Update Arbeitsrecht 11|2021 vom 02.06.2021
Leitsatzreport
Arbeitsgericht Aachen: Kündigung wegen Ausspähens eines Dienstcomputers nach Privatkorrespondenz eines Kollegen und Weitergabe der Korrespondenz an Dritte
Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 22.04.2021, 8 Ca 3432/20
§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsätze des Gerichts:
1. Die gezielte Durchsuchung eines Dienstcomputers nach privater Korrespondenz eines Arbeitskollegen sowie deren Sicherung und Weitergabe an Dritte kann „an sich“ ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung sein. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer dabei Beweise für ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren sichern möchte, ohne von seinem Arbeitgeber mit solchen Ermittlungen betraut worden zu sein.
2. Ob eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung wirksam ist, muss jedoch anhand einer Abwägung des Beendigungsinteresses des Arbeitgebers mit dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers im Einzelfall festgestellt werden. Dabei sind insbesondere die Schwere und die Auswirkungen des Verstoßes, die Motive des Arbeitnehmers, der Verzicht auf interne Abhilfeschritte, der Grad des Verschuldens, die Wiederholungsgefahr und die Dauer des beanstandungsfreien Bestandes des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen.
3. Im hier zu entscheidenden Einzelfall hielt die Kammer eine Abmahnung für eine angemessene Reaktion des Arbeitgebers und die außerordentliche fristlose Kündigung dementsprechend für unverhältnismäßig.
Hintergrund:
Eine seit 23 Jahren beschäftigte, ordentlich unkündbare Küsterin einer evangelischen Kirchengemeinde hatte den nicht unbegründeten Verdacht, dass der Pfarrer der Gemeinde die Notlage einer Asylbewerberin für sexuelle Übergriffe ausnutzte und sich deswegen möglicherweise strafbar gemacht hatte. Die Staatsanwaltschaft führte deswegen ein Ermittlungsverfahren gegen den Pfarrer, stellte es aber später ein. Die Küsterin, die den Dienstcomputer des Pfarrers nur zur Bearbeitung von Rechnungen und dgl. verwenden durfte, öffnete einen als privat bezeichneten, aber nicht passwortgeschützten Ordner des Rechners und fand dort eine umfangreiche Chat-Korrespondenz vor, die der Pfarrer mit der Asylbewerberin geführt hatte. Die Küsterin speicherte diesen Chatverlauf auf USB-Sticks, die sie eine Woche später ohne Rücksprache mit Vorgesetzten oder Kollegen an eine Vertraute der Asylbewerberin sowie an die Staatsanwaltschaft weitergab. Nachdem der Arbeitgeber von diesem - datenschutzrechtlich unzulässigen - Verhalten der Küsterin erfuhr, sprach er nach Zustimmung der Mitarbeitervertretung eine außerordentliche und fristlose Kündigung aus. Die Kündigungsschutzklage der Küsterin hatte vor dem Arbeitsgericht Aachen Erfolg. Ihr Verhalten war zwar ein massiver Pflichtverstoß und Vertrauensbruch, so das Gericht, doch handelte die Küsterin aus ihrer subjektiven Sicht heraus zum Schutz der Asylbewerberin, die bereits einmal einen Suizidversuch unternommen hatte. Die Küsterin wollte daher mit ihrem Verhalten einem weiteren Suizidversuch vorbeugen. Bei der Interessenabwägung sprach auch die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |