UPDATE
ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 14|2024

Update Arbeitsrecht 14|2024 vom 28.08.2024

Leitsatzreport

Arbeitsgericht Freiburg: Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers in der Wartezeit

Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 04.06.2024, 2 Ca 51/24

§§ 164 Abs.2; 167 Abs.1; 168; 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX); § 1 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); §§ 1, 2, 3, 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); Art.5 Richtlinie 2000/78/EG

Leitsatz des Gerichts:

Bei Auftreten von Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen sind Arbeitgeber auch in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen (entgegen BAG, Urteil vom 21.04.2016 – 8 AZR 402/14). Ein Verstoß hiergegen kann eine verbotene Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung indizieren und zur Unwirksamkeit einer Wartezeitkündigung führen (wie ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23).

Hintergrund:

Arbeitgeber müssen gemäß § 167 Abs.1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) „bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten“, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen führen können, versuchen, die Schwierigkeiten zu beseitigen und das Arbeitsverhältnis zu sichern (Präventionsverfahren). Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist das Präventionsverfahren keine „angemessene Vorkehrung“ gemäß Art.5 Richtlinie 2000/78/EG, um Behinderte beruflich zu unterstützen (BAG, Urteil vom 21.04.2016, 8 AZR 402/14, Leitsatz 1, Rn.23-25). Laut BAG müssen Arbeitgeber während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses, da gemäß § 1 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) noch kein Kündigungsschutz besteht („Wartezeit“), kein Präventionsverfahren durchführen (BAG, Urteil vom 21.04.2016, 8 AZR 402/14, Leitsatz 2). Abweichend davon hatte das Arbeitsgericht Köln vor einem halben Jahr andersherum zugunsten eines in der Wartezeit gekündigten Schwerbehinderten entschieden (Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23; s. dazu Update Arbeitsrecht 03|2024). Vor kurzem hat auch das Arbeitsgericht Freiburg unter Berufung auf das Arbeitsgericht Köln die Kündigung eines Schwerbehinderten in der Wartezeit für unwirksam erklärt, da der Arbeitgeber zuvor kein Präventionsverfahren durchgeführt hatte. Im Fall des Arbeitsgerichts Freiburg ging es um städtischen Angestellten mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50. Er hatte eine kaufmännische Ausbildung, war 53 Jahre alt und litt u.a. unter einer chronischen Depression, die aus seiner Sicht die Einarbeitung erschwert hatte.

Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 04.06.2024, 2 Ca 51/24

Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.04.2016, 8 AZR 402/14

 

Handbuch Arbeitsrecht: Behinderung, Menschen mit Behinderung

Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Behinderung

Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehindertenvertretung

Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

IMPRESSUM