine ausreichende finanzielle Kompensation dafür enthalten, dass der Arbeitnehmer bei der Arbeit seine eigenen Sachen verwendet.

Hier genügt es nicht, den Arbeitnehmer auf nachgelagerte gesetzliche Ansprüche wie den Aufwendungsersatzanspruch (§ 670 BGB) zu verweisen - oder gar auf den Anspruch auf Annahmeverzugslohn (§ 615 Satz 1 BGB), der ja voraussetzt, dass sich der Arbeitnehmer zunächst einmal weigert, zu arbeiten, solange er die dafür nötigen Arbeitsmittel nicht vom Arbeitgeber erhält.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.11.2021, 5 AZR 334/21 (Pressemeldung des Gerichts)

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 12.03.2021, 14 Sa 306/20

 

Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

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