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EuGH, Ur­teil vom 18.12.2007, C-341/05 - La­val un Part­ne­ri

   
Schlagworte: Streik: EU-Recht, Gewerkschaft, Tarifvertrag
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-341/05
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.12.2007
   
Leitsätze:

1. Freier Dienstleistungsverkehr – Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen – Richtlinie 96/71

(Richtlinie 96/71 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1 und 8)

2. Freier Dienstleistungsverkehr – Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen – Richtlinie 96/71

(Richtlinie 96/71 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3)

3. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme

(Art. 49 EG)

4. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen

(Art. 49 EG; Richtlinie 96/71 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

5. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen

(Art. 49 EG und 50 EG)

1. Ein Mitgliedstaat, in dem Mindestlohnsätze nicht auf eine in Art. 3 Abs. 1 und 8 der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vorgesehene Weise bestimmt werden, ist nicht berechtigt, nach dieser Richtlinie den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen im Rahmen einer länderübergreifenden Dienstleistungserbringung abzuverlangen, von Fall zu Fall am Arbeitsort unter Berücksichtigung der Qualifikation und der Aufgaben der betroffenen Arbeitnehmer Verhandlungen zu führen, damit diese Unternehmen Kenntnis von den Löhnen erhalten, die sie an ihre entsandten Arbeitnehmer werden zahlen müssen.

(vgl. Randnr. 71)

2. Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen lässt sich nicht dahin auslegen, dass er es einem Aufnahmemitgliedstaat erlaubt, die Erbringung einer Dienstleistung in seinem Hoheitsgebiet davon abhängig zu machen, dass Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen eingehalten werden, die über die zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz hinausgehen.

Für die in ihrem Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a bis g genannten Aspekte sieht nämlich die Richtlinie 96/71 ausdrücklich den Grad an Schutz vor, den der Aufnahmemitgliedstaat in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen zugunsten der von diesen in sein Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern abzuverlangen berechtigt ist. Folglich und vorbehaltlich dessen, dass die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen aus freien Stücken im Aufnahmemitgliedstaat – insbesondere im Rahmen einer gegenüber ihrem eigenen entsandten Personal eingegangenen Verpflichtung – einem womöglich günstigeren Tarifvertrag beitreten können, ist das Schutzniveau, das den entsandten Arbeitnehmern im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats garantiert werden muss, grundsätzlich auf das beschränkt, was Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie 96/71 vorsieht, es sei denn, die genannten Arbeitnehmer genießen bereits nach den Gesetzen oder Tarifverträgen im Herkunftsmitgliedstaat hinsichtlich der Aspekte, die die genannte Vorschrift betrifft, günstigere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.

(vgl. Randnrn. 80-81)

3. Zwar ist das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme als Grundrecht anzuerkennen, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist, deren Beachtung der Gerichtshof sicherstellt, doch kann seine Ausübung bestimmten Beschränkungen unterworfen werden. Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt wird, wird es nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt.

Obwohl der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse ist, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit, bestehen, liegt die Ausübung derartiger Grundrechte nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Bestimmungen des Vertrags und muss mit den Erfordernissen hinsichtlich der durch den Vertrag geschützten Rechte in Einklang gebracht werden und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.

Daraus folgt, dass der Grundrechtscharakter des Rechts auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme eine derartige Maßnahme, die sich gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen richtet, das Arbeitnehmer im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen entsendet, nicht dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zu entziehen vermag.

(vgl. Randnrn. 91, 93-95)

4. Art. 49 EG und Art. 3 der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass in einem Mitgliedstaat, in dem die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen hinsichtlich der in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a bis g dieser Richtlinie genannten Aspekte mit Ausnahme der Mindestlohnsätze durch Rechtsvorschriften festgelegt sind, eine gewerkschaftliche Organisation versuchen kann, durch eine kollektive Maßnahme in Form einer Baustellenblockade einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister dazu zu zwingen, mit ihr über die den entsandten Arbeitnehmern zu zahlenden Lohnsätze zu verhandeln und einem Tarifvertrag beizutreten, der Klauseln enthält, die für bestimmte dieser Aspekte günstigere Bedingungen als die vorsehen, die sich aus den einschlägigen Rechtsvorschriften ergeben, während andere Klauseln sich auf in Art. 3 dieser Richtlinie nicht angesprochene Aspekte beziehen.

Denn das Recht der gewerkschaftlichen Organisationen eines Mitgliedstaats zur Durchführung derartiger kollektiver Maßnahmen ist geeignet, für Unternehmen die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats weniger attraktiv zu machen, ja sogar zu erschweren, und stellt daher eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 49 EG dar. Eine solche Behinderung lässt sich nicht im Hinblick auf das Ziel des Arbeitnehmerschutzes rechtfertigen, unter das grundsätzlich eine Blockade fällt, die von einer gewerkschaftlichen Organisation des Aufnahmemitgliedstaats eingeleitet wird und darauf abzielt, den im Rahmen einer länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen entsandten Arbeitnehmern Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auf einem bestimmten Niveau zu garantieren, da der Arbeitgeber dieser Arbeitnehmer infolge der über die Richtlinie 96/71 herbeigeführten Koordinierung gehalten ist, einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz im Aufnahmemitgliedstaat zu beachten. Auch Lohnverhandlungen, zu denen die gewerkschaftlichen Organisationen die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen und vorübergehend Arbeitnehmer in das Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats entsendenden Arbeitgeber bewegen wollen, können mit einem solchen Ziel nicht gerechtfertigt werden, wenn sich derartige Verhandlungen in einen nationalen Kontext einfügen, für den kennzeichnend ist, dass Vorschriften fehlen, die hinreichend genau und zugänglich wären, um in der Praxis einem derartigen Unternehmen die Feststellung, welche Verpflichtungen es hinsichtlich des Mindestlohns beachten müsste, nicht unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.

(vgl. Randnrn. 99, 107-111 und Tenor 1)

5. Die Art. 49 EG und 50 EG stehen dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat das an die gewerkschaftlichen Organisationen gerichtete Verbot, eine kollektive Maßnahme mit dem Ziel zu unternehmen, einen zwischen Dritten geschlossenen Tarifvertrag aufzuheben oder zu ändern, von der Voraussetzung abhängt, dass sich die Maßnahme auf Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bezieht, auf die das nationale Recht unmittelbar anwendbar ist. Ein solches Verbot schafft nämlich gegenüber Unternehmen, die Arbeitnehmer in den Aufnahmemitgliedstaat entsenden, insofern eine Diskriminierung, als es die Tarifverträge, durch die diese Unternehmen bereits in dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, gebunden sind, unabhängig von ihrem Inhalt nicht berücksichtigt und für sie die gleiche Behandlung wie für nationale Unternehmen vorsieht, die keinen Tarifvertrag geschlossen haben. Eine derartige Diskriminierung lässt sich weder mit dem Ziel rechtfertigen, es den gewerkschaftlichen Organisationen zu ermöglichen, Maßnahmen zu ergreifen, damit alle auf dem nationalen Arbeitsmarkt vertretenen Arbeitgeber Vergütungen zahlen und auch im Übrigen Beschäftigungsbedingungen einhalten, die den gewöhnlich in diesem Mitgliedstaat praktizierten entsprechen, noch mit dem Ziel, Voraussetzungen für einen lauteren Wettbewerb zu gleichen Bedingungen zwischen den nationalen Arbeitgebern und Unternehmen zu schaffen, die aus anderen Mitgliedstaaten kommen. Keine dieser Erwägungen zählt nämlich zu den Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 46 EG in Verbindung mit Art. 55 EG.

(vgl. Randnrn. 116, 118-120 und Tenor)

 

 

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