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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 25.03.2010, 11 Sa 1618/09

   
Schlagworte: Diskriminierung: Behinderung, Menschen mit Behinderung, Diskriminierungsverbote: Behinderung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 11 Sa 1618/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 25.03.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Essen, 29.10.2009, 1 Ca 2542/09,
nachgehend: Bundesarbeitsgericht, 28.04.2011, 8 AZR 515/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf, 11 Sa 1618/09


Te­nor Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Es­sen vom 29.10.2009 - 1 Ca 2542/09 - wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.
  Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


TAT­BESTAND: 1

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung, den der Kläger mit ei­nem Ver­s­toß der Be­klag­ten ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot be­hin­der­ter Men­schen nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz - AGG - be­gründet. We­gen des Sach- und Streit­stan­des im Ein­zel­nen wird auf den Tat­be­stand des am 29.10.2009 verkünde­ten und dem Kläger am 02.12.2009 zu­ge­stell­ten Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Es­sen ver­wie­sen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

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Mit sei­ner bei Ge­richt am 31.12.2009 ein­ge­gan­ge­nen Be­ru­fung, die er mit ei­nem hier am 11.01.2010 ein­ge­reich­ten Schrift­satz be­gründet und um ei­nen Schrift­satz vom 22.02.2010 ergänzt hat, will der Kläger die Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils er­rei­chen. Die­ses hat sei­ne Kla­ge, mit der er die Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten, an ihn ei­ne an­ge­mes­se­ne, in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­te Entschädi­gung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu zah­len, ab­ge­wie­sen.

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Der Kläger be­an­tragt, 4

un­ter Abände­rung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung nach sei­nen Anträgen aus der letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung ers­ter In­stanz zu ent­schei­den.

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Die Be­klag­te be­an­tragt, 6

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

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Die Be­klag­te ver­tei­digt in ih­rer bei Ge­richt am 11.02.2010 ein­ge­gan­ge­nen Be­ru­fungs­er­wi­de­rung in ers­ter Li­nie das an­ge­foch­te­ne Ur­teil.

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We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Ein­zel­nen wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der Ak­te aus­drück­lich Be­zug ge­nom­men.

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ENT­SCHEI­DUN­GSGRÜNDE: 10
A. 11

Die Be­ru­fung des Klägers, ge­gen de­ren Zulässig­keit kei­ner­lei Be­den­ken be­ste­hen, ist un­be­gründet. Zu Recht hat die Vor­in­stanz die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Hier­an vermögen die Be­ru­fungs­an­grif­fe nichts zu ändern.

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I. Die Kla­ge ist zulässig. Ins­be­son­de­re ist der Kla­ge­an­trag hin­rei­chend be­stimmt i. S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO i. V. m. § 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass der Kläger ei­ne „an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung" - in sei­nem Auf­for­de­rungs­schrei­ben an die Be­klag­te vom 11.03.2009 be­zif­fert mit ei­nem Be­trag von 30.000,-- € - be­gehrt. Der Sa­che nach stellt der Kläger die Höhe der be­gehr­ten Entschädi­gung in das Er­mes­sen des Ge­richts. Nach § 15 Abs. 2 AGG kann ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­langt wer­den. Dem Ge­richt wird da­mit hin­sicht­lich der Höhe der Entschädi­gung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt. Steht dem Ge­richt ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum hin­sicht­lich der Entschädi­gungshöhe zu bzw. hängt die Be­stim­mung ei­nes Be­tra­ges vom bil­li­gen Er­mes­sen des Ge­richts ab, ist ein un­be­zif­fer­ter Zah­lungs­an­trag zulässig. Der Kläger muss al­ler­dings Tat­sa­chen, die das Ge­richt bei der Be­stim­mung des Be­tra­ges her­an­zie­hen soll, be­nen­nen und die Größen­ord­nung der gel­tend ge­mach­ten For­de­rung an­ge­ben (BAG 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - EzA § 15 AGG Nr. 1; BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 10 ju­ris). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind erfüllt. Der Kläger hat ei­nen Sach­ver­halt dar­ge­legt, der dem Ge­richt die Fest­set­zung der Höhe ei­ner Entschädi­gung ermöglicht, und An­ga­ben zur Größen­ord­nung die­ser Entschädi­gung ge­macht.

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II. Die Kla­ge ist je­doch un­be­gründet. Wie die Vor­in­stanz rich­tig er­kannt hat, hat der Kläger ge­gen die Be­klag­te kei­nen An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld gemäß § 15 Abs. 2 AGG, der ein­zig denk­ba­ren An­spruchs­grund­la­ge. Da­bei kann of­fen blei­ben, ob bei ei­ner Kündi­gung, die zu­dem die Be­klag­te in dem ge­richt­li­chen Ver­gleich, den sie zur Er­le­di­gung des vom Kläger anhängig ge­mach­ten Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses glei­chen Ru­brums - 6 Ca 554/09 ­ge­schlos­se­nen hat, zurück­ge­nom­men hat, über­haupt ein Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Be­tracht kommt. Denn die Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen die­ses Entschädi­gungs­an­spruchs sind im Streit­fall nicht erfüllt.

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1. Zu Guns­ten des Klägers soll un­ter­stellt wer­den, dass der sach­li­che An­wen­dungs­be­reich des Entschädi­gungs­an­spruchs nach § 15 Abs. 2 AGG eröff­net ist. Zum ei­nen sind trotz des Wort­lauts des § 2 Abs. 4 AGG die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des AGG ein­sch­ließlich der im Ge­setz vor­ge­se­he­nen Recht­fer­ti­gun­gen für un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen bei der Aus­le­gung der un­be­stimm­ten Rechts­be­grif­fe des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes in der Wei­se zu be­ach­ten, als sie Kon­kre­ti­sie­run­gen des So­zi­al­wid­rig­keits­be­griffs dar­stel­len (vgl. näher BAG 06.11.2008 - 2 AZR 523/07 - EzA § 1 KSchG So­zia­le Aus­wahl Nr. 82; dem fol­gend BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 -Rz. 15 ju­ris). Zum an­de­ren er­scheint ei­ne An­wen­dung des § 15 Abs. 2 AGG in Fällen der Un­wirk­sam­keit ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gung trotz der Aus­sch­ließlich­keits­an­ord­nung des § 2 Abs. 4 AGG nicht sys­tem­wid­rig (vgl. näher BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz 16 ju­ris).

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2. Im Streit­fall sind al­ler­dings selbst bei un­ter­stell­ter An­wend­bar­keit des § 15 Abs. 2 AGG des­sen Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Entschädi­gungs­zah­lung an den Kläger nicht erfüllt.

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a) Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftig­te we­gen ei­nes Scha­dens, der nicht 17 Vermögens­scha­den ist, ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen. Der Entschädi­gungs­an­spruch setzt ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot nach § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. § 1 AGG vor­aus. Dies stellt zwar § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht aus­drück­lich klar. Es er­gibt sich aber aus dem Ge­samt­zu­sam­men­hang der Be­stim­mun­gen in § 15 AGG (BAG 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - EzA § 15 AGG Nr. 1; BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 17 ju­ris).

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b) Nach § 7 Abs. 1 1. Halbs. AGG dürfen Beschäftig­te nicht we­gen ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Merk­ma­le be­nach­tei­ligt wer­den. Ge­gen die­ses Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot hat die Be­klag­te nicht ver­s­toßen, auch wenn sich der Kläger auf das Merk­mal der Be­hin­de­rung be­ruft.

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aa) Nach der Ge­set­zes­be­gründung zu § 1 AGG ent­spricht der Be­griff der Be­hin­de­rung des AGG den so­zi­al­recht­lich ent­wi­ckel­ten ge­setz­li­chen De­fi­ni­tio­nen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG (BT-Drucks. 16/1780, S. 31). Da­nach sind Men­schen be­hin­dert, wenn ih­re körper­li­che Funk­ti­on, geis­ti­ge Fähig­keit oder see­li­sche Ge­sund­heit mit ho­her Wahr­schein­lich­keit länger als sechs Mo­na­te von dem für das Le­bens­al­ter ty­pi­schen Zu­stand ab­wei­chen und da­her ih­re Teil­ha­be am Le­ben in der Ge­sell­schaft be­ein­träch­tigt ist. Der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Ge­mein­schaft (EuGH) ver­steht den Be­hin­der­ten­be­griff der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf da­hin­ge­hend, dass er ei­ne Ein­schränkung er­fas­se, die ins­be­son­de­re auf phy­si­sche, geis­ti­ge oder psy­chi­sche Be­ein­träch­ti­gung zurück­zuführen sei und die ein Hin­der­nis für die Teil­ha­be der Be­tref­fen­den am Be­rufs­le­ben bil­den würde. Die Be­grif­fe „Be­hin­de­rung" und „ Krank­heit" würden sich nicht schlicht und ein­fach ein­an­der gleich­set­zen las­sen. Die Be­deu­tung, die der Ge­mein­schafts­ge­setz­ge­ber Maßnah­men zur Ein­rich­tung des Ar­beits­plat­zes nach Maßga­be der Be­hin­de­rung bei­ge­mes­sen ha­be, zei­ge, dass er an Fall­ge­stal­tun­gen ge­dacht ha­be, in de­nen die Teil­ha­be am Be­rufs­le­ben über ei­nen lan­gen Zeit­raum ein­ge­schränkt sei. Da­mit die Ein­schränkung un­ter den Be­griff „Be­hin­de­rung" fal­le, müsse wahr­schein­lich sein, dass sie von lan­ger Dau­er sei (EuGH 11.07.2006 - C-13/05 -Rz. 42 bis 47, NZA 2006, 839, 840).

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bb) Zu Guns­ten des Klägers soll ei­ne Be­hin­de­rung im Sin­ne der EuGH-Recht­spre­chung un­ter­stellt wer­den

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b) Un­ge­ach­tet ei­ner zu Guns­ten des Klägers an­ge­nom­me­nen Be­hin­de­rung stellt die Kündi­gungs­erklärung der Be­klag­ten vom 12.01.2009 kei­ne Be­nach­tei­li­gung des Klägers dar.

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aa) Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung i. S. von § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten verpönten Merk­mals ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung er­lei­det als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. Es ist not­wen­dig, dass die be­tref­fen­de Per­son ei­ner we­ni­ger güns­ti­gen Be­hand­lung aus­ge­setzt ist als ei­ne in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on be­find­li­che Per­son, bei der das Merk­mal nicht vor­liegt (BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 23 ju­ris m. w. N.).

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bb) Mit der Kündi­gungs­erklärung vom 12.01.2009 hat sich die Be­klag­te ei­nes zulässi­gen Ge­stal­tungs­mit­tels zur Be­en­di­gung des zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses be­dient. Sie hat die Kündi­gung auf Gründe in der Per­son des Klägers - kon­kret: Die in der Ver­gan­gen­heit auf­ge­tre­te­nen Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten, die aus ih­rer Sicht zu ei­ner er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen geführt ha­ben (vgl. Anhörungs­schrei­ben an den Be­triebs­rat vom 02.01.2009) - gestützt. Die Äußerung ei­nes Be­en­di­gungs­wil­lens des Ar­beits­verhält­nis­ses mag für den Kläger ungüns­tig und nach­tei­lig ge­we­sen sein. Es sind aber kei­ne An­halts­punk­te dafür er­sicht­lich, dass die Be­klag­te ge­genüber ei­nem an­de­ren, nicht be­hin­der­ten Ar­beit­neh­mer mit Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten in glei­chem oder auch nur ähn­li­chem Um­fang kei­ne Kündi­gung aus­spricht, aus­ge­spro­chen hat oder aus­spre­chen würde (vgl. BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 24 ju­ris).

23

cc) Auch bei dem - vom Kläger al­ler­dings nicht gel­tend ge­mach­ten - Ge­sichts­punkt der mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs. 2 AGG ist zu berück­sich­ti­gen, dass Be­hin­de­rung und zu Aus­fall­zei­ten führen­de Ar­beits­unfähig­keit nicht gleich­ge­setzt wer­den können. Die von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung ba­sier­te auf den Fehl­zei­ten des Klägers. Im Übri­gen müss­te der Schluss ge­zo­gen wer­den können, dass die Be­klag­te bei den von ihr aus­ge­spro­che­nen per­so­nen- bzw. krank­heits­be­ding­ten Kündi­gun­gen über­pro­por­tio­nal be­hin­der­te Men­schen trifft. Hierfür ist nichts er­sicht­lich. Der Kläger hat dies­bezüglich auch nichts vor­ge­tra­gen.

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c) Letzt­lich muss die Fra­ge ei­ner Be­hin­de­rung des Klägers und ei­ner ihn et­wa durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 12.01.2009 be­nach­tei­li­gen­de Maßnah­me nicht ab­sch­ließend geklärt wer­den. Der Kläger ist je­den­falls nicht we­gen ei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wor­den.

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aa) Da für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des er­folgt sein muss, ist ein Kau­sal­zu­sam­men­hang er­for­der­lich. Die­ser ist ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen der in § 1 AGG ge­nann­ten oder an meh­re­re der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe an­knüpft oder da­durch mo­ti­viert ist (BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 27 ju­ris; BAG 17.12.2009 - 8 AZR 670/08 - Rz. 19 EzA § 15 AGG Nr. 6, je­weils un­ter Hin­weis auf BT-Drucks. 16/1780, S. 32). Aus­rei­chend ist, dass ein in § 1 AGG ge­nann­ter Grund Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels ist, das die Ent­schei­dung be­ein­flusst hat (BAG 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - Rz. 37 EzA § 15 AGG Nr. 1; BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 27 ju­ris; BAG 17.12.2009 - 8 AZR 670/08 - Rz. 19 a. a. 0.). Nach der ge­setz­li­chen Be­weis­re­ge­lung gemäß § 22 AGG genügt es, dass der An­spruch­stel­ler im Streit­fal­le In­di­zi­en be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. Als­dann trägt die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat.

26

bb) Das Vor­brin­gen des Klägers lässt kei­nen Schluss auf die Ver­mu­tung ei­ner Ursächlich­keit zwi­schen der (zu sei­nen Guns­ten als Be­nach­tei­li­gung ge­wer­te­ten) Kündi­gungs­erklärung und ei­ner (eben­so zu sei­nen Guns­ten an­ge­nom­me­nen) Be­hin­de­rung zu. Der Kläger be­ruft sich al­lein auf die Ge­stal­tungs­erklärung und auf ein in sei­ner Per­son erfüll­tes Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mal. Dies ver­mag ei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit für ei­ne ge­setz­wid­ri­ge Mo­ti­va­ti­on der Kündi­gungs­ent­schei­dung der Be­klag­ten oder de­ren Ver­knüpfung mit ei­nem pöna­li­sier­ten Merk­mal nach § 1 AGG nicht zu be­gründen. Es be­darf bei ei­nem u. a. mit dem Entschädi­gungs­an­spruch sank­tio­nier­ten Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot zwar kei­ner „sub­jek­ti­ven Kom­po­nen­te" i. S. ei­ner Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht. Es muss je­doch ei­ne An­knüpfung der Hand­lung des Be­nach­tei­li­gen­den an ein Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mal zu­min­dest in Be­tracht kom­men können (BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 28 ju­ris).

27

cc) Als ge­stal­ten­de Wil­lens­erklärung knüpft ei­ne Kündi­gung als sol­che nicht an ein Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mal an. In­so­weit können aber die Kündi­gungs­mo­ti­va­ti­on bzw. die dem Kündi­gungs­ent­schluss zu­grun­de lie­gen­den Über­le­gun­gen durch­aus An­halts­punk­te für ei­ne Re­la­ti­on der Erklärung zu ei­nem Merk­mal nach § 1 AGG sein. Auf sol­che kann aus der Kündi­gungs­be­gründung oder aus an­de­ren äußeren Umständen ge­schlos­sen wer­den. Der­ar­ti­ge Umstände sind aber im Streit­fall zu Las­ten der Be­klag­ten nicht er­sicht­lich. Im Ge­gen­teil: Der äußere An­schein spricht vor­lie­gend ge­ra­de dafür, dass es der Be­klag­ten al­lein um ei­ne mit den ar­beits­unfähig­keits­be­ding­ten Fehl­zei­ten des Klägers be­gründe­te Kündi­gung ging. So­weit sie aus­weis­lich ih­res Schrei­bens an den Be­triebs­rat vom 02.01.2009 - wenn auch nach An­sicht des Klägers "for­mel­haft" - "krank­heits­be­dingt" kündi­gen woll­te - das Anhörungs­ver­fah­ren nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und 2 Be­trVG ist (nur) sub­jek­tiv de­ter­mi­niert (vgl. nur BAG 27.11.2008 - 2 AZR 193/07 - Rz. 42 ju­ris) - und aus­weis­lich ih­res Schrei­bens vom 12.01.2009 „aus krank­heits­be­ding­ten Gründen" gekündigt hat - die Nicht­durchführung des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments (§ 84 Abs. 2 SGB IX) hat nur Be­deu­tung im Rah­men der dem Ar­beit­ge­ber für die Wirk­sam­keit ei­ner per­so­nen­be­ding­ten (hier: krank­heits­be­ding­ten) Kündi­gung (vgl. § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG) gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG ob­lie­gen­den Dar­le­gungs­last (vgl. näher BAG 23.04.2008 - 2 AZR 1012/06 - Rz. 26 EzA § 1 KSchG Krank­heit Nr. 55) -, ist die Krank­heit als sol­che kein Grund, de­rent­we­gen Per­so­nen zu be­nach­tei­li­gen nach der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf und ih­rer Um­set­zung im AGG ver­bo­ten wäre (EuGH 11.07.2006 - C-13/05 - Rz. 42-47, NZA 2006, 839, 840; BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 29 ju­ris). Mit der Ar­gu­men­ta­ti­on des Klägers könn­te letzt­lich bei je­der Kündi­gungs­erklärung ge­genüber ei­nem Ar­beit­neh­mer oder ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, der oder die ein Merk­mal i. S. von § 1 AGG auf­weist - beim Ge­schlecht ist dies im­mer der Fall -, auch ei­ne Kündi­gung we­gen die­ses Merk­mals an­ge­nom­men wer­den. Das Vor­lie­gen ei­nes Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mals in der Per­son des Be­nach­tei­lig­ten reicht für die An­nah­me ei­nes Kau­sal­zu­sam­men­hangs je­doch prin­zi­pi­ell nicht aus (BAG 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - Rz. 29 ju­ris un­ter Hin­weis auf Wen­de­ling-Schröder, in: Wen­de­ling-Schröder/St­ein, AGG, 2007, § 7 Rz. 14).

28
B. 29
Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG. 30

Da der Rechts­sa­che we­der grundsätz­li­che Be­deu­tung zu­kommt, noch die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Di­ver­genz­re­vi­si­on er­sicht­lich sind, be­stand für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on an das Bun­des­ar­beits­ge­richt kein ge­setz­li­cher Grund (vgl. § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG).

31
RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG: 32
Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. 33
We­gen der Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen. 34
gez.: Prof. Dr. Vos­sen­gez.: Horst­gez.: Fran­ken 35

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