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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 14|2024

Update Arbeitsrecht 14|2024 vom 28.08.2024

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Uhrzeit der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG

BAG, Urteil vom 20.06.2024, 2 AZR 213/23

Bei Versendung eines Kündigungsschreibens per Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG besteht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Schreiben während der üblichen Postzustellzeiten zugegangen ist.

§§ 126 Abs.1; 130 Abs.1 Satz 1; 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag nur durch eine schriftliche Erklärung möglich. 

Das bedeutet, dass die kündigende Vertragspartei die Kündigung auf einer Urkunde, d.h. einem Blatt Papier, erklären und diese Erklärung eigenhändig unterschreiben muss (§ 126 Abs.1 BGB).

Ein solches Kündigungsschreiben kann dem gekündigten Vertragspartner persönlich ausgehändigt werden, z.B. bei einem Personalgespräch im Betrieb. Oft werden Kündigungsschreiben aber auch per Post oder Botendienst an die (Privat- bzw. Betriebs-)Anschrift des Kündigungsadressaten übersandt.

In einem solchen Fall wird die Kündigung gemäß § 130 Abs.1 Satz 1 BGB mit „Zugang“ beim Empfänger wirksam. 

Dies heißt nach der Definition von „Zugang“ durch die Rechtsprechung, dass das Kündigungsschreiben in den Machtbereich des Empfängers gelangen muss, z.B. in seinen Briefkasten, und dass er unter normalen Umständen die „zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme“ hat. Ob der Empfänger das Schreiben auch tatsächlich liest, d.h. zur Kenntnis nimmt, spielt für den Zugang keine Rolle.

Zumutbar ist die (mögliche) Kenntnisnahme zu den üblichen Zustellzeiten oder kurz danach, aber z.B. nicht mehr, wenn ein Schreiben erst spät abends in den Briefkasten eingeworfen wird. Dann besteht die „zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme“ erst am Folgetag, so dass auch der Zugang (und damit die Wirksamkeit der Kündigung) erst am Folgetag eintritt.

Nach der Rechtsprechung besteht ein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang eines Schreibens beim Empfänger, wenn das Schreiben per Einwurf-Einschreiben mit der Deutschen Post AG übersandt wird und der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbeleges mit der Unterschrift des Zustellers vor Gericht vorlegen kann. 

Will der Kündigungsadressat diesen Beweis des ersten Anscheins erschüttern, muss er Tatsachen nachweisen, die es wahrscheinlich machen, dass der Ablauf im Streitfall untypisch war (z.B. wegen eines Poststreiks). Andernfalls geht das Gericht von einer Zustellung und damit von einem Zugang des Kündigungsschreibens an dem Tag aus, der in dem Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG dokumentiert wird.

Aber kann man im Falle des Versendens einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben auch davon ausgehen, dass das Schreiben zu den üblichen Postzustellzeiten zugegangen ist? Ja, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer aktuellen Entscheidung.

Sachverhalt

Eine Arbeitnehmerin wurde mit einem auf den 28.09.2021 (Dienstag) datierten Kündigungsschreiben zum 31.12.2021 von ihrem Arbeitgeber gekündigt. 

Das Schreiben wurde am 30.09.2021 (Donnerstag) von einem Bediensteten der Deutschen Post AG in den Hausbriefkasten der Arbeitnehmerin eingeworfen.

Sie erhob daraufhin Klage mit dem Ziel der gerichtlichen Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.03.2022 bestanden hat. Denn arbeitsvertraglich war eine Kündigungsfrist von einem Vierteljahr zum Quartalsende vereinbart. 

Bei einem Zugang des Kündigungsschreibens erst am 01.10.2021 wäre der fristgerechte Endtermin daher nicht der 31.12.2021, sondern der 31.03.2022 gewesen.

Ihre Klage begründete die Arbeitnehmerin, indem sie bestritt, dass das Kündigungsschreiben am 30.09.2021 zu den üblichen Postzustellungszeiten in ihren Hausbriefkasten geworfen wurde. Daher habe man  mit einer Entnahme des Schreibens am 30.09.2021 nicht rechnen können, so dass der Zugang erst am 01.10.2021 erfolgt sei.

Das Arbeitsgericht Nürnberg (Urteil vom 23.11.2022, 4 Ca 4439/21) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg wiesen die Klage ab (LAG Nürnberg, Urteil vom 15.06.2023, 5 Sa 1/23).

Entscheidung des BAG

Auch in der Revision vor dem BAG hatte die Angestellte kein Glück. Das BAG wies ihre Revision zurück.

Denn es gibt eine Verkehrsanschauung, wonach Hausbriefkästen im Allgemeinen unmittelbar nach dem Ende der üblichen Postzustellzeiten geleert werden, so das BAG. 

Die Postzustellzeiten können zwar von Ort zu Ort stark voneinander abweichen, doch macht das die ortsüblichen Postzustellzeiten nicht zu rein individuellen Verhältnissen des Erklärungsempfängers, auf die es bei Zugangsfragen nicht ankommt.

Darüber hinaus war im Streitfall auch zu erwarten, dass der Einwurf des Kündigungsschreibens innerhalb der postüblichen Zustellzeiten vorgenommen wurde. 

Denn das per Einwurf-Einschreiben verschickte Kündigungsschreiben wurde von einem Bediensteten der Deutschen Post AG in den Hausbriefkasten der Klägerin gelegt. Das führt, so das BAG, zu einem Beweis des ersten Anscheins, dass der Einwurf innerhalb der postüblichen Zustellzeiten erfolgt ist.

Denn die „übliche Postzustellungszeit“ ergibt sich ihrerseits aus der Arbeitszeit der Postbediensteten (falls nicht andere Zustelldienste einen maßgeblichen Anteil an der Postzustellung haben). 

Da die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen hatte, aus denen sich ein anderer Zustellzeitpunkt außerhalb der üblichen Zeiten ergab, war davon auszugehen, dass das Schreiben die Klägerin am 30.09.2021 zu den üblichen Zustellzeiten in ihrem Briefkasten erreichte. Daher hatte sie bereits am 30.09.2024 die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme.

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. 

Die Entscheidung ist eine notwendige Ergänzung zu der in der Rechtsprechung bereits anerkannten Regel, dass bei dem Versenden eines Kündigungsschreibens per Einschreiben-Rückschein ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass das Schreiben an dem Tag zugegangen ist, der sich aus dem Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG ergibt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2024, 2 AZR 213/23

Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 15.06.2023, 5 Sa 1/23

 

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung des Arbeitsvertrags (Überblick)

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Rücknahme der Kündigung

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsfristen

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage

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