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VG Berlin, Beschluss vom 02.07.2015, VG 26 K 313.14
Schlagworte: | Beamte, Diskriminierung, Elternzeit, Mutterschutz, Probezeit | |
Gericht: | Verwaltungsgericht Berlin | |
Aktenzeichen: | VG 26 K 313.14 | |
Typ: | Beschluss | |
Entscheidungsdatum: | 02.07.2015 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | nachgehend: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 07.09.2017, C-174/16 |
|
VG 26 K 313.14
Verkündet am 2. Juli 2015
Grenda
Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
VERWALTUNGSGERICHT BERLIN
BESCHLUSS
In der Verwaltungsstreitsache
Klägerin,
g e g e n
das Land Berlin,
vertreten durch die Senatsverwaltung für Inneres und
Sport, Klosterstraße 47, 10179 Berlin,
Beklagten,
hat das Verwaltungsgericht Berlin, 26. Kammer, durch
die Richterin am Verwaltungsgericht Prof. Dr. Lücking,
den Richter am Landgericht Hanser,
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Rüsch,
den ehrenamtlichen Richter und
die ehrenamtliche Richterin
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Juni 2015 beschlossen:
Das Verfahren beim Verwaltungsgericht Berlin wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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1. Sind die Bestimmungen der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG und die Bestimmungen der im Anhang veröffentlichten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub dahin auszulegen, dass sie einer Regelung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der die Probezeit, in der ein Amt mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen ist, auch dann kraft Gesetzes und unter Ausschluss der Möglichkeit einer Verlängerung endet, wenn der Beamte oder die Beamtin sich im überwiegenden Teil dieser Probezeit im Elternurlaub befand und weiterhin befindet?
2. Sind die Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, insbesondere Art. 14 Abs. 1 Buchst. a oder Buchst. c, Art. 15 oder Art. 16 der Richtlinie, dahin auszulegen, dass eine Regelung des nationalen Rechts mit dem unter Frage 1 genannten Inhalt eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellt, wenn von ihr eine sehr viel höhere Zahl an Frauen als an Männern betroffen ist oder potentiell betroffen sein kann?
3. Falls die Fragen 1 oder 2 bejaht werden: Steht die Auslegung der genannten Bestimmungen des europäischen Rechts einer solchen Regelung des nationalen Rechts auch dann entgegen, wenn diese mit der Zielsetzung gerechtfertigt wird, in der Probezeit die Bewährung für ein auf Dauer zu übertragendes Amt mit leitender Funktion nur im Falle einer tatsächlichen, über einen langfristigen Zeitraum andauernden Wahrnehmung der Aufgaben feststellen zu können?
4. Falls auch Frage 3 bejaht wird: Lässt die Auslegung des europäischen Rechts eine andere Rechtsfolge zu als die Fortsetzung der Probezeit im unmittelbaren Anschluss an das Ende des Elternurlaubs – für die Dauer des zu Beginn des Elternurlaubs noch nicht verstrichenen Zeitraums – auf dem selben oder einem vergleichbaren Dienstposten, etwa dann, wenn ein solcher Dienstposten oder eine entsprechende Planstelle nicht mehr zur Verfügung stehen?
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5. Erfordert es die Auslegung des europäischen Rechts, in diesem Fall zur Besetzung eines anderen Dienstpostens oder eines anderen Amtes mit leitender Funktion von einem neuen Auswahlverfahren unter Einbeziehung anderer Bewerber nach den Vorschriften des nationalen Rechts abzusehen?
Gründe
A. Sachverhalt
Die Klägerin begehrt den Fortbestand ihres Beamtenverhältnisses auf Probe in einem Amt mit leitender Funktion, das sie innerhalb der dafür vorgesehenen Dauer aufgrund von Schwangerschaft, Mutterschutz und Elternzeit nicht ausgeübt hat. Seit dem Jahr 1999 steht die Klägerin im Dienst des beklagten Landes Berlin. Als Beamtin auf Lebenszeit war sie ab dem 1. September 2007 in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung I_____ – Referat I_____, tätig, zunächst im Wege der Abordnung, nach ihrer Versetzung zum 1. November 2007 dann im Amt einer Regierungsdirektorin (Besoldungsgruppe A 15). Mit Wirkung vom 23. September 2008 wurde sie dort zur Senatsrätin (Besoldungsgruppe A 16) befördert. Nach Durchführung eines Auswahlverfahrens wählte sie der Beklagte für die Besetzung des Aufgabengebiets „_____ bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung I_____– Referat I_____, aus. Zum 16. August 2011 versetzte er die Klägerin in die Abteilung I_____ der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, ernannte sie durch am 20. September 2011 ausgehändigte Urkunde unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Senatsrätin (Besoldungsgruppe B 2) und wies sie mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 in eine freie Planstelle der Besoldungsgruppe B 2 ein.
Eine Dienstaufnahme der Klägerin in der Abteilung I_____ erfolgte nicht, da sie vom 25. Juli 2011 bis zum 19. Januar 2012 schwangerschaftsbedingt dienstunfähig erkrankt war. In der Zeit vom 20. Januar 2012 bis zum 27. April 2012 befand sich die Klägerin im gesetzlichen Mutterschutz und im Anschluss daran vom 30. April 2012 bis zum 29. Mai 2012 im Erholungsurlaub. Für die Zeit ab dem 30. Mai 2012 bewilligte ihr der Beklagte Elternzeit, die auf Antrag der Klägerin mehrfach verlängert wurde und am 20. Februar 2015 endete. Das Aufgabengebiet der Referatsleitung I_____ bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport wurde in der zweiten Jahreshälfte 2012 erneut ausgeschrieben und anschließend besetzt.
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Mit Bescheid vom 4. September 2014 teilte das Landesverwaltungsamt Berlin als beauftragter Personaldienstleister im Land Berlin der Klägerin mit, dass ein erfolgreicher Abschluss der zweijährigen Probezeit im Amt einer Senatsrätin (Besoldungsgruppe B 2) nicht feststellbar sei, da sie das übertragene Amt nicht wahrgenommen habe. Ihr Beamtenverhältnis auf Probe ende somit nach § 97 Abs. 4 Satz 5 des Landesbeamtengesetzes – LBG – mit Ablauf des 19. September 2013. Ihr werde wieder das bis dahin ruhende Amt einer Senatsrätin (Besoldungsgruppe A 16) im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übertragen.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 14. September 2014 Widerspruch ein. Sie machte geltend, dass der Bescheid gegen höherrangiges europäisches und nationales Recht zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen verstoße, insbesondere gegen die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006, § 5 Ziffer 2 Satz 1 des Anhangs zur Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010, Art. 3 Abs. 2, 3 des Grundgesetzes – GG – und § 7 Abs. 1 i. V. m. §§ 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – AGG –, denn er diskriminiere sie als Frau in ihrem beruflichen Fortkommen und hinsichtlich Entgelt und Altersversorgung. § 97 LBG, der für den Fall der Elternzeit, der schwangerschaftsbedingten Dienstunfähigkeit und des Mutterschutzes während der Probezeit im Führungsamt auf Probe keine Aussage treffe, hätte mit dem geltenden Antidiskriminierungsrecht in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Dies sei nicht geschehen. Mit weiterem Schreiben vom 8. Oktober 2014 beantragte die Klägerin ferner die Bestätigung des Beklagten, dass sie infolge ihres Widerspruchs bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Bescheid vom 4. September 2014 weiterhin das statusrechtliche Amt einer Senatsrätin (Besoldungsgruppe B 2) auf Probe innehabe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2014 wies das Landesverwaltungsamt Berlin den Widerspruch der Klägerin hinsichtlich des nicht erfolgreichen Abschlusses der Probezeit als unbegründet sowie hinsichtlich des Ablaufs des Beamtenverhältnisses auf Probe und Wiederaufleben des vorherigen Amtes im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit als unzulässig zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:
Für die Übertragung eines Amtes mit leitender Funktion im Sinne des § 97 LBG auf Dauer im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit sei gemäß Abs. 4 der erfolgreiche Abschluss einer zweijährigen Probezeit unerlässlich. Die Dauer der Probezeit sei sta-
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tisch auf zwei Jahre festgelegt, eine Verlängerung sei nicht zulässig. Es müsse daher im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden, ob sich der Beamte während der zweijährigen Probezeit bewährt habe. Eine Mindestzeit für die Wahrnehmung der Aufgaben habe der Gesetzgeber nicht normiert. Träten während einer laufenden Probezeit Abwesenheiten auf, die das übliche Maß erheblich überstiegen, sei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob der verbleibende Zeitraum der tatsächlichen Aufgabenwahrnehmung ausreichend sei, um eine positive Entscheidung über die Bewährung zu treffen. Da die Klägerin das ihr übertragene Amt mit leitender Funktion aufgrund Dienstunfähigkeit, Mutterschutz, Erholungsurlaub und Elternzeit an keinem Tag wahrgenommen habe, sei ein erfolgreicher Abschluss der Probezeit zum 19. September 2013 nicht feststellbar.
Die Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen untersage sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Diskriminierung zwischen Männern und Frauen, unter anderem auch in Bezug auf die Bedingungen für den beruflichen Aufstieg; insbesondere dürfe der Schutz der Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschutz nicht zu einer Schlechterstellung führen. Eine Ungleichbehandlung könne jedoch aufgrund einer bestimmten beruflichen Tätigkeit gerechtfertigt sein, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handele. Die genannte Richtlinie sowie die Rechtsprechung des EuGH hätten den Gesetzgeber des Landes Berlin nicht veranlasst, die Vorschrift des § 97 LBG zu ändern. Die Regelungen für das Beamtenverhältnis auf Probe für Leitungsfunktionen gälten für Beamtinnen und Beamte gleichermaßen. Väter hätten gleichermaßen die Möglichkeit, Elternzeiten in Anspruch zu nehmen. Auch bei männlichen Beamten wirkten sich Abwesenheiten in Form von Dienstunfähigkeit, Erholungsurlaub und Kindererziehungszeiten mit der Folge aus, dass gegebenenfalls keine erfolgreiche Ableistung der Probezeit festgestellt werden könne. Eine unmittelbare Frauendiskriminierung sehe der Beklagte somit nicht als gegeben an. Die Nichtberücksichtigung von schwangerschaftsbedingter Dienstunfähigkeit, Mutterschutz und Kindererziehungszeiten betreffe zwar überwiegend Frauen, jedoch fänden die Bestimmungen des § 97 LBG ihre objektive Rechtfertigung darin, dass gerade für ein Amt mit Leitungsfunktion die Befähigung unabhängig vom Geschlecht nur nachgewiesen werden könne, wenn die Aufgaben auch tatsächlich über einen längeren Zeitraum wahrgenommen würden. Auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sei somit nicht zu erkennen.
Nach § 5 Ziffer 2 des Anhangs zur Richtlinie 2010/18/EU blieben die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben habe, bis zum Ende des Eltern-
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urlaubs bestehen. Im Anschluss daran fänden diese Rechte jedoch mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften ergeben. Im Fall der Klägerin hätten sich ihre Rechte nach der Vorschrift des § 97 LBG im Anschluss an die Elternzeit insofern verändert, als dass ihr Beamtenverhältnis auf Probe kraft Gesetzes bereits beendet sei. Ein Zuwiderlaufen gegen die Richtlinie über den Elternurlaub sei daher nicht zu erkennen.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz habe u. a. zum Ziel, Benachteiligungen wegen des Geschlechts zu verhindern oder zu beseitigen; gemäß § 2 AGG sei eine Benachteiligung unzulässig in Bezug auf den beruflichen Aufstieg. Wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen in besonderer Weise benachteiligen könnten, sei von einer mittelbaren Benachteiligung auszugehen, es sei denn, ein rechtmäßiges Ziel rechtfertige diese sachlich und die Mittel zur Erreichung des Ziels seien angemessen und erforderlich. In diesem Sinne sei es sachgerecht und legitim, wenn die Vorschrift des § 97 LBG einen festen, nicht verlängerbaren Zeitraum vorgebe, in dem die Befähigung für ein Amt mit leitenden Aufgaben nachgewiesen werden müsse. Die Voraussetzung dieser erfolgreich abgeleisteten Probezeit gelte gleichermaßen für Beamtinnen und Beamte.
Die Vorschrift des § 97 LBG verstoße auch nicht gegen Art. 3 GG. Wenn der Klägerin aufgrund ihrer Dienstunfähigkeit, ihres Mutterschutzes, ihres Erholungsurlaubes und ihrer Elternzeit dennoch Vorteile in ihrem beruflichen Aufstieg erwachsen würden, stellte dies vielmehr eine unverhältnismäßige Ungleichbehandlung gegenüber anderen Beamtinnen und Beamten dar, die während der zweijährigen Probezeit durch ihre Dienstleistung ihre Eignung hätten nachweisen müssen.
Eine Verlängerung der Probezeit oder eine Hemmung des Ablaufs sei nach den gesetzlichen Vorschriften des Landes Berlin nicht zulässig. Eine analoge Anwendung von Rechtsvorschriften anderer Bundesländer oder Vorschriften nationalen Rechts sei nicht vorgesehen. Auch das Beamtenstatusgesetz enthalte keine Entsprechung zu § 24 des Bundesbeamtengesetzes – BBG – für Führungsämter auf Probe, denn das gesamte Laufbahnrecht im Länderbereich sei der Gesetzgebungskompetenz des Bundes entzogen.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin die am 15. November 2014 beim Gericht eingegangene Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zugleich hat sie einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt, den die Kammer mit Beschluss vom heutigen Tage zurückgewiesen hat (VG 26 L 312.14).
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Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin über ihren bisherigen Vortrag hinaus im Wesentlichen geltend:
Die angefochtenen Bescheide verstießen gegen § 74 Abs. 3 LBG i. V. m. § 8 Abs. 1 der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung – MuSchEltZV –. Danach dürfe die Entlassung einer Beamtin auf Probe während der Elternzeit nicht ausgesprochen werden. Dies gelte auch für Beamtinnen im Führungsamt auf Probe.
Der Beklagte habe auch den Gedanken des Vertrauensschutzes analog § 97 Abs. 4 Satz 4 LBG nicht beachtet und seine Fürsorgepflicht verletzt. Der Beklagte hätte auf ihren auf die Verlängerung der Elternzeit bis Ende 2013 gerichteten Antrag vom 31. Juli 2012 mitteilen müssen, dass er dann zum Ablauf des 19. September 2013 einen nicht erfolgreichen Abschluss der Probezeit werde feststellen müssen. In diesem Fall hätte sie ihren Antrag überdenken können. Der Beklagte habe die beantragte Verlängerung jedoch ohne Hinweis bewilligt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Landesverwaltungsamtes Berlin vom 4. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 10. November 2014 aufzuheben und festzustellen, dass sie sich über den 19. September 2013 hinaus im Beamtenverhältnis auf Probe gemäß § 97 LBG als Senatsrätin (Besoldungsgruppe B 2) befindet.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
B. Rechtlicher Rahmen
I. Nationales Recht
1. Landesbeamtengesetz – LBG –
Für Berliner Landesbeamte wird das Beamtenverhältnis auf Probe in einem Amt mit leitender Funktion durch § 97 des Landesbeamtengesetzes – LBG – vom 19. März 2009 geregelt.
§ 97 LBG – Ämter mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe
(1) Die mindestens der Besoldungsgruppe A 13 angehörenden Ämter
1. der Leiterinnen und Leiter von Leistungs- und Verantwortungszentren, Serviceeinheiten und Steuerungsdiensten sowie ihrer ständigen Vertreterinnen und Vertreter,
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2. der Leiterinnen und Leiter von Behörden und nicht rechtsfähigen Anstalten, insbesondere der Leiterinnen und Leiter von Schulen, sowie ihrer ständigen Vertreterinnen und Vertreter, der Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter, der Referatsleiterinnen und Referatsleiter sowie
3. mit einer mit Nummer 2 mindestens vergleichbaren Leitungsverantwortung werden, soweit sie nicht richterliche Unabhängigkeit besitzen, in der Berliner Verwaltung (§ 2 Absatz 2 und 3 des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes) sowie in den Bereichen der in § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 bis 5 genannten obersten Dienstbehörden und in den Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts zunächst im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. Eine Verlängerung der Probezeit ist nicht zulässig. Satz 1 gilt nicht für Ämter, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften im Beamtenverhältnis auf Zeit übertragen werden oder die in § 46 Absatz 1 Satz 1 genannt sind. § 13 Absatz 2 Satz 2 des Laufbahngesetzes findet keine Anwendung.
(2) In ein Amt im Sinne des Absatzes 1 darf nur berufen werden, wer
1. sich in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder Richterverhältnis auf Lebenszeit befindet und
2. in dieses Amt auch als Beamtin auf Lebenszeit oder Beamter auf Lebenszeit berufen werden könnte, insbesondere zum Zeitpunkt der Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für eine Berufung in dieses Amt im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfüllen würde.
Vom Tage der Ernennung an ruhen für die Dauer der Probezeit die Rechte und Pflichten aus dem Amt, das der Beamtin oder dem Beamten zuletzt im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder im Richterverhältnis auf Lebenszeit übertragen worden ist, mit Ausnahme der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und des Verbots der Annahme von Belohnungen und Geschenken; das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder das Richterverhältnis auf Lebenszeit besteht fort. Dienstvergehen, die mit Bezug auf das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, das Richterverhältnis auf Lebenszeit oder das Beamtenverhältnis auf Probe begangen worden sind, werden so verfolgt, als stünde die Beamtin oder der Beamte nur im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder im Richterverhältnis auf Lebenszeit.
(...)
(4) Mit erfolgreichem Abschluss der Probezeit ist der Beamtin oder dem Beamten das Amt nach Absatz 1 auf Dauer im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zu übertragen. Einer Richterin oder einem Richter darf das Amt nach Absatz 1 auf Dauer im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beim gleichen Dienstherrn nur übertragen werden, wenn sie oder er die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ernennung im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfolgende Entlassung aus dem Richteramt schriftlich nach § 21 Absatz 2 Nummer 4 des Deutschen Richtergesetzes verlangt hat; die elektronische Form ist ausgeschlossen. Eine Entlassung nach § 22 Absatz 5 des Beamtenstatusgesetzes ist abweichend von Absatz 1 Satz 2 bereits nach Ablauf von zwölf Monaten möglich, wenn innerhalb des ersten Jahres festgestellt wird, dass sich die Beamtin oder der Beamte in der Probezeit nicht bewähren wird. Bei Zweifeln an der erfolgreichen Bewährung sind regelmäßig, mindestens alle drei Monate seit Feststellung der begründeten Zweifel, Mitarbeiter- und Vorgesetztengespräche zu führen. Wird das Amt nicht auf Dauer übertragen, so endet der Anspruch auf Besoldung aus diesem Amt. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht. Eine erneute Berufung der Beamtin oder des Beamten in ein Beamtenverhältnis auf Probe zur Über-
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tragung dieses Amtes innerhalb eines Jahres ist nicht zulässig. Die oberste Dienstbehörde kann in Fällen, in denen die Probezeit erstmalig nur deshalb nicht erfolgreich abgeschlossen worden ist, weil das Amt mit leitender Funktion während eines langfristigen Zeitraums nicht wahrgenommen wurde, Ausnahmen von Satz 7 zulassen.
(...)
(7) Wird die Beamtin oder der Beamte in ein anderes Amt mit leitender Funktion nach Absatz 1 versetzt oder umgesetzt, das in dieselbe Besoldungsgruppe eingestuft ist wie das ihr oder ihm zuletzt übertragene Amt mit leitender Funktion, so läuft die Probezeit weiter.
(...)
2. Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG –)
Ergänzend gilt für Beamte auf Probe in einem Amt mit leitender Funktion § 22 Abs. 5 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – BeamtStG –, der Fälle der Entlassung kraft Gesetzes regelt.
§ 22 BeamtStG – Entlassung kraft Gesetzes
(...)
(5) Das Beamtenverhältnis auf Probe in einem Amt mit leitender Funktion endet mit Ablauf der Probezeit oder mit Versetzung zu einem anderen Dienstherrn.
3. Gesetz über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten (Laufbahngesetz – LfbG –)
Eine allgemeine Vorschrift zu der in einem Beamtenverhältnis auf Probe zu absolvierenden Bewährungszeit findet sich im Berliner Gesetz über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten – LfbG – vom 21. Juni 2011; die Vorschrift differenziert nicht zwischen Ämtern mit leitender und ohne leitende Funktion.
§ 11 LfbG – Probezeit
(1) Probezeit ist die Zeit im Beamtenverhältnis auf Probe, während der sich die Beamtinnen und Beamten nach Erwerb der Befähigung für ihre Laufbahn bewähren sollen. Die regelmäßige Probezeit dauert drei Jahre.
(2) Auf die Probezeit werden die Zeiten einer hauptberuflichen Tätigkeit im öffentlichen Dienst eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder bei einer öffentlichen zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung oder Verwaltung, die nach Art und Schwierigkeit mindestens der Tätigkeit in einem Amt der betreffenden
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Laufbahn entsprochen haben, angerechnet. Dabei darf eine Mindestprobezeit von 18 Monaten nicht unterschritten werden.
(...)
(4) Auf die Probezeit ist die Zeit einer Freistellung nach § 74 Absatz 2 und 3 des Landesbeamtengesetzes in Verbindung mit der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung oder nach § 55 Absatz 1 des Landesbeamtengesetzes anzurechnen. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.
(...)
(6) Wenn die Bewährung bis zum Ablauf der Probezeit noch nicht festgestellt werden kann, kann die Probezeit um höchstens zwei Jahre verlängert werden. Beamtinnen und Beamte, die sich nicht bewähren, können mit ihrer Zustimmung in das nächst niedrigere Einstiegsamt derselben Laufbahnfachrichtung übernommen werden, wenn sie hierfür geeignet sind. Die Entscheidung nach Satz 2 trifft die Dienstbehörde (§ 4 des Landesbeamtengesetzes) im Einvernehmen mit der Laufbahnordnungsbehörde.
(7) Die Laufbahnordnungsbehörde kann im Einvernehmen mit der für Inneres zuständigen Senatsverwaltung Ausnahmen von der Dauer der Probezeit (Absatz 1 Satz 2) und Mindestprobezeit (Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 2) zulassen. Eine Ausnahme von der Mindestprobezeit darf nur zugelassen werden, wenn zwingende dienstliche Gründe vorliegen und der Mindestprobezeit gleichwertige Bewährungszeiten im öffentlichen Dienst es rechtfertigen.
4. Vorschriften zum Mutterschutz und zur Elternzeit
Das Berliner Landesbeamtenrecht trifft in § 74 LBG Regelungen zum Schutz von Beamtinnen und Beamten für den Fall der Mutterschaft und der Elternschaft. Dabei verweist es auf die Mutterschutzverordnung des Landes Berlin – MuSchVO – sowie auf das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG – und die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung des Bundes – MuSchEltZV –.
§ 74 LBG – Fürsorge und Schutz
(1) Bei der dienstlichen Verwendung der Beamtin oder des Beamten sind die Belange der Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen zu berücksichtigen.
(2) Der Senat regelt durch Rechtsverordnung die der Eigenart des öffentlichen Dienstes entsprechende Anwendung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen.
(3) Für die Gewährung von Elternzeit der Beamtinnen und Beamten finden die für die unmittelbaren Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten jeweils geltenden Rechtsvorschriften entsprechende Anwendung.
Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen (Mutterschutzverordnung – MuSchVO –) des Landes Berlin in der Fassung vom 3. November 1999
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§ 1 MuSchVO
(1) Eine Beamtin darf während ihrer Schwangerschaft nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Dienstleistung gefährdet ist.
(2) In den letzten sechs Wochen vor der Entbindung darf die Beamtin nicht beschäftigt werden, es sei denn, dass sie sich zur Dienstleistung ausdrücklich bereit erklärt; die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.
§ 3 MuSchVO
(1) In den ersten acht Wochen nach der Entbindung ist eine Beamtin nicht zur Dienstleistung heranzuziehen; diese Frist verlängert sich bei Früh- oder Mehrlingsgeburten auf zwölf Wochen, bei Frühgeburten zusätzlich um den Zeitraum, der nach § 1 Abs. 2 nicht in Anspruch genommen werden konnte. (...)
(...)
§ 10 MuSchVO
(1) Während der Schwangerschaft und innerhalb von vier Monaten nach der Entbindung darf die Entlassung einer Beamtin auf Probe oder auf Widerruf gegen ihren Willen nicht ausgesprochen werden, wenn der Dienstbehörde die Schwangerschaft oder die Entbindung bekannt war. Eine ohne diese Kenntnis ergangene Entlassungsverfügung ist zurückzunehmen, wenn der Dienstbehörde die Schwangerschaft oder die Entbindung innerhalb zweier Wochen nach der Zustellung mitgeteilt wird; das Überschreiten dieser Frist ist unbeachtlich, wenn es auf einem von der Beamtin nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
(...)
(3) Vorschriften, nach denen die Entlassung oder der Ruhestand kraft Gesetzes eintritt, sowie § 12 des Beamtenstatusgesetzes und § 15 des Landesbeamtengesetzes bleiben unberührt.
Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitge-setz – BEEG –)
§ 15 BEEG – Anspruch auf Elternzeit
(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Elternzeit, wenn sie
1. a) mit ihrem Kind,
(...)
in einem Haushalt leben und
2. dieses Kind selbst betreuen und erziehen. (...)
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(2) Der Anspruch auf Elternzeit besteht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes. Ein Anteil von bis zu 24 Monaten kann zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden. Die Zeit der Mutterschutzfrist nach § 6 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes wird für die Elternzeit der Mutter auf die Begrenzung nach den Sätzen 1 und 2 angerechnet. Bei mehreren Kindern besteht der Anspruch auf Elternzeit für jedes Kind, auch wenn sich die Zeiträume im Sinne der Sätze 1 und 2 überschneiden. (...) Der Anspruch kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden.
(...)
Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen des Bundes und die Elternzeit für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Mutterschutz- und Elternzeitver-ordnung – MuSchEltZV –)
§ 8 MuSchEltZV – Entlassung während der Elternzeit
(1) Während der Elternzeit darf die Entlassung von Beamtinnen und Beamten auf Probe und von Beamtinnen und Beamten auf Widerruf gegen ihren Willen nicht ausgesprochen werden. Dies gilt nicht für Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung nach § 7 Absatz 1.
(2) Die oberste Dienstbehörde kann abweichend von Absatz 1 Satz 1 die Entlassung aussprechen, wenn ein Sachverhalt vorliegt, bei dem eine Beamtin oder ein Beamter auf Lebenszeit im Wege eines Disziplinarverfahrens aus dem Dienst zu entfernen wäre.
(3) Die §§ 31 und 32 des Bundesbeamtengesetzes bleiben unberührt.
5. Vorschriften zum Schutz vor Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts
Auf der verfassungsrechtlichen Grundlage von Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland – GG – und in Umsetzung mehrerer europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung enthält das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG – vom 14. August 2006 wesentliche Vorschriften zur Gewährleistung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – GG –
Artikel 3 GG – Gleichheit vor dem Gesetz
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
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(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG –
§ 1 AGG – Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
§ 2 AGG – Anwendungsbereich
(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:
1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
(...)
§ 3 AGG – Begriffsbestimmungen
(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.
(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
(...)
§ 7 AGG – Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(...)
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II. Europarechtliche Vorschriften
1. Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG (ABl. L 68 vom 18. März 2010, S. 13 - 20)
Anhang: Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (Überarbeitete Fassung) vom 18. Juni 2009
Die überarbeitete Fassung der am 14. Dezember 1995 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub legt Mindestvorschriften für den Elternurlaub als wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Förderung der Chancengleichheit und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen fest. Im vorliegenden Fall sind insbesondere die Paragraphen 2 und 5 der Rahmenvereinbarung von Bedeutung.
Paragraph 2 – Elternurlaub
1. Nach dieser Vereinbarung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes ein individuelles Recht auf Elternurlaub zur Betreuung des Kindes bis zu einem von den Mitgliedstaaten und/oder Sozialpartnern festzulegenden Alter des Kindes von bis zu acht Jahren.
2. Der Elternurlaub wird für eine Dauer von mindestens vier Monaten gewährt und sollte zur Förderung der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen grundsätzlich nicht übertragbar sein. Um eine ausgewogenere Inanspruchnahme des Elternurlaubs durch beide Elternteile zu fördern, ist mindestens einer der vier Monate nicht übertragbar. Die Modalitäten für den nicht übertragbaren Teil werden auf nationaler Ebene gesetzlich und/oder tarifvertraglich festgelegt, wobei die Elternurlaubsregelungen, die bereits in den Mitgliedstaaten bestehen, berücksichtigt werden.
Paragraph 5 – Arbeitnehmerrechte und Nichtdiskriminierung
1. Im Anschluss an den Elternurlaub hat der Arbeitnehmer das Recht, an seinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder, wenn das nicht möglich ist, eine entsprechend seinem Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis gleichwertige oder ähnliche Arbeit zugewiesen zu bekommen.
2. Die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bleiben bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen. Im Anschluss an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten ergeben.
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3. Die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner bestimmen den Status des Arbeitsvertrags oder Beschäftigungsverhältnisses für den Zeitraum des Elternurlaubs.
4. Um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer ihr Recht auf Elternurlaub wahrnehmen können, treffen die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner nach den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Benachteiligung oder Kündigung aufgrund der Beantragung oder Inanspruchnahme des Elternurlaubs.
(...)
2. Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl. L 204 vom 26. Juli 2006, S. 23 - 36)
Die Richtlinie enthält – der Definition ihrer Ziele in Art. 1 entsprechend – insbesondere in Kapitel 3, Art. 14 bis 16, für den vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.
Artikel 1 – Gegenstand
Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.
Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf
a) den Zugang zur Beschäftigung einschließlich des beruflichen Aufstiegs und zur Berufsbildung,
b) Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts,
c) betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit.
Weiter enthält sie Bestimmungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Verwirklichung durch die Schaffung angemessener Verfahren wirksamer gestaltet wird.
Artikel 2 – Begriffsbestimmungen
(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
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a) „unmittelbare Diskriminierung“ eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
b) „mittelbare Diskriminierung“ eine Situation, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich;
(...)
Artikel 14 – Diskriminierungsverbot
(1) Im öffentlichen und privaten Sektor einschließlich öffentlicher Stellen darf es in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben:
a) die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs;
(...)
c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe von Artikel 141 des Vertrags;
(...)
(2) Die Mitgliedstaaten können im Hinblick auf den Zugang zur Beschäftigung einschließlich der zu diesem Zweck erfolgenden Berufsbildung vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines geschlechtsbezogenen Merkmals keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.
Artikel 15 – Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub
Frauen im Mutterschaftsurlaub haben nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs Anspruch darauf, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, und darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugute kommen.
Artikel 16 – Vaterschaftsurlaub und Adoptionsurlaub
Diese Richtlinie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, eigene Rechte auf Vaterschaftsurlaub und/oder Adoptionsurlaub anzuerkennen. Die Mitgliedstaaten, die derartige Rechte anerkennen, treffen die erforderlichen Maßnahmen, um männliche
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und weibliche Arbeitnehmer vor Entlassung infolge der Inanspruchnahme dieser Rechte zu schützen, und gewährleisten, dass sie nach Ablauf des Urlaubs Anspruch darauf haben, an ihren früheren Arbeitsplatz oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen, die für sie nicht weniger günstig sind, zurückzukehren, und darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugute kommen.
C. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen
Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.
1. Die Klage ist zulässig. Sie ist begründet, wenn die streitgegenständliche Entscheidung des Beklagten rechtswidrig ist und die Klägerin über den 19. September 2013 hinaus im Beamtenverhältnis auf Probe gemäß § 97 LBG als Senatsrätin (Besoldungsgruppe B 2) gestanden hat. Die Rechtswidrigkeit der Entscheidung und deren Folgen für den beamtenrechtlichen Status der Klägerin können sich nach Auffassung der Kammer nur aus dem europäischen Recht ergeben. Denn durchgreifende Rechtsverstöße gegen Vorschriften des nationalen Rechts, die zu einer Fortdauer des Beamtenverhältnisses der Klägerin auf Probe führen könnten, sind nicht festzustellen.
a) Der Beklagte hat als Rechtsgrundlage seiner Bescheide § 97 Abs. 1 und Abs. 4 LBG herangezogen. Entsprechend § 97 Abs. 1 Satz 1 LBG hat er der Klägerin das Leitungsamt einer Senatsrätin der Besoldungsgruppe B 2 zunächst im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen. Nach § 97 Abs. 1 Sätze 2, 3 LBG beträgt die Probezeit zwei Jahre; eine Verlängerung der Probezeit ist nicht zulässig. Nach § 97 Abs. 4 Satz 1 LBG ist (nur) mit erfolgreichem Abschluss der Probezeit der Beamtin das Amt nach Absatz 1 im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zu übertragen. Wird das Amt nicht auf Dauer übertragen, so endet der Anspruch auf Besoldung aus diesem Amt. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht (Sätze 5, 6). Damit konkretisiert die Vorschrift die Regelung des § 22 Abs. 5 BeamtStG zur Entlassung kraft Gesetzes, nach der das Beamtenverhältnis auf Probe in einem Amt mit leitender Funktion mit Ablauf der Probezeit oder mit Versetzung zu einem anderen Dienstherrn endet. Die Mitteilung des Beklagten, dass das zweijährige Beamtenverhältnis der Klägerin auf Probe am 19. September 2013 kraft Gesetzes ohne Verlängerungsmöglichkeit geendet habe, steht danach mit den gesetzlichen Regelungen in § 97 LBG in Einklang.
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Auch die Entscheidung des Beklagten, einen erfolgreichen Abschluss der zweijährigen Probezeit der Klägerin zum 19. September 2013 für nicht feststellbar zu erklären, ist nach dem Wortlaut des § 97 LBG nicht zu beanstanden. Das Landesbeamtengesetz enthält an keiner Stelle nähere Vorgaben zu der vom Ende der Probezeit kraft Gesetzes zu trennenden Entscheidung über den erfolgreichen Abschluss der Probezeit. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden muss, ob sich der Beamte während der zweijährigen Probezeit bewährt hat. Da der Landesgesetzgeber eine Mindestzeit für die tatsächliche Wahrnehmung der Aufgaben des Leitungsamtes nicht normiert hat (anders als der Bundesgesetzgeber für Bundesbeamte in § 24 Abs. 1 Satz 4 BBG: Mindestprobezeit ein Jahr), ist dann, wenn während einer laufenden Probezeit das übliche Maß übersteigende Abwesenheitszeiten auftreten, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob der verbleibende Zeitraum der tatsächlichen Aufgabenwahrnehmung ausreichend ist, um eine positive Entscheidung über die Bewährung zu treffen. Da die Klägerin aber das ihr übertragene Amt mit leitender Funktion aufgrund schwangerschaftsbedingter Dienstunfähigkeit, Mutterschutz, Erholungsurlaub und Elternzeit zu keinem Zeitpunkt wahrgenommen und somit keine Leistungen zum Nachweis ihrer Bewährung gezeigt hat, durfte der Beklagte davon ausgehen, dass ein erfolgreicher Abschluss der zweijährigen Probezeit der Klägerin zum 19. September 2013 nicht festzustellen war.
Das Land Berlin hat zwar mit dem Zweiten Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 266), mit dem das Laufbahngesetz neu gefasst und § 11 Abs. 4 LfbG um die Anrechnung der Zeiten von Mutterschutz und Elternzeit ergänzt worden ist (Art. I), in § 97 Abs. 4 LBG einen Satz 8 LBG angefügt (Art. II Nr. 17). Danach kann die oberste Dienstbehörde in Fällen, in denen die Probezeit erstmalig nur deshalb nicht erfolgreich abgeschlossen worden ist, weil das Amt mit leitender Funktion während eines langfristigen Zeitraums nicht wahrgenommen wurde, Ausnahmen von Satz 7 zulassen. Satz 7 bestimmt, dass eine erneute Berufung des Beamten in ein Beamtenverhältnis auf Probe zur Übertragung dieses Amtes innerhalb eines Jahres nicht zulässig ist. In der Gesetzesbegründung (Abgh.-Drs. 16/3840, S. 63) wird hierzu erläutert: „Sofern im Einzelfall aufgrund eines zu kurzen Zeitraumes der tatsächlichen Wahrnehmung des erstmalig im Beamtenverhältnis auf Probe übertragenen Amtes die Nichtbewährung festgestellt wird bzw. die Bewährung nicht festgestellt werden kann, kann die Dienstbehörde nach § 97 Abs. 4 Satz 8 LBG (...) von der obersten Dienstbehörde zu treffender Entscheidung über eine Ausnahme nunmehr der Beamtin oder dem Beamten das entsprechende Amt ohne Beachtung der sonst
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geltenden Jahressperrfrist des § 97 Abs. 4 Satz 7 LBG erneut im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen.“ Es kann hier offen bleiben, ob sogar eine Fortsetzung der Probezeit der Klägerin im unmittelbaren Anschluss an das Ende ihrer Elternzeit in Betracht gekommen wäre. Denn eine derartige Ermessensentscheidung der obersten Dienstbehörde ist im Fall der Klägerin nicht erfolgt. Allerdings erweist sich die Regelung auch als unzureichend, wenn – wie hier – die zugedachte Leitungsposition zwischenzeitlich bereits dauerhaft neu besetzt worden ist. In Anbetracht der Umstände, dass das Bundesland Berlin regelmäßig nur über eine geringe Zahl an offenen und zu besetzenden Stellen, die zugleich nach dem fachlichen Anforderungsprofil für den einzelnen Beamten zur Wahrnehmung eines Führungsamtes auf Probe geeignet sind, verfügt und sich das erforderliche Auswahlverfahren zwischen mehreren Bewerbern über etliche Monate hinziehen dürfte, ist es nach Auffassung der Kammer nicht sachdienlich und nicht ausreichend, in Fällen wie dem der Klägerin lediglich auf die bloße Möglichkeit einer Entscheidung über eine Ausnahme von der Jahressperrfrist zu verweisen.
b) Das Bundesbeamtenrecht sieht im Gegensatz zu dem – sonst im Wesentlichen korrespondierenden – § 97 LBG in § 24 BBG eine spezielle Regelung für Bundesbeamte in Führungsämtern auf Probe vor, die auch die Berücksichtigung von Abwesenheitszeiten wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit ermöglicht. Nach § 24 Abs. 1 Satz 6 Halbs. 2 BBG ist eine Verlängerung der zweijährigen Probezeit ausnahmsweise dann zulässig, wenn wegen Elternzeit die Mindestprobezeit von einem Jahr nicht geleistet werden konnte. Eine entsprechende Bestimmung zur Berücksichtigung von Elternzeit durch die Möglichkeit einer Verlängerung unter Einhaltung einer Mindestprobezeit fehlt in § 97 LBG. Eine analoge Heranziehung des § 24 BBG im Land Berlin – wie sie die Klägerin begehrt – ist jedoch wegen der alleinigen Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich des Laufbahnrechts bereits verfassungsrechtlich ausgeschlossen, ohne dass es auf die weiteren Voraussetzungen ankäme.
c) Ohne Erfolg macht die Klägerin auch einen Verstoß der angefochtenen Bescheide gegen § 74 Abs. 3 LBG i. V. m. § 8 Abs. 1 MuSchEltZV geltend. Nach § 74 Abs. 3 LBG finden für die Gewährung von Elternzeit der Beamten die für die unmittelbaren Bundesbeamten jeweils geltenden Rechtsvorschriften entsprechende Anwendung. § 8 Abs. 1 MuSchEltZV bestimmt, dass während der Elternzeit die Entlassung von Beamten auf Probe und von Beamten auf Widerruf gegen ihren Willen nicht ausgesprochen werden darf. Die Klägerin befand sich sowohl zum Zeitpunkt ihrer Entlassung kraft Gesetzes mit Ablauf des 19. September 2013 als auch zum Zeitpunkt des Er-
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lasses des feststellenden Bescheides vom 4. September 2014 in Elternzeit. Nach § 8 Abs. 3 MuSchEltZV bleiben jedoch die Vorschriften der §§ 31 und 32 BBG unberührt. Letztere betreffen Entlassungstatbestände kraft Gesetzes und aus zwingenden Gründen, nicht aber die kraft Gesetzes eintretende Entlassung von Beamten in Führungsämtern auf Probe, etwa mit Ablauf der Probezeit nach § 24 Abs. 1 BBG; diese ist vielmehr in § 35 BBG geregelt. In der Literatur zur bundesrechtlichen Regelung werden insoweit unterschiedliche Auffassungen vertreten. So unterliegen nach Meinung von Baßlsperger (Zeitschrift für Beamtenrecht 2010, 369, 374) mangels Verweises auf § 35 BBG auch Beamte auf Probe in Führungspositionen dem besonderen Entlassungsschutz der MuSchEltZV, wenn die Bewährung für das auf Lebenszeit zu übertragende Amt noch möglich ist. Demgegenüber bleiben nach Plog/Wiedow (Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, Bd. 1, § 79 Rn. 41, 10) von dem Entlassungsschutz nach §§ 4, 8 MuSchEltZV alle Fälle einer kraft Gesetzes eintretenden Entlassung unberührt, da die Regelungen an das „Aussprechen“ der Entlassung anknüpfen.
Der Berliner Gesetzgeber hat letzteren Rechtsgedanken ausdrücklich nur für die Zeit des Mutterschutzes in § 74 Abs. 2 LBG i. V. m. der Mutterschutzverordnung geregelt. Nach § 10 Abs. 3 MuSchVO bleiben Vorschriften, nach denen die Entlassung oder der Ruhestand kraft Gesetzes eintreten, vom Entlassungsschutz nach Abs. 1 unberührt. Im Hinblick darauf ist nach Auffassung der Kammer der Umstand, dass eine entsprechende Regelung für die Elternzeit aufgrund des schlichten Verweises in § 74 Abs. 3 LBG auf die MuSchEltZV des Bundes fehlt, als planwidrige Regelungslücke zu betrachten. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Land Berlin für Beamtinnen in Führungsämtern auf Probe eine Entlassung kraft Gesetzes während der Zeit des Mutterschutzes zulassen, aber während der Elternzeit ausschließen wollte. Da auch die bundesrechtliche Regelung des Führungsamtes auf Probe in § 24 BBG wesentliche Unterschiede zu § 97 LBG aufweist (vgl. dazu 1. b), ist im Wege der Analogie zu § 10 Abs. 3 MuSchVO die Schutzvorschrift des § 74 Abs. 3 LBG i. V. m. § 8 Abs. 1 MuSchEltZV dahin auszulegen, dass während der Elternzeit von Beamten (im Führungsamt) auf Probe lediglich der willentliche Ausspruch der Entlassung durch einen Verwaltungsakt, nicht aber die kraft Gesetzes eintretende Entlassung untersagt ist.
d) Ein anderes Ergebnis folgt nach Auffassung der Kammer auch nicht aus dem Berliner Laufbahngesetz. Zwar steht die Vorschrift des § 97 LBG nach ihrem Wortlaut im Widerspruch zu § 11 Abs. 4 Satz 1 LfbG. Danach ist auf die Probezeit die Zeit einer
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Freistellung nach § 74 Abs. 2 und 3 LBG i. V. m. der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung anzurechnen. „Probezeit“ ist nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LfbG die Zeit im Beamtenverhältnis auf Probe, während der sich die Beamten nach Erwerb der Befähigung für ihre Laufbahn bewähren sollen. Es ist zwar nicht eindeutig erkennbar, dass die Vorschrift allein für die Probezeit von Berufsanfängern und nicht grundsätzlich auch für die Probezeit in Führungsämtern Anwendung finden soll. Letzteres entspräche der bundesrechtlichen Regelung in § 28 der Bundeslaufbahnverordnung – BLV – (vgl. Leppek, Laufbahnrecht des Bundes, Stand März 2012, § 28 Rn. 1) sowie § 4 Abs. 3 BeamtStG. Jedoch sind nach dem Verständnis der Kammer in § 97 LBG vom Berliner Gesetzgeber bewusst speziellere und damit vorgehende Regelungen für Führungsämter im Beamtenverhältnis auf Probe getroffen worden. Selbst wenn danach nicht ausgeschlossen wäre, im Fall einer Regelungslücke oder zum Zweck der Auslegung auf die allgemeine Vorschrift des § 11 LfbG zurückzugreifen, führte dies im Fall der Klägerin zu keinem klaren Ergebnis. Denn hielte man § 11 Abs. 4 Satz 1 LfbG für anwendbar, wären die Zeiten des Mutterschutzes und der Elternzeit der Klägerin auf die zweijährige Probezeit anzurechnen, d. h. würden sie verkürzen (vgl. zu § 15 LfbG in der Fassung 2009 auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2013 – OVG 4 N 68.13 –); allerdings dürfte die Mindestprobezeit nicht unterschritten werden. Eine solche ist zwar mit 18 Monaten in § 11 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 2 LfbG geregelt, findet sich jedoch nicht in § 97 LBG.
e) Aus den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes oder unmittelbar aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich ebenfalls nicht ohne weiteres die Rechtswidrigkeit der maßgeblichen Regelungen des § 97 LBG herleiten. § 7 Abs. 1 i. V. m. §§ 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 AGG, die nach § 24 AGG entsprechend für Beamte gelten, verbieten zwar auch mittelbare Benachteiligungen wegen des Geschlechts, insbesondere in Bezug auf den beruflichen Aufstieg. Eine mittelbare Benachteiligung ist anzunehmen, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen in besonderer Weise benachteiligen können. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein rechtmäßiges Ziel diese sachlich rechtfertigt und die Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind. Es kann als sachgerecht betrachtet werden, wenn der Gesetzgeber mit der Regelung des § 97 Abs. 1 LBG vorgibt, dass jeder Beamte, unabhängig von seinem Geschlecht, seine Befähigung für ein Amt mit leitender Funktion zunächst durch eine tatsächliche Diensttätigkeit in diesem Amt nachzuweisen hat. Ob es angemessen und erforderlich ist, hierfür einen festen, nicht verlängerbaren Zeitraum von zwei Jahren vorzusehen, ohne dass Abwesenheitszeiten wegen Schwangerschaft, Mut-
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terschutzes oder Elternzeit Berücksichtigung finden, lässt sich nach Überzeugung der Kammer hingegen nur unter Heranziehung des zugrunde liegenden europäischen Rechts beantworten. Entsprechendes gilt für einen etwaigen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2, 3 GG.
f) Die von der Klägerin angeführten verfahrensrechtlichen Aspekte vermögen ebenfalls nicht zum Erfolg ihrer Klage zu führen. Vor Erlass des Bescheides vom 4. September 2014 ist die nach § 28 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – vorgeschriebene Anhörung der Klägerin zwar nicht erfolgt. Der Verfahrensmangel ist aber im Widerspruchsverfahren nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt worden. Ob zu Unrecht eine Beteiligung der Frauenvertreterin an der Entscheidung des Beklagten nicht erfolgt ist, kann dahin stehen. Nach § 17 Abs. 1 des Landesgleichstellungsgesetzes – LGG – ist die Frauenvertreterin bei allen sozialen, organisatorischen und personellen Maßnahmen sowie bei allen Vorlagen, Berichten und Stellungnahmen zu Fragen der Frauenförderung zu beteiligen. Es spricht vieles dafür, dass es sich bei der Feststellung in den angefochtenen Bescheiden, ein erfolgreicher Abschluss der Probezeit gemäß § 97 LBG sei nicht feststellbar, um eine „personelle Maßnahme“ i. S. d. § 10 Abs. 1 LGG handelt (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 27. Februar 2014 – VG 5 K 379.12 –, EA S. 6 ff.). Ein derartiger Verfahrensfehler könnte indessen lediglich zu einer Aufhebung der angefochtenen Bescheide führen, nicht aber zu dem von der Klägerin begehrten Fortbestand ihres Beamtenverhältnisses auf Probe.
2. Der Erfolg der Klage hängt danach allein von der Vereinbarkeit der Regelungen des § 97 LBG, insbesondere Abs. 1 und Abs. 4, mit höherrangigem europäischem Recht ab. Nach Auffassung der Kammer bestehen begründete Zweifel, ob die Anwendung der nationalrechtlichen Regelungen in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG und die Bestimmungen der im Anhang veröffentlichten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub sowie in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen erfolgen kann.
D. Erläuterung der Vorlagefragen
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I. Zu Frage 1
Die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub in der überarbeiteten Fassung vom 18. Juni 2009 im Anhang zur Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG enthält Mindestvorschriften für den Elternurlaub als Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Förderung der Chancengleichheit und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen (vgl. Präambel zur Rahmenvereinbarung). Das vorlegende Gericht geht dabei davon aus, dass der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2010/18/EU, die an die Stelle der Richtlinie 96/34/EG getreten ist, einschließlich der Rahmenvereinbarung in ihrem Anhang auch für Landesbeamte – wie die Klägerin – eröffnet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 16. September 2010 – C-149/10 [Chatzi] –, juris Rn. 27 ff. zur Richtlinie 96/34/EG). Für das Gericht stellt sich die entscheidungserhebliche Frage, ob die Bestimmungen von Richtlinie und Rahmenvereinbarung dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der die Probezeit, in der ein Amt mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen ist, auch dann kraft Gesetzes und unter Ausschluss der Möglichkeit einer Verlängerung endet, wenn der Beamte oder die Beamtin sich im überwiegenden Teil dieser Probezeit im Elternurlaub befand und weiterhin befindet.
1. Nach Paragraph 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub hat der Arbeitnehmer im Anschluss an den Elternurlaub das Recht, an seinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren oder, wenn das nicht möglich ist, eine entsprechend seinem Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis gleichwertige oder ähnliche Arbeit zugewiesen zu bekommen. Im vorliegenden Fall befand sich die Klägerin bei Antritt ihrer Elternzeit nach § 15 BEEG, die dem Elternurlaub nach Paragraph 2 der Rahmenvereinbarung entspricht, am 30. Mai 2012 seit acht Monaten im Beamtenverhältnis auf Probe im Amt einer Senatsrätin der Besoldungsgruppe B 2. Nach Ablauf der in § 97 Abs. 1 Satz 2, 3 LBG ohne Möglichkeit der Verlängerung vorgegebenen zweijährigen Probezeit am 19. September 2013 lebte aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 2 Satz 2 LBG ihr bis dahin ruhendes Amt einer Senatsrätin der Besoldungsgruppe A 16 wieder auf mit der Folge, dass sich die Klägerin mit Beendigung ihrer Elternzeit am 20. Februar 2015 in einem niedrigeren Statusamt befand. Die bisher von der Klägerin innegehabte Referatsleitungsstelle war zwischenzeitlich neu besetzt wor-
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den, und das beklagte Land Berlin hat aufgrund der klaren Gesetzeslage auch keine Veranlassung gesehen, der Klägerin eine andere, gleichwertige Leitungsposition zuzuweisen. Ob diese Rechtsfolge im Einklang mit Paragraph 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 20. Juni 2013 – C-7/12 [Riezniece] –, juris Rn. 50 ff.) steht, erscheint der Kammer zweifelhaft.
2. Es kommt hinzu, dass nach Paragraph 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben. Im Anschluss an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten ergeben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 – C-116/08 [Meerts] –, juris Rn. 39 ff.) ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut dieses Paragraphen als auch aus dem Kontext, in den er sich einfügt, dass der Zweck dieser Bestimmung darin besteht, zu verhindern, dass aus dem Arbeitsverhältnis abgeleitete Rechte, die der Arbeitnehmer erworben hat oder dabei ist zu erwerben und über die er zum Zeitpunkt des Antritts eines Elternurlaubs verfügt, verloren gehen oder verkürzt werden, und zu gewährleisten, dass sich der Arbeitnehmer im Anschluss an den Elternurlaub im Hinblick auf diese Rechte in derselben Situation befindet wie vor diesem Urlaub (vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 16. Juli 2009 – C-537/07 [Gómez-Limón Sánchez-Camacho] –, juris Rn. 39). Aus den Zielen der Rahmenvereinbarung ergibt sich ferner, dass die Wendung „Rechte, die der Arbeitnehmer ... erworben hatte oder dabei war zu erwerben“ alle unmittelbar oder mittelbar aus dem Arbeitsverhältnis abgeleiteten Rechte und Vorteile hinsichtlich Baroder Sachleistungen erfasst, auf die der Arbeitnehmer bei Antritt des Elternurlaubs einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber hat (EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2009, a. a. O., Rn. 43; Urteil vom 22. April 2010 – C-486/08 [Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols], juris Rn. 54). Im vorliegenden Fall besaß die Klägerin vor Beginn ihrer Elternzeit am 30. Mai 2012 Anspruch auf eine Besoldung nach der Besoldungsgruppe B 2, da sie sich seit dem 20. September 2011 in diesem Statusamt befand und der Anspruch trotz Dienstunfähigkeit wegen Erkrankung, Mutterschutzes und Erholungsurlaubs fortbestand. Der Umstand, dass ihr nach der Beendigung ihres Probebeamtenverhältnisses am 19. September 2013 und damit auch nach dem Ende ihrer Elternzeit am 20. Februar 2015 kraft Gesetzes nur noch eine Besoldung nach ihrer bisherigen Besoldungsgruppe A 16 zustand, könnte danach gegen Paragraph 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung verstoßen. Anders stellte sich die
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Rechtslage aber dar, wenn die gesetzlichen Regelungen in § 97 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 LBG als nationale Rechtsvorschriften im Sinne von Satz 2 des Paragraph 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung zu betrachten wären, aus denen sich im Anschluss an den Elternurlaub in zulässiger Weise Änderungen der Rechte, also auch hinsichtlich der Besoldungshöhe, ergeben könnten.
II. Zu Frage 2
Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass auch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im öffentlichen wie im privaten Sektor und somit grundsätzlich auch in beamtenrechtlichen Fällen wie dem vorliegenden anwendbar ist (vgl. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – C-7/12 [Rieznie-ce] –, juris; Urteil vom 6. März 2014 – C-595/12 [Napoli] –, juris).
Ziel der Richtlinie ist es u. a., die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Bezug auf den Zugang zur Beschäftigung einschließlich des beruflichen Aufstiegs und zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts sicherzustellen (vgl. Artikel 1). Entsprechend bezieht sich das in Artikel 14 Abs. 1 konkretisierte Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts u. a. auf die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs (Buchst. a) sowie auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt
(Buchst. c). Das Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung umfasst in diesem Sinne unzweifelhaft die Bedingungen des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs (vgl. Artikel 15; EuGH, Urteil vom 18. November 2004 – C-284/02 [Sass] –, juris). Die Kammer entnimmt den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs daneben auch, dass zu den Arbeitsbedingungen im Sinne von Artikel 14 Abs. 1 Buchst. c die Voraussetzungen für die Rückkehr eines Arbeitnehmers an seinen Arbeitsplatz nach einem Elternurlaub gehören (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – C-7/12 [Riezniece] –, juris Rn. 38, sowie Urteil vom 27. Februar 2003 – C-320/01 [Busch], juris Rn. 38, jeweils zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207/EWG; vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 11 der Richtlinie 2006/54/EG). Darüber hinaus lassen gegebenen-
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falls auch Artikel 15 zur Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub und Artikel 16 zum Vaterschaftsurlaub und Adoptionsurlaub die Auslegung zu, dass das Recht auf Rückkehr auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz im Fall der Inanspruchnahme von Elternzeit gleichermaßen frei von Diskriminierung gewährleistet werden soll.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine durch Artikel 14 untersagte mittelbare Diskriminierung vorliegen, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber eine sehr viel höhere Zahl von Frauen als von Männern benachteiligt (vgl. die Begriffsbestimmung in Artikel 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/54/EG sowie EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013, a. a. O., Rn. 39 m. w. N.). Dies kommt somit auch bei der im vorliegenden Fall maßgeblichen Regelung der Probezeit in § 97 LBG in Betracht, die für Beamtinnen wie Beamte gleichermaßen gilt.
1. Mit ihrer Vorlagefrage unterstellt die Kammer zunächst, dass auch im Land Berlin eine sehr viel höhere Zahl von Frauen als Männer Elternzeit in Anspruch nimmt. Der Europäische Gerichtshof ist in seinem Urteil vom 21. Oktober 1999 (– C-333/97 [Le-wen] –, juris Rn. 35) für die Lage in Deutschland bereits hiervon ausgegangen (siehe dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 4. März 1999, Rn. 41, 46). In diesem Fall könnte eine Frau auch mit höherer Wahrscheinlichkeit von den Rechtsfolgen des § 97 LBG betroffen sein, nach dem die Probezeit, in der ihr ein Amt mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen ist, auch dann kraft Gesetzes und unter Ausschluss der Möglichkeit einer Verlängerung endet, wenn sie sich im überwiegenden Teil dieser Probezeit (im Mutterschaftsurlaub und) im Elternurlaub befindet. Die Möglichkeit einer weiteren Bewährung für ein Amt mit leitender Funktion wäre damit für sie weggefallen. Diese gesetzliche Ausgestaltung der Regelung zur Probezeit könnte zum einen eine mittelbare Diskriminierung im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen nach Artikel 14 Abs. 1 Buchst. c darstellen, die nach dem Erwägungsgrund Nr. 11 auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umfassen. Zum anderen könnte auch im Hinblick auf die nach Artikel 14 Abs. 1 Buchst. a zu gewährleistenden Bedingungen für den Zugang zum beruflichen Aufstieg eine mittelbare Diskriminierung eintreten, die dem im Land Berlin anerkannten und geförderten Ziel widerspräche, Frauen den Zugang gerade zu Führungsämtern und Leitungspositionen zu ermöglichen, in denen sie bislang unterrepräsentiert sind.
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2. Wie der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausführt, ist es Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob in dem betreffenden Mitgliedstaat eine sehr viel höhere Zahl von Frauen als Männer Elternurlaub in Anspruch nimmt, so dass Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit von Maßnahmen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden betroffen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – C-7/12 [Riezniece] –, juris Rn. 40). Zur Feststellung dieser Voraussetzungen sind Vergleichsgruppen zu bilden, die dem persönlichen Geltungsbereich der Differenzierungsregel entsprechend zusammengesetzt sind (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2004 – C-256/01 [Allonby] –, juris Rn. 73 f.). Danach ist der Gesamtheit der Personen, die von der Regelung erfasst werden, die Gesamtheit der Personen gegenüber zu stellen, die durch die Regelung benachteiligt werden, und im Vergleich dieser Gruppen ist zu prüfen, ob Frauen besonders benachteiligt sind. Eine derartige Vergleichsgruppenbildung und Prüfung scheint der Kammer im vorliegenden Fall des § 97 LBG aus tatsächlichen Gründen nicht sachgerecht möglich zu sein.
Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass – wie der Beklagte nachvollziehbar vorgetragen hat – eine statistische Erfassung der Fälle, in denen Beamte im – hier zu betrachtenden – Land Berlin während der Wahrnehmung eines Amtes mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe nach § 97 LBG Elternzeit in Anspruch nehmen, bislang weder zentral noch behördenintern erfolgt. Hinzu kommt der Umstand, dass im Land Berlin die Zahl an vergleichbaren Ämtern mit leitender Funktion, die im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen werden, bereits relativ klein sein dürfte, so dass die Zahl derjenigen Beamtinnen und Beamten, die sich in dieser Probezeit auch in Elternzeit befinden, nochmals erheblich geringer sein dürfte. Schließlich ist der Aspekt zu berücksichtigen, dass derartige Leitungsämter von Beamtinnen und Beamten zumeist erst in höherem Lebensalter erreicht werden, in dem die Inanspruchnahme von Elternzeit ebenfalls nur noch selten ist. Selbst wenn deshalb nach weiteren, vom vorlegenden Gericht zu beauftragenden Erhebungen eine Bildung von Vergleichsgruppen und eine Prüfung anhand der genannten Maßstäbe erfolgen könnte, erscheint das denkbare Ergebnis in Anbetracht der geringen Vergleichsfälle nicht hinreichend aussagekräftig, vielmehr eher zufällig.
Auf der anderen Seite sprechen nach der Einschätzung des vorlegenden Gerichts generelle Erkenntnisse dafür, dass im öffentlichen Dienst des Landes Berlin nach wie vor Elternzeit sehr viel häufiger durch Frauen als durch Männer in Anspruch genommen wird. Selbst wenn aufgrund von Veränderungen gesetzlicher Bestimmungen und allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen die Inanspruchnahme durch
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Männer möglicherweise in den vergangenen Jahren zugenommen hat, ist zumindest die Dauer der elternzeitbedingten dienstlichen Abwesenheit von Männern weiterhin deutlich niedriger als bei Frauen, so dass sich dieser Umstand bei Männern auch wesentlich weniger auf die Möglichkeit der Bewährung in einer Probezeit auswirken kann. Die Kammer stellt deshalb auch die Frage, ob es unter diesen Umständen ausreichend für die Annahme ist, dass eine Regelung des nationalen Rechts eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen kann, wenn von ihr eine sehr viel höhere Zahl an Frauen als an Männern potentiell betroffen sein kann.
III. Zu Frage 3
Sollte der Europäische Gerichtshof die Fragen 1 und/oder 2 bejahen, stellte sich für das vorlegende Gericht die weitere Frage, ob eine nationalrechtliche Regelung, nach der eine Probezeit kraft Gesetzes und ohne Verlängerungsmöglichkeit selbst dann endet, wenn in sie in überwiegendem Umfang Elternurlaub fällt, durch die Zielsetzung gerechtfertigt werden kann, dass die Bewährung für ein auf Dauer zu übertragendes Amt mit leitender Funktion nur im Falle einer tatsächlichen, über einen langfristigen Zeitraum andauernden Wahrnehmung der Aufgaben festzustellen sei.
Für die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen im Sinne der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass es letztlich Sache des nationalen Gerichts sei, das für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts allein zuständig ist, festzustellen, ob und inwieweit eine gesetzliche Regelung, die zwar unabhängig vom Geschlecht der Arbeitnehmer angewandt wird, im Ergebnis jedoch einen erheblich höheren Prozentsatz der Frauen als der Männer trifft, aus objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 1989 – C-171/88 [Rinner-Kühn] –, juris Rn. 15; Urteil vom 23. Oktober 2003 – C-4/02 [Schönheit und Becker] –, juris Rn. 82 m. w. N.). In dem bloßen Umstand, dass eine Rechtsvorschrift einen wesentlich höheren Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer trifft, kann kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gesehen werden, wenn die gewählten Mittel einem legitimen Ziel dienen und zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zieles geeignet und erforderlich sind (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Februar 1999 – C-167/97 [Seymour-Smith und Perez] –, juris Rn. 69). Auch wenn es aber im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfah-
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rens Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu beurteilen, ob solche objektiven Faktoren in dem ihm unterbreiteten konkreten Fall vorliegen, kann der Gerichtshof, da er die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, gleichwohl auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht die Entscheidung ermöglichen (EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2003, a. a. O. Rn. 83).
Die Kammer geht davon aus, dass vergleichbare Maßstäbe auch für die Auslegung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 und die Bestimmungen der im Anhang veröffentlichten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub gelten können. Denn gegebenenfalls ist es aus objektiven, sachlichen Gründen als gerechtfertigt anzusehen und widerspricht es der Zielsetzung der Richtlinie nicht, wenn aufgrund einer nationalen Vorschrift wie § 97 LBG ein Arbeitnehmer im Anschluss an den Elternurlaub nicht an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann und eine entsprechend seinem Beschäftigungsverhältnis gleichwertige oder ähnliche Arbeit nicht zugewiesen bekommt bzw. wenn bestimmte Rechte, die er zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte, bis zum Ende des Elternurlaubs nicht mehr bestehen bleiben.
Nach Auffassung des beklagten Landes liegen derartige rechtfertigende Gründe hier vor. Der Beklagte hat in seinem Widerspruchsbescheid zunächst selbst festgestellt, dass die Nichtberücksichtigung von schwangerschaftsbedingter Dienstunfähigkeit, Mutterschutz und Kindererziehungszeiten zwar überwiegend Frauen betreffe. Nach seiner Auffassung findet die Ausgestaltung der Vorschrift des § 97 LBG zur Probezeit aber ihre objektive Rechtfertigung darin, dass die Befähigung gerade für ein Amt mit Leitungsfunktion unabhängig vom Geschlecht nur nachgewiesen werden könne, wenn die Aufgaben auch tatsächlich über einen längeren Zeitraum wahrgenommen würden. Der Gesetzgeber habe für die verantwortungsvolle Position einer leitenden Führungskraft auf die Ableistung eines angemessenen Zeitraums der Erprobung bestanden, um sich ein gerechtes Urteil über die Eignung seiner Beamtin oder seines Beamten bilden zu können; hierzu sei auch die tatsächliche Anwesenheit grundlegend notwendig. Auch bei männlichen Beamten wirkten sich Abwesenheiten in Form von Dienstunfähigkeit, Erholungsurlaub und Kindererziehungszeiten im Übrigen mit der Folge aus, dass gegebenenfalls keine erfolgreiche Ableistung der Probezeit festgestellt werden könne.
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Nach Überzeugung der Kammer macht der Beklagte mit seinem Hinweis auf die an eine erfolgreiche Bewährung zu knüpfenden – auch im Vergleich mit der „einfachen“ Probezeit nach § 11 LfbG – besonderen und hohen Anforderungen, wenn es sich um ein Führungsamt mit Leitungsfunktion handelt, ein sachliches, legitimes Ziel der gesetzlichen Regelung geltend. Ohne eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Feststellung der Bewährung dürfte – worauf der Beklagte zu Recht hinweist – eine unverhältnismäßige Ungleichbehandlung gegenüber anderen Beamtinnen und Beamten vorliegen, die während der zweijährigen Probezeit durch ihre Dienstleistung ihrer Eignung nachweisen müssen. Allerdings bestehen Zweifel, ob es zur Zielerreichung auch erforderlich ist, die Dauer der Probezeit statisch auf zwei Jahre zu begrenzen und jede Verlängerungsmöglichkeit auszuschließen, selbst wenn in den Zeitraum in größerem Umfang Abwesenheiten der Beamtin oder des Beamten aufgrund von Elternzeit – gegebenenfalls auch neben schwangerschaftsbedingter Erkrankung und Mutterschutz – fallen, die die Feststellung ihrer tatsächlichen Bewährung nicht mehr zulassen. Vielmehr erscheint es der Kammer nicht weniger sachgerecht, ähnlich wie im Recht der Bundesbeamten (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 6 Halbs. 2 BBG) eine Verlängerung der Probezeit ausnahmsweise dann zu ermöglichen, wenn wegen Elternzeit die festgesetzte Mindestprobezeit nicht geleistet werden konnte. Die vom Berliner Gesetzgeber in § 97 Abs. 4 Satz 8 LBG eingefügte Ausnahmeregelung für die erneute Berufung in eine Beamtenverhältnis auf Probe für den Fall, dass das Amt mit leitender Funktion während eines langfristigen Zeitraums nicht wahrgenommen wurde, erscheint der Kammer aus den oben dargestellten Gründen (siehe C. 1. a) in der Praxis nicht ausreichend. Im Übrigen lasst sich der zugrunde liegenden Gesetzesbegründung (Abgh.-Drs. 16/3840, S. 63) nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber diese Regelung gerade auch zur Berücksichtigung der hier maßgeblichen europäischen Richtlinien und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat schaffen wollen.
IV. Zu Frage 4
Sollte der Europäische Gerichtshof nach den Vorlagefragen 1 bis 3 keine hinreichende Rechtfertigung für die Beendigung einer Probezeit in einem Amt mit leitender Funktion kraft Gesetzes und unter Ausschluss der Möglichkeit der Verlängerung erkennen, well in sie in überwiegendem Umfang Elternurlaub fällt, stellt sich für das vorlegende Gericht die weitere entscheidungserhebliche Frage, welche Folgen dies für die Rechtsstellung der von der nationalen Regelung Betroffenen hätte und in welcher Weise der Unionsrechtsverstoß effektiv beseitigt werden müsste.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs obliegt die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie ihre Pflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten. Derartige Verpflichtungen treffen die Träger öffentlicher Gewalt gegebenenfalls auch in ihrer Eigenschaft als öffentliche Arbeitgeber. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte und die Verwaltungsorgane, sofern eine mit den Anforderungen des Unionsrechts übereinstimmende Auslegung und Anwendung der nationalen Regelung nicht möglich ist, das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen haben, indem sie entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts gegebenenfalls unangewendet lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 25. November 2010 – C-429/09 [Fuß II] –, juris Rn. 39 f. m. w. N.).
Eine mit den Anforderungen des Unionsrechts, hier insbesondere der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 einschließlich der Bestimmungen der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang sowie der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, übereinstimmende Auslegung und Anwendung der nationalen Regelung des § 97 LBG ist für die Kammer nicht möglich. Vor allem der eindeutige Wortlaut des § 97 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LBG, der eine Verlängerung der zweijährigen Probezeit ausschließt, steht jeder Auslegung entgegen. Das gesamte übrige Recht des Landes Berlin sieht – wie die Kammer unter C. 1. bereits dargestellt hat – ebenso wenig eine klare, unionsrechtskonforme Rechtsfolge vor. Selbst wenn die Kammer die im vorliegenden Fall den genannten Richtlinien entgegenstehenden nationalen Regelungen im Einzelfall unangewendet ließe, bliebe offen, in welcher Weise stattdessen zugleich den Zielsetzungen der Richtlinien als auch den Anforderungen an eine Probezeit, die eine sachgerechte Feststellung der Bewährung in einem Amt mit leitender Funktion ermöglicht, Rechnung getragen werden müsste.
In Auslegung der genannten Richtlinien erscheint es für die Kammer zunächst naheliegend, dass für die betroffenen Beamten die Fortsetzung der Probezeit – für die Dauer des zu Beginn des Elternurlaubs noch nicht verstrichenen Zeitraums – im unmittelbaren Anschluss an das Ende des Elternurlaubs ermöglicht werden müsste.
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Dies ist problematisch, wenn der ursprüngliche Dienstposten mit der zugrunde liegenden, im Haushalt ausgewiesenen Planstelle – wie im Fall der Klägerin – zwischenzeitlich erneut ausgeschrieben und mit einer anderen Beamtin oder einem anderen Beamten besetzt worden ist. In Anwendung des nationalen Beamtenrechts dürfte die Besetzung der Planstelle nicht zu Lasten des neuen Stelleninhabers rückgängig gemacht werden. In einem solchen Fall käme für die aus dem Elternurlaub zurückkehrende Beamtin oder den Beamten nur ein vergleichbarer Dienstposten in Betracht, der nach dem fachlichen Anforderungsprofil zur Wahrnehmung eines Führungsamtes auf Probe auch individuell geeignet sein muss. Wenn aber ein solcher Dienstposten mit einer entsprechenden Planstelle nicht zur Verfügung steht bzw. nicht geschaffen werden kann, bleibt für die Kammer offen, ob und welche andere Rechtsfolge zur Wiederherstellung der Lage, in der sich der Beamte oder die Beamtin vor dem Elternurlaub befunden hat, und/oder zur Vermeidung einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung nach den europarechtlichen Vorgaben gewährleistet werden müsste.
V. Zu Frage 5
Anknüpfend an die Vorlagefrage 4 – und wiederum unterstellt, dass nach dem europäischen Recht keine hinreichende Rechtfertigung für die Beendigung einer Probezeit in einem Amt mit leitender Funktion, in die in überwiegendem Umfang Elternurlaub fällt, kraft Gesetzes ohne Verlängerungsmöglichkeit besteht – stellt sich der Kammer eine weitere Frage im Hinblick auf die effektive Beseitigung der Rechtsverletzung.
Wenn in einem derartigen Fall der ursprüngliche Dienstposten mit der zugrunde liegenden Planstelle bereits neu besetzt worden ist und die Rückkehr der im Elternurlaub befindlichen Beamtin bzw. des Beamten nur auf einen anderen, nach dem fachlichen Anforderungsprofil vergleichbaren Dienstposten in Betracht kommt, wäre nach dem maßgeblichen nationalen Beamtenrecht die vorherige Durchführung eines förmlichen Auswahlverfahrens unter Einbeziehung anderer Bewerber erforderlich. Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung hat jeder Deutsche gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen. Die Geltung dieses Grundsatzes wird durch Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen
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wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (Bewerbungsverfahrensanspruch). Der Bewerberauswahl dürfen nur Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen. In Bezug auf die Vergabe höherer Ämter einer Laufbahn durch Beförderungen handelt es sich um Kriterien, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amtes genügt und sich in dem höheren Amt voraussichtlich bewähren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 – BVerwG 2 C 19.10 – BVerwGE 140, 83, juris Rn. 14 m. w. N.). Im Falle der Durchführung eines förmlichen Auswahlverfahrens auf der alleinigen Grundlage des Leistungsgrundsatzes würde sich für die aus dem Elternurlaub zurückkehrende Beamtin bzw. den Beamten nicht nur die Möglichkeit der Fortsetzung der Probezeit erfahrungsgemäß über eine längeren Zeitraum verzögern. Vielmehr wäre es auch nicht auszuschließen, dass ein anderer Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung für die Besetzung des Dienstpostens bzw. des Amtes mit leitender Funktion besser qualifiziert wäre mit der zwingenden Folge, dass dieser im Auswahlverfahren Vorrang genießen müsste. In einem solchen Fall erscheint es der Kammer naheliegend, zur Besetzung eines anderen Dienstpostens oder eines anderen Amtes mit leitender Funktion von einem neuen Auswahlverfahren nach den Maßgaben des Leistungsgrundsatzes gemäß Art. 33 Abs. 2 GG ausnahmsweise abzusehen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
RiLG Hanser ist wegen Beendigung seiner Abordnung an der Unterschrift gehindert
Prof. Dr. Lücking
Prof. Dr. Lücking Rüsch
Lü/gr
Beglaubigt
Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
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