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Sächsisches LAG, Urteil vom 17.03.2016, 6 Sa 631/15
Schlagworte: | Arbeitsvertragsrichtlinien, AVR, Betriebsübergang, Gleichstellungsabrede | |
Gericht: | Sächsisches Landesarbeitsgericht | |
Aktenzeichen: | 6 Sa 631/15 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 17.03.2016 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Dresden, Urteil vom 30.10.2015, 1 Ca 924/15 nachgehend: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.11.2017, 6 AZR 683/16 |
|
Sächsisches
Landesarbeitsgericht
Zwickauer Straße 54, 09112 Chemnitz
Postfach 7 04, 09007 Chemnitz
Bitte bei allen Schreiben angeben:
Az.: 6 Sa 631/15
1 Ca 924/15 ArbG Dresden
Verkündet am 17. März 2016
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 6 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2016
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 30.10.2015 – 1 Ca 924/15 – wird auf Kosten der Beklagten
z u r ü c k g e w i e s e n .
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Differenzlohn für den Zeitraum Juli 2014 bis Mai 2015 in rechnerisch unstreitiger Höhe von nunmehr 757,91 € brutto sowie um die Feststellung, dass die Erhöhung der Entgelte durch Beschluss der arbeitsrechtlichen Kommission der ... in Deutschland auch über diesen Zeitraum hinaus fortgilt.
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Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger seit 1991 mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im Rettungsdienst beschäftigt. Vor dem 01.01.2014 war der Kläger bei der ... e. V. tätig. Mit dem 01.01.2014 ging sein Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über.
Bei dem Rechtsvorgänger wurde der Kläger unter Anwendung der AVR DW eingruppiert. In dem Arbeitsvertrag vom 14.08.1991 mit der ... e. V. ist in § 2 Folgendes bestimmt:
"...Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. ...“
Mit Schreiben vom 16.07.2014 teilte die ... Deutschland mit, dass durch Beschluss vom 10.07.2014 rückwirkend zum 01.07.2014 die Stundenentgelte um 1,9 % erhöht werden (vgl. Bl. 10 bis 11 d. A.). Mit Beschluss vom 08.12.2014 erfolgte eine weiterer Erhöhung um 2,7 % zum 01.03.2015 (Bl. 141 bis 142 d. A.). Die Lohnerhöhungen hat die Beklagte nicht vollzogen.
Unter Anwendung einer Erhöhungen von 1,9 % bzw. weiteren 2,7 % und unter Berücksichtigung der erteilten Gehaltsabrechnungen ergibt sich zugunsten des Kläger für den Monat Juli 2014 ein Betrag von 49,53 € brutto, für den Monat August 2014 ein Betrag von 49,70 € brutto, für den Monat September 2014 ein Betrag von 47,87 € brutto, für den Monat Oktober 2014 ein Betrag von 48,46 € brutto, für den Monat November 2014 ein Betrag von 50,17 € brutto, für den Monat Dezember 2014 ein Betrag von 48,86 € brutto, für den Monat Januar 2015 ein Betrag von 49,96 € brutto, für den Monat Februar 2015 ein Betrag von 49,14 € brutto, für den Monat März 2015 ein Betrag von 121,00 € brutto, für den Monat April 2015 ein Betrag von 122,67 € brutto und für den Monat Mai 2015 ein Betrag von 120,56 € brutto.
Mit seiner am 02.04.2015 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen und unter dem 11.09.2015 erweiterten Klage hat der Kläger die Vergütungsdifferenzen geltend gemacht.
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Der Kläger hat die Meinung vertreten, ihm stehe die Lohnerhöhung um 1,9 % seit Juli 2014 und die weitere Lohnerhöhung um 2,7 % ab März 2015 zu. Er verweist insoweit auf eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 24.02.2014 – 6 Sa 1943/11 –. Ferner ist der Kläger der Auffassung, dass die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25.03.2014 zu dem Aktenzeichen 8 Sa 1150/13 zu seinen Gunsten eingreife. Er meint, die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel gelte auch für den Erwerber. Es sei letztlich freie Entscheidung der Beklagten gewesen, die Arbeitsverhältnisse mit dem jeweiligen Inhalt zu übernehmen. Auch bestünde auf Seiten der Beklagten die rechtliche Möglichkeit, durch Änderungsverträge oder durch Änderungskündigungen oder durch Abschluss eines eigenen Haustarifvertrages inhaltliche Änderungen herbeizuführen.
Der Kläger hat beantragt:
1. Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klagende Partei 757,91 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus, jeweils seit
49,53 € | 16.07.2014; |
49,70 € | 16.08.2014, |
47,87 € | 16.09.2014, |
48,46 € | 16.10.2014, |
50,17 € | 16.11.2014, |
48,86 € | 16.12.2014, |
49,96 € | 16.01.2015, |
49,14 € | 16.02.2015, |
121,00 € | 16.03.2015, |
122,67 € | 16.04.2015, |
120,56 € | 16.05.2015 |
zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, die von der arbeitsrechtlichen Kommission der ... in Deutschland mit Beschluss vom 10.07.2014 beschlossene Erhöhung der Entgelte ab 01.07.2014 in Höhe von 1,9 % sowie mit Beschluss vom 08.12.2014 beschlossene Erhöhung der Entgelte ab 01.03.2015 in Höhe von 2,7 % der klagenden Partei auch in Zukunft zu zahlen.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 14 h für geleistete Rufbereitschaft auf dem Stundenkonto gutzuschreiben.
4. Hilfsweise für die Abweisung des Klageantrags zu 3.:
festzustellen, dass die klagende Partei zur Leistung der Springerdienste gemäß der Betriebsvereinbarung bei der Beklagten vom 7./17.03.2014 zur Dienstplangestaltung für den Rettungsdienst und Krankentransport nicht verpflichtet ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass sie an die Erhöhung der Entgelte nicht gebunden sei. Die Klausel in § 2 des Arbeitsvertrages sei im Falle eines Betriebsübergangs dahingehend auszulegen, dass die Rechte des Arbeitnehmers statisch zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf den neuen Arbeitgeber übergehen und nachfolgende Veränderungen nicht gleichsam Inhalt des Arbeitsvertrages zum Erwerber werden würden.
Einer dynamischen Anwendung der Klausel stehe die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 18.07.2013 zu dem Aktenzeichen C-426/11 entgegen; daraus ergebe sich, dass Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte oder abgeschlossene Kollektivverträge verweisen würden, nur dann gegenüber dem Erwerber durchsetzbar seien, wenn dieser die Möglichkeit gehabt habe, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang teilzunehmen. Diese Grundsätze würden auch im Streitfall gelten. Die Beklagte falle nicht in den Geltungsbereich der AVR und gehöre nicht zum Kreis der ... Auf das Verhandlungsergebnis habe die Beklagte keinerlei Einfluss, so dass eine Bindungswirkung auf Seiten der Beklagten nicht gegeben sei.
Das Arbeitsgericht Dresden hat mit Urteil vom 30.10.2015 der Klage hinsichtlich Ziffern 1 und 2 stattgegeben. Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 05.11.2015 zugestellt. Deren Berufung ging am 19.11.2015 bei dem Landesar-
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beitsgericht ein und wurde – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.02.2016 – mit einem am 18.01.2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte vertritt unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen die Ansicht, das Arbeitsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 30.10.2015 – 1 Ca 924/15 – abzuändern und
die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf deren wechselseitige Schriftsätze und ihre Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die bereits nach dem Beschwerdewert statthafte (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.
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Ihr ist in der Sache jedoch kein Erfolg beschieden. Der – zulässigerweise teilweise im Rahmen eines Feststellungsantrags geltend gemachte – Anspruch des Klägers ergibt sich aus der durch Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission vom 10.07.2014 und 08.12.2014 erfolgten linearen Erhöhung der nach den AVR DW EKD zu zahlenden Vergütungen. Diese finden gemäß § 2 der zwischen den Parteien fortgeltenden Regelungen des Arbeitsvertrags vom 14.08.1991 auf das auf den Beklagten gemäß § 613 a BGB übergegangene Arbeitsverhältnis in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.
1. Die Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags richtet sich gemäß §§ 133, 157 BGB nach den für Willenserklärungen geltenden Regeln. Maßgeblich ist der objektive Erklärungsinhalt, der sich aus der Sicht des Empfängers bestimmt (BAG, Urteil vom 19.01.1999 – 9 AZR 667/07 – zitiert nach Juris). Dabei ist gemäß §§ 133, 157 BGB vom Wortlaut auszugehen. Nach den Auslegungsmaßstäben der §§ 133, 157 BGB ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG, Urteil vom 23.05.2007 – 10 AZR 363/06 – zitiert nach Juris; BAG, Urteil vom 20.09.2006 – 10 AZR 770/05 –, AP Nr. 41 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Der wirkliche Wille der Beteiligten kann sich dabei auch aus anderen Umständen, insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang der Gesamtregelung ergeben. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung anzunehmen ist, dass eine vertragliche Bestimmung nach dem Willen der Parteien einen bestimmten rechtserheblichen Inhalt aufweisen soll. Demgemäß ist einer möglichen Auslegung der Vorzug zu geben, bei welcher der Vertragsregelung eine tatsächliche Bedeutung zukommt, wenn sich diese ansonsten als überflüssig oder sinnlos erweisen würde (BAG, Urteil vom 25.09.2002 – 10 AZR 7/02 –, AP Nr. 27 zu §§ 22, 23 BAT Zuwendungs-TV; BAG, Urteil vom 14.11.2001 – 10 AZR 152/01 – zitiert nach Juris; BGH, Urteil vom 18.05.1998 – II ZR 19/97 –, NJW 1998, 2966).
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Wendet man diese Grundsätze auf die vertraglichen Vereinbarungen vom 14.08.1991 an, so ist zu konstatieren, dass die Vertragsparteien das Arbeitsverhältnis der dynamischen Anwendung der Arbeitsvertragsrichtlinien des ... in Deutschland (AVR) unterworfen haben. Die Vertragsparteien haben nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit das Recht, eine Vereinbarung zur Inbezugnahme eines anderen Regelungswerkes zu schließen. Die in Bezug genommenen Regelungen gehören zum vereinbarten Inhalt des Arbeitsvertrages und sind als solche nur durch die Vertragsparteien abänderbar (vgl. BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 4 AZR 24/10 –, zitiert nach JURIS). Bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen handelt es sich nicht um Tarifverträge im Sinne des Tarifvertragsgesetzes, weil sie nicht nach dessen Maßgabe, insbesondere nicht unter Beteiligungen von Gewerkschaften (§ 2 Abs. 1 TVG), zustande gekommen sind (BAG, Urteil vom 19.02.2003 – 4 AZR 11/02 –; BAG, Urteil vom 20.03.2002 –4 AZR 101/01 –; BAG, Urteil vom 15.11.2001 – 6 AZR 88/01 –; sämtlich zitiert nach Juris). Die Arbeitsrechtsregelungen werden vielmehr durch Beschluss der ARK-RWL festgelegt, die aufgrund der Beteiligung der Mitarbeiterseite nicht als Repräsentantin des Arbeitgebers sondern als Dritte den Inhalt der Arbeitsverhältnisse der bei dem Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer bestimmt (ebenso wie vorstehend: BAG, Urteil vom 08.06.2005 – 4 AZR 412/04 –, zitiert nach Juris); die inhaltlich Kontrolle der AVR durch staatliche Gerichte erfolgt deshalb als eine Billigkeitskontrolle nach §§ 317, 319 BGB (BAG 17.04.1996 – 10 AZR 558/95 –, zitiert nach Juris). Folglich sind die AVR als individualrechtliche Regelung zu verstehen, nicht aber als kollektivrechtliche ranggleich mit Tarifverträgen (BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 4 AZR 24/10 –, zitiert nach Juris).
Vor diesem Hintergrund ist für eine einschränkende Auslegung der Geltung der Dynamik auf einen kirchlichen Arbeitgeber kein Raum. Zwar wird eine solche Auslegung bei Bezugnahme auf Tarifverträge in sog. Altverträgen aus der Zeit vor dem 01.01.2002 aus Gründen des Vertrauensschutzes für weiterhin geboten erachtet (BAG, Urteil vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – zitiert nach Juris). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich um eine sog. Gleichstellungsabrede handelt, die einem tarifgebundenen Arbeitgeber dazu dient, auch die Arbeitsverhältnisse zu nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern inhaltlich wie bei Gewerkschaftsmitgliedern auszu-
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gestalten. Dies trifft indessen bei AVR gerade nicht zu, da sie stets allein durch arbeitsvertragliche Bezugnahme Geltung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erlangen können (BAG, Urteil vom 08.06.2005 – 4 AZR 412/04 –; ebenso: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.02.2012 – 6 Sa 1943/11 –; sämtlich zitiert nach Juris). Dies führt auch nicht zu einem für die Beklagte unzumutbaren Ergebnis, da die arbeitsrechtliche Kommission ohnehin bei der ihr auf dem sog. dritten Weg übertragenen Leistungsbestimmung als Dritter gemäß § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB billiges Ermessen walten lassen muss (BAG Urteil vom 10.12.2008 – 4 AZR 801/07 –; ebenso: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.02.2012 – 6 Sa 1943/11 –; sämtlich zitiert nach Juris).
2. Dem Übergang der dynamisch vereinbarten Geltung der AVR auf die Beklagte gemäß § 613 Abs. 1 Satz 1 BGB zum 01.01.2014 steht auch nicht die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben und Unternehmens- oder Betriebsteilen entgegen. Die Entscheidung des EuGH vom 18.07.2013 (C-426/11 – [Alemo-Herron], zitiert nach Juris) zwingt nicht zu einer europarechtskonformen Auslegung dahingehend, dass die Beklagte als Betriebsübernehmer nicht an deren vereinbarte dynamische Anwendung gebunden ist.
Zwar hat der EuGH unter dem 18.07.2013 (s. o.) entschieden, dass Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer bei Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen dahingehend auszulegen sei, dass er es einem Mitgliedsstaat verwehre, vorzusehen, dass im Falle eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verwiesen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar seien, wenn dieser nicht die Möglichkeit habe, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen. Der EuGH hat dies damit begründet, dass Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG im Einklang mit Artikel 16 der Charta
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zur unternehmerischen Freiheit auszulegen sei. Dem Betriebserwerber müsse es möglich sein, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln. Sei dies nicht möglich, so sei die Vertragsfreiheit dieses Betriebserwerbers so erheblich reduziert, dass eine solche Einschränkung den Wesensgehalt seiner Rechte auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen könne (EuGH vom 18.07.2013 – C-426/11 – [Alemo-Herron], zitiert nach Juris).
Die Kammer hegt bereits Zweifel, ob diese zum englischen Recht ergangene Entscheidung auf das deutsche Recht übertragbar ist (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 [A] –, zitiert nach Juris). Das englische Recht kennt keine unmittelbare und zwingende Wirkung von Tarifverträgen; vielmehr werden die Kollektivverträge (sog. collective agreements) ausschließlich über Bezugnahmeklauseln zum Inhalt der Arbeitsverträge. Das englische Tarifrecht besteht damit praktisch nur aus dynamischen arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln (Forst, DB, 2013, 1847, 1849). Im Falle eines Betriebsübergangs gehen nach englischem Recht die in den Arbeitsvertrag einbezogenen dynamischen Bezugnahmen auf Kollektivnormen auf den Betriebserwerber über, ohne dass die Möglichkeit bestünde, durch freiwillige Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer von der dynamischen Bezugnahme im Arbeitsvertrag abzuweichen, sofern die Änderung auch nur einen – insbesondere zeitlichen – Bezug zum Betriebsübergang aufweist (Meyer, AP Nr. 10 zu Richtlinie 2001/23/EG Blatt 4 R, 6; Heuschmid, AuR 2013, 500, 502). Im Gegensatz zum englischen Recht sind im Falle eines Betriebsübergangs nach deutschem Recht die nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergegangenen Rechte und Pflichten durch Vereinbarung oder durch Änderungskündigung abdingbar; überkommene tarifvertragliche Regelungen sind durch die Vereinbarung oder Geltung anderer tarifvertraglicher Normen ablösbar. Der Betriebserwerber hat folglich im Wege der Änderungskündigung (hierzu Kempter BB 2014, 1785; Mückl ZiP 2014, 207, 212) die – wenn auch nicht ganz einfach zu realisierende – Möglichkeit, eine dynamische Bezugnahme in eine statische Bezugnahme zu ändern. Diese
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Möglichkeit besteht nach englischem Recht nicht. Im Hinblick auf die arbeitsvertraglichen Änderungsmöglichkeiten ist im Gegensatz zum englischen Recht im deutschen Recht die Vertragsfreiheit des Erwerbers nicht so erheblich reduziert, dass eine solche Einschränkung den Wesensgehalt seines Rechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigt (ebenso: Sächsisches LAG, Urteil vom 24.03.2015 – 1 Sa 541/14 –; Hess. LAG, Urteil vom 10.12.2013 – 8 Sa 537/13 –; anderer Ansicht Sächs. LAG, Urteil vom 25.07.2014 – 3 Sa 128/14 –; sämtlich zitiert nach Juris).
Letztlich kann diese Frage jedoch dahinstehen, da es sich bei den AVR gerade nicht – wir oben ausführlich dargestellt – um kollektivrechtlich geltende Normen handelt. Die Anwendungsvereinbarung stellt sich als individualrechtliche Abrede dar, die wie jede andere Vertragsklausel der Disposition der Vertragsparteien unterliegt und grundsätzlich durch Vereinbarung bzw. (Änderungs-)Kündigung abänderbar, aber auch einer Überprüfung nach §§ 317, 319 BGB zugänglich ist.
3. Die seitens der arbeitsrechtlichen Kommission erfolgten Leistungsbestimmungen erweisen sich auch nicht als offenbar unbillig im Sinne von § 319 Abs. 1 BGB. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmung die Grundsätze von Treu und Glauben in grober Weise verletzt und sich ihre Unbilligkeit einem sachkundigen und unbefangenen Beobachter sofort aufdrängt. Dies ist bei einer singulären Betrachtung der Erhöhungen einer Grundvergütung im Juli 2014 um 1,9 % und im März 2015 um 2,7 %, aber auch bei gemeinsamer Betrachtung der zuvor in den Jahren 2013 und 2014 erfolgten Erhöhungen von 3,1 % und 1,3 % nicht der Fall. Es ist davon auszugehen (aber nicht dargelegt), dass auch in den Jahren 2013 bis 2015 in anderen Branchen Tarifsteigerungen stattgefunden haben. Insgesamt bewegen sich die seitens der arbeitsrechtlichen Kommission vorgenommenen Leistungsbestimmungen nicht wesentlich außerhalb des ansonsten üblichen Rahmens, so dass eine sich aufdrängende Unbilligkeit nicht vorliegt. Auch wenn man in die Berechnung die West-Ost-Anpassung einbezieht ergibt sich kein anderes Bild. Diese Anpassung ist vielfach – insbesondere im öffentlichen Sektor – bereits in den Vorjahren erfolgt und wurde somit im Bereich des Diakonischen Werkes nur nachgeholt. Warum eine derartige Anpassung der Ostgehälter an das Westniveau grob unbillig sein soll, er-
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schließt sich der Kammer nicht. Im Übrigen sind Gesichtspunkte, aus denen sich eine übermäßige Belastung gerade der Beklagten ergeben, deren Tatsachenvortrag nicht zu entnehmen.
4. Die geltend gemachten Zinsen rechtfertigen sich aus §§ 286 bis 288 BGB.
5. Die Beklagte hat gemäß § 97 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Ein Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nach den in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien nicht; die Kammer hat einen Einzelfall auf der Grundlage höchstrichterlicher Rechtsprechung entschieden.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.
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