Update Arbeitsrecht 06|2021 vom 24.03.2021
Entscheidungsbesprechungen
LAG Hamm: Rückzahlungsklauseln müssen eine Ausnahme für personenbedingte Eigenkündigungen vorsehen
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 29.01.2021, 1 Sa 954/20
Eine Klausel, die den Arbeitnehmer zur Rückzahlung von Fortbildungskosten bei vorzeitiger Vertragsbeendigung verpflichtet, muss eine Ausnahme für den Fall vorsehen, dass der Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen kündigt, die er nicht zu vertreten hat
§§ 133, 157, 307 Abs.1, 780, 781 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.12 Grundgesetz (GG)
Rechtlicher Hintergrund
Berufsbegleitende Fortbildungen kosten Geld. Für Arbeitgeber können sich Zuschüsse lohnen, wenn der Arbeitnehmer bereit ist, nach Abschluss der Fortbildung weiter im Unternehmen zu arbeiten. Diese Bereitschaft kann man sich schriftlich geben lassen, nämlich durch arbeitsvertragliche Rückzahlungsklauseln. Sie sehen eine Mindestlaufzeit des Arbeitsvertrags nach Abschluss der Fortbildung vor, verbunden mit der Pflicht zur Rückzahlung der Fortbildungskosten durch den Arbeitnehmer, falls er vorzeitig kündigt.
Rückzahlungsklauseln werden von den Gerichten streng überprüft und sind daher oft unwirksam. Denn sie sind allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die der Arbeitgeber einseitig ausarbeitet und dem Arbeitnehmer zur Annahme vorlegt. Als AGB des Arbeitgebers dürfen sie den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen, und sie müssen klar und verständlich sein, wie sich aus § 307 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) heißt das konkret: Die Dauer der Vertragsbindung muss in einem „angemessenen Verhältnis“ zur Dauer und zum finanziellen Aufwand der Fortbildung stehen. Außerdem müssen die vom Arbeitnehmer bei vorzeitiger Vertragsbeendigung zu erstattenden Kosten vertraglich genau definiert sein, damit der Arbeitnehmer weiß, was hier auf ihn zukommen kann. Schließlich müssen Rückzahlungsklauseln eine allmähliche Verminderung der Rückzahlungspflicht vorsehen, d.h. je länger der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis bleibt, desto geringer muss nach und nach sein Rückzahlungsrisiko werden.
Die o.g. Bedingungen werden heutzutage von den meisten Rückzahlungsklauseln erfüllt. Allerdings scheitern Rückzahlungsklauseln oft daran, dass sie die Fälle, in denen eine Vertragsauflösung zur Rückzahlungspflicht führt, zu schlampig umschreiben. Diesen Fehler hatte der Arbeitgeber auch in einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm gemacht.
Sachverhalt
Ein ambulanter Pflegedienst hatte mit einem Altenpfleger die Fortbildung zur Pflegedienstleitung vereinbart. Die Fortbildung sollte 11.350,00 EUR kosten, wovon der Großteil auf Lohnfortzahlungskosten für 63 Arbeitstage bzw. gut drei Monate entfiel, denn während dieser Zeit wurde der Pfleger bezahlt freigestellt. Die Vertragsbindung sollte zwei Jahre nach Abschluss der Fortbildung dauern. Hierzu hieß es in der Vereinbarung:
„Endet das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Mitarbeiters aus einem nicht durch die Gesellschaft zu vertretenden Grund oder durch Kündigung der Gesellschaft oder durch sonstige Vereinbarung aus einem Grund, den der Mitarbeiter zu vertreten hat, ist der Mitarbeiter verpflichtet, der Gesellschaft die nach § 2 gezahlte Vergütung und die nach § 3 dieser Vereinbarung von der Gesellschaft übernommenen Studienkosten zurückzuerstatten.“
Der Pfleger hielt es nach Beendigung seiner Fortbildung nicht lange bei dem Pflegedienst aus, sondern reichte nur zwei Monate nach deren Abschluss die Kündigung ein. Am Ende des Kündigungsschreibens hieß es:
„Mir ist bewusst, dass durch meine Weiterbildung und die Vertragsvereinbarung noch Kosten offen sind. Erstellen sie mir bitte eine Rechnung der noch offenen Kosten, abzüglich des Bildungschecks, der für mich beantragt wurde.“
Der Pflegedienst überreichte daraufhin eine Rechnung über 12.912,17 EUR, die der Pfleger aber nicht bezahlte. Daraufhin verklagte ihn der Pflegedienst, allerdings nur auf eine etwas geringere Summe von 12.420,56 EUR. Das Arbeitsgericht Bielefeld wies die Klage ab (Urteil vom 23.06.2020, 2 Ca 242/20). Der Pflegedienst legte Berufung zum LAG Hamm ein.
Entscheidung des LAG Hamm
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Denn, so das LAG:
Die Bitte um Erteilung einer Rechnung war kein Schuldanerkenntnis im Sinne der §§ 780, 781 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Auslegung dieser floskelhaften Aussage des Pflegers in seinem Kündigungsschreiben (§§ 157, 133 BGB) ergab nämlich, dass der Pfleger damit keine selbständige Zahlungsverpflichtung schaffen wollte.
Darüber hinaus war die Rückzahlungsklausel unwirksam, denn sie benachteiligte den Pfleger in einer unangemessenen Weise im Sinne von § 307 Abs.1 BGB. Sie enthielt nämlich nicht die ausdrückliche Klarstellung, dass die Rückzahlungsverpflichtung (auch) dann entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis infolge von personenbedingten Gründen, die bis zum Ablauf der Bindungsfrist anhalten und vom Arbeitnehmer nicht zu vertreten sind, aufgelöst wird (Urteil, Leitsatz 3.)).
Denn wenn der Arbeitnehmer aus unverschuldeten personenbedingten Gründen bis zum Ablauf der Vertragsbindung nicht (mehr) in der Lage ist, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, kann er die Erwartungen des Arbeitgebers, dass sich die Fortbildungskosten amortisieren, nicht erfüllen. Dann aber besteht auch kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers daran, den Arbeitnehmer trotzdem weiter an das Arbeitsverhältnis zu binden.
Personenbedingte Gründe sind vor allem (aber nicht nur) gesundheitliche Gründe bzw. Erkrankungen, die der Arbeitsleistung entgegenstehen.
Praxishinweis
Ob der Arbeitnehmer hier im Streitfall aus personenbedingten Gründen gekündigt hatte, geht aus dem LAG-Urteil nicht hervor. Darauf kommt es aber nach der Rechtsprechung auch nicht an. Entscheidend für die Wirksamkeit der Klausel ist (nur) deren Formulierung, nicht aber der Anlass für eine Kündigung durch den Arbeitnehmer, falls die Klausel unwirksam ist (BAG, Urteil vom 11.12.2018, 9 AZR 383/18, Rn.28).
Ende 2018 hatte das BAG bereits in einem ähnlichen Sinne entschieden wie jetzt das LAG Hamm, dabei aber Klauseln nicht generell für unwirksam erklärt, falls sie keine Ausnahme für personenbedingte Eigenkündigungen enthalten (BAG, Urteil vom 11.12.2018, 9 AZR 383/18, Leitsatz). Daher ließ das LAG Hamm die Revision zum BAG zu, wo der Fall inzwischen liegt (AZ des BAG: 9 AZR 136/21).
Das LAG-Urteil zeigt, dass Rückzahlungsklauseln möglichst genau zwischen verschiedenen Fällen unterscheiden müssen, die zur vorzeitigen Vertragsbeendigung führen können. Denn der Arbeitnehmer muss wissen, in welchen dieser Fälle er zur Rückzahlung verpflichtet ist und in welchen nicht (einen Formulierungsvorschlag finden Sie in: Update Arbeitsrecht 06|2019 vom 11.12.2019).
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 29.01.2021, 1 Sa 954/20
Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitsvertrag und allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
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