HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 24.03.2010, 20 Sa 2058/09

   
Schlagworte: Urlaub, Mehrurlaub, Tarifvertrag, Altersdiskriminierung, Diskriminierung: Alter
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 20 Sa 2058/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.03.2010
   
Leitsätze:

1. Die Regelung des § 26 TVöD-VKA stellt unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters dar. Es handelt sich um eine unmittelbar an das Alter anknüpfende Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer, die lediglich aufgrund des Lebensalters einen geringeren Anspruch auf Erholungsurlaub haben. (Rn.21)

2. Die tarifliche Vereinbarung ist nach § 10 Satz 3 Nr. 2, jedenfalls nach § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt. Arbeitnehmer sind mit zunehmenden Alter hinsichtlich ihres Erholungs- und Wiederherstellungsbedürfnisses schutzbedürftiger als jüngere Arbeitnehmer. (Rn.24)

Die tatsächliche Ausgestaltung legitimer Ziele im Rahmen kollektiver Maßnahmen ist bereits dann verhältnismäßig, wenn die von den Tarifvertragsparteien gewählte Maßnahme grundsätzlich geeignet ist , das legitime Ziel im Sinne des § 10 AGG tatsächlich zu fördern und bei der Regelung die Interessen der benachteiligten Altersgruppe nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigt werden.

Im Rahmen der Ermessensprüfung ist zu beachten, dass das Recht auf Durchführung kollektiver Maßnahmen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als Grundrecht anerkannt ist (EuGH 18. Dezember 2007 - C-341/05 - [Laval un Partneri] Rn. 90 f., Slg. 2007, I-11767).(Rn.23)

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Eberswalde, Urteil vom 08.07.2009, 3 Ca 140/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 24. März 2010

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

20 Sa 2058/09

3 Ca 140/09
Ar­beits­ge­richt Ebers­wal­de

Z., VA als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen
pp 

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 20. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 24. März 2010
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt R. als Vor­sit­zen­den
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Frau H. und Herrn G.

für Recht er­kannt:

I. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ebers­wal­de vom 08.07.2009
- 3 Ca 140/09 - ab­geändert.

Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

II. Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

III. Die Re­vi­si­on wird für die Kläge­rin zu­ge­las­sen.

R. H. G.

 

- 3 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um Ur­laubs­ansprüche. Die am ….1971 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist seit dem 01.09.1988 bei dem be­klag­ten Land­kreis beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­det Kraft beid­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit der TVöD-VKA An­wen­dung. § 96 Abs. 1 TVöD-VKA lau­tet wie folgt:

„§ 26 Er­ho­lungs­ur­laub
Beschäftig­te ha­ben in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub un­ter Fort­zah­lung des Ent­gelts (§ 21). Bei Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit auf fünf Ta­ge in der Ka­len­der­wo­che beträgt der Ur­laubs­an­spruch in je­dem Ka­len­der­jahr
bis zum voll­ende­ten 30. Le­bens­jahr 26 Ar­beits­ta­ge,
bis zum voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr 29 Ar­beits­ta­ge und
nach dem voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr 30 Ar­beits­ta­ge.“

Die Kläge­rin be­gehrt mit ih­rer Kla­ge die Gewährung ei­nes Jah­res­ur­laubs von 30 Ta­gen. Sie hält die Staf­fe­lung des Ur­laubs­an­spruchs nach der An­zahl der voll­ende­ten Le­bens­jah­re für ei­ne nicht ge­recht­fer­tig­te Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Le­bens­al­ters. Sie hat vor­ge­tra­gen, die in der Ta­rif­re­ge­lung ent­hal­te­ne Un­gleich­be­hand­lung wer­de nicht durch § 10 AGG ge­recht­fer­tigt. Im Übri­gen würden die ge­sund­heit­li­chen Wir­kun­gen zusätz­li­chen Ur­laubs zur Ver­mei­dung bei­spiels­wei­se von Stres­ser­schei­nun­gen am Ar­beits­platz auch in der me­di­zi­ni­schen Li­te­ra­tur kon­tro­vers dis­ku­tiert. Darüber hin­aus stel­le die Al­ter­stu­fen­re­ge­lung des § 26 TVöD auch ei­ne grundsätz­li­che Be­nach­tei­li­gung von Fa­mi­li­en mit Kin­dern dar. Ar­beit­neh­mer sei­en be­son­ders be­las­tet, wenn sie gleich­zei­tig noch ei­ne Fa­mi­lie mit Kin­dern zu be­treu­en hätten. Ge­ra­de durch die Kin­der­be­treu­ung stünden Krank­heits­be­ding­te Aus­fall­zei­ten, die teil­wei­se durch zusätz­li­che Ur­laubs­ta­ge ver­hin­dert wer­den könn­ten. Die­ser Sach­ver­halt sei vor al­lem bei der Grup­pe der jünge­ren Ar­beit­neh­mer zu ver­zeich­nen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass der Kläge­rin für die Ur­laubs­jah­re 2008 und 2009 ein Ur­laubs­an­spruch i. H. v. ins­ge­samt 30 Ur­laubs­ta­gen zu­steht.

Der be­klag­te Land­kreis hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen

 

- 4 -

Der be­klag­te Land­kreis hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Al­ters­stu­fen­re­ge­lung des § 26 Abs. 1 TVöD durch ei­nen sach­li­chen Grund ge­recht­fer­tigt sei. Es sei sta­tis­tisch er­wie­sen, dass älte­re Ar­beit­neh­mer mit zu­neh­men­dem Al­ter durch be­ruf­li­che Be­las­tun­gen be­dingt länger krank sei­en. Um die­sen Um­stand Rech­nung zu tra­gen hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit der Re­ge­lung in § 26 TVöD auf das verstärk­te, al­ters­abhängi­ge Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Ar­beit­neh­mer re­agiert und de­ren Leis­tungsfähig­keit stärken wol­len. Der As­pekt des Ge­sund­heits­schut­zes älte­rer Ar­beit­neh­mer sei da­her ge­eig­net die Un­gleich­be­hand­lung jünge­rer Beschäftig­ter zu recht­fer­ti­gen.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 08.07.2009 fest­ge­stellt, dass der Kläge­rin für das Ur­laubs­jahr 2008 und 2009 je­weils ein Ur­laubs­an­spruch in Höhe von ins­ge­samt 30 Ur­laubs­ta­gen zu­ste­he. Zur Be­gründung hat es aus­geführt. Die Fest­stel­lungs­kla­ge sei zulässig. Die Kläge­rin wäre nicht auf ei­ne Leis­tungs­kla­ge, auch nicht für et­wai­ge Ansprüche aus der Ver­gan­gen­heit zu ver­wei­sen. Durch Fest­stel­lung könne der Streit der Par­tei­en ins­ge­samt geklärt wer­den. Die nach Le­bens­al­ter ge­staf­fel­te Ur­laubs­re­ge­lung des § 26 TVöD-VKA sei we­gen un­mit­tel­ba­rer Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters, die nicht nach den § 5, 8 oder 10 AGG sach­lich ge­recht­fer­tigt sei, un­wirk­sam (§ 7 Abs. 2 AGG). Die ta­rif­li­chen Be­stim­mun­gen sei­en auch an den Be­stim­mun­gen des AGG zu mes­sen. Da § 33 AGG kei­ne Über­g­angs­re­ge­lun­gen für die be­reits bei in Kraft tre­ten des AGG be­ste­hen­den Vor­schrif­ten enthält, sei die Re­ge­lung auch auf Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen an­wend­bar, die be­reits vor sei­ner In­kraft­tre­ten ver­ein­bart wor­den sind. Die Gewährung ei­nes Jah­res­ur­laubs­an­spruchs von 30 Ta­gen für Beschäftig­te, die das 40. Le­bens­jahr voll­endet und von 29 Ta­gen für Beschäftig­te die das 40. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben, stellt ei­ne un­mit­tel­ba­re an das Al­ter an­knüpfen­de Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer i. S. d. § 1 AGG dar. Die aus der Ur­laubs­re­ge­lung des § 26 TVöD fol­gen­de un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­lung sei nicht ge­recht­fer­tigt. Die Recht­fer­ti­gung gem. § 8, 9 AGG kämen auf­grund ih­rer Tat­bestände nicht in Be­tracht, da sie Recht­fer­ti­gungs­gründe be­tref­fen, die aus den be­ruf­li­chen An­for­de­run­gen ab­ge­lei­tet würden. Ei­ne Recht­fer­ti­gung fol­ge auch nicht aus § 10 AGG. Zwar ver­fol­ge die Vor­schrift ein ob­jek­tiv nach­voll­zieh­ba­res le­gi­ti­mes Ziel, da durch die Re­ge­lung dem erhöhten Er­ho­lungs­bedürf­nis und da­mit dem Ge­sund­heits­schutz älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung ge­tra­gen wer­den sol­le. Al­ler­dings könne ei­ne erhöhte Al­ters­be­ding­te Er­ho­lungs­bedürf­tig­keit un­ter der da­mit be­zweck­te ver­bes­ser­te Ge­sund­heits­schutz und die An­knüpfung der Ur­laubs­dau­er an das Al­ter nicht da­mit ge­recht­fer­tigt wer­den, dass die Leis­tungsfähig­keit des Ar­beit­neh­mers im Al­ter ge­ne­rell schwin­de. Es ent­spre­che zwar der all­ge­mei­nen Le­bens­er­fah­rung, dass die Ge­fahr ei­ner Be­ein­träch­ti­gung der Leis­tungsfähig­keit auch heu­te noch mit zu­neh­men­dem Al­ter größer wer­de. Al­ler­dings hänge die Min­de­rung der

 

- 5 -

Leis­tungsfähig­keit nicht al­lein vom Le­bens­al­ter ab, son­dern sei in­di­vi­du­ell ver­schie­den. Die auf den an­ge­nom­me­nen Leis­tungs­ab­fall sich be­zie­hen­de höhe­re Er­ho­lungs­bedürf­tig­keit sei des­halb em­pi­risch zu be­le­gen. Da­zu gäbe es je­doch we­der wis­sen­schaft­li­che Fest­stel­lun­gen noch reich­ten die von der Be­klag­ten zur Ak­ten ge­reich­ten Stu­di­en der Hans-Bökler-Stif­tung für ei­ne sol­che Recht­fer­ti­gung aus. Die Re­ge­lung des § 620 Abs. 1 S. 2 TVöD sei auch nicht als po­si­ti­ve Maßnah­me nach § 5 AGG ge­recht­fer­tigt. Die be­nach­tei­li­gen­de Ur­laubs­re­ge­lung sei des­halb in­so­weit un­wirk­sam, als sie der Kläge­rin we­gen des Le­bens­al­ters ei­ne ge­rin­ge­re Ur­laubs­dau­er gewähre, als sol­chen Beschäftig­ten, die das 40. Le­bens­jahr be­reits voll­endet hätten. § 7 Abs. 2 AGG erkläre auch Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen, die ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Be­nach­tei­lung i. S. d. Ge­set­zes ent­hiel­ten für un­wirk­sam bzw. für in­so­weit un­wirk­sam. Bei Verstößen ge­gen die Be­nach­tei­li­gungs­ver­bo­te des § 1, 3 AGG sei die leis­tungs­gewähren­den, nicht­be­nach­tei­lig­ten Ta­rif­ver­trags­be­stim­mun­gen auf die­je­ni­gen Per­so­nen zu er­stre­cken, die ent­ge­gen des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bo­ten von den ta­rif­li­chen Leis­tun­gen aus­ge­schlos­sen wur­den.

Ge­gen das dem be­klag­ten Land­kreis am 25.08.2009 zu­ge­stell­te Ur­teil er­hob die­ser am 16.09.2009 Be­ru­fung, die er nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 25.11.2009 am 25.11.2009 be­gründe­te.

Der Land­kreis be­gründet sei­ne Be­ru­fung im We­sent­li­chen wie folgt. Das Ar­beits­ge­richt sei un­recht da­von aus­ge­gan­gen, dass die Fest­stel­lungs­kla­ge zulässig sei, der Kläge­rin ste­he be­reits kein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se gem. § 256 Abs. 1 ZPO zur Sei­te. Hin­sicht­lich des ver­gan­ge­nen Zeit­raums könn­te sich aus der Fest­stel­lung be­reits kei­ne Rechts­fol­gen für die Ge­gen­wart oder Zu­kunft er­ge­ben. Die Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin würden nach den Re­ge­lun­gen des TVöD spätes­tens mit Ab­lauf des 31.05. des Fol­ge­jah­res ver­fal­len. Die Kla­ge wei­ter auch un­be­gründet. Ei­ne et­wai­ge Un­gleich­be­hand­lung der Kläge­rin auf­grund der ta­rif­li­chen Vor­schrift sei ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts gem. § 10 Abs. 1 AGG ge­recht­fer­tigt. Die Fest­le­gung ei­nes Min­dest­al­ters für die Gewährung von 30 Ur­laubs­ta­gen pro Ka­len­der­jahr stel­le ei­ne be­son­de­re Beschäfti­gungs­be­din­gung zum Schutz älte­rer Beschäftig­ter bzw. ei­ne Min­dest­an­for­de­rung an das Al­ter für ei­nen mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­nen Vor­teil dar, der zur Er­rei­chung ei­nes le­gi­ti­men Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sei. Nach zu­tref­fen­der An­wen­dung des § 10 Abs. 1 S. 1 AGG lie­ge zunächst ein ob­jek­tiv nach­ver­folg­ba­res Ziel vor, das le­gi­tim im Sin­ne der Vor­schrift sei. Ein Ziel sei le­gi­tim i. S. d. § 10 Abs. 1 S. 1 AGG, wenn es sich an der Förde­rung von Ar­beit­neh­mern in kri­ti­schen Al­ters­si­tua­ti­on ori­en­tie­re, auch wenn es sich um All­ge­mein­in­ter­es­sen han­de­le. Die in § 26 TVöD nor­mier­te Re­ge­lung ver­fol­ge das Ziel dem höhe­ren Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer

 

- 6 -

Beschäftig­ter zu ent­spre­chen. Die­ses Ziel ori­en­tie­re sich da­mit an der Förde­rung von Ar­beit­neh­mern in kri­ti­schen Al­ters­si­tua­tio­nen. Es könne bei der Prüfung des Vor­lie­gens ei­nes le­gi­ti­mes Ziels ei­ner Un­gleich­be­hand­lung nicht dar­auf an­kom­men, ob das Pro­blem, das mit ei­ner Ver­ein­ba­rung bekämpft wer­den soll, vor­her nach stren­gen wis­sen­schaft­li­chen Prin­zi­pi­en be­legt wor­den sei. Da ein le­gi­ti­mes Ziel mit der Re­ge­lung des § 26 TVöD vor­lie­ge, sei nur noch die Verhält­nismäßig­keit der Maßnah­me zu prüfen. Da­nach sei­en die in § 26 TVöD ent­hal­te­nen Mit­tel zunächst ge­eig­net, da es den ver­folg­ten Zweck grundsätz­lich fördern könne. Die Re­ge­lung sei fer­ner verhält­nismäßig auch i. e. S., die wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen sei­en an­ge­mes­sen zu ei­nem Aus­gleich ge­bracht. Darüber hin­aus sei die Un­gleich­be­hand­lung auch nach § 5 AGG ge­recht­fer­tigt. Sch­ließlich sei die vom Ge­richt an­ge­nom­me­ne Rechts­fol­ge bei ei­ner – un­ter­stell­ten – Dis­kri­mi­nie­rung, ei­ner An­glei­chung nach oben, un­zu­tref­fend.

Der be­klag­te Land­kreis hat be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ebers­wal­de vom 08.07.2009 – 3 Ca 140/09 – ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil aus Rechts­gründen. Sie ist der An­sicht, die Fest­stel­lungs­kla­ge sei zulässig. Ei­ne Recht­fer­ti­gung der un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters er­ge­be sich nicht aus den ge­setz­li­che Tat­beständen der §§ 5, 10 AGG.

We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stan­des so­wie hin­sicht­lich der wei­te­ren von den Par­tei­en vor­ge­tra­ge­nen Ar­gu­men­te wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze Be­zug ge­nom­men.


Ent­schei­dungs­gründe

1. Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist vom Ar­beits­ge­richt gem. dem Ur­teils­te­nor zu­ge­las­sen, recht­zei­tig ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

2. Die Be­ru­fung er­weist sich auch als be­gründet, da die Kla­ge un­be­gründet war.

 

- 7 -

2.1. Die Be­ru­fung des be­klag­ten Land­krei­ses hat nicht be­reits des­halb Er­folg, weil die Fest­stel­lungs­kla­ge un­zulässig war. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten steht der Kläge­rin ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se gem. § 256 Abs. 1 ZPO zur Sei­te. Dies hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend ent­schie­den. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Kla­ge auf Fest­stel­lung des Be­ste­hens oder Nicht­be­ste­hens ei­nes Rechts­verhält­nis­ses er­ho­ben wer­den, wenn der Kläger ein recht­li­ches In­ter­es­se dar­an hat, dass das Rechts­verhält­nis durch rich­ter­li­che Ent­schei­dung als­bald fest­ge­stellt wer­de. Die Fest­stel­lungs­kla­ge kann sich da­bei auch auf ein­zel­ne Be­zie­hun­gen oder Fol­gen aus ei­nem Rechts­verhält­nis, wie auch auf be­stimm­te Ansprüche oder Ver­pflich­tun­gen oder auf den Um­fang von Leis­tungs­pflich­ten be­schränken - sog. Ele­men­ten­fest­stel­lungs­kla­ge –(BAG, Ur­teil vom 22. Ok­to­ber 2008 - 4 AZR 784/07 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 66). Das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist al­ler­dings nur dann ge­ge­ben, wenn durch die Ent­schei­dung über den Fest­stel­lungs­an­trag der Streit ins­ge­samt be­sei­tigt wird und das Rechts­verhält­nis oder die um­strit­te­nen Fol­gen ab­sch­ließend geklärt wer­den kann (st. Rspr., et­wa BAG, Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2005 - 4 AZR 522/04 - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 94). Es ist dann nicht ge­ge­ben, wenn durch die Ent­schei­dung kein Rechts­frie­den ge­schaf­fen wird, weil nur ein­zel­ne Ele­men­te ei­nes Rechts­verhält­nis­ses zur Ent­schei­dung des Ge­richts ge­stellt wer­den. Die Rechts­kraft der Ent­schei­dung muss wei­te­re ge­richt­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die zwi­schen den Par­tei­en strit­ti­gen Fra­gen um den­sel­ben Fra­gen­kom­plex aus­sch­ließen. Das ist dann der Fall, wenn ins­be­son­de­re über wei­te­re Fak­to­ren, die den fest­ge­stell­ten ein­zel­nen Be­zie­hun­gen oder Fol­gen aus dem Rechts­verhält­nis, kein Streit be­steht. Da­nach ist ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se vor­lie­gend ge­ge­ben. Mit der Fest­stel­lung kann der Streit der Par­tei­en auch ab­sch­ließend geklärt wer­den. Da­bei kommt es auch nicht auf et­wai­ge strei­ti­ge Be­rech­nun­gen ei­nes Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs an. Der 6. Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes (Ur­teil vom 07.11.1985 – 6 AZR 169/84 – und vom 05.09.1985 – 6 AZR 86/82 – AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treue/Ur­laub) hat für den Fall, dass der Ar­beits­neh­mer ihm zu­ste­hen­den Ur­laub er­folg­los gel­tend ge­macht hat und den Ar­beit­ge­ber die Er­tei­lung des Ur­laubs möglich war an­ge­nom­men, der Ar­beit­ge­ber ha­be für die in­fol­ge Zeit­ab­laufs ein­ge­tre­te­ne Unmöglich­keit, als wel­che die das Erlöschen des Ur­laubs­an­spru­ches an­zu­se­hen sei, ein­zu­ste­hen (§ 286 Abs. 1, 280 Abs. 1, 287 S. 2 BGB). An die Stel­le des ursprüng­li­chen Ur­laubs­an­spru­ches tre­te in die­sem Fall als Scha­dens­er­satz­an­spruch ein Ur­laubs­an­spruch in glei­cher Höhe. Vor­lie­gend be­steht auch noch ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en. Da­mit entfällt auch der Ein­wand des be­klag­ten Land­krei­ses, die Fest­stel­lung könne kei­ne Aus­wir­kun­gen mehr auf die Zu­kunft ha­ben. Der Scha­dens­an­spruch verfällt nicht nach den Be­stim­mun­gen der ge­setz­li­chen oder ta­rif­li­chen Ur­laubs­be­stim­mun­gen, er un­ter­liegt le­dig­lich der Verjährung.

 

- 8 -

2.2. Vor­lie­gend ist durch die Re­ge­lung des § 26 TVöD-VKA ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters ge­ge­ben. In­so­weit schließt sich die Kam­mer der Be­gründung des Ar­beits­ge­richts an und nimmt auf sie Be­zug ( 2.3 des Ur­teils vom 08.07.2009). Es han­delt sich um ei­ne un­mit­tel­bar an das Al­ter an­knüpfen­de Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer, die le­dig­lich auf­grund des Le­bens­al­ters ei­nen ge­rin­ge­ren An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub ha­ben. Das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung er­fasst als Kon­kre­ti­sie­rung des primärrecht­li­chen all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes (nun­mehr Art. 20 GRC) auch Ta­rif­verträge (für das Ge­bot der Ent­gelt­gleich­heit vgl. EuGH 8. April 1976 - Rs. 43/75 - [De­fren­ne] Rn. 39, Slg. 1976, 455).

2.3. Die dis­kri­mi­nie­ren­de Re­ge­lung des § 26 TVöD-VKA ist je­doch gem. § 10 AGG ge­recht­fer­tigt.

2.3.1 Die Be­stim­mung des § 10 AGG setzt Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG uni­ons­rechts­kon­form um. Der Ge­setz­ge­ber hat die mögli­chen Recht­fer­ti­gungs­gründe zunächst in § 10 Satz 1 und 2 AGG in Form ei­ner Ge­ne­ral­klau­sel for­mu­liert, die mit der For­mu­lie­rung des Art. 6 Abs. 1 na­he­zu übe­rein­stimmt. In § 10 Satz 3 AGG sind dann sechs nicht ab­sch­ließen­de An­wen­dungsfälle von denk­ba­ren Recht­fer­ti­gun­gen auf­geführt (vgl. BAG Ur­teil vom 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - EzA AGG § 15 Nr. 1). Zu ei­ner wei­ter­ge­hen­den Fest­le­gung von recht­fer­ti­gen­den Zie­len war der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber durch die Richt­li­nie nicht ver­pflich­tet. Die Mit­glied­staa­ten sind durch Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG nicht ge­zwun­gen, ei­nen ab­sch­ließen­den Ka­ta­log recht­fer­ti­gen­der Aus­nah­men auf­zu­stel­len. Die dar­in ge­nann­ten Zie­le ha­ben nur Hin­wei­s­cha­rak­ter (EuGH vom 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 43, 52, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 9; BAG Ur­teil vom 17. Ju­ni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 12).

2.3.2 Die ta­rif­li­che Ver­ein­ba­rung ist nach § 10 Satz 3 Nr. 2, je­den­falls nach § 10 Satz 1 und 2 AGG ge­recht­fer­tigt. § 10 Satz 1 AGG lässt un­ge­ach­tet der Be­stim­mung des § 8 AGG ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen Al­ters zu, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Nach § 10 Satz 2 AGG müssen die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. Zu­tref­fend legt der Be­klag­te dar, dass nach der Recht­spre­chung des BAG als le­gi­ti­me Zie­le iSd. § 10 Satz 1 AGG sol­che an­zu­se­hen sind, die im In­ter­es­se der All­ge­mein­heit lie­gen, so­wie auch be­triebs- und un­ter­neh­mens­be­zo­ge­ne In­ter­es­sen, wo­bei es sich nicht nur um ge­setz­lich an­er­kann­te

 

- 9 -

In­ter­es­sen han­deln muss. Ei­ne sol­che Aus­le­gung sei vom Wort­laut des Ge­set­zes um­fasst. Die For­mu­lie­rung in § 10 Satz 1 AGG stel­le nicht auf Zie­le ab, die im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen. Der Be­griff „le­gi­tim“ ha­be so­wohl die Be­deu­tung „rechtmäßig“, „ge­setz­lich an­er­kannt“ als auch „ge­recht­fer­tigt“, „ver­tret­bar“ bzw. „im Rah­men be­ste­hen­der Vor­schrif­ten er­fol­gend“, „ge­setz­lich“, „rechtmäßig“, aber auch „verständ­lich“, „ver­tret­bar“ oder „ge­setz­lich an­er­kannt“, „rechtmäßig“, aber auch „be­rech­tigt“, „be­gründet“, „all­ge­mein an­er­kannt ver­tret­bar“ . Der Wort­laut las­se da­mit auch die Aus­le­gung zu, dass grundsätz­lich al­le an­er­ken­nens­wer­ten In­ter­es­sen für ei­ne Recht­fer­ti­gung der un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung we­gen des Al­ters her­an­ge­zo­gen wer­den können. Aus dem Ge­samt­zu­sam­men­hang des § 10 AGG er­ge­be sich, dass mit le­gi­ti­men Zie­len nicht nur Zie­le im All­ge­mein­in­ter­es­se ge­meint sind. Dies fol­ge ua. dar­aus, dass es sich bei den in § 10 Satz 3 Nr. 1 bis 6 AGG ge­nann­ten Zie­len nicht aus­sch­ließlich um im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen­de han­de­le.. Dies gel­te zB für die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung und das Dienst­al­ter für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le (§ 10 Satz 3 Nr. 2 AGG, vgl. da­zu BAG, Ur­teil vom 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 44 ff., EzA AGG § 15 Nr. 1). Dem schließt sich die Kam­mer an. Zu den le­gi­ti­men so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­len gehört es auch, be­son­de­re Be­las­tun­gen, de­nen Ar­beit­neh­mer bei der Ausübung ih­rer Ar­beitstätig­keit aus­ge­setzt sind, zu ver­min­dern. In der Recht­spre­chung ist an­er­kannt, dass die phy­si­sche Be­last­bar­keit mit zu­neh­men­dem Al­ter ab­nimmt (BAG Ur­teil vom 17. Ju­ni 2009 - 7 AZR 112/08 (A); Ur­teil vom 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 182). Zweck ge­setz­li­cher und ta­rif­li­cher Ur­laubs­ansprüche ist ge­ra­de die Re­ge­ne­ra­ti­on und die Auf­fri­schung und Wie­der­her­stel­lung der Ar­beits­kraft (BT-Dr. IV/785, 1). Da­her stellt es ein le­gi­ti­mes so­zi­al­po­li­ti­sches Ziel dar, auch bei den Gewährung von Er­ho­lungs­ur­laub auf das Le­bens­al­ter Rück­sicht zu neh­men. Der Ge­setz­ge­ber hat zu­dem über die Re­ge­lung des § 10 AGG, der ge­ra­de auf ei­ne aus­drück­li­che Be­nen­nung le­gi­ti­mer Zie­le ver­zich­tet den Ta­rif-, Be­triebs­par­tei­en oder auch ein­zel­nen Ar­beit­ge­bern Er­mes­sens- und Ge­stal­tungs­be­fug­nis­se bei der Fest­le­gung von Zie­len, die als rechtmäßig iSv. Art. 6 der Richt­li­nie an­ge­se­hen wer­den können ein­geräumt und da­mit den Ar­beit­ge­bern bei der Ver­fol­gung der in der Um­set­zungs­norm ge­nann­ten rechtmäßigen Zie­le ei­ne ge­wis­se Fle­xi­bi­lität gewährt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land], EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 9; Schluss­an­trag des Ge­ne­ral­an­walts Mazák vom 23. Sep­tem­ber 2008 - C-388/07 -; Spren­ger Eu­ZA 2009, 355, 358; vgl. für Ta­rif­ver­trags- und Be­triebs­par­tei­en BAG Ur­teil vom 17. Ju­ni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) -, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 12. Dies hat der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber der nach der Ge­set­zes­be­gründung aus­drück­lich auch ein­zel- und

 

- 10 -

kol­lek­tiv­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen ei­ner Recht­fer­ti­gung über die Ge­ne­ral­klau­sel zugäng­lich ma­chen woll­te zulässi­ger­wei­se um­ge­setzt (BT-Drucks. 16/1780 S. 36).

Die Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters ist nach § 10 Satz 1 AGG nur zulässig, wenn sie ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt und an­ge­mes­sen ist. Ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt ist sie dann, wenn Ar­beit­neh­mer mit zu­neh­men­den Al­ter hin­sicht­lich ih­res Er­ho­lungs- und Wie­der­her­stel­lungs­bedürf­nis­ses schutz­bedürf­ti­ger sind als jünge­re Ar­beit­neh­mer. Der Be­griff „ob­jek­tiv“ in § 10 Satz 1 AGG ver­langt die Prüfung, ob das ver­folg­te In­ter­es­se auf tatsächli­chen und nach­voll­zieh­ba­ren Erwägun­gen be­ruht oder ob die Un­gleich­be­hand­lung nur auf­grund von bloßen Ver­mu­tun­gen oder sub­jek­ti­ven Einschätzun­gen vor­ge­nom­men wird . Die von der Recht­spre­chung an­er­kann­te grundsätz­li­che Ver­rin­ge­rung der phy­si­schen Be­las­tun­gen mit zu­neh­men­den Al­ter stellt ei­ne tatsächli­che und nach­voll­zieh­ba­re Erwägung im Rah­men der Ge­ne­ral­klau­sel des § 10 Satz 1 und 2 AGG dar.

2.3.3 Ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin ist die von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ge­trof­fe­ne Re­ge­lung grundsätz­lich ge­eig­net, er­for­der­lich und verhält­nismäßig um das le­gi­ti­me Ziel zu ver­fol­gen. Da­bei ist zu be­ach­ten, dass die Mit­glied­staa­ten und ge­ge­be­nen­falls die So­zi­al­part­ner auf na­tio­na­ler Ebe­ne beim ge­genwärti­gen Stand des Ge­mein­schafts­rechts nicht nur bei der Ent­schei­dung, wel­ches kon­kre­te Ziel von meh­re­ren im Be­reich der Ar­beits- und So­zi­al­po­li­tik sie ver­fol­gen wol­len, son­dern auch bei der Fest­le­gung der Maßnah­men zu sei­ner Er­rei­chung über ei­nen wei­ten Er­mes­sens­spiel­raum verfügen (EUGH 16.Ok­to­ber 2007 –C 411/07 – (Pa­la­ci­os de Vil­la), Slg I -8531 – 8596). Es ist eben­falls im Rah­men die­ser Er­mes­sensprüfung zu be­ach­ten, dass das Recht auf Durchführung kol­lek­ti­ver Maßnah­men in der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes als Grund­recht an­er­kannt ist (EuGH 18. De­zem­ber 2007 - C-341/05 - [La­val un Part­ne­ri] Rn. 90 f., Slg. 2007, I-11767). zu die­sen kol­lek­ti­ven Maßnah­men gehören Ta­rif­ver­hand­lun­gen und in der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen . Zum Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen gehört un­trenn­bar die Ta­rif­au­to­no­mie. Nur Sie kann si­cher­stel­len, dass die Ko­ali­tio­nen in gebühren­der Un­abhängig­keit un­ter Be­ach­tung be­stimm­ter Gren­zen die Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen aus­han­deln können (Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin T. vom 14. April 2010 in der Rechts­sa­che - C-271/08 - Rn. 77 - 80, 205). Dies ist im Rah­men der Verhält­nismäßig­keitsprüfung zu berück­sich­ti­gen, dar­auf weist der Be­klag­te zu­tref­fend hin. Da­nach ist zwar das Gleich­be­hand­lungs­recht auch von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zu be­ach­ten. Die tatsächli­che Aus­ge­stal­tung le­gi­ti­mer Zie­le im Rah­men kol­lek­ti­ver Maßnah­men ist je­doch be­reits dann verhält­nismäßig, wenn die von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en gewähl­te

 

- 11 -

Maßnah­me grundsätz­lich ge­eig­net ist , das le­gi­ti­me Ziel im Sin­ne des § 10 AGG tatsächlich zu fördern und bei der Re­ge­lung die In­ter­es­sen der be­nach­tei­lig­ten (Al­ters-)Grup­pe nicht un­verhält­nismäßig stark ver­nachlässigt wer­den. Dies trifft vor­lie­gend zu ein verlänger­ter Er­ho­lungs­ur­laub ge­staf­felt nach zu­neh­men­den Al­ter, kann grundsätz­lich ei­nen Aus­gleich zu ei­ner im Al­ter in al­ler Re­gel ab­neh­men­den Leis­tungsfähig­keit und ei­ner da­mit ein­her­ge­hen­den größeren Er­ho­lungs­bedürf­tig­keit her­stel­len. da­bei ist auch nicht er­for­der­lich, dass wis­sen­schaft­lich ge­si­cher­te Er­kennt­nis­se vor­lie­gen, auf­grund de­rer von ei­ner punk­tu­el­len höhe­ren Bedürf­tig­keit ge­ra­de zu dem gewähl­ten Al­ter aus­ge­gan­gen wer­den muss. Ge­ra­de weil es sich, wie das Ar­beits­ge­richt und die Kläge­rin zu­tref­fend dar­auf hin­wei­sen, um auch in­di­vi­du­ell stark un­ter­schied­li­che persönli­che Ent­wick­lun­gen han­delt, sind die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en le­dig­lich in der La­ge ei­ne pau­scha­lie­ren­de Re­ge­lung zu fin­den. Auch die durch ei­ne Stich­tags­re­ge­lung er­fol­gen­de Grup­pen­bil­dung muss zwar mit dem Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ver­ein­bar sein. Stich­tags­re­ge­lun­gen fin­den sich z.B. häufig in So­zi­alplänen und sind grundsätz­lich zulässig (BAG Ur­teil vom 16. Ok­to­ber 1996 - 10 AZR 276/96 -) . den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en kommt, aus den dar­ge­stell­ten Gründen - bei ih­rer Fest­le­gung je­doch ein er­heb­li­cher Er­mes­sens­spiel­raum zu. Die mit ih­nen bis­wei­len ver­bun­de­nen Härten müssen hin­ge­nom­men wer­den, wenn die Wahl des Zeit­punkts am ge­ge­be­nen Sach­ver­halt ori­en­tiert und grundsätz­lich zur Förde­rung des le­gi­ti­men Ziels ge­eig­net ist (vgl zu Stich­tags­re­ge­lun­gen der Be­triebs­part­ner BAG Ur­teil vom 14. De­zem­ber 1999 - 1 AZR 268/99 -; Ur­teil vom 22. März 2005 - 1 AZR 49/04 - BA­GE 114, 179). Dies ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit ih­rer Ab­stu­fung ab dem 30. und 40. Le­bens­jahr noch ein­ge­hal­ten. Auch ist durch die Re­ge­lung ins­ge­samt kei­ne un­ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer zu befürch­ten. Zu­tref­fend weist der Be­klag­te dar­auf hin, dass der Ur­laubs­an­spruch der „jüngs­ten Al­ters­grup­pe“ (bis 30 Jah­re) mit 26 Ar­beits­ta­gen be­reits er­heb­lich über dem vom Ge­setz­ge­ber als so­zi­al- und ge­sund­heits­po­li­tisch be­gründe­ten Min­des­t­ur­laubs­an­spruch von 24 Werk­ta­gen (§ 3 BurlG) liegt.

2.3.4 Da­nach kommt es nicht mehr dar­auf an, ob die kol­lek­ti­ve Maßnah­me auch gem. § 5 AGG ge­recht­fer­tigt ist.

3. Da die Kla­ge un­be­gründet war, hat die Kläge­rin die Kos­ten des Recht­streits zu tra­gen.

4. Die Kam­mer hat we­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der Rechts­fra­ge die Re­vi­si­on für die Kläge­rin zu­ge­las­sen.

 

- 12 -

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von d. Kläge­rin bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt

(Post­adres­se: 99113 Er­furt),

Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als sol­che sind außer Rechts­anwälten nur fol­gen­de Stel­len zu­ge­las­sen, die zu­dem durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln müssen:

• Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
• ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der vor­ge­nann­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt, und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

Für d. Be­klag­ter ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.
Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gem. § 72 a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments i. S. d. § 46 c ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts un­ter www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de.
 

R.

H.

R.
für den we­gen Ur­laubs ver­hin­der­ten eh­ren­amt­li­chen Rich­ter G.

 

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 20 Sa 2058/09