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LAG Hamm, Ur­teil vom 07.07.2010, 18 Sa 139/10

   
Schlagworte: Betriebsänderung, Kündigung, Sozialauswahl
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 18 Sa 139/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.07.2010
   
Leitsätze:

1. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 20 Ziffer 4 MTV Elektro- und Metallindustrie NRW ist nicht generell bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG aufgehoben.

2. Die Einbeziehung eines grds. nach § 20 Ziffer 4 MTV Elektro- und Metallindustrie NRW ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers in die soziale Auswahl bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung setzt voraus, dass kein zumutbarer Arbeitsplatz vorhanden ist. Dies muss nicht ein freier Arbeitsplatz sein.

3. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Betriebsänderung und das Fehlen eines zumutbaren Arbeitsplatzes i.S.d. § 20 Ziffer 4 MTV Elektro- und Metallindustrie NRW als einer Ausnahme von der grundsätzlichen Unkündbarkeit trägt der Arbeitgeber

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 19.11.2009, 2 Ca 1842/09
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.11.2009,2 AZR 773/10
   

Te­nor:

1. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Dort­mund vom 19.11.2009 - 2 Ca 1842/09 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens wer­den der Be­klag­ten auf­er­legt.

3. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung vom 27.03.2009 zum 30.09.2009.

Die am 25.06.1953 ge­bo­re­ne und ver­hei­ra­te­te Kläge­rin ist seit dem 27.01.1992 bei der Be­klag­ten in der Ma­gnet­mon­ta­ge zu ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­mo­nats­ver­dienst von zu­letzt ca. 2.500,00 € beschäftigt.

Auf das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en sind auf­grund ein­zel­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me die Ta­rif­verträge für die Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie NRW an­wend­bar. § 20 Ziff. 4 des Man­tel­ta­rif­ver­tra­ges (im fol­gen­den MTV)^enthält fol­gen­de Re­ge­lung:

"Beschäftig­te, die das 55., aber noch nicht das 65. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben und dem Be­trieb / Un­ter­neh­men zehn Jah­re an­gehören, kann nur noch aus wich­ti­gem Grund gekündigt wer­den.

Dies gilt auch bei Ände­rungskündi­gun­gen im Ein­zel­fall zum Zwe­cke der Ent­gelt­re­du­zie­rung;

nicht je­doch

Die Be­klag­te beschäftig­te 798 Ar­beit­neh­mer. Auf­grund ei­nes er­heb­li­chen Auf­tragsrück­gangs schloss die Be­klag­te mit dem Be­triebs­rat am 05.03.2009 ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te ab, auf wel­cher auch die Kläge­rin ge­nannt ist. Von der Be­triebsände­rung, die Ge­gen­stand des In­ter­es­sen­aus­gleichs war, wa­ren ins­ge­samt 222 Ar­beit­neh­mer be­trof­fen. Im Rah­men der so­zia­len Aus­wahl wur­de die Kläge­rin mit 368 me­cha­ni­schen Hel­fern ver­gli­chen, wo­bei 156 Hel­fer von dem Per­so­nal­ab­bau be­trof­fen wa­ren. Die Be­klag­te bil­de­te da­bei Al­ters­grup­pen in Fünf-Jah­res-Schrit­ten. In der Al­ters­grup­pe der Kläge­rin (55 bis 59 Jah­re) er­hiel­ten 14 von 30 Ar­beit­neh­mern ei­ne Kündi­gung. Die Kläge­rin war in die­ser Al­ters­grup­pe mit 87 Punk­ten an 10 Stel­le. Mit Schrei­ben vom 27.03.2009 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat zur be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung der Kläge­rin an (Bl. 31 f. d. A.). Die­ser stimm­te mit Schrei­ben vom 27.03.2009 der Kündi­gung zu (Bl. 34 d. A.).

Die Kläge­rin lehn­te das An­ge­bot ab, in die Trans­fer- und Beschäfti­gungs­ge­sell­schaft T6 Hell­weg-Sau­er­land zu wech­seln. Mit Schrei­ben vom 27.03.2009 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en or­dent­lich zum 30.09.2009. Ge­gen die Wirk­sam­keit die­ser Kündi­gung wen­det sich die Kläge­rin mit der vor­lie­gen­den, am 15.04.2009 bei Ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Die Kläge­rin hat die An­sicht ver­tre­ten, die Kündi­gung sei schon auf­grund ih­rer ta­rif­li­chen Unkünd­bar­keit un­wirk­sam. Denn auch im Fal­le ei­ner Be­triebsände­rung sei zunächst zu prüfen, ob ein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz vor­han­den sei. Erst wenn das nicht der Fall sei, ent­fal­le in ei­nem zwei­ten Schritt die Unkünd­bar­keit. In ei­ne so­zia­le Aus­wahl ge­lang­ten unkünd­ba­re Ar­beit­neh­mer erst dann, wenn zum Zeit­punkt der vor­ge­se­he­nen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses vor­aus­sicht­lich an­de­re zu­mut­ba­re Ar­beitsplätze nicht exis­tier­ten. Das sei vor­lie­gend aber schon des­we­gen nicht der Fall ge­we­sen, da auf­grund der Al­ters­grup­pen­bil­dung ver­gleich­ba­re, or­dent­lich künd­ba­re Ar­beit­neh­mer - un­strei­tig - wei­ter­beschäftigt würden. Durch die Al­ters­grup­pen­bil­dung um­ge­he die Be­klag­te den ta­rif­li­chen Kündi­gungs­schutz der älte­ren Ar­beit­neh­mer. Die Be­klag­te beschäfti­ge verstärkt Aus­hil­fen. Ei­ne Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit be­ste­he auch auf den un­strei­tig ver­blie­be­nen Ar­beitsplätzen der me­cha­ni­schen Hel­fer. Zu ei­ner wei­te­ren Feh­ler­haf­tig­keit der so­zia­len Aus­wahl könne sie nichts vor­tra­gen, da die Be­klag­te trotz Auf­for­de­rung nur die So­zi­al­da­ten der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer in der Al­ters­grup­pe der Kläge­rin be­kannt­ge­ge­ben ha­be. Auch sei nicht er­sicht­lich, wie vie­le Mit­ar­bei­ter in den ein­zel­nen Al­ters­grup­pen gekündigt wor­den sei­en.

Darüber hin­aus sei die Kündi­gung auch we­gen feh­ler­haf­ter Anhörung des Be­triebs­ra­tes un­wirk­sam, weil er nicht über ih­re or­dent­li­che Unkünd­bar­keit un­ter­rich­tet wor­den sei.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die or­dent­li­che 14 Kündi­gung vom 27. März 2009 nicht zum 30.09.2009 auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat die An­sicht ver­tre­ten, die Kündi­gung sei so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Die Kläge­rin sei nicht mit den Ar­beit­neh­mern an­de­rer Al­ters­grup­pen ver­gleich­bar. Ein Aus­kunfts­an­spruch hin­sicht­lich der So­zi­al­da­ten der an­de­ren Ar­beit­neh­mer, auch der me­cha­ni­schen Hel­fer/Hel­fe­rin­nen, be­ste­he des­halb nicht. Die Be­klag­te ha­be nicht ver­sucht, ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Per­so­nal­struk­tur zu er­rei­chen, son­dern durch den vor­ge­nom­me­nen pro­por­tio­na­len Per­so­nal­ab­bau in den ein­zel­nen Al­ters­grup­pen von et­was mehr als 42 Pro­zent die bis­her vor­han­de­ne Per­so­nal­struk­tur ge­si­chert. Die Beschäfti­gung ei­ni­ger we­ni­ger Stu­den­ten/in­nen im Rah­men kurz­fris­ti­ger Be­fris­tun­gen während der Se­mes­ter­fe­ri­en oder als Werks­stu­den­ten ste­he der Wirk­sam­keit der Kündi­gung nicht ent­ge­gen. Es han­de­le sich um ei­ne weit nach Aus­spruch der Kündi­gung vor­ge­nom­me­ne Maßnah­me, um erhöhte Kran­kenstände und auf­ge­bau­ten Rest­ur­laub ab­zu­bau­en. Hier­an ha­be bei Aus­spruch der Kündi­gung nie­mand auch nur im Ent­fern­tes­ten ge­dacht. Auf die ta­rif­lich Unkünd­bar­keit könne sich die Kläge­rin nicht be­ru­fen, weil vor­lie­gend ei­ne Kündi­gung im Rah­men ei­ner Be­triebsände­rung vor­lie­ge und ein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz nicht vor­han­den sei.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf den Tat­be­stand und die Ent­schei­dungs­gründe des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen das am 22.12.2009 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts hat die Be­klag­te am 22.01.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se in­ner­halb der bis zum 22.03.2010 verlänger­ten Be­ru­fungs­be­gründungs­frist am 22.03.2010 be­gründet.

Die Be­klag­te ver­tritt un­ter Ver­tie­fung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens wei­ter­hin die An­sicht, dass die or­dent­li­che Kündi­gung vom 27.03.2009 wirk­sam sei, weil sie im Rah­men ei­ner Be­triebsände­rung, die Ge­gen­stand des In­ter­es­sen­aus­gleichs mit ei­ner Na­mens­lis­te ge­we­sen sei, erklärt wor­den sei, auf der sich auch die Kläge­rin be­fin­de. Die Tat­sa­che, dass die Kläge­rin grundsätz­lich nach § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie or­dent­lich nicht künd­bar sei, ste­he dem ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts nicht ent­ge­gen. Denn das Ar­beits­ge­richt ha­be den Um­fang der ta­rif­li­chen Unkünd­bar­keit ver­kannt. Aus § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW fol­ge nach rich­ti­ger Aus­le­gung un­ter Zu­grun­de­le­gung des Wort­lauts und der Sys­te­ma­tik die­ser Re­ge­lung, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den Son­derkündi­gungs­schutz bei Be­triebsände­run­gen ge­ne­rell auf­ge­ho­ben hätten. Bei der Be­ur­tei­lung der Fra­ge, ob ein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz im Sin­ne des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie vor­han­den sei, müsse auf die Zu­mut­bar­keit für al­le Be­tei­lig­ten ab­ge­stellt wer­den. So zu ver­ste­hen­de Zu­mut­bar­keit lie­ge nicht vor, wenn ein ver­gleich­ba­rer Ar­beits­platz nicht frei sei. Die Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes ta­rif­lich geschütz­ten Ar­beit­neh­mers sei nicht zu­mut­bar, wenn dies nur un­ter Ver­drängung ei­nes an­de­ren Ar­beit­neh­mers möglich sei. Die Aus­le­gung des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW durch das Ar­beits­ge­richt, würde ei­ne un­zulässi­ge Aus­deh­nung des ta­rif­li­chen Kündi­gungs­schut­zes zur Fol­ge ha­ben und sei mit der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te Köln und Düssel­dorf nicht zu ver­ein­ba­ren.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Dort­mund vom 19.11.2009 – 2 Ca 1842/09 ab­zuändern und die Kla­ge­ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen

Die Kläge­rin ver­tei­digt un­ter Ver­tie­fung des erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts. Sie ist ins­be­son­de­re der An­sicht, dass die Aus­le­gung des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW der Be­klag­ten zur Fol­ge ha­ben würde, dass die Be­triebs­par­tei­en die ta­rif­li­che Unkünd­bar­keit aus­he­beln könn­ten, was mit dem Ta­rif­vor­rang und Sinn und Zweck der ta­rif­lich vor­ge­se­he­nen or­dent­li­chen Unkünd­bar­keit nicht zu ver­ein­ba­ren wäre.

We­gen des Vor­brin­gens der Par­tei­en im Übri­gen wird auf den vor­ge­tra­ge­nen In­halt der Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist statt­haft und ins­ge­samt form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und 28 be­gründet wor­den, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b) und c), 66 Abs. 1, 64 Abs. 4 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO. Die Be­ru­fung bleibt je­doch in der Sa­che oh­ne Er­folg.

I.

Das Ar­beits­ge­richt hat im Er­geb­nis zu Recht fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27.03.2009 nicht auf­gelöst wor­den ist. Denn der Wirk­sam­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Kläge­rin steht ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten § 20 Zif­fer 4 des MTV Me­tall­in­dus­trie ent­ge­gen.

1. Es ist zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ih­nen im maßgeb­li­chen Zeit­punkt des Kündi­gungs­zu­gangs grundsätz­lich nach § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie nicht mehr or­dent­lich künd­bar war, weil die Kläge­rin das 55. Le­bens­jahr voll­endet hat und seit mehr als 10 Jah­ren im Be­trieb der Be­klag­ten beschäftigt war. Der ta­rif­li­che Aus­schluss der or­dent­li­chen Künd­bar­keit ist je­den­falls grundsätz­lich zulässig (vgl. BAG, Urt. v. 05.06.2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; Urt. v. 02.06.2006 – 2 AZR 58/05, NZA 2006, 868; Urt. v. 24.06.2004 – 2 AZR 215/03, AP Nr. 278 zu § 613a BGB)

2. Der Be­klag­ten ist zwar zu­zu­ge­ben, dass nach § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie aus­nahms­wei­se ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung zulässig ist, wenn ei­ne Be­triebsände­rung vor­liegt und ein zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz nicht vor­han­den ist. Die Vor­aus­set­zun­gen für die da­nach aus­nahms­wei­se zulässi­ge or­dent­li­che Kündi­gung lie­gen je­doch ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten nach An­sicht der Kam­mer nicht vor.

a. Der Be­klag­ten ist zu­zu­ge­ben, dass vor­lie­gend die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Kläge­rin auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung im Sin­ne des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie aus­ge­spro­chen wur­de.

Der Be­griff "Be­triebsände­run­gen" im Sin­ne des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW ist so zu ver­ste­hen wie in § 111 Be­trVG, denn wenn Ta­rif­ver­trags­par­tei­en Be­grif­fe ge­brau­chen, die im Rechts­le­ben ei­nen be­stimm­ten In­halt ha­ben, so ist an­zu­neh­men, dass sie ihn auch mit die­sem In­halt ver­wen­den woll­ten (vgl. BAG, Ur­teil vom 22.01.2004 – 2 AZR 111/02, AP Nr. 1 zu § 112 Be­trVG Na­mens­lis­te).

Nach § 111 Satz 2 Nr. 1 Be­trVG gel­ten als Be­triebsände­rung im Sin­ne des § 111 Satz 1 Be­trVG die Ein­schränkung und Still­le­gung des gan­zen Be­triebs oder von we­sent­li­chen Be­triebs­tei­len. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der die Kam­mer folgt, kann auch ein bloßer Per­so­nal­ab­bau oh­ne Ver­rin­ge­rung der sächli­chen Be­triebs­mit­tel ei­ne Be­triebs­ein­schränkung sein, wenn ei­ne größere An­zahl von Ar­beit­neh­mern be­trof­fen ist. Richt­schnur, wann er­heb­li­che Tei­le der Be­leg­schaft be­trof­fen sind, sind die Zah­len und Pro­zent­an­ga­ben in § 17 Abs. 1 KSchG. Für Großbe­trie­be wird die­se Staf­fel ein­ge­schränkt - dort ist ei­ne Be­triebs­ein­schränkung im Sin­ne des § 111 Satz 2 Nr. 1 Be­trVG erst bei ei­nem Per­so­nal­ab­bau von 5 % der Ge­samt­be­leg­schaft ge­ge­ben (vgl. BAG, Urt. v. 31.05.2007 – 2 AZR 254/06, NZA 2007, 1307; Ur­teil vom 22.01.2004, a.a.O.). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind vor­lie­gend erfüllt, weil von dem Per­so­nal­l­ab­bau 222 von ins­ge­samt 798 Ar­beit­neh­mern be­trof­fen wa­ren, was mehr als 25% der Ge­samt­be­leg­schaft aus­macht.

b. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten liegt je­doch die zwei­te Vor­aus­set­zung für die aus­nahms­wei­se Zulässig­keit der be­triebs­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung nicht vor. Denn der Aus­schluss der or­dent­li­chen Kündi­gung auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung setzt darüber hin­aus vor­aus, dass ein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz nicht vor­han­den war. Die­se zwei­te Aus­nah­me­vor­aus­set­zung kann ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten nicht be­reits dann an­ge­nom­men wer­den, wenn kein an­de­rer frei­er Ar­beits­platz vor­han­den ist. Denn nach § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW wird der ta­rif­li­che Son­derkündi­gungs­schutz für älte­re Ar­beit­neh­mer nicht ge­ne­rell bei Be­triebsände­run­gen im Sin­ne des § 111 Be­trVG
auf­ge­ho­ben. Viel­mehr ist ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung auch bei ei­ner Kündi­gung auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung nur aus­nahms­wei­se dann möglich, wenn kein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz vor­han­den ist, der ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten nicht zwin­gend frei sein muss.

Die Be­klag­te be­ruft sich zu Un­recht dar­auf, dass die Aus­le­gung des § 20 Zif­fer 4 des MTV Me­tall­in­dus­trie NRW er­gibt, dass nur ein frei­er Ar­beits­platz zu­mut­bar im Sin­ne die­ser Ta­rif­norm ist. Denn be­reits aus dem Wort­laut des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW, der für die Aus­le­gung ei­ner Ta­rif­norm in ers­ter Li­nie maßgeb­lich ist (vgl. BAG, Urt. v. 22.04.2010 - 6 AZR 962/08, ZTR 200, 417), folgt, dass auch bei ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung im Verhält­nis zu ei­ner "nor­ma­len" be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung verschärf­te An­for­de­run­gen gel­ten mit der Fol­ge, dass die Be­klag­te dar­le­gen muss, dass kein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz für den an sich or­dent­lich unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mer vor­han­den war.

Nach § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie greift der an sich be­ste­hen­de ta­rif­li­che Schutz vor or­dent­li­chen Kündi­gun­gen aus­nahms­wei­se bei ei­ner Be­triebsände­rung nicht ein, wenn kein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz vor­han­den ist. Be­reits der Wort­laut die­ser Ta­rif­norm zeigt, dass zum ei­nen ei­ne Be­triebsände­rung vor­lie­gen muss und zum an­de­ren kein an­de­rer zu­mut­ba­rer Ar­beits­platz vor­han­den sein darf. Würden bei ei­ner Kündi­gung auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung kei­ne verschärf­ten An­for­de­run­gen im Verhält­nis zu ei­ner "nor­ma­len" or­dent­li­chen Kündi­gung gel­ten, wäre nicht verständ­lich, wes­halb § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie ne­ben der Be­triebsände­rung auch noch auf den zu­mut­ba­ren an­de­ren Ar­beits­platz ab­stellt. Denn ge­ra­de da­durch, dass § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW bei ei­ner Be­triebsände­rung auch auf die Zu­mut­bar­keit der Beschäfti­gung auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz ab­stellt, folgt, dass die­ser An­for­de­rung ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung zu­kommt. Ei­ne ge­ne­rel­le Auf­he­bung des Son­derkündi­gungs­schut­zes bei ei­ner Be­triebsände­rung mit der Fol­ge, dass die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung ent­spre­chend der An­sicht der Be­klag­ten al­lein nach § 1 KSchG zu be­ur­tei­len wäre, wäre nur dann ge­recht­fer­tigt, wenn § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie al­lein auf das Vor­lie­gen ei­ner Be­triebsände­rung ab­stel­len würde. Dies ist aber bei § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW ge­ra­de nicht der Fall. Bei dem von der Be­klag­ten an­ge­nom­me­nen Aus­le­gungs­er­geb­nis hätten es die Be­triebs­part­ner in der Hand, durch die Ver­ein­ba­rung ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs mit Na­mens­lis­te den ta­rif­li­chen Son­derkündi­gungs­schutz or­dent­lich Unkünd­ba­rer in er­heb­li­chem Um­fang zu ent­wer­ten (vgl. auch BAG, Urt. v. 28.05.2009 – 2 AZR 844/07, NZA 2009, 954), was nach An­sicht der Kam­mer mit § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie nicht zu ver­ein­ba­ren wäre. Viel­mehr folgt aus die­ser Ta­rif­norm nach An­sicht der Kam­mer, dass der da­nach or­dent­lich unkünd­ba­rer Ar­beit­neh­mer auf an­de­ren Ar­beitsplätzen grundsätz­lich auch dann zu beschäfti­gen ist, wenn auf ih­nen Ar­beit­neh­mer beschäftigt wer­den, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie nicht erfüllen (vgl. auch Zip­ke, Kom­men­tar zum § 20 MTV Me­tall­in­dus­trie, 4.Aufl. 1998). Ob da­bei ei­ne ge­ne­rel­le Freikündi­gungs­pflicht be­steht, kann of­fen blei­ben (vgl. da­zu auch BAG, Urt. v. 18.05.2006 – 2 AZR 207/05, BB 2007, 668; Münch­Komm/Hens­se­ler § 626 BGB Rd­nr. 111 ff., 5. Aufl., 2009). Denn die Be­klag­te hat nicht dar­ge­legt, dass und wes­halb ihr ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung der an sich or­dent­lich unkünd­ba­ren Kläge­rin nicht zu­mut­bar war, ob­wohl sie wei­ter­hin ver­gleich­ba­re Hel­fer in an­de­ren Al­ters­stu­fen beschäftigt, die über kei­nen Son­derkündi­gungs­schutz nach § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie verfügen. Et­was an­de­res folgt auch nicht aus der von der Be­klag­ten zi­tier­ten Recht­spre­chung, weil in den von ihr erwähn­ten Ent­schei­dun­gen un­strei­tig war, dass kein an­de­rer zu­mut­ba­rer
Ar­beits­platz vor­han­den war, so­dass es nicht dar­auf an­kam, wel­che An­for­de­run­gen an die Un­zu­mut­bar­keit der Wei­ter­beschäfti­gung zu stel­len sind.

Die Tat­sa­che, dass ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung im Zu­sam­men­hang mit ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich mit ei­ner Na­mens­lis­te vor­liegt, ändert an der Dar­le­gungs­last der Be­klag­ten für die Un­zu­mut­bar­keit ei­ner an­der­wei­ti­gen Beschäfti­gung der Kläge­rin nichts, weil es vor­lie­gend nicht um die gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der So­zi­al­aus­wahl geht, für die grundsätz­lich der Ar­beit­neh­mer nach § 1 Abs. 5 KSchG die Dar­le­gungs- und Be­weis­last trägt, son­dern um die aus­nahms­wei­se Zulässig­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung trotz der an sich ge­ge­be­ner or­dent­li­chen Unkünd­bar­keit, al­so um ei­ne Aus­nah­me­vor­aus­set­zung des § 20 Zif­fer 4 MTV Me­tall­in­dus­trie NRW. Dem­ent­spre­chend kommt es auch nicht dar­auf an, ob und ge­ge­ben falls in­wie­weit die Be­klag­te ver­pflich­tet war, ent­spre­chend der An­sicht des Klägers Aus­kunft über die nicht gekündig­ten Ar­beit­neh­mer an­de­rer Al­ters­grup­pen zu er­tei­len.

II.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG in Ver­bin­dung mit §§ 97, 92, 344 ZPO.

Die Re­vi­si­on war we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zu­zu­las­sen.

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