Update Arbeitsrecht 01|2022 vom 12.01.2022
Entscheidungsbesprechungen
Arbeitsgericht Hamburg: Kündigung wegen Verweigerung eines Corona-Schnelltests
Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 24.11.2021, 27 Ca 20/21
Die unberechtigte Verweigerung eines Corona-Schnelltests durch einen Arbeitnehmer berechtigt Arbeitgeber im Allgemeinen ohne vorherige Abmahnung nicht zum Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.
§§ 1, 4, 7, 23 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 106 Gewerbeordnung (GewO); § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 28b Abs.1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)
Rechtlicher Hintergrund
Arbeitgeber können Arbeitnehmer, die länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt sind, auch unter Beachtung der Kündigungsfrist (ordentlich) nur kündigen, wenn es dafür einen triftigen Grund im Sinne von § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gibt, d.h. wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist.
Für eine gemäß § 1 Abs.2 KSchG rechtmäßige verhaltensbedingte Kündigung ist, abgesehen von einem erheblichen Pflichtverstoß des Arbeitnehmers, die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich. Gibt es weniger schwerwiegendes Mittel als eine Kündigung, um die durch den Pflichtverstoß hervorgerufene Störung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft zu beseitigen, kann der Arbeitgeber nicht kündigen, sondern muss das mildere Mittel anwenden.
Als milderes Mittel kommt meistens eine Abmahnung des Arbeitnehmers in Betracht. Aber auch eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz, bei dem eine Wiederholung des Pflichtverstoßes ausgeschlossen ist, kann ein milderes Mittel sein.
In einem aktuellen Fall hatte das Arbeitsgericht Hamburg über eine Kündigung zu entscheiden, die der Arbeitgeber damit begründete, dass sich der gekündigte Arbeitnehmer beharrlich weigerte, einen Corona-Schnelltest durchzuführen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 24.11.2021, 27 Ca 20/21.
Sachverhalt
Ein Fahrdienst, der Fahrgäste mit Sammeltaxis im Hamburger Stadtgebiet befördert und dazu für maximal sechs Personen geeignete Kleinbusse einsetzt („Ride-Sharing“), bestellte nach längerer pandemiebedingter Einschränkung des Geschäftsbetriebs seine Fahrer zu Anfang Juni 2021 wieder zur Arbeit ein. Bis dahin waren die Fahrer überwiegend in Kurzarbeit.
Dabei machte der Fahrdienst seinen Fahrern zur Auflage, dass sie sich zweimal pro Woche mit einem vom Arbeitgeber kostenfrei zur Verfügung gestellten Corona-Schnelltest bei sich zu Hause testen müssten, und zwar mit einem Test, der (nur) einen Abstrich im vorderen Nasenbereich erforderte. Allerdings konnte der Test am ersten Arbeitstag nach der Corona-Pause nicht zu Hause gemacht werden, sondern war, so die Vorgabe des Arbeitgebers, vor Ort im Betrieb durchzuführen. Diese Anweisungen waren in einem „Fahrer-Handbuch“ enthalten, das der Fahrdienst seinen Fahrern in jeweils aktualisierte Fassung zur Verfügung stellte.
Ein knapp zwei Jahre beschäftigter und bis Ende Mai 2021 in Kurzarbeit Null befindlicher Fahrer weigerte sich am 01.06.2021 und an den beiden Folgetagen, vor Ort im Betrieb einen solchen Schnelltest durchzuführen, worauf der Arbeitgeber ihn jeweils für den einzelnen Arbeitstag nach Hause schickte.
Während der Diskussionen vor Ort wiesen Vertreter des Arbeitgebers den Fahrer darauf hin, dass er zur Durchführung des Tests (aus Arbeitgebersicht) rechtlich verpflichtet sei. Der Fahrer hielt dagegen, er müsste einen solchen Test nicht durchführen.
Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.06.2021 ordentlich zum 15.07.2021 und stellte den Fahrer bis dahin unwiderruflich von der Arbeit frei. Der Fahrer erhob Kündigungsschutzklage.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Hamburg
Das Arbeitsgericht Hamburg gab dem Fahrer recht, d.h. es stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitige Kündigung nicht aufgelöst ist, und es verurteilte den Fahrdienst dazu, den Fahrer vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.
In den Entscheidungsgründen hält das Arbeitsgericht zunächst fest, dass der Fahrer verpflichtet war, den streitigen Corona-Test durchzuführen. Der Arbeitgeber war aufgrund seines Weisungsrechts gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) dazu berechtigt, seinen Fahrern einen solchen Test abzuverlangen. Daher war die Weigerung des Fahrers rechtswidrig.
Denn der streitige Schnelltest war mit einem von dem Betroffenen selbst durchzuführenden Abstrich im vorderen Nasenbereich verbunden. Das war weder schmerzhaft noch auch nur besonders unangenehm, so das Gericht (Urteil, Rn.62).
Darüber hinaus beeinträchtigten die Tests zwar auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Fahrers, das durch Art.2 Abs.1 und Art.1 Abs.1 Grundgesetz (GG) geschützt ist, und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Urteil, Rn.63), doch waren auch diese Eingriffe in die Rechte des Klägers eher geringfügig.
Diesen eher unerheblichen Rechtsbeeinträchtigungen aufseiten des Klägers standen aufseiten des Arbeitgebers sehr schwerwiegende rechtliche Interessen gegenüber, die für die Durchführung von Tests sprachen, nämlich der Schutz von Leben und Gesundheit anderer betriebsangehöriger Personen sowie der Fahrgäste (Urteil, Rn.68 - 73).
Obwohl der Fahrer demzufolge einen (erheblichen und außerdem beharrlichen) Pflichtverstoß begangen hatte, hätte der Fahrdienst darauf nicht zugleich mit einer Kündigung reagieren dürfen, sondern hätte den Fahrer zunächst abmahnen müssen.
Dazu stellt das Gericht nach Vernehmung von Zeugen fest, dass es zwar am 01., 02. und 03.06.2021 im Betrieb Diskussionen über die Testpflicht gab, dass dem Kläger aber nicht unmissverständlich gesagt wurde, dass seine Weigerungshaltung eine Kündigung zur Folge haben könnte. Somit konnte der Fahrdienst die Erteilung einer vorherigen (erfolglosen) Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung nicht beweisen.
Eine Abmahnung wäre aber, trotz der mehrfachen bzw. beharrlichen Testverweigerung des Klägers, nach Ansicht des Gerichts erforderlich gewesen. Denn der Kläger ging Anfang Juni 2021 davon aus, im Recht zu sein, und er hatte den Vertretern des Fahrdienst sogar angeboten, einen anderen, (noch) weniger invasiven schnelltest durchzuführen (Urteil, Rn.77 - 79).
Praxishinweis
Wenn es darauf ankommt, ist auf mündlich ausgesprochene Abmahnungen kein Verlass. Denn für eine Abmahnung ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Daher muss er im Kündigungsschutzprozess durch Zeugenaussagen den Nachweis führen können, dass, wann, durch wen und mit welchen genauen Formulierungen dem gekündigten Arbeitnehmer eine mündliche Abmahnung erteilt wurde. An diesem Nachweis scheitern Arbeitgeber in der Regel.
Auch wenn, anders als zum Kündigungszeitpunkt im Streitfall (Juni 2021), mittlerweile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Betrieben gemäß § 28b Abs.1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die sog. 3G-Regel gilt, können Arbeitgeber auf die Testverweigerung einzelner Arbeitnehmer nicht ohne vorherige Abmahnung mit einer verhaltensbedingten Kündigung reagieren.
Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 24.11.2021, 27 Ca 20/21
Handbuch Arbeitsrecht: Abmahnung
Handbuch Arbeitsrecht: Coronavirus und Arbeitsrecht
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
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