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OVG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 18.12.2008, 1 B 13.08

   
Schlagworte: Mindestlohn, Postmindestlohn
   
Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 1 B 13.08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.12.2008
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 07.03.2008, 4 A 439.07
   

 

OBER­VER­WAL­TUN­GS­GERICHT

BER­LIN-BRAN­DEN­BURG

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

OVG 1 B 13.08 

VG 4 A 439.07 Ber­lin  

Verkündet am 18. De­zem­ber 2008

Me­riç, JAng.
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che
1.
2.
3.
4.

Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­te,

be­vollmäch­tigt zu 1:
Rechts­anwälte

be­vollmäch­tigt zu 2:
Rechts­an­walt

be­vollmäch­tigt zu 3 und 4:
Rechts­anwälte

g e g e n

die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, ver­tre­ten durch das
Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les,
Wil­helm­s­traße 49, 10117 Ber­lin,

Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin,

be­vollmäch­tigt:
Rechts­anwälte

bei­ge­la­den:

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hat der 1. Se­nat auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 18. De­zem­ber 2008 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Wol­ni­cki, den Rich­ter am Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Bath, den Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Eidt­ner, die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Arch­vad­ze und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ditt­mann

für Recht er­kannt:

Das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin vom 7. März 2008 wird teil­wei­se geändert. Die Kla­gen der Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. wer­den ab­ge­wie­sen. Im Übri­gen – hin­sicht­lich des Klägers zu 2. – wird die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen.

Von den Kos­ten des Ver­fah­rens im ers­ten Rechts­zug tra­gen un­ter Ein­be­zie­hung des rechts­kräfti­gen Teils der Ent­schei­dung die Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. 65 % der Ge­richts­kos­ten und der außer­ge­richt­li­chen Kos­ten der Be­klag­ten so­wie ih­re ei­ge­nen außer­ge­richt­li­chen Kos­ten, die PIN Group AG 10 % der Ge­richts­kos­ten und der außer­ge­richt­li­chen Kos­ten der Be­klag­ten und ih­re ei­ge­nen außer­ge­richt­li­chen Kos­ten, die Be­klag­te 25 % der Ge­richts­kos­ten und ih­rer ei­ge­nen außer­ge­richt­li­chen Kos­ten so­wie die außer­ge­richt­li­chen Kos­ten des Klägers zu 2..

Von den Kos­ten der Be­ru­fung tra­gen die Kläger zu 1., 3. und 4. 75 % der Ge­richts­kos­ten so­wie der außer­ge­richt­li­chen Kos­ten der Be­klag­ten und ih­re ei­ge­nen außer­ge­richt­li­chen Kos­ten je­weils selbst; die Be­klag­te trägt 25 % der Ge­richts­kos­ten so­wie ih­rer ei­ge­nen außer­ge­richt­li­chen Kos­ten und die außer­ge­richt­li­chen Kos­ten des Klägers zu 2. vollständig.

Die Bei­ge­la­de­ne trägt ih­re außer­ge­richt­li­chen Kos­ten in bei­den Rechtszügen selbst.

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Das Ur­teil ist we­gen der Kos­ten vorläufig voll­streck­bar. Den Be­tei­lig­ten wird nach­ge­las­sen, die Voll­stre­ckung des je­wei­li­gen Voll­stre­ckungs­geg­ners durch Si­cher­heits­leis­tung in Höhe von 110 Pro­zent des je­weils zu voll­stre­cken­den Be­tra­ges ab­zu­wen­den, wenn nicht der Voll­stre­ckungsgläubi­ger vor der Voll­stre­ckung je­weils Si­cher­heit in glei­cher Höhe leis­tet.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Kläger wen­den sich mit Fest­stel­lungs­kla­gen ge­gen die auf der Grund­la­ge des hierfür geänder­ten Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes er­las­se­ne Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen vom 28. De­zem­ber 2007. Durch die Ver­ord­nung sind Min­destlöhne für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen nach den Be­stim­mun­gen des zwi­schen dem im Au­gust 2007 ge­gründe­ten Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des Post­diens­te e.V und der Ver­ei­nig­ten Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft („ver.di“) am 29. No­vem­ber 2007 ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­tra­ges für nicht an ihn ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und -neh­mer in sei­nem Gel­tungs­be­reich für ver­bind­lich erklärt wor­den; die Brut­to-Min­destlöhne be­tra­gen da­nach in den al­ten Bun­desländern 8,40 Eu­ro und in den neu­en Bun­desländern 8 Eu­ro und für Brief­zu­stel­ler 9,80 Eu­ro bzw. 9 Eu­ro.

Der Ko­ali­ti­ons­aus­schuss der Re­gie­rungs­par­tei­en ei­nig­te sich am 18. Ju­ni 2007 grundsätz­lich u.a. dar­auf, Min­destlöhne durch Auf­nah­me wei­te­rer Bran­chen in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz zu ermögli­chen. Am 24. Au­gust 2007 wur­de auf der Klau­sur­ta­gung der Bun­des­re­gie­rung in Me­se­berg mit Blick auf das Aus­lau­fen des Mo­no­pols der Deut­schen Post AG für die Beförde­rung von Stan­dard­brief­sen­dun­gen bis 50 g be­schlos­sen, auch die Bran­che der Post­dienst­leis­tun­gen in das Ge­setz ein­zu­be­zie­hen und da­mit den Weg für die Er­stre­ckung ei­nes re­präsen­ta­ti­ven, d.h. von Ta­rif­part­nern, die min­des­tens die Hälf­te der Beschäftig­ten in der Bran­che ver­tre­ten, ab­ge­schlos­se­nen Min­dest­lohn­ta­rif­ver­tra­ges frei­zu­ma­chen. Am 11. Sep­tem­ber 2007 be­an­trag­ten der Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V., dem die Deut­sche Post AG und

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über­wie­gend von ihr ge­gründe­te oder ihr an­ge­schlos­se­nen Un­ter­neh­men an­gehören, und ver.di beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les die Auf­nah­me der Bran­che Post­dienst­leis­tun­gen in das Ge­setz und zu­gleich die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung ei­nes an die­sem Tag ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­tra­ges zur Re­ge­lung der Min­destlöhne in der Bran­che Post­diens­te. Der Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges soll­te al­le Be­trie­be er­fas­sen, die ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördern, und zwar un­abhängig vom An­teil die­ser Tätig­keit an der Ge­samttätig­keit des Be­triebs.

In ei­ner Pres­se­mit­tei­lung vom 12. Ok­to­ber 2007 teil­te die bei­ge­la­de­ne ___ ih­re Gründung am 8. Ok­to­ber 2007 in Ber­lin mit. Die Gründung wur­de in Pres­se­be­rich­ten mit un­terstützen­der Tätig­keit von Ar­beit­ge­ber­sei­te in Zu­sam­men­hang ge­bracht. Das Amts­ge­richt Köln (Rechts­pfle­ger) lehn­te die Ein­tra­gung der ___ als Ver­ein un­ter dem 19. Ok­to­ber 2007 ab, weil sie mit ih­ren 19 Mit­glie­dern nicht ta­riffähig sei. Sie gibt an, dass ih­re Gründungs­mit­glie­der mehr­heit­lich bei Un­ter­neh­men der ___ beschäftigt (ge­we­sen) sei­en. Ih­re der­zeit rund 1.300 Mit­glie­der sei­en bei ___,___ und wei­te­ren 26 Un­ter­neh­men bun­des­weit präsent.

Auf den An­trag des Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des Post­diens­te e.V. lei­te­te das Bun­des­mi­nis­te­ri­um das Ver­fah­ren zum Er­lass ei­ner Rechts­ver­ord­nung nach § 1 Abs. 3a AEntG ein. Ein ent­spre­chen­der Ent­wurf wur­de un­ter dem 6. No­vem­ber 2008 an ver­schie­de­ne Stel­len, u.a. an die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, die übri­gen Bun­des­mi­nis­te­ri­en, die zuständi­gen Lan­des­mi­nis­te­ri­en und die Dach­verbände der Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber, zur Stel­lung­nah­me bis zum 29. No­vem­ber 2007 über­sandt. Im Bun­des­an­zei­ger vom 8. No­vem­ber 2007 er­schien ei­ne Be­kannt­ma­chung über ei­nen An­trag auf All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung ei­nes Ta­rif­ver­trags für die Bran­che Post­diens­te und den Ent­wurf ei­ner Ver­ord­nung über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für Brief­dienst­leis­tun­gen ver­bun­den mit der Gewährung ei­ner Frist zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me von drei Wo­chen. Im gleich­zei­tig durch­geführ­ten Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zur Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes wur­de am 5. No­vem­ber 2007 ei­ne Sach­verständi­gen­anhörung vor dem Aus­schuss für Ar­beit und So­zia­les des Deut­schen Bun­des­ta­ges durch­geführt, für de­ren In­halt auf das Wort­pro­to­koll des Aus­schus­ses für Ar­beit und So­zia­les (Pro­to­koll 16/65) Be­zug ge­nom­men wird. Da­nach ver­blie­ben Zwei­fel, ob an­ge­sichts der um­fas­sen­den Ein­be­zie­hung von Be­trie­ben, die Brie­fe ge­werbsmäßig beförder­ten, mögli­cher­wei­se die

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po­li­tisch ge­woll­te Re­präsen­ta­ti­vität des Ta­rif­ver­tra­ges feh­le. Dar­auf änder­ten die Par­tei­en des Ta­rif­ver­trags vom 11. Sep­tem­ber 2007 die­sen An­fang No­vem­ber 2007 zunächst durch Pro­to­koll­no­ti­zen da­hin ab, dass Ar­beit­neh­mer, die nur in ge­rin­gem Um­fang mit der ge­werbsmäßigen Brief­beförde­rung be­traut sei­en (z.B. Zei­tungs­zu­stel­ler oder Ku­rier­fah­rer), nicht er­fasst sein soll­ten. Nach ei­ner Sit­zung des Ko­ali­ti­ons­aus­schus­ses am 12. No­vem­ber 2007 ho­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den Ta­rif­ver­trag vom 11. Sep­tem­ber 2007 un­ter Aus­schluss von Nach­wir­kun­gen ein­ver­nehm­lich auf und schlos­sen am 29. No­vem­ber 2007 den von der Ver­ord­nung er­fass­ten Ta­rif­ver­trag, des­sen Gel­tungs­be­reich auf die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen be­zo­gen ist und al­le Be­trie­be und selbstständi­ge Be­triebs­ab­tei­lun­gen er­fas­sen soll, die über­wie­gend ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördern. Am glei­chen Tag wand­ten sie sich un­ter Be­zug­nah­me auf ih­ren An­trag vom 11. Sep­tem­ber 2009 auf Auf­nah­me der Bran­che in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz und All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung an den Bun­des­mi­nis­ter für Ar­beit und So­zia­les und be­an­trag­ten „nun­mehr“ die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung „un­ter Ein­schluss der am 29.11.2007 er­folg­ten Ände­rung, u.a. mit dem Be­mer­ken, dass mit der Ände­rung si­cher­ge­stellt sei, dass „das 50%-Quo­rum mehr als deut­lich erfüllt“ sei. Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um lei­te­te dar­auf ei­nen an­ge­pass­ten Ver­ord­nungs­ent­wurf nebst dem Re­gel­werk des Ta­rif­ver­tra­ges mit Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me bis zum 7. De­zem­ber 2007 zu. Ei­ne neue Be­kannt­ma­chung im Bun­des­an­zei­ger ist nicht er­folgt. In ei­nem Ver­merk der Ab­tei­lungs­lei­te­rin III vom 4. De­zem­ber 2007 heißt es hier­zu, dass die Ein­lei­tung ei­nes neu­en Ver­ord­nungs­ver­fah­rens mit Be­kannt­ma­chung und neu­er Stel­lung­nah­me­frist nicht er­for­der­lich sei, weil mit den vor­ge­nom­me­nen Ände­run­gen der Zu­schnitt des Gel­tungs­be­reichs ver­klei­nert und so­mit kein neu­er Per­so­nen­kreis er­fasst wer­de; der neue und en­ge­re Gel­tungs­be­reich sei als we­ni­ger weit ge­hen­de Re­ge­lung be­reits in dem wei­ter­ge­hen­den Gel­tungs­be­reich des ursprüng­li­chen An­tra­ges ent­hal­ten.

Die Bei­ge­la­de­ne schloss am 11. De­zem­ber 2007 mit dem am 11. Sep­tem­ber 2007 ge­gründe­ten Ar­beit­ge­ber­ver­band Neue Brief- und Zu­stell­diens­te e.V. (AGV NBZ) ei­nen als Ta­rif­ver­trag be­zeich­ne­ten Ver­trag für das Ge­biet der Be­klag­ten. Sach­lich be­trifft er Un­ter­neh­men, die Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen an­bie­ten, die von der Uni­ver­sal­dienst­leis­tung trenn­bar sind, be­son­de­re Leis­tungs­merk­ma­le auf­wei­sen und qua­li­ta­tiv höher­wer­tig sind. Nach § 3 des Ta­rif­ver­trags beträgt der Brut­to-Min­dest­lohn für Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen mit Wir­kung vom 1. Ja­nu­ar 2008 je nach Bun­des­land

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6,50 € oder 7,50 €. Wei­ter schloss die Bei­ge­la­de­ne am 12. De­zem­ber 2007 mit dem Kläger zu 2. ei­nen eben­falls deutsch­land­weit Gel­tung be­an­spru­chen­den Ta­rif­ver­trag für al­le ta­rif­ge­bun­de­nen Be­trie­be, die als we­sent­li­che be­trieb­li­che Tätig­keit näher de­fi­nier­te Post­dienst­leis­tun­gen, ins­be­son­de­re die ge­werbsmäßige Beförde­rung von adres­sier­ten schrift­li­chen Mit­tei­lun­gen bis 2 kg zwi­schen Ab­sen­der und Empfänger, er­brin­gen. Der mit den bei­den Verträgen ab dem 1. Ja­nu­ar 2008 ver­ein­bar­te Brut­tom­in­dest­lohn liegt je­weils un­ter den Beträgen des vom Ver­ord­nungs­ent­wurf in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­ver­tra­ges (6,50/7,50 € statt 8,00/8,40 € bzw. 9,00/9,80 € für Brief­zu­stel­ler). Der Kläger zu 2. teil­te mit Schrei­ben vom 12. De­zem­ber 2007 den Ver­trags­schluss sei­nen Mit­glie­dern, von de­nen 90% an den Ver­trag ge­bun­den sind, mit, bat um Ver­trau­lich­keit und erklärte, es wäre po­si­tiv un­terstützend, wenn möglichst vie­le Mit­ar­bei­ter der Mit­glie­der­be­trie­be Mit­glied der neu­en Ge­werk­schaft würden. Un­ter dem 14. De­zem­ber 2007 be­an­trag­ten der AG NBZ und die GN­BZ beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um, den von ih­nen ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag zur Re­ge­lung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen für Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen vom 11. De­zem­ber 2007 für all­ge­mein ver­bind­lich zu erklären. In ei­nem Schrei­ben an die an­de­ren Bun­des­mi­nis­te­ri­en erklärte das Ar­beits­mi­nis­te­ri­um, dass die GN­BZ nicht ta­riffähig sei.

Am 19. De­zem­ber 2007 stimm­te die Bun­des­re­gie­rung un­ter der Be­din­gung des In­kraft­tre­tens des Ände­rungs­ge­set­zes dem Er­lass der Ver­ord­nung zu. Zur Be­gründung der Ver­ord­nung heißt es in der Ka­bi­netts­vor­la­ge:

„Der Er­lass der Rechts­ver­ord­nung ist zur Si­cher­stel­lung ei­nes fai­ren Wett­be­werbs und an­ge­mes­se­ner Ar­beits­be­din­gun­gen in ei­nem sich öff­nen­den Brief­markt ge­bo­ten und liegt im öffent­li­chen In­ter­es­se. Das Ziel, für al­le Ar­beit­neh­mer in ei­nem be­stimm­ten Tätig­keits­be­reich ein glei­ches so­zia­les Schutz- und Lohn­ni­veau si­cher­zu­stel­len, ist eu­ro­pa­recht­lich als zwin­gen­der Grund des All­ge­mein­in­ter­es­ses an­er­kannt. Mit die­sem Ziel wer­den zu­gleich die Zie­le ver­folgt, fi­nan­zi­el­le Sta­bi­lität des Sys­tems der so­zia­len Si­che­rung zu schaf­fen, Ar­beits­lo­sig­keit in­fol­ge ei­nes Ver­drängungs­wett­be­werbs durch ausländi­sche An­bie­ter aus Nied­rig­lohnländern oder Bil­lig­an­bie­ter aus dem In­land zu bekämp­fen und schließlich die Ord­nungs­funk­ti­on des Ta­rif­ver­trags in der Bran­che Brief­dienst­leis­tung zu un­terstützen. Die Rechts­ver­ord­nung erfüllt zu­gleich den Auf­trag an den Ge­setz­ge­ber, ei­ne flächen­de­ckend an­ge­mes­se­ne und aus­rei­chen­de Dienst­leis­tung im Be­reich des Post­we­sens zu gewähr­leis­ten (Art. 87f Abs. 2 GG), und das Post­we­sen zu re­gu­lie­ren (§ 2 Abs. 1 PostG). Die Wah­rung des grund­rechts­geschütz­ten Brief­ge­heim­nis­ses in­ner­halb der Wertschöpfungs­ket­te der Brief­beförde­rung ob­liegt letzt­lich den in die­sem Be­reich täti­gen Ar­beit­neh­mern. Da­her sind be­son­de­re An­for­de­run­gen an de­ren Ver­trau­enswürdig­keit, Loya­lität und In­te­grität zu stel­len. Ar­beit­neh­mer mit ei­nem sol­chen Persönlich­keits­pro­fil sind am Ar­beits­markt nur mit ei­ner ent­spre­chen­den Vergütung zu ge­win­nen.“

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Am 14. De­zem­ber 2007 be­schloss der Bun­des­tag das Zwei­te Ge­setz zur Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes, nach des­sen Art. 1 in § 1 Abs. 1 Satz 4 die Wörter „und für Ta­rif­verträge für Brief­dienst­leis­tun­gen, wenn der Be­trieb oder die selbständi­ge Be­triebs­ab­tei­lung über­wie­gend ge­werbs- und geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördert“ in das Ge­setz ein­gefügt wur­den (Ple­nar­pro­to­koll 16/134, S. 14124). Das Ge­setz ist nach sei­nem Art. 2 am Ta­ge nach der Verkündung (BGBl. I S. 3140), dem 28. De­zem­ber 2007, in Kraft ge­tre­ten. Am sel­ben Ta­ge fer­tig­te der Bun­des­mi­nis­ter für Ar­beit und So­zia­les die Ver­ord­nung aus, die am Tag dar­auf im Bun­des­an­zei­ger be­kannt­ge­macht wur­de.

Die Kläge­rin zu 1. ist das Ber­li­ner Toch­ter­un­ter­neh­men der am Aus­gangs­ver­fah­ren zunächst eben­falls be­tei­lig­ten ___ AG, die – in­zwi­schen in In­sol­venz be­find­lich - ih­re Kla­ge je­doch in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt zurück­ge­nom­men hat. Sie er­bringt mit den von ihr beschäftig­ten Zu­stel­lern Brief­dienst­leis­tun­gen, mo­nat­lich wer­den et­wa 8,9 Mil­lio­nen Sen­dun­gen befördert. Sie beschäftig­te nach ih­ren An­ga­ben En­de Ja­nu­ar 2008 et­wa 1.100 Mit­ar­bei­ter, da­von knapp 120 Leih­ar­bei­ter. Von ih­ren ei­ge­nen et­wa 980 Mit­ar­bei­tern wa­ren knapp 950 Voll­zeit­beschäftig­te. Der Per­so­nal­kos­ten­an­teil soll sich im Jah­re 2007 auf 39,3 % be­lau­fen ha­ben; der An­teil an be­zo­ge­nen Fremd­leis­tun­gen im Zu­stell­be­reich soll ca. 28 % be­tra­gen ha­ben. Ein gu­tes Drit­tel ih­res Ge­samt­um­sat­zes er­wirt­schaf­tet sie aus ei­nem länger­fris­ti­gen, auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Wirt­schafts­da­ten kal­ku­lier­ten Rah­men­ver­trag mit dem Land Ber­lin.

Der Kläger zu 2. ist nach sei­ner Sat­zung ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on der Un­ter­neh­men der Schnell-Lie­fer­diens­te, all­ge­mein als Ku­rier-, Ex­press- und Pa­ket- und Brief­diens­te be­zeich­net. Ihm gehören et­wa 200 Un­ter­neh­men an. Seit No­vem­ber 2007 ist der Kläger zu 2. nach § 2 Nr. 2 sei­ner Sat­zung Ar­beit­ge­ber­ver­band zur Führung von Ver­hand­lun­gen nach dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz und Wahr­neh­mung der Ko­ali­ti­ons­rech­te sei­ner Mit­glie­der. Et­wa 70 % sei­nes Bei­trags­auf­kom­mens sol­len nach sei­nen An­ga­ben aus der Brief­dienst­bran­che re­sul­tie­ren.

Die Kläge­rin­nen zu 3. und 4. sind Toch­ter­ge­sell­schaf­ten des nie­derländi­schen Ex­press- und Brief­dienst­leis­ters ___ Sie bie­ten auf der Grund­la­ge ei­ner sog. D-Li­zenz Brief­dienst­leis­tun­gen an, die sich durch be­son­de­re qua­li­ta­ti­ve Merk­ma­le (sog.

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Mehr­wert­diens­te) von den all­ge­mei­nen Uni­ver­sal­dienst­leis­tun­gen un­ter­schei­den. Nach ei­ge­nen An­ga­ben ha­ben sie et­wa 155 Mil­lio­nen Eu­ro in den Aus­bau ei­nes flächen­de­cken­den, al­le Haus­hal­te er­fas­sen­den Zu­stell­net­zes in­ves­tiert und er­rei­chen mit ih­ren aus­sch­ließlich dem deut­schen Ar­beits­recht un­ter­fal­len­den Beschäftig­ten et­wa 90 % der deut­schen Haus­hal­te. Bei­de Un­ter­neh­men ar­bei­te­ten nach ih­ren An­ga­ben der­zeit noch nicht kos­ten­de­ckend; bei der Kläge­rin zu 3. über­stie­gen schon die Per­so­nal­kos­ten und So­zi­al­ab­ga­ben den Um­satz um gut 4 Mil­lio­nen Eu­ro. Bei Zu­grun­de­le­gung des nach der Ver­ord­nung fest­ge­setz­ten Min­dest­lohns könn­te sie erst bei ei­nem Markt­an­teil von 11,8 % in den Be­reich ei­nes Ge­winns vor Steu­ern ge­lan­gen, was aber bei ei­nem der­zei­ti­gen Markt­an­teil von nur 1,69 % un­rea­lis­tisch sei. Oh­ne die Ver­ord­nung rech­ne sie ab dem Jah­re 2010 mit ei­nem aus­ge­gli­che­nen Er­geb­nis bzw. Ge­win­nen. Durch die Ver­ord­nung müsse sie mit wei­te­ren Ver­lus­ten im drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­reich rech­nen. Des­we­gen sei der Aus­bau des Zu­stel­lungs­net­zes ge­stoppt wor­den. Es wer­de da­mit ge­rech­net, dass wei­te­re Zu­stell­part­ner im länd­li­chen Raum den Be­trieb ein­stell­ten, was ver­ein­zelt be­reits ge­sche­hen sei.

Die Kläger be­an­stan­den die Ver­ord­nung in for­mel­ler und ma­te­ri­el­ler Hin­sicht. Die ge­setz­lich ge­bo­te­ne Anhörung ha­be sich nicht auf den zum Ge­gen­stand der Ver­ord­nung ge­mach­ten Ta­rif­ver­trag be­zo­gen. Sie ver­s­toße ge­gen das für Ver­ord­nun­gen gel­ten­de Zi­tier­ge­bot, weil sie nicht das Ge­setz in der Fas­sung be­zeich­ne, die erst die An­wend­bar­keit der Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung auf die Brief­dienst­leis­tungs­bran­che ermöglicht ha­be. Die Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung wer­de ma­te­ri­ell über­schrit­ten, weil die Ver­ord­nung die ta­rif­ver­trag­li­chen Nor­men auf al­le nicht an den er­streck­ten Ta­rif­ver­trag ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer er­stre­cke, während die Ermäch­ti­gung nur ei­ne Er­stre­ckung auf nicht an­der­weit ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer zu­las­se. Da­von ab­ge­se­hen miss­brau­che der Ver­ord­nungs­ge­ber sei­ne Rechts­set­zungs­be­fug­nis für ei­nen Ein­griff in den Wett­be­werb zwi­schen der Deut­schen Post AG, de­ren An­tei­le zu mehr als 30 v.H. von der staat­li­chen KfW ge­hal­ten würden, und ih­ren Kon­kur­ren­ten. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Min­dest­lohn­fest­le­gung sei­en im Hin­blick auf die tatsächlich bei den mit der Deut­schen Post AG kon­kur­rie­ren­den Un­ter­neh­men ge­zahl­ten Löhne nicht ge­ge­ben; der Schutz des frühe­ren Mo­no­po­lis­ten vor Wett­be­werbs­nach­tei­len sei kein über­ra­gend wich­ti­ges Ge­mein­schafts­gut; der Min­dest­lohn führe zur Ver­nich­tung von Ar­beitsplätzen bei den Kon­kur­ren­ten der Deut­schen Post AG und sei des­halb so­zi­al un­an­ge­mes­sen.

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Die Be­klag­te ist dem ent­ge­gen­ge­tre­ten: Die Kla­ge sei­en be­reits un­zulässig, weil es an ei­nem kon­kre­ten Rechts­verhält­nis zum Norm­ge­ber feh­le; die Kläger müss­ten sich, so­weit sie über­haupt in ih­ren Rech­ten be­trof­fen sei­en, auf ei­ne in­zi­den­te Über­prüfung der Ver­ord­nung in Ver­fah­ren in an­de­ren Ge­richts­bar­kei­ten, ins­be­son­de­re der Ar­beits­ge­richts­bar­keit, ver­wei­sen las­sen. Die Kla­gen sei­en je­den­falls un­be­gründet. Die Ver­ord­nung sei for­mell nicht zu be­an­stan­den. Ei­ner er­neu­ten Anhörung der Be­trof­fe­nen ha­be es nicht be­durft. Der geänder­te Ta­rif­ver­trag sei je­den­falls dem AGV NBZ be­kannt ge­we­sen; wei­te­re Stel­lung­nah­men hätten kei­nen re­le­van­ten Er­kennt­nis­ge­winn mehr ge­bracht. Das Zi­tier­ge­bot er­stre­cke sich nicht auf Nor­men, die zur An­wend­bar­keit der Ermäch­ti­gung führ­ten; es sei durch die zu­tref­fen­de An­ga­be der Ermäch­ti­gungs­norm selbst ge­wahrt. Ma­te­ri­ell müsse die Ermäch­ti­gungs­norm da­hin aus­ge­legt wer­den, dass sie sich auf die Nicht­bin­dung durch den zu er­stre­cken­den Ta­rif­ver­trag be­zie­he. An­de­ren­falls könn­te die Fest­le­gung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen nach dem Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz durch kon­kur­rie­ren­de Ta­rif­verträge un­ter­lau­fen wer­den, was ge­mein­schafts­recht­lich ei­nen Ver­s­toß ge­gen die Dienst­leis­tungs­frei­heit be­deu­ten würde, wenn Ar­beit­ge­bern aus an­de­ren EU-Staa­ten die­se Möglich­keit recht­lich oder fak­tisch nicht of­fen­ste­he. Da­von un­abhängig wir­ke sich ei­ne Über­schrei­tung der Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung im Fall der Kläge­rin­nen nicht aus, denn die kon­kur­rie­ren­den Ta­rif­verträge sei­en man­gels Ta­riffähig­keit der Bei­ge­la­de­nen un­wirk­sam. Er­for­der­li­chen­falls müsse das Ver­fah­ren zur Klärung der Ta­riffähig­keit aus­ge­setzt wer­den. Die Ver­ord­nung wer­de von „va­li­den“ Gründen ge­tra­gen; die mit der Stei­ge­rung ih­rer Lohn­kos­ten ver­bun­de­nen Fol­gen würden von den Kläge­rin­nen über­zo­gen dar­ge­stellt. Die Be­ein­träch­ti­gung be­schränke sich dar­auf, dass Ge­winn­erwar­tun­gen ver­fehlt oder der Zeit­punkt des Er­rei­chens der Ge­winn­zo­ne verzögert würde. Ei­ne Kom­pen­sa­ti­on für die vor­zei­ti­ge Auf­he­bung des Brief­mo­no­pols für Stan­dard­sen­dun­gen bis 50 g sei im Hin­blick auf das öffent­li­che In­ter­es­se an der flächen­de­cken­den Er­brin­gung die­ser Brief­dienst­leis­tung kein un­zulässi­ger Ein­griff in den Wett­be­werb; der Ver­ord­nungs­ge­ber ha­be sei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve nicht über­schrit­ten.

Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat die Kla­gen zur ge­mein­sa­men Ver­hand­lung und Ent­schei­dung ver­bun­den. Dem ein­heit­lich da­hin ge­fass­ten, auf die Fest­stel­lung ge­rich­te­ten An­trag, dass die Rechts­ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­ters für Ar­beit und So­zia­les vom 28. De­zem­ber 2007 über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen die Kläger in ih­ren sub­jek­tiv-öffent­li­chen Rech­ten ver­let­ze, hat es mit dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil

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statt­ge­ge­ben und aus­ge­spro­chen, dass die Rechts­ver­ord­nung den Kläger zu 2. in sei­nem Recht aus Art. 9 Abs. 3 des Grund­ge­set­zes so­wie die Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. zusätz­lich auch in ih­ren Rech­ten aus Art. 12 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes ver­let­ze.

Zur Be­gründung hat die Vor­in­stanz im We­sent­li­chen aus­geführt: Die Kla­gen sei­en als Fest­stel­lungs­kla­gen zulässig. Die Ver­ord­nung be­gründe ein öffent­lich-recht­li­ches Rechts­verhält­nis zwi­schen dem Nor­madres­sa­ten und dem Norm­ge­ber. Der Norm­ge­ber wir­ke ho­heit­lich auf die pri­vat­recht­li­chen Ver­ein­ba­run­gen ein, die die Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. mit ih­ren Ar­beit­neh­mern ge­schlos­sen hätten und mo­di­fi­zie­re die dar­in ent­hal­te­nen Lohn­ab­re­den. Der Kläger zu 2. wer­de da­durch be­trof­fen, dass von ihm ge­trof­fe­ne ta­rif­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen über den Lohn nach dem Wil­len des Norm­ge­bers durch ei­ne an­der­weit ver­ein­bar­te ungüns­ti­ge­re Ta­rif­re­ge­lung ver­drängt wer­den sol­len. Er­for­der­li­che Um­set­zungs­ak­te führ­ten nur da­zu, dass Rechts­schutz­su­chen­de in An­wen­dung des Sub­si­dia­ritätsprin­zips un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen auf ei­ne an­de­re Kla­ge­art ver­wie­sen wer­den müss­ten, das be­reits be­gründe­te Rechts­verhält­nis aber nicht in We­ge­fall ge­ra­te. Die Kläger hätten ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se an der Fest­stel­lung, weil da­von die Höhe der zu er­brin­gen­den Lohn­leis­tun­gen und da­von wei­te­re wirt­schaft­li­che Dis­po­si­tio­nen ab­hin­gen. Die man­geln­de Voll­stre­ckungsfähig­keit des be­gehr­ten Fest­stel­lungs­aus­spruchs ste­he der Zulässig­keit der Kla­gen nicht ent­ge­gen, es sei zu er­war­ten, dass die an­ge­streb­te und mit der Zu­las­sung ent­spre­chen­der Rechts­mit­tel auch mögli­che ober­ge­richt­li­che Prüfung zu ei­ner Klärung führen wer­de, der die Be­klag­te Fol­ge leis­ten wer­de. Die Kla­gen sei­en auch nicht sub­si­diär. Die Rechts­ver­ord­nung ver­pflich­te un­mit­tel­bar zur Zah­lung des höhe­ren Min­dest­lohns. Ei­ne ver­wal­tungs­ge­richt­li­che Ge­stal­tungs- oder Leis­tungs­kla­ge sei da­ge­gen nicht möglich. Ge­gen Maßnah­men der mit der Ausführung des Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­set­zes be­auf­trag­ten Zoll­ver­wal­tung sei der Rechts­weg zu den Fi­nanz­ge­rich­ten eröff­net. Auf Ord­nungs­wid­rig­kei­ten­ver­fah­ren und de­ren ge­richt­li­che Über­prüfung müsse sich nie­mand ver­wei­sen las­sen. Die Über­prüfungsmöglich­keit der Ver­ord­nung in Ver­fah­ren ei­nes an­de­ren Ge­richts­zwei­ges auf­zu­wer­fen, hin­de­re die Fest­stel­lungs­kla­ge vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt nicht; ei­nen Sub­si­dia­ritäts­grund­satz, wie er un­ge­schrie­ben im Verhält­nis von Ver­fas­sungs- und Fach­ge­richts­bar­keit be­ste­he, ge­be es zwi­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit und an­de­ren Fach­ge­richts­bar­kei­ten nicht. Im Übri­gen sei durch das ver­fas­sungs­recht­li­che Ge­bot ei­nes ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes ge­for­dert, das strei­ti­ge Rechts­verhält­nis in

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an­ge­mes­se­ner Zeit zu klären. Die Fest­stel­lungs­kla­ge sei dafür der rich­ti­ge Weg, nach­dem bei un­ter­ge­setz­li­chen Rechts­ak­ten ei­ne un­mit­tel­ba­re Ver­fas­sungs­be­schwer­de nicht mehr zulässig sei. Ei­ne Ver­let­zung der Kläger in dem Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit und zusätz­lich der Kläge­rin­nen in ih­rer Be­rufs­frei­heit lie­ge vor, weil die Rechts­ver­ord­nung den Rah­men der ge­setz­li­chen Ermäch­ti­gung in § 1 Abs. 3 a AEntG ver­las­se, in­dem sie den Min­dest­lohn nicht nur für nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber („Außen­sei­ter“) re­ge­le, son­dern durch die stren­ge Bin­dung an den Ta­rif­ver­trag vom 29. No­vem­ber 2007 zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V. und der Ge­werk­schaft ver.di auch an­der­wei­ti­ge ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen ei­nes güns­ti­ge­ren Min­dest­lohns ver­dränge. Die ge­setz­li­che Ermäch­ti­gung könne ver­fas­sungs­kon­form nur da­hin aus­ge­legt wer­den, dass nur ta­rif­lich kei­ner Ko­ali­ti­on an­gehöri­ge Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer aus der für ver­bind­lich erklärten Ta­rif­re­ge­lung be­rech­tigt bzw. ver­pflich­tet würden; ein an­de­res Verständ­nis führ­te da­zu, dass die Ta­rif­au­to­no­mie und ei­ne in de­ren Wahr­neh­mung be­ab­sich­tig­te Bin­dung ent­wer­tet und ein Druck zum Nicht­ein­tritt oder Ver­las­sen kon­kur­rie­ren­der Ko­ali­tio­nen auf­ge­baut würde. In der rechts­wid­ri­gen Bin­dung an ei­nen Min­dest­lohn lie­ge zu­gleich ein un­zulässi­ger Ein­griff in der Be­rufs­ausübung der Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. in Ge­stalt der un­ter­neh­me­ri­schen Ver­trags­frei­heit beim Ab­schluss von Ar­beits­verträgen hin­sicht­lich der Lohn­ab­re­de.

Ge­gen das Ur­teil wen­det sich die Be­klag­te mit der vom Ver­wal­tungs­ge­richt zu­ge­las­se­nen Be­ru­fung, die sie frist­ge­recht be­gründet hat. Ih­rer An­sicht nach sind die Kla­gen be­reits un­zulässig, je­den­falls aber un­be­gründet. Zur Un­zulässig­keit der Kla­ge führt sie im Ein­zel­nen aus: Die Be­zie­hung zwi­schen Norm­ge­ber und Nor­madres­sa­ten be­gründe kein fest­stel­lungsfähi­ges Rechts­verhält­nis. Der Kläger zu 2. sei noch nicht ein­mal Nor­madres­sat der Ver­ord­nung. Die Ver­ord­nung be­gründe zwar für die Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. un­mit­tel­bar Pflich­ten, aber nicht für die Be­klag­te. Es feh­le an ei­nem kon­kre­ten Rechts­verhält­nis; die Fra­ge nach dem Be­stand der Norm sei abs­trakt. Mit ei­ner ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Kla­ge sei kein durch­grei­fen­der Ef­fi­zi­enz­ge­winn ver­bun­den, weil die ver­wal­tungs­ge­richt­li­che Ent­schei­dung kei­ne Vor­greif­lich­keit be­sit­ze und In­zi­dent­prüfun­gen in kon­kre­ten Streitfällen nicht aus­sch­ließe. Die Ef­fek­ti­vität des Rechts­schut­zes wer­de auch bei In­zi­dent­prüfun­gen im Rah­men von Ver­fah­ren an­de­rer Ge­richts­bar­kei­ten ge­wahrt. Der Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zur Zulässig­keit der Rechts­kon­trol­le un­ter­ge­setz­li­cher

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Rechts­nor­men im We­ge ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge könne für den vor­lie­gen­den Fall nichts ent­nom­men wer­den, weil sie die Kon­stel­la­ti­on ei­ner ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Rechts­schutzlücke be­tref­fe, die auf­tre­te, wenn die In­zi­dent­prüfung der An­spruchs­norm im Rah­men ei­nes Ver­pflich­tungs­be­geh­rens die Un­wirk­sam­keit we­gen ei­nes Gleich­heits­ver­s­toßes er­ge­be und ein An­spruch des­halb nicht zu­er­kannt wer­den könne (Nor­mer­lass­kon­stel­la­ti­on). Das Ver­wal­tungs­ge­richt ha­be zu Un­recht das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se be­jaht, denn auch ei­ne statt­ge­ben­de Ent­schei­dung blei­be der Be­klag­ten ge­genüber (rechts-)fol­gen­los. Un­zulässig ver­engt wer­de auch der Sub­si­dia­ritäts­grund­satz, die­ser müsse nicht nur in­ner­halb des be­schrit­te­nen Rechts­we­ges, son­dern rechts­wegüberg­rei­fend ge­prüft wer­den, so dass auch die Möglich­keit ei­ner vor­beu­gen­den Un­ter­las­sungs­kla­ge ge­gen die Zoll­behörden die vor­lie­gen­de Fest­stel­lungs­kla­ge aus­sch­ließe. In der Sa­che müsse die Kla­ge ab­ge­wie­sen wer­den: Die Rechts­ver­ord­nung sei rechtmäßig. Ins­be­son­de­re sei sie von der Ermäch­ti­gung im Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­setz ge­deckt. Die dar­in ver­wen­de­te For­mu­lie­rung, dass be­stimmt wer­den könne, dass die Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­tra­ges auf „nicht ta­rif­ge­bun­de­ne“ Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer An­wen­dung fin­den, sei auch bei ei­nem wei­ten Verständ­nis, nach dem auch an­der­weit ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer von der Rechts­ver­ord­nung er­fasst wer­den dürfen, ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die­ses - dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz ent­spre­chen­de - Verständ­nis ha­be die Be­klag­te bis­her al­len Min­dest­lohn­ver­ord­nun­gen zu­grun­de ge­legt. Die um­fas­sen­de Bin­dung wer­de auch im ar­beits­recht­li­chen Schrift­tum und in der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Kon­kur­renz ei­nes ungüns­ti­ge­ren Ta­rif­ver­tra­ges mit ei­nem auf der Grund­la­ge des Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­set­zes für all­ge­mein an­wend­bar erklärten Ta­rif­ver­trag an­ge­nom­men. Da­mit et­wa ein­her­ge­hen­de Ein­grif­fe in die Ko­ali­ti­ons­frei­heit und die Be­rufs­ausübungs­frei­heit sei­en je­den­falls ge­recht­fer­tigt. Die Ver­ord­nung die­ne dem Schutz der Ar­beit­neh­mer vor Ar­beits­lo­sig­keit durch Si­che­rung ei­nes fai­ren Wett­be­werbs auf dem sich durch die Auf­he­bung des Mo­no­pols für Stan­dard­brief­sen­dun­gen bis 50 g zum 1. Ja­nu­ar 2008 öff­nen­den Brief­dienst­leis­tungs­sek­tor so­wie der Si­cher­stel­lung ei­nes zu­verlässi­gen Brief­ver­kehrs durch an­ge­mes­se­ne Ent­loh­nung. Da­mit würden im Rah­men der Verhält­nismäßig­keit le­gi­ti­me und wich­ti­ge Ge­mein­wohl­be­lan­ge ver­folgt, die auch ei­ne Ver­drängung von Lohn­ab­re­den un­ter­halb des mit der Ver­ord­nung all­ge­mein vor­ge­schrie­be­nen Min­dest­lohns recht­fer­tig­ten. In­ner­halb des für den Norm­ge­ber eröff­ne­ten

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Ge­stal­tungs­spiel­raums und der ihm in Be­zug auf die ver­folg­ten Zie­le zu­kom­men­den Einschätzungs­präro­ga­ti­ve ha­be der Ver­ord­nungs­ge­ber auch an­ge­sichts von – im Fal­le der mit der aus Sicht der Be­klag­ten und nach Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts Köln in des­sen nicht rechts­kräfti­gen Be­schluss vom 30. Ok­to­ber 2008 nicht ta­riffähi­gen GN­BZ nicht wirk­sam ge­trof­fe­nen – Min­dest­lohn­ab­re­den an­de­rer Ko­ali­tio­nen die­je­ni­ge ihm zur All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung an­ge­dien­te Ta­rif­ei­ni­gung zum Ge­gen­stand der Ver­ord­nung ma­chen dürfen, die nach sei­ner po­li­ti­schen Einschätzung den von ihm ver­folg­ten Zie­len am Bes­ten Rech­nung tra­ge. Ei­ne Ver­let­zung ge­mein­schafts­recht­li­cher Grund­frei­hei­ten sei durch die Fest­schrei­bung ei­nes Min­dest­lohns für al­le Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer sei­tens ei­nes Mit­glieds­staats, die in­ner­halb die­ses Staats Leis­tun­gen der be­tref­fen­den Bran­che er­brin­gen woll­ten, nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs nicht ge­ge­ben. Die von ihr befürwor­te­te Aus­le­gung der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge sei ge­mein­schafts­recht­lich ge­ra­de­zu ge­bo­ten, weil es ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung der Ar­beit­ge­ber mit Sitz in an­de­ren EU-Mit­glied­staa­ten dar­stel­le, wenn inländi­sche Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit hätten, den Min­dest­lohn durch Haus- oder Fir­men­ta­rif­verträge zu un­ter­lau­fen, für ausländi­sche Ar­beit­ge­ber die­se Möglich­keit aber zu­min­dest fak­tisch nicht eröff­net sei.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin vom 7. März 2008 zu än- dern und die Kla­gen ab­zu­wei­sen.

Die Kläger be­an­tra­gen,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Kläger ver­tei­di­gen das an­ge­foch­te­ne Ur­teil um­fas­send. Sie wei­sen dar­auf hin, dass aus­sch­ließlich Rechts­fra­gen strei­tig sei­en und die An­ru­fung der zwei­ten Tat­sa­chen­in­stanz statt der zu­ge­las­se­nen Sprung­re­vi­si­on al­lein der Ziel­set­zung die­ne, die Kläger durch die Bin­dung an den Min­dest­lohn wirt­schaft­lich zu be­las­ten und ge­genüber den Un­ter­neh­men der im Teil­ei­gen­tum des Bun­des ste­hen­den Post AG im Wett­be­werb zu be­nach­tei­li­gen. Sie be­to­nen, dass die vor­lie­gen­de Fest­stel­lungs­kla­ge für sie der ein­zi­ge Weg sei, wie sie ef­fek­ti­ven Rechts­schutz ge­gen die aus ih­rer Sicht

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mit der nur zu dem Zweck ei­ner Be­nach­tei­li­gung der mit der Post AG kon­kur­rie­ren­den Brief­zu­stell­un­ter­neh­men be­wirk­te ho­heit­li­che Bin­dung an den frag­li­chen Ta­rif­ver­trag in an­ge­mes­se­ner Frist er­hal­ten könn­ten; ei­ne In­zi­dent­prüfung im Rah­men von Lohn­strei­tig­kei­ten führ­te zu ei­ner flächen­de­cken­den Be­fas­sung der Ar­beits­ge­rich­te, die im Übri­gen – so­weit sie von Ar­beit­neh­mern an­ge­ru­fen wor­den sei­en – die Ver­fah­ren im Hin­blick auf den vor­lie­gen­den Rechts­streit aus­ge­setzt hätten bzw. nicht be­trie­ben. Die of­fen­sicht­li­che Klärungs­bedürf­tig­keit ste­he ei­ner Ver­wei­sung auf den Weg in­zi­den­ter Prüfun­gen ent­ge­gen. Das vom Ver­wal­tungs­ge­richt an­ge­nom­me­ne Rechts­verhält­nis zwi­schen Nor­madres­sa­ten und Norm­ge­ber sei bei un­mit­tel­bar wir­ken­dem Ver­ord­nungs­recht je­den­falls als Aus­nah­me­kon­stel­la­ti­on in der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts an­er­kannt. Ei­ne Sub­si­dia­rität der Fest­stel­lungs­kla­gen sei man­gels ei­ner glei­cher­maßen um­fas­send zur Klärung der Bin­dung an die Ver­ord­nung führen­den vor­ran­gi­gen Kla­ge­art in gleich wel­chem Rechts­weg und da­mit auch der feh­len­den Um­ge­hungs­ge­fahr bezüglich wei­ter ge­hen­der Sa­chur­teils­vor­aus­set­zun­gen nicht ge­ge­ben. An die Be­ja­hung des Ver­wal­tungs­rechts­we­ges sei das Be­ru­fungs­ge­richt oh­ne­hin ge­bun­den. In der Sa­che müsse das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Be­stand ha­ben. Der mit der Rechts­ver­ord­nung für ver­bind­lich erklärte Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag sei ein „Phan­tom­ver­trag“, der im We­sent­li­chen zu Las­ten Drit­ter wir­ke. Bei der Post AG hätte der dar­in fest­ge­leg­te Min­dest­lohn nur für ma­xi­mal 4.500 von ins­ge­samt mehr als 170.000 Beschäftig­ten Be­deu­tung; die übri­gen Beschäftig­ten würden auf­grund gel­ten­der Haus­ta­rif­verträge weit höher (bei Zu­stel­lern im Durch­schnitt 11.36 Eu­ro/Std., teils bis zu 17 Eu­ro/Std.) be­zahlt. Der Ta­rif­ver­trag wir­ke sich bei den Post­kon­kur­ren­ten je­doch auf et­wa 46.000 Beschäftig­te begüns­ti­gend aus. Lohn­vor­tei­le ge­genüber der Post AG sei­en je­doch die we­sent­li­che Grund­la­ge dafür, um über­haupt ei­ne Wett­be­werbs­po­si­ti­on ge­genüber der markt­be­herr­schen­den Stel­lung der Post AG auf- und aus­bau­en zu können. Der Min­dest­lohn be­wir­ke in­so­weit ei­ne Stei­ge­rung der bis­he­ri­gen Lohn­kos­ten um mehr als ein Fünf­tel, was für in der Bran­che täti­ge Un­ter­neh­men je nach Größe er­drücken­de bzw. stark be­las­ten­de Aus­wir­kun­gen ha­be. Die un­ver­zicht­ba­re Zu­sam­men­ar­beit mit Klein­un­ter­neh­men zum Auf­bau ei­nes flächen­de­cken­den Zu­stell­net­zes wer­de auch für die größeren Un­ter­neh­men und Un­ter­neh­mens­verbände gefähr­det. Sie müss­ten zum Teil auf Dienst­leis­tun­gen der Deut­schen Post AG zurück­grei­fen, um die den Kun­den zu­ge­sag­ten Dienst­leis­tun­gen um­fas­send er­brin­gen zu können. Die markt­be­herr­schen­de Stel­lung im Brief­zu­stell­sek­tor wer­de da­mit zu­guns­ten des bis­he­ri­gen Mo­no­po­lis­ten länger­fris­tig

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fest­ge­schrie­ben, was mit dem Ziel ei­ner Marktöff­nung nicht ver­ein­bar sei und letzt­lich ei­ne un­zulässi­ge Sub­ven­tio­nie­rung ei­nes der Kon­kur­ren­ten im Wett­be­werb dar­stel­le. Der Kläger zu 2. sieht sich durch den Er­lass der Ver­ord­nung in sei­ner Betäti­gungs­frei­heit aus Art. 9 Abs. 3 GG un­zulässig be­schränkt.

Die Bei­ge­la­de­ne hat sich in der zwei­ten Rechts­stu­fe nicht geäußert.

Die Be­klag­te hat zu den Fra­gen,

- dass der er­streck­te Min­dest­lohn in der Re­gel nicht zur Ver­drängung von Brief­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men (Li­zenz­neh­mern) auf dem deut­schen Brief­markt führe,
- dass mehr als die Hälf­te der be­trof­fe­nen Brief­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men (Li­zenz­neh­mer) auch nach dem 31. De­zem­ber 2007 noch ei­ne Ka­pi­tal­ren­di­te er­zie­len können,
- dass auf der Grund­la­ge der am 21. De­zem­ber 2007 verfügba­ren In­for­ma­tio­nen über die künf­ti­ge Markt­ent­wick­lung nicht zu er­war­ten ge­we­sen sei, dass die Min­dest­loh­ner­stre­ckung den Markt für pri­va­te Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men (Li­zenz­neh­mer) ver­sch­ließen wer­de,
- dass Un­ter­neh­men, die über­wie­gend ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördern, so­wie die von ih­nen an­ge­bo­te­nen Dienst­leis­tun­gen ei­nem an­de­ren sach­lich re­le­van­ten Markt zu­zu­ord­nen sei­en als Un­ter­neh­men und de­ren Dienst­leis­tun­gen, bei de­nen die Beförde­rung von Brief­sen­dun­gen für Drit­te nur un­ter­ge­ord­ne­ter Be­stand­teil ei­ner an­de­ren ge­werbs- oder geschäftsmäßigen Betäti­gung ist,
- dass von der Beförde­rung von Brief­sen­dun­gen für Drit­te von Un­ter­neh­men, die die­se nur als un­ter­ge­ord­ne­ten Be­stand­teil ei­ner an­de­ren ge­werbsmäßigen Beschäfti­gung er­brin­gen, kein spürba­rer Wett­be­werbs- und Kon­kur­renz­druck für Un­ter­neh­men aus­geht, die über­wie­gen ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördern,

Hilfs­be­weis­anträge ge­stellt, die der Se­nat als An­la­ge zur Sit­zungs­nie­der­schrift ge­nom­men hat; hier­auf wird Be­zug ge­nom­men. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach­ver­halts und des Vor­brin­gens der Be­tei­lig­ten wird ne­ben der Ge­richts­ak­te (9

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Bände nebst Beistücken) auf die Ver­wal­tungs­vorgänge der Be­klag­ten (6 Bände Ver­ord­nungs­vor­gang) Be­zug ge­nom­men, die vor­ge­le­gen ha­ben und Ge­gen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung ge­we­sen sind.


Ent­schei­dungs­gründe


Die zulässi­ge Be­ru­fung der Be­klag­ten ist teil­wei­se be­gründet.

I.

Die Be­ru­fung ist be­gründet, so­weit das Ver­wal­tungs­ge­richt den Kla­gen der Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. ent­spro­chen hat. Die­se Kla­gen hat das Ver­wal­tungs­ge­richt zu Un­recht als zulässig an­ge­se­hen und in der Sa­che ent­schie­den, denn die Sa­chur­teils­vor­aus­set­zun­gen der Fest­stel­lungs­kla­ge gemäß § 43 Vw­GO sind in­so­weit nicht erfüllt.

Zwar wer­den die Kläge­rin­nen zu 1., 3. und 4. durch § 1 Satz 1 der Ver­ord­nung über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen vom 28. De­zem­ber 2007 (Bun­des­an­zei­ger Nr. 242, S. 8410) – im Fol­gen­den: Brie­fArbbV -) un­mit­tel­bar ver­pflich­tet, ih­ren Ar­beit­neh­mern ei­nen Min­dest­lohn auf der Grund­la­ge des zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V. und der Ge­werk­schaft ver.di ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 über Min­destlöhne für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen zu gewähren. Ihr Kla­ge­be­geh­ren zielt aber auf die Fest­stel­lung ge­genüber der Be­klag­ten als exe­ku­ti­vem Norm­ge­ber, dass die Brie­fArbbV ei­ne sol­che Ver­pflich­tung nicht zu be­gründen ver­mag, weil sie sie in ih­ren Grund­rech­ten aus Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG ver­let­zen und des­halb nich­tig sein soll. Die Kläge­rin­nen sind der Auf­fas­sung, dass die Ver­ord­nung un­mit­tel­bar die Ent­gelt­ver­ein­ba­rung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer reg­le und dies­bezüglich kei­nes Voll­zu­ges durch die Be­klag­te bedürfe; behörd­li­che Be­fug­nis­se sei­en nur für den Fall be­gründet, dass der Min­dest­lohn nicht ge­zahlt wer­de.

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Die dar­ge­stell­te Be­zie­hung zwi­schen den Kläge­rin­nen und der Be­klag­ten be­gründet je­doch kein kon­kre­tes Rechts­verhält­nis im Sin­ne des § 43 Abs. 1 Vw­GO zu der Be­klag­ten. Dar­un­ter ist nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts die sich aus ei­nem kon­kre­ten Sach­ver­halt auf Grund ei­ner öffent­lich-recht­li­chen Norm er­ge­ben­den recht­li­chen Be­zie­hun­gen für das Verhält­nis von (natürli­chen oder ju­ris­ti­schen) Per­so­nen un­ter­ein­an­der oder zu ei­ner Sa­che zu ver­ste­hen (vgl. et­wa BVerwG, Ur­teil vom 23. Au­gust 2007 – 7 C 13.06 – NVwZ 2007, 1311, Rn. 21; Ur­tei­le vom 23. Ja­nu­ar 1992 - BVerwG 3 C 50.89 - BVerw­GE 89, 327 <329> und vom 26. Ja­nu­ar 1996 - BVerwG 8 C 19.94 - BVerw­GE 100, 262 <264>). Als Be­zugs­per­so­nen kom­men da­bei in Be­tracht der Norm­ge­ber, der Nor­madres­sat und (als Voll­zugs­behörde) der Nor­m­an­wen­der. Da zum ei­nen nach Art. 30 GG die Ausübung der staat­li­chen Be­fug­nis­se und die Erfüllung der staat­li­chen Auf­ga­ben grundsätz­lich Sa­che der Länder ist, und zum an­de­ren Art. 83 GG eben­so grundsätz­lich be­stimmt, dass die Länder Bun­des­ge­set­ze als ei­ge­ne An­ge­le­gen­hei­ten ausführen, d.h. sie ver­wal­tungsmäßig um­set­zen (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 15. März 1960 - 2 BvG 1/57 - BVerfGE 11, 6 <15>), eröff­net sich im Re­gel­fall nur ein Rechts­verhält­nis zwi­schen Nor­madres­sa­ten und Nor­m­an­wen­der. Da­ge­gen be­steht im Re­gel­fall kein Rechts­verhält­nis zwi­schen Nor­madres­sat und Norm­ge­ber, da letz­te­rer an der Um­set­zung der Norm ge­genüber dem Adres­sa­ten nicht be­tei­ligt ist (BVerwG, Ur­teil vom 23. Au­gust 2007 a.a.O, Rn. 22). § 1 Brie­fArbbV wirkt in­so­weit auf be­reits be­ste­hen­de Rechts­verhält­nis­se zwi­schen den Adres­sa­ten der Norm, Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer, ein und ge­stal­tet die­se hin­sicht­lich der Ent­gel­tab­re­de um, so­weit ein nied­ri­ge­rer Lohn als der in dem er­streck­ten Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag vom 29. No­vem­ber 2007 ver­ein­bart ist. Dar­an knüpfen die im Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz ent­hal­te­nen Be­fug­nis­nor­men die Ent­ste­hung wei­te­rer Rechts­be­zie­hun­gen an, et­wa Kon­troll­be­fug­nis­se der für die Bekämp­fung der Schwarz­ar­beit zuständi­gen Zoll­behörden der Be­klag­ten, de­ren Maßnah­men al­ler­dings ei­ner Über­prüfung im Rechts­weg zu den Fi­nanz­ge­rich­ten un­ter­lie­gen, und die Be­fug­nis zur Ver­fol­gung von Ord­nungs­wid­rig­kei­ten nach dem Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz, de­ren Über­prüfung den Amts­ge­rich­ten im Bußgeld­ver­fah­ren ob­liegt. Die­se – se­kundären und hier in­fol­ge Aus­set­zung der Kon­troll­be­fug­nis­se auf­grund ei­ner Wei­sung der Bun­des­fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums auch noch nicht kon­kre­ti­sier­ten – Rechts­verhält­nis­se ste­hen hier je­doch nicht in­mit­ten; sie können im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren – wie noch dar­zu­le­gen sein wird – auch nicht den Rah­men

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für ei­ne Über­prüfung der Bin­dung der Kläge­rin­nen an die Brie­fArbbV ab­ge­ben. Die Kläge­rin­nen stre­ben viel­mehr ei­ne un­mit­tel­ba­re Klärung an, ob die von Ih­nen be­gründe­ten Ar­beits­verhält­nis­se in dem dar­ge­stell­ten Sinn verändert wor­den sind, als sie ver­pflich­tet sein sol­len, ih­ren Ar­beit­neh­mern den Min­dest­lohn zu zah­len.

Die Be­zie­hung zum Norm­ge­ber, al­so der Be­klag­ten als tra­gen­der Körper­schaft der die Ver­ord­nung er­las­sen­den Behörde, weicht in der hier ge­ge­be­nen Kon­stel­la­ti­on vom Re­gel­fall der klas­si­schen Un­ter­wer­fungs­be­zie­hung des Nor­madres­sa­ten zum Norm­ge­ber nicht ab. Die un­mit­tel­ba­re Ge­stal­tung von Rechts­be­zie­hun­gen ver­schie­de­ner Nor­madres­sa­ten, ei­ner­seits des be­las­te­ten Ar­beit­ge­bers und an­de­rer­seits des begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mers, kenn­zeich­net ei­ne sol­che Ab­wei­chung nicht; ver­wal­tungs­recht­lich „self-exe­cu­ting“ ist ei­ne Ver­ord­nung nur dann, wenn sie die Rechts­be­zie­hung des Nor­madres­sa­ten zur nor­mer­las­sen­den oder sonst zur Ausführung be­ru­fe­nen öffent­lich-recht­li­chen Körper­schaft un­mit­tel­bar rechts­er­heb­lich ge­stal­tet. Dar­an fehlt es hier. Die Rechts­be­zie­hung zu der Be­klag­ten erschöpft sich dar­in, dass die­se als Ver­ord­nungs­ge­ber im Rah­men der ge­setz­li­chen Ermäch­ti­gung tätig wer­den kann und die­se Norm­set­zung für die Kläge­rin kraft Ho­heits­recht Pflich­ten be­gründet; die­se Pflich­ten be­ste­hen je­doch nicht ge­genüber der Be­klag­ten, son­dern ge­genüber ih­ren Ar­beit­neh­mern und set­zen in­so­weit die Be­gründung ei­nes der Re­ge­lung un­ter­fal­len­den Ar­beits­verhält­nis­ses vor­aus. Die Be­zie­hung zu der Be­klag­ten erschöpft sich in der all­ge­mei­nen Un­ter­wer­fung un­ter das Recht. Ei­ne Ausführung öffent­lich-recht­li­cher Be­fug­nis­nor­men knüpft in der vor­lie­gen­den Kon­stel­la­ti­on erst an die zwi­schen pri­vat­recht­lich agie­ren­den Adres­sa­ten be­wirk­te Auslösung von Rechts­fol­gen an.

Die mit Blick auf man­geln­de Er­heb­lich­keit für das Ent­schei­dungs­er­geb­nis in der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung of­fen ge­las­se­ne Fra­ge nach der Zulässig­keit ei­ner auf abs­trak­te Klärung der Bin­dung ei­nes Ar­beit­ge­bers an ei­ne Min­dest­lohn­ver­ord­nung im We­ge der Fest­stel­lungs­kla­ge nach § 43 Vw­GO (da­zu OVG Ber­lin, Ur­teil vom 10. März 2004 – OVG 1 B 2.02 – Ar­buR 2004, 351, auch veröffent­licht in ju­ris) be­ant­wor­tet der er­ken­nen­de Se­nat nun­mehr da­hin, dass der Ar­beit­ge­ber die­sen Weg man­gels ei­nes kon­kre­ten Rechts­verhält­nis­ses im Sin­ne der Vor­schrift zum Norm­ge­ber nicht be­schrei­ten kann, son­dern dar­auf an­ge­wie­sen ist, das Be­ste­hen ei­ner Ver­pflich­tung zur Zah­lung des Min­dest­lohns in­ner­halb des kon­kre­ten Ar­beits­verhält­nis­ses vor dem für

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bürger­li­che Rechts­strei­tig­kei­ten zwi­schen Ar­beit­neh­mern und Ar­beit­ge­bern aus dem Ar­beits­verhält­nis zuständi­gen Ar­beits­ge­rich­ten (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG) in­zi­dent als Vor­fra­ge für das Be­ste­hen oder Nicht­be­ste­hen des kon­kre­ten Lohn­an­spruchs klären zu las­sen.

Ab­ge­se­hen da­von, dass die Zulässig­keit ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge in­so­weit der Kon­struk­ti­on ei­nes nur aus­nahms­wei­se an­zu­er­ken­nen­den Rechts­verhält­nis­ses zwi­schen Nor­madres­sa­ten und Norm­ge­ber bedürf­te - wenn et­wa das Recht des Be­trof­fe­nen auf Gleich­be­hand­lung den Er­lass oder die Ände­rung ei­ner Rechts­norm ge­bie­tet - (vgl. hier­zu BVerfG, Be­schluss vom 17. Ja­nu­ar 2006 - 1 BvR 541, 542/02 - BVerfGE 115, 81 <95 f. >; Ur­tei­le vom 4. Ju­li 2002 - BVerwG 2 C 13.01 - Buch­holz 240 § 49 BBesG Nr. 2 und vom 7. Sep­tem­ber 1989 - BVerwG 7 C 4.89 - Buch­holz 415.1 AllgKommR Nr. 93) -, liegt in der hier zu ent­schei­den­den Kon­stel­la­ti­on mit dem Ar­beits­verhält­nis ein um­fas­sen­des Rechts­verhält­nis zwi­schen den (pri­va­ten) Nor­madres­sa­ten vor, in­ner­halb des­sen die Fra­ge zwi­schen den un­mit­tel­bar be­trof­fe­nen Recht­sub­jek­ten ver­bind­lich ent­schie­den wer­den kann (vgl. zur Un­zulässig­keit iso­lier­ter Klärung öffent­lich-recht­li­cher Vor­fra­gen in Be­zug auf das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses: BVerwG, Ur­teil vom 12. Ju­ni 1992 – 7 C 5.92 – BVerw­GE 90, 220 <228>). In­so­fern über­schrei­tet die Kon­struk­ti­on ei­nes öffent­lich-recht­li­chen Rechts­verhält­nis­ses zum Norm­ge­ber den An­wen­dungs­be­reich des § 43 Vw­GO, des­sen Eröff­nung hier auch durch die ver­fas­sungs­recht­li­che Gewähr­leis­tung ei­nes ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht ge­bo­ten ist. Der Hin­weis der Vor­in­stanz und der Kläge­rin­nen auf die als Fol­ge die­ser recht­li­chen Be­ur­tei­lung eröff­ne­te Viel­zahl von Kla­gemöglich­kei­ten und die Be­fas­sung der ver­schie­de­nen ört­lich zuständi­gen Ar­beits­ge­rich­te recht­fer­tigt den Vor­rang ei­ner im Ver­wal­tungs­rechts­weg ver­folg­ten Fest­stel­lungs­kla­ge ge­gen den Bund als Norm­ge­ber eben­falls nicht. Bloße Erwägun­gen der Pro­zessöko­no­mie oder der höhe­ren Ef­fek­ti­vität ei­ner "zen­tra­len" Kla­ge rei­chen hierfür - wor­auf die Be­klag­te in der münd­li­chen Ver­hand­lung zu­tref­fend hin­ge­wie­sen hat - nicht aus (vgl. zur Ver­wei­sung auf Kla­gen ge­gen Voll­zugs­behörden bzw. die da­hin­ter ste­hen­den Ge­bietskörper­schaf­ten auch BVerwG, Ur­teil vom 23. Au­gust 2007, a.a.O., Rn 23). Auch das Ar­gu­ment, dass die Ar­beits­ge­rich­te be­reits anhängi­ge Kla­gen we­gen Lohn­ansprüchen von Ar­beit­neh­mern im Hin­blick auf das vor­lie­gen­de Ver­fah­ren aus­ge­setzt ha­ben sol­len, kann die Zulässig­keit ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge ge­gen den Norm­ge­ber vor den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten nicht r

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echt­fer­ti­gen. Ech­te Vor­greif­lich­keit im Sin­ne des § 148 ZPO liegt man­gels ei­nes kon­kre­ten Rechts­verhält­nis­ses, von dem die Ent­schei­dung abhängt, bei der abs­trak­ten Fra­ge, ob die Brie­fArbbV we­gen Ver­s­toßes ge­gen Rech­te der Kläger gültig ist, nicht vor (vgl. zu § 74 FGO be­reits BFH, Be­schluss vom 23. Ja­nu­ar 1974 – II B 68/73 - BFHE 111, 232); die Aus­set­zung ei­nes Pro­zes­ses um Lohn­ansprüche aus ei­nem Ar­beits­verhält­nis dürf­te sich we­gen § 9 Abs. 1 ArbGG oh­ne­hin ver­bie­ten. So­weit die Par­tei­en das Ver­fah­ren ein­ver­nehm­lich gemäß § 251 ZPO zum Ru­hen ge­bracht ha­ben, kann ei­ne sol­che Dis­po­si­ti­on nicht da­zu führen, dass sie die Zulässig­keit der Kla­ge in ei­nem Ver­fah­ren, des­sen Ver­lauf die Par­tei­en ab­war­ten woll­ten, be­ein­flusst und die­ses Ver­fah­ren womöglich im Hin­blick auf die­se Dis­po­si­ti­on als die ef­fek­ti­ve­re Rechts­schutzmöglich­keit an­zu­se­hen sein soll.

Im Hin­blick auf die dar­ge­stell­te Rechts­schutzmöglich­keit der Kläge­rin­nen fehlt ih­nen je­den­falls das be­rech­tig­te In­ter­es­se an der bal­di­gen Fest­stel­lung im Sin­ne des § 43 Abs. 1 2.Halb­satz Vw­GO.

Im Übri­gen – und oh­ne dass es ent­schei­dungs­er­heb­lich wäre - be­ein­flusst die Möglich­keit der Klärung in ei­nem ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ver­wal­tungs­ge­richts auch die Fra­ge der Sub­si­dia­rität der Fest­stel­lungs­kla­ge nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Vw­GO, denn die Vor­schrift ist ent­spre­chend ih­rem pro­zessöko­no­mi­schen Zweck, unnöti­ge Fest­stel­lungs­kla­gen zu ver­mei­den, rechts­wegüberg­rei­fend an­zu­wen­den (vgl. BVerwG, Ur­tei­le vom 18. Ok­to­ber 1985 - BVerwG 4 C 21.80 - 406.11 § 1 BBauG Nr. 28 S. 27, und vom 12. Ju­li 2000 - 7 C 3.00 – BVerw­GE 111, 306; Pietz­cker, in : Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietz­ner, Vw­GO, Lo­se­blatt­kom­men­tar, § 43, Rn. 53; Kopp/Schen­ke, Vw­GO, 15. Aufl., § 43, Rn. 26, So­dan, in: So­dan/Zie­kow, Vw­GO, 2. Aufl., § 43, Rn. 115; Happ, in: Ey­er­mann, Vw­GO, 12. Aufl.,§ 43, Rn. 41; von Al­be­dyll, in Ba­der, Vw­GO, 4. Aufl., § 43, Rn. 28; un­klar ein­schränkend von Ni­co­lai, in Re­de­ker/von Oert­zen, Vw­GO, 14. Aufl., § 43, Rn. 25. a.A. Ro­nel­len­fitsch, in Pietz­ner/Ro­nel­len­fitsch, As­ses­sor­ex­amen im öffent­li­chen Recht, 11. Aufl., § 18, S. 240 Rn. 15). Die Sub­si­dia­rität ei­ner im Ver­wal­tungs­rechts­weg ver­folg­ten Fest­stel­lungs­kla­ge würde des­halb auch dann Sperr­wir­kung ent­fal­ten, so­weit die Kläge­rin­nen Par­tei ei­ner ar­beits­ge­richt­li­chen Leis­tungs­kla­ge wären oder sein könn­ten.

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Ei­ne – von den Kläge­rin­nen auch nicht erklärte - Um­stel­lung der Kla­ge ge­gen dro­hen­de Voll­zugs­ak­te der zur Ein­hal­tung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen nach dem Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz be­ru­fe­nen Behörden im Sin­ne vor­beu­gen­den Rechts­schut­zes wäre eben­falls nicht zulässig. Nach § 2 Abs. 1 AEntG sind für die Prüfung der Ar­beits­be­din­gun­gen die Behörden der Zoll­ver­wal­tung zuständig, sie sind gemäß § 5 Abs. 4 AEntG auch im je­wei­li­gen Geschäfts­be­reich Ver­fol­gungs­behörde im Sin­ne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Ei­ne vor­beu­gen­de Un­ter­las­sungs­kla­ge müss­te al­ler­dings an die Kon­troll­be­fug­nis­se nach § 2 Abs. 2 AEntG i.V.m. den dort in Be­zug ge­nom­me­nen Be­stim­mun­gen des Schwarz­ar­beits­bekämp­fungs­ge­set­zes – Schwarz­ArbG - an­knüpfen. Da­mit würde je­doch erst­mals in der Be­ru­fungs­in­stanz ein an­de­rer Streit­ge­gen­stand ver­folgt, bei dem der bis­he­ri­ge Streitstoff le­dig­lich ei­ne Vor­fra­ge bil­de­te. Dar­in läge ei­ne Kla­geände­rung gemäß § 91 Vw­GO, die der Ein­wil­li­gung der Be­klag­ten bedürf­te, je­den­falls sach­dien­lich sein müss­te. Da für ei­ne sol­che Kla­ge je­doch der Fi­nanz­rechts­weg nach § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 23 Schwarz­ArbG be­schrit­ten wer­den müss­te, stell­te sich die geänder­te Kla­ge im Ver­wal­tungs­rechts­weg als un­zulässig dar. Denn für erst­mals in der Be­ru­fungs­in­stanz gel­tend ge­mach­te Be­geh­ren be­steht kei­ne Bin­dungs­wir­kung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG durch die erst­in­stanz­li­che Be­ja­hung des Rechts­we­ges. Ei­ne sol­che Kla­geände­rung wäre da­her je­den­falls nicht sach­dien­lich, weil sie zur Ver­wei­sung an das Ge­richt des zulässi­gen Rechts­we­ges führen müss­te (vgl. BVerwG, Ur­teil vom 15. März1984 - 2 C 24.83 - Buch­holz 310 § 88 Vw­GO Nr. 15; für die Rechts­la­ge nach In­kraft­tre­ten der §§ 17, 17 a GVG: BayVGH, Ur­teil vom 18. Ju­li 2001 – 8 B 00.1298 – BayVBl. 2002, 179 <182 f.>). Letzt­lich dürf­te al­ler­dings für ei­nen vor­beu­gen­den Rechts­schutz schon das Rechts­schutz­bedürf­nis feh­len, wenn die An­ga­be der Be­tei­lig­ten in der münd­li­chen Ver­hand­lung zu­tref­fen soll­te, dass die Zoll­behörden an­ge­wie­sen wor­den sei­en, die Ein­hal­tung der strei­ti­gen Ver­ord­nung bis zum Ab­schluss des vor­lie­gen­den Rechts­streits nicht zu voll­zie­hen.


II.

Die Be­ru­fung ist hin­ge­gen un­be­gründet, so­weit dem Kla­ge­an­trag des Klägers zu 2. ent­spro­chen wor­den ist. In­so­weit ist die Kla­ge zulässig (da­zu un­ter 1.) und hat das Ver­wal­tungs­ge­richt zu Recht fest­ge­stellt, dass der Kläger durch den Er­lass der

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Brie­fArbbV in sei­nen ver­fas­sungsmäßigen Rech­ten aus Art. 9 Abs. 3 des Grund­ge­set­zes ver­letzt ist (da­zu un­ter 2.).

1. Die Fest­stel­lungs­kla­ge des Klägers zu 2. ist gemäß § 43 Vw­GO zulässig. Zwar be­gründet die Brie­fArbbV für ihn an­ders als für die Kläge­rin­nen zu 1., 3.und 4. nicht un­mit­tel­bar Pflich­ten. Die Brie­fArbbV be­trifft ihn aber in sei­nen sat­zungs­gemäßen Auf­ga­ben als Ar­beit­ge­ber­ver­band, zu de­nen auch der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen gehört. Denn nach § 1 Brie­fArbVV fin­den die in der An­la­ge zu die­ser Ver­ord­nung auf­geführ­ten Rechts­nor­men des zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V. und der Ver­ei­nig­ten Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 auf al­le nicht an ihn, d.h. die­sen Ta­rif­ver­trag, ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer An­wen­dung, die un­ter sei­nen Gel­tungs­be­reich fal­len. Das hat zur Fol­ge, dass dem Kläger zu 2. die Möglich­keit ge­nom­men wird, im Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges für sei­ne Mit­glie­der ab­wei­chen­de güns­ti­ge­re Ta­rif­verträge ab­zu­sch­ließen bzw. Ta­rif­verträge sol­cher Art in­fol­ge des Güns­tig­keits­prin­zips durch die für die Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­ren Ar­beits­be­din­gun­gen, die kraft Rechts­ver­ord­nung gel­ten, ver­drängt wer­den (vgl. zum Vor­rang sol­chen Ver­ord­nungs­rechts all­ge­mein et­wa Fran­zen, in Er­fur­ter Kom­men­tar zum Ar­beits­recht, 9. Aufl. § 1 TVG, Rn 13, 16; spe­zi­ell für bis­her vor­lie­gen­de Min­dest­lohn­ver­ord­nun­gen i.E.: Schlach­ter, in Er­fur­ter Kom­men­tar, a.a.O., § 1 AEntG, Rn. 15). Da­mit wird der Kläger zu 2. in sei­ner grund­recht­lich geschütz­ten Betäti­gungs­frei­heit als Ar­beit­ge­ber­ko­ali­ti­on ein­ge­schränkt. Das Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit aus Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch die Ko­ali­ti­on selbst in ih­ren Betäti­gun­gen, so­fern die­se der Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen die­nen (BVerfG, Be­schlüsse vom 11. Ju­li 2006 – 1 BvL 4/00 – BVerfGE 116, 202 <219> und vom 3. April 2001 – 1 BvL 32/97 – 103, 293 <304>, vom 27. April 1999 – 1 BvR 2203/93, 897/95 – BVerfGE 100, 271 <282> vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 <373 f.> und vom 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 <224>). Der Schutz er­streckt sich auf al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352 <358>) und um­fasst ins­be­son­de­re auch die Ta­rif­au­to­no­mie, die im Zen­trum der den Ko­ali­tio­nen ein­geräum­ten Möglich­kei­ten zur Ver­fol­gung ih­rer Zwe­cke steht. Das Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen ist ein we­sent­li­cher Zweck der Ko­ali­tio­nen (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - BVerfGE 94, 268 <283> m.w.N.). Der

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Staat enthält sich in die­sem Betäti­gungs­feld grundsätz­lich ei­ner Ein­fluss­nah­me (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 18. De­zem­ber 1974 - 1 BvR 430/65, 1 BvR 259/66 - BVerfGE 38, 281 <305 f.>) und überlässt die er­for­der­li­chen Re­ge­lun­gen der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen zum großen Teil den Ko­ali­tio­nen, die sie au­to­nom durch Ver­ein­ba­run­gen tref­fen (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 - BVerfGE 44, 322 <340 f.>). Zu den der Re­ge­lungs­be­fug­nis der Ko­ali­tio­nen über­las­se­nen Ma­te­ri­en gehören ins­be­son­de­re das Ar­beits­ent­gelt und die an­de­ren ma­te­ri­el­len Ar­beits­be­din­gun­gen (vgl. BVerfG, Be­schlüsse vom 24. April 1996, a.a.O., S. 283, und vom 27. April 1999, a.a.O. S. 282). Für die Prüfung der Zulässig­keit der Fest­stel­lungs­kla­ge des Klägers zu 2. be­darf es da­bei kei­ner nähe­ren Un­ter­su­chung der Be­trof­fen­heit in die­ser grund­recht­lich geschütz­ten Po­si­ti­on. Er­for­der­lich, aber auch aus­rei­chend ist, dass dem Kläger mit der be­schrie­be­nen Grund­rechts­po­si­ti­on ein sub­jek­ti­ves öffent­li­ches Recht zu Sei­te steht, das durch den Er­lass der Brie­fArbbV ver­letzt sein kann. Denn un­ter die­ser Vor­aus­set­zung ist die Fra­ge der Reich­wei­te der Rechts­po­si­ti­on eben­so wie die­je­ni­ge nach ih­rer Ver­let­zung ei­ne Fra­ge der Be­gründet­heit des pro­zes­sua­len An­spruchs. Je­den­falls lässt sich im vor­lie­gen­den Zu­sam­men­hang ei­ne Be­trof­fen­heit des Klägers zu 2. nicht mit der Ar­gu­men­ta­ti­on des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts in des­sen Be­schluss zur All­ge­mein­ver­bind­lich­keit von Ta­rif­verträgen (BVerfG, Be­schluss vom 24. Mai 1977, a.a.O.) aus­sch­ließen, nach der es hin­sicht­lich der im Gel­tungs­be­reich ei­nes all­ge­mein­ver­bind­lich erklärten Ta­rif­ver­tra­ges kon­kur­rie­ren­den Verbände mit Blick auf die recht­lich und fak­tisch be­ste­hen­de Möglich­keit zum Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges im glei­chen fach­li­chen Gel­tungs­be­reich – die in der Pra­xis oft­mals durch Öff­nungs- und Vor­rang­klau­seln in dem Ta­rif­ver­trag, des­sen All­ge­mein­ver­bind­lich­keit an­ge­strebt wird, zusätz­lich ge­si­chert wird – und das Feh­len ei­nes ge­ne­rel­len Vor­rangs des all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges an ei­nem Ein­griff in die kol­lek­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit fehlt. Denn die Brie­fArbbV zielt nach ih­rem Wort­laut und dem Verständ­nis der Be­klag­ten auf ei­nen un­be­ding­ten Vor­rang des Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 und es spricht – die Wirk­sam­keit des Ver­ord­nungs­rechts un­ter­stellt - viel dafür, dass ei­ne sol­che Wir­kung ar­beits­recht­lich auch er­reicht würde, weil die Rechts­ver­ord­nung der für den Ar­beit­neh­mer ungüns­ti­ge­ren Ta­rif­norm vor­ge­hen dürf­te. In­so­fern kann der Kläger zu 2. durch den Ab­schluss ei­nes kon­kur­rie­ren­den Min­dest­lohn­ta­rif­ver­tra­ges für sei­ne Mit­glie­der güns­ti­ge­re Rechts­fol­gen nicht mehr be­wir­ken.

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In die­ser Si­tua­ti­on, in der der Kläger zu 2. ei­ne Klärung der Rechtmäßig­keit der vor­ste­hend skiz­zier­ten Be­schränkung in der kol­lek­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit nur mit ei­ner un­mit­tel­bar ge­gen die Rechts­ver­ord­nung ge­rich­te­ten Ver­fas­sungs­be­schwer­de er­rei­chen könn­te (vgl. da­zu OVG Ber­lin, Ur­teil vom 10. März 2004 a.a.O., Rn. 30 a.E.), kann er mit Blick dar­auf, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bei ei­ner Rechts­ver­let­zung durch die öffent­li­che Ge­walt den Rechts­weg zum zuständi­gen Fach­ge­richt eröff­net, und in Hin­blick auf die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - al­ler­dings für ei­ne an­de­re recht­li­che Kon­stel­la­ti­on - ent­wi­ckel­te Sub­si­dia­rität der Ver­fas­sungs­be­schwer­de (vgl. nur Be­schluss vom 17. Ja­nu­ar 2006 – 1 BvR 541/02 u.542/02 – BVerfGE 115, 81) auf ei­ne An­ru­fung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts oh­ne vor­he­ri­ge Ausschöpfung des Rechts­we­ges nicht ver­wie­sen wer­den. Viel­mehr kann er ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge un­mit­tel­bar ge­gen die Be­klag­te rich­ten mit dem Ziel, dass er durch die Brie­fArbbV in sei­nem sub­jek­ti­ven Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG ver­letzt wird. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat in­so­weit zu­tref­fend und nach der Auf­fas­sung des Se­nats auch in Übe­rein­stim­mung mit der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts ent­schie­den (vgl. Ur­teil vom 23. Ju­li 2007 a.a.O., Rn. 23), dass auch hier ei­ne „Nor­mer­lass­kon­stel­la­ti­on“ vor­liegt, in der aus­nahms­wei­se ein kon­kre­tes Rechts­verhält­nis zwi­schen dem Kläger zu 2. und der Be­klag­ten als Norm­ge­ber zu be­ja­hen ist, weil der Er­lass der Rechts­ver­ord­nung un­mit­tel­bar zu ei­ner Be­schränkung der Betäti­gungs­frei­heit des Klägers zu 2. führt und er sonst kei­ne Möglich­keit hat, die Rechtmäßig­keit die­ser Be­schränkung durch das zuständi­ge Fach­ge­richt über­prüfen zu las­sen.

Der Kläger zu 2. kann auch nicht auf das ar­beits­ge­richt­li­che Be­schluss­ver­fah­ren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG ver­wie­sen wer­den. An­ders als bei der Bei­ge­la­de­nen wird sei­ne Ta­riffähig­keit oder –zuständig­keit nicht in Fra­ge ge­stellt; es ist auch frag­lich, ob in ei­nem sol­chen Ver­fah­ren die Zulässig­keit ei­ner Be­schränkung der Betäti­gung ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des im Be­reich der Fest­le­gung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen nach § 1 Abs. 3 a AEntG fest­ge­stellt wer­den könn­te. Das kann in­des auf sich be­ru­hen. Denn ein sol­ches, auf Fest­stel­lung der Ta­riffähig­keit oder der Ta­rif­zuständig­keit ge­rich­te­tes Be­schluss­ver­fah­ren würde ge­genüber der vor­lie­gen­den ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Fest­stel­lungs­kla­ge kei­ne rechts­wegüberg­rei­fen­den Sperr­wir­kung im Sin­ne des § 43 Abs. 2 Satz 1 Vw­GO ent­fal­ten, weil es sich da­bei nicht um ei­ne Ge­stal­tungs- oder Leis­tungs­kla­ge han­delt, wie sie für ei­ne Sperr­wir­kung nach die­ser Vor­schrift er­for­der­lich ist.

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2. Die Kla­ge des Klägers zu 2. ist auch be­gründet. Der Er­lass der Brie­fArbbV ver­letzt den Kläger zu 2. in sei­nem Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG. In­so­weit kann auf sich be­ru­hen, ob die Fest­le­gung ei­nes Min­dest­lohns für die Brief­dienst­leis­tungs­bran­che nicht grundsätz­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken un­ter­liegt, weil sie sich mögli­cher­wei­se in ih­rem Schwer­punkt als Ein­griff in den Wett­be­werb zwi­schen der Deut­schen Post AG und mit ihr in der Brief­dienst­leis­tungs­bran­che kon­kur­rie­ren­den In­lands­un­ter­neh­men han­delt, der an­ge­sichts der durch Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG ver­fas­sungs­recht­lich verbürg­ten Wett­be­werb­seröff­nung im Post­we­sen nicht durch hin­rei­chen­de Ge­mein­wohl­be­lan­ge auf­ge­wo­gen wird. Der Er­lass der Brie­fArbbV verstößt je­den­falls ge­gen den Ge­set­zes­vor­be­halt gemäß Art. 80 Abs. 1 GG, weil die Ermäch­ti­gung in § 1 Abs. 3a AEntG den Er­lass der kon­kre­ten Ver­ord­nung nicht deckt (a) und über­dies auch das nach die­ser Vor­schrift zu be­ach­ten­de Ver­fah­ren beim Er­lass ei­ner Rechts­ver­ord­nung zur Er­stre­ckung von Ta­rif­nor­men, die Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen fest­le­gen, nicht be­ach­tet wor­den ist (b).

a) Die Brie­fArbbV verstößt ge­gen den Ge­set­zes­vor­be­halt gemäß Art. 80 Abs. 1 GG, weil die – in der Ver­ord­nung zi­tier­te - ge­setz­li­che Ermäch­ti­gung in § 1 Abs. 3a Satz 1 des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes, der durch Art. 10 Nr. 1 Buch­sta­be d des sog. Kor­rek­tur­ge­set­zes vom 19. De­zem­ber 1998 (BGBl. I S. 3843) in die Ur­fas­sung die­ses Ge­set­zes vom 25. Fe­bru­ar 1996 (BGBl. I S. 227) ein­gefügt wor­den und zu­letzt durch Art. 1 Nr. 1 Buch­sta­be d des Ge­set­zes vom 25. April 2007 geändert wor­den ist, es nur zulässt zu be­stim­men, dass die Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nach Ab­satz 1 Satz 1 auf „al­le un­ter den Gel­tungs­be­reich die­ses Ta­rif­ver­tra­ges fal­len­den und nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer“ An­wen­dung fin­den. Da­mit steht nicht in Ein­klang, wenn nach § 1 Satz 1 Brie­fArbbV die Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 auf „al­le nicht an ihn ge­bun­de­nen“ Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer An­wen­dung fin­den sol­len, die un­ter sei­nen Gel­tungs­be­reich fal­len. Mit die­ser Aus­ge­stal­tung wer­den nämlich nicht nur nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer (Außen­sei­ter), son­dern auch Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer im Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 er­fasst, wenn sie ei­ner an­der­wei­ti­gen Ta­rif­bin­dung un­ter­lie­gen.

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Die ge­setz­li­che Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge in § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG lässt sich nicht zu­tref­fend da­hin aus­le­gen, dass „nicht ta­rif­ge­bun­den“ le­dig­lich die Bin­dung an den nämli­chen Ta­rif­ver­trag meint, wie die bei der All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung von Ta­rif­verträgen in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG) ver­wen­de­ten Be­griff­lich­kei­ten der „ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber“ und der „bis­her nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer“ all­ge­mein ver­stan­den wer­den. Ei­ne auf der Grund­la­ge von § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG er­las­se­ne Rechts­ver­ord­nung führt nämlich an­ders als ei­ne All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nach § 5 TVG, die als Rechts­akt sui ge­ne­ris ei­ne Ta­rif­bin­dung bis­her nicht oder an­der­weit ta­rif­ge­bun­de­ner Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer be­wirkt, da­zu, dass der Ta­rif­ver­trag nicht als „er­streck­te“ Ta­rif­norm, son­dern sei­ne nor­ma­ti­ven Re­ge­lun­gen un­mit­tel­bar kraft Rechts­ver­ord­nung gel­ten. Bei ei­ner Aus­le­gung der Ermäch­ti­gung in dem Sin­ne, wie sie der Be­klag­ten vor­schwebt, würde die Exe­ku­ti­ve zu ei­nem Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie ermäch­tigt, in­dem sie in die La­ge ver­setzt würde, an­der­wei­ti­ge Ta­rif­ver­ein­ba­run­gen und dar­aus re­sul­tie­ren­de Bin­dun­gen – na­ment­lich an sol­che Lohn­ab­re­den, die un­ter dem nach der Ver­ord­nung vor­ge­se­he­nen Min­dest­lohn lie­gen – kraft des Vor­rangs der staat­li­chen Ver­ord­nung außer Kraft zu set­zen. Ob ei­ne sol­che Ermäch­ti­gung, wie das Ver­wal­tungs­ge­richt mit re­spek­ta­blen Gründen meint, ei­ne un­zulässi­ge Ver­la­ge­rung ho­heit­li­cher Ge­walt aus dem Be­reich par­la­men­ta­ri­scher Ge­setz­ge­bung in den Be­reich exe­ku­ti­ver Rechts­set­zung dar­stellt, je­den­falls aber ge­stei­ger­te An­for­de­run­gen an die Be­stimmt­heit der ge­setz­li­chen Ermäch­ti­gung nach In­halt, Zweck und Aus­maß gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 GG stellt, de­nen die hier – bis auf das Er­for­der­nis ei­nes An­tra­ges auf All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung – vom Ge­setz­ge­ber ge­zielt vor­aus­set­zungs­los ge­hal­te­ne Vor­schrift des § 1 Abs. 3a AEntG schwer­lich genügen könn­te, mag da­hin­ste­hen. Der Um­stand al­lein, dass es bei dem im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren ver­tre­te­nen Be­griffs­verständ­nis der Be­klag­ten zu ei­nem Ein­griff in den Schutz­be­reich der kol­lek­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit kom­men kann, während die­se un­berührt bleibt, wenn das Merk­mal „nicht ta­rif­ge­bun­den“ streng am Wort­sinn haf­tend da­hin aus­ge­legt wird, dass es im Rah­men des § 1 Abs. 3a AEntG be­deu­tet „kei­ner, we­der bezüglich des nämli­chen noch ei­nes an­de­ren Ta­rif­ver­tra­ges, Bin­dung un­ter­lie­gend“, bestätigt vor dem Hin­ter­grund der Ent­ste­hung des Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­set­zes und der Be­gründung des sog. Kor­rek­tur­ge­set­zes die Rich­tig­keit die­ser letzt­ge­nann­ten Aus­le­gung.

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Ursprüng­lich, im Jah­re 1995, war das Ziel des AEntG, die An­wend­bar­keit in Deutsch­land zwin­gen­der Ar­beits­be­din­gun­gen im Be­reich der Bau­wirt­schaft auf grenzüber­schrei­ten­de Ent­sen­defälle zu er­rei­chen, um „ge­spal­te­ne Ar­beitsmärk­te“ und die dar­aus re­sul­tie­ren­den „so­zia­len Span­nun­gen“ zu ver­mei­den. Die Bun­des­re­gie­rung hat­te bei wett­be­werbs­re­le­van­ten Ar­beits­be­din­gun­gen wie Lohn und Ur­laub ei­nen Hand­lungs­be­darf im Be­reich der Bau­wirt­schaft in Übe­rein­stim­mung mit den So­zi­al­part­nern ge­se­hen (BT-Drs. 13, 2414, S.1, 6). Da­zu soll­ten be­stimm­te, von deut­schen Ar­beit­ge­bern zwin­gend ein­zu­hal­ten­de Ar­beits­be­din­gun­gen auf ausländi­sche Ar­beit­ge­ber und ih­re im In­land beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer er­streckt und ge­setz­lich für zwin­gend im Sin­ne des In­ter­na­tio­na­len Pri­vat­rechts (Art. 34 EGBGB) erklärt wer­den (vgl. BT-Drs. a.a.O., S. 1). Es soll­te das sog. Ar­beits­ort­prin­zip grei­fen. Mit der na­tio­na­len Re­ge­lung soll­te dem exis­tie­ren­den, bis da­hin am Wi­der­stand der Mit­glied­staa­ten mit Nied­rig­lohn­ni­veau ge­schei­ter­ten Ent­wurf ei­ner EG-Ent­sen­de­richt­li­nie aus dem Jah­re 1991 (Vor­schlag für ei­ne Richt­li­nie des Ra­tes über die Ent­sen­dung von Ar­beit­neh­mern im Rah­men der Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen, ABl. EG C Nr. 225 vom 30.8.1991, S. 6), mo­di­fi­ziert 1993 (ABl. EG C Nr. 187 v. 9.7.1993, S. 5) vor­ge­grif­fen wer­den, aus­ge­hend von ei­ner Kon­zep­ti­on, wo­nach fest­ge­schrie­ben wer­den soll­te, wel­che na­tio­na­len Ar­beits­be­din­gun­gen un­abhängig von der im Übri­gen auf das Ar­beits­verhält­nis an­zu­wen­den­den Rechts­ord­nung in den Mit­glieds­staa­ten zur An­wen­dung kom­men sol­len (BT-Drs. a.a.O., S. 6). Das Ge­setz knüpft an die All­ge­mein­ver­bind­lich­keit der ta­rif­ver­trag­li­chen Min­dest­lohn­nor­men an, um si­cher­zu­stel­len, dass ein ausländi­scher Ar­beit­ge­ber nur auch von den inländi­schen Ar­beit­ge­bern ver­bind­lich ein­zu­hal­ten­den Rechts­nor­men un­ter­wor­fen wird, und da­mit ei­ne ge­mein­schafts­recht­lich un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung ausländi­scher Ar­beit­ge­ber zu ver­mei­den (BT-Drs. a.a.O. S. 8). Im ursprüng­li­chen Ge­setz wa­ren in § 1 Abs. 1 Satz 3 und 4 Rechts­pflich­ten zur Gewährung der ta­rif­lich vor­ge­schrie­be­nen Ar­beits­be­din­gun­gen für Ar­beit­ge­ber mit Sitz im Aus­land wie im In­land fest­ge­schrie­ben, zu de­nen es in der Be­gründung heißt, sie würden „noch­mals“ aus­drück­lich als dem Ar­beit­ge­ber mit Sitz im Aus­land ob­lie­gen­de Rechts­pflich­ten for­mu­liert; für den inländi­schen Ar­beit­ge­ber stel­le Satz 4 le­dig­lich die sich aus § 5 TVG er­ge­ben­den Ver­pflich­tun­gen zur Gewährung der in all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­verträgen vor­ge­schrie­be­nen Ar­beits­be­din­gun­gen klar. Die­se Ge­bots­nor­men bil­de­ten den „rechts­tech­ni­schen An­knüpfungs­punkt für die in § 4 ent­hal­te­ne Bußgeld­be­weh­rung“ (BT-Drs. a.a.O. S. 9).

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Die Rechts­ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung in § 1 Abs. 3a AEntG ist so­dann durch das o.g. Kor­rek­tur­ge­setz ein­gefügt wor­den, des­sen Ziel­set­zung – et­wa durch die Ent­fris­tung des AEntG - auch die An­pas­sung an die am 16. De­zem­ber 1996 er­las­se­ne Richt­li­nie des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes über die Ent­sen­dung von Ar­beit­neh­mern im Rah­men der Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen (ABl. Nr. L 18 vom 21.1.1997, S. 1) war, nach de­ren Art. 3 Abs. 1 die Mit­glied­staa­ten dafür sor­gen, dass un­abhängig von dem auf das je­wei­li­ge Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­ren Recht die in Art. 1 Abs. 1 ge­nann­ten Un­ter­neh­men den in ihr Ho­heits­ge­biet ent­sand­ten Ar­beit­neh­mern bezüglich u.a. des be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub und der Min­dest­lohnsätze die­je­ni­gen Be­din­gun­gen ga­ran­tie­ren wer­den, die in dem Mit­glied­staat, in des­sen Ho­heits­ge­biet die Leis­tung er­bracht wird, durch Rechts- oder Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten und/oder durch für all­ge­mein ver­bind­lich erklärte Ta­rif­verträge oder Schiedssprüche fest­ge­legt sind, d.h. von al­len in den je­wei­li­gen geo­gra­phi­schen Be­reich fal­len­den oder die be­tref­fen­de Tätig­keit oder das be­tref­fend Ge­wer­be ausüben­den Un­ter­neh­men ein­zu­hal­ten sind (vgl. Art. 3 Abs. 8 Ri­Li). Dem Ge­setz­ge­ber ging es bei der Einführung des § 1 Abs. 3a AEntG dar­um, das In­stru­men­ta­ri­um zur Schaf­fung von ver­bind­li­chen Min­dest­lohn­re­ge­lun­gen in An­knüpfung an Ta­rif­verträge ge­genüber der bis­he­ri­gen All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung nach § 5 TVG zu er­wei­tern, wo­bei ins­be­son­de­re die Ab­kop­pe­lung der Er­stre­ckung des Ta­rif­ver­tra­ges von dem Ein­ver­neh­men des Ta­rif­aus­schus­ses nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG und den wei­te­ren in Nr. 1 und 2 ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen be­zweckt ge­we­sen sein dürf­te, von de­nen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 TVG nur ab­ge­se­hen wer­den konn­te, wenn die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung zur Be­he­bung ei­nes so­zia­len Not­stan­des er­for­der­lich er­schien. Die Ände­rung soll­te im In­ter­es­se ei­ner wirk­sa­men Durchführung des Ge­set­zes er­fol­gen (BT-Drs. 14/45, S. 17); of­fen­sicht­lich wur­de das Ver­fah­ren der All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung als zu schwerfällig und auch hin­der­lich für die Fest­le­gung von Min­dest­be­din­gun­gen im Sin­ne von § 1 Abs. 1 und 3 AEntG (Quo­rum, Ein­ver­neh­men und Ta­rif­aus­schuss) an­ge­se­hen. Den tatsächli­chen Hin­ter­grund bil­de­te, dass die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung des ers­ten Ta­rif­ver­tra­ges zum Min­dest­lohn im Bau im Sin­ne des AEntG zunächst am Wi­der­stand der Ar­beit­ge­ber­ver­tre­ter – von de­nen kei­ner der Bau­bran­che an­gehörte - im Ta­rif­aus­schuss ge­schei­tert war (vgl da­zu Ul­ber, AÜG, 2. Aufl. 2002, § 1 AEntG, Rn. 30, 56). In der Ge­set­zes­be­gründung wird jetzt be­tont, dass in der Rechts­ver­ord­nung auch nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet wer­den können, be­stimm­te ta­rif­ver­trag­li­che Ar­beits­be­din­gun­gen ein­zu­hal­ten

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(vgl. BT-Drs. a.a.O.). In der Ein­zel­be­gründung zu § 1 Abs. 3a heißt es wei­ter wört­lich: „Ei­ne Rechts­ver­ord­nung nach Ab­satz 3a fin­det mit Rück­sicht auf die Ta­rif­au­to­no­mie kei­ne An­wen­dung auf Ar­beits­verhält­nis­se, de­ren Par­tei­en ta­rif­ge­bun­den sind. In Be­zug auf die Ver­bind­lich­keit der ein­zu­hal­ten­den Ar­beits­be­din­gun­gen er­gibt sich hier­aus je­doch kein Un­ter­schied: Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes gel­ten die Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges zwi­schen bei­der­seits ta­rif­ge­bun­de­nen un­mit­tel­bar und zwin­gend. Die recht­li­che Bin­dungs­wir­kung wird für nicht bei­der­seits Ta­rif­ge­bun­de­ne durch ei­ne Rechts­ver­ord­nung nach dem neu­en Ab­satz 3 a her­ge­stellt“ (BT-Drs. 14/45, S. 26).

Kenn­zeich­nend ist da­nach, dass mit dem AEntG die Ziel­set­zung ver­folgt wur­de, die Rechts­verhält­nis­se ent­sand­ter Ar­beit­neh­mer zu Ar­beit­ge­bern mit Sitz im Aus­land be­schränkt auf die Bau­bran­che inländisch fest­ge­leg­ten Min­dest­be­din­gun­gen nach dem Ar­beits­ort­prin­zip zu un­ter­wer­fen. Die Aus­ge­stal­tung der Min­dest­be­din­gun­gen soll­te durch die inländi­schen Ko­ali­tio­nen er­fol­gen, de­ren Nor­men in der ers­ten Ent­wick­lungs­stu­fe kraft All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung, in der zwei­ten Stu­fe nach ers­ten Er­fah­run­gen durch Rechts­ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­te, in­ter­na­tio­nal pri­vat­recht­lich vor­ran­gi­ge Rechts­qua­lität für ausländi­sche – und da­mit außen ste­hen­de – Ar­beits­verhält­nis­se bei Ausübung im In­land ver­bind­lich ver­lie­hen wer­den soll­te. Die Rea­lität der ge­re­gel­ten Ma­te­rie war je­doch da­durch ge­prägt, dass es Min­dest­be­din­gungs­ta­rif­verträge im Sin­ne des AEntG bis da­hin nicht gab und die­se Ka­te­go­rie zunächst in ei­ner Bran­che gleich­sam aus der Tau­fe ge­ho­ben wur­de, in der auf Ar­beit­neh­mer­sei­te die Ko­ali­ti­ons­zu­gehörig­keit prak­tisch aus­sch­ließlich bei der IG Bau­en-Agrar-Um­welt (im Jah­re 1998 über 80 v.H. in den Alt­bun­desländern und bei 50 v.H. in den Neu­bun­desländern) kon­zen­triert war und Son­der­ta­rif­verträge, de­ren Ab­schlüsse un­ter dem bun­des­weit gel­ten­den Ta­rif­ver­trag Min­dest­lohn la­gen, mit an Si­cher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit aus­zu­sch­ließen wa­ren (vgl. da­zu Os­senbühl/Cor­nils, Ta­rif­au­to­no­mie und staat­li­che Ge­setz­ge­bung, 2000, S. 14, 70). Mit Blick auf die­se tatsächli­chen Verhält­nis­se und die Ziel­stel­lung wird nach­voll­zieh­bar, dass die Fra­ge­stel­lung nach an­der­wei­ti­gen Ta­rif­bin­dun­gen für den Ge­setz­ge­ber nur theo­re­ti­sche Re­le­vanz be­saß; prak­tisch konn­te er da­von aus­ge­hen und sei­nen Re­ge­lungs­wil­len dar­auf kon­zen­trie­ren, dass in der Bau­bran­che sämt­li­che inländi­schen Ar­beit­ge­ber und ausländi­schen Ar­beit­ge­ber mit im In­land täti­gen Ar­beits­kräften durch den Ta­rif­ver­trag und bei feh­len­der Bin­dung an die­sen Ta­rif­ver­trag durch die Ver­ord­nung

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ein­ge­bun­den wer­den würden, ins­be­son­de­re inländi­schen Ar­beit­neh­mern oh­ne­hin ein höhe­rer Ta­rif­lohn ge­zahlt würde als es der Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag vor­sah. Vor die­sem Hin­ter­grund be­stand kei­ne Ver­an­las­sung, die Pro­ble­ma­tik kon­kur­rie­ren­der Min­dest­lohn­ta­rif­verträge im Rah­men des AEntG auf­zu­neh­men und ei­ner ge­setz­li­chen Kon­kur­renz­re­ge­lung zu­zuführen. Viel­mehr hat es der Ge­setz­ge­ber da­bei be­wen­den las­sen, die Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung auf ei­ne Re­ge­lung bezüglich der nicht ta­rif­ge­bun­de­nen, d.h. we­der an den zu er­stre­cken­den Ta­rif­ver­trag, noch an ei­nen an­de­ren (kon­kur­rie­ren­den) Ta­rif­ver­trag ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer zu be­schränken (so auch Os­senbühl/Cor­nils a.a.O., S. 64 ff, die dar­aus wei­ter über­zeu­gend ab­lei­ten, dass die Re­ge­lung da­nach nicht in die in­di­vi­du­el­le, a.a.O. S. 68, oder kol­lek­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit, a.a.O. S. 93, inländi­scher Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer so­wie von ih­nen ge­bil­de­ter Ko­ali­tio­nen ein­greift; fer­ner Ko­ber­ski/Ass­hoff/Hold, AEntG, 2. Aufl., § 1, Rn. 102 ff.). Mehr war zur Er­rei­chung des ge­setz­ge­be­ri­schen Ziels nicht ver­langt, und es wur­de der po­li­tisch um­strit­te­ne, schwie­ri­ger zu recht­fer­ti­gen­de Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie und die Betäti­gung kon­kur­rie­ren­der Ko­ali­tio­nen von vorn­her­ein ver­mie­den. In die­sem Sin­ne muss auch der Hin­weis der Be­gründung des Re­gie­rungs­ent­wurfs ver­stan­den wer­den, wo­nach die Rechts­ver­ord­nung auf Ar­beits­verhält­nis­se, de­ren Ver­trags­part­ner ta­rif­ge­bun­den sind, kei­ne An­wen­dung fin­det, wenn dort die Rück­sicht­nah­me auf die Ta­rif­au­to­no­mie als Be­gründung an­geführt wird. Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te bie­tet kei­nen An­halt dafür, dass die­se Be­gründung sich aus­sch­ließlich auf die durch den Min­dest­lohn­ta­rif­ver­trag be­reits ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer be­zie­hen soll­te. In­so­weit be­darf es nämlich we­der der Ermäch­ti­gung noch des Ver­ord­nungs­er­las­ses um ei­ne Bin­dung an die Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen her­bei­zuführen, die Bin­dung folgt in­so­weit – wie die Ge­set­zes­be­gründung nicht ver­kennt - be­reits aus § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Zu wei­te­rer Klar­stel­lung bezüglich an­der­wei­ti­ger Ta­rif­bin­dung be­stand im Hin­blick auf die da­mals vor­han­de­nen Re­ge­lungs­ab­sich­ten kei­ne Ver­an­las­sung.

Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ge­set­zes gibt auch nicht ge­nug dafür her, dass be­reits die in § 1 Abs. 3a Satz 4 AEntG aus­drück­lich nor­mier­te Rechts­pflicht des Ar­beit­ge­bers nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers ei­ne sol­che Kon­kur­renz­re­ge­lung dar­stel­len soll­te. Denn die­se Be­stim­mung ist er­kenn­bar ent­spre­chen­den Ge­bots­nor­men in Ab­satz 1 und 3 des § 1 AEntG nach­ge­bil­det, die nach der ursprüng­li­chen Ge­set­zes­be­gründung le­dig­lich den rechts­tech­ni­schen An­knüpfungs­punkt für die Bußgeld­be­weh­rung von

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Verstößen be­gründen soll­ten. Dem Ge­set­zes­wort­laut kann auch nicht ent­nom­men wer­den, dass die­se Vor­schrif­ten ei­ne über die ta­rif­ver­trag­li­che oder durch die Rechts­ver­ord­nung be­gründe­te Bin­dungs­wir­kung für da­von nicht er­fass­te Ar­beit­ge­ber oder Ar­beit­neh­mer be­gründet wer­den soll­te, denn der zwei­ten Halb­satz des Sat­zes 4, wo­nach die Pflicht zur Gewährung min­des­tens der in der Rechts­ver­ord­nung vor­ge­schrie­be­nen Ar­beits­be­din­gun­gen un­abhängig da­von gilt, ob sie kraft Ta­rif­bin­dung oder kraft Rechts­ver­ord­nung be­steht, will nur klar­stel­len, dass es un­er­heb­lich ist, ob die Bin­dung des Ar­beit­ge­bers aus dem Ta­rif­ver­trag oder aus dem staat­li­chen An­wen­dungs­be­fehl folgt. Der frag­li­che Halb­satz lässt sich nicht in dem Sinn aus­le­gen, dass die Pflicht un­abhängig von Ta­rif­ver­trag und Rechts­ver­ord­nung kraft ori­ginärer ge­setz­li­cher An­ord­nung be­gründet wer­den soll (so auch Os­senbühl/Cor­nils, a.a.O. S. 65 f., dem fol­gend Lak­ies, in Däubler (Hrsg.), Ta­rif­ver­trags­ge­setz, 2. Aufl. 2006, An­hang 2 zu § 5, Rn. 104; zu § 1 Abs. 1 Satz 3 und 4 AEntG be­reits Jun­ker/Wich­mann, NZA 1996, 505 <510>).

Die von der Be­klag­ten im Ver­fah­ren ge­gen die­se Aus­le­gung der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge an­geführ­ten Umstände vermögen dem­ge­genüber nicht zu über­zeu­gen.

In der münd­li­chen Ver­hand­lung ha­ben ih­re Be­vollmäch­tig­ten dar­zu­le­gen ver­sucht, dass der Ge­setz­ge­ber mit der erst am Ta­ge des Ver­ord­nungs­er­las­ses in Kraft ge­tre­te­nen Ein­be­zie­hung der Ta­rif­verträge für Brief­dienst­leis­tun­gen in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz durch Art. 1 des Zwei­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes vom 21. De­zem­ber 2007, die zu­gleich die Grund­la­ge für die An­wend­bar­keit der vor­lie­gend aus­ge­nutz­ten Ermäch­ti­gung in § 1 Abs. 3a AEntG bil­de­te, ein an­de­res Be­griffs­verständ­nis des Merk­mals „nicht ta­rif­ge­bun­den“ ha­be Platz grei­fen las­sen wol­len. Ei­ne sol­che von der ursprüng­li­chen ab­wei­chen­de ge­setz­ge­be­ri­sche In­ter­pre­ta­ti­on des Merk­mals mit der für die Ko­ali­ti­ons­frei­heit weit­rei­chen­den Fol­ge ei­ner Kon­kur­renz­re­ge­lung ver­mag der Se­nat nicht fest­zu­stel­len. Mit dem Zwei­ten Ände­rungs­ge­setz ist aus­sch­ließlich die Vor­schrift des § 1 Abs. 1 Satz 4 AEntG in der be­schrie­be­nen Wei­se ergänzt wor­den. Die Ermäch­ti­gung zum Er­lass der Rechts­ver­ord­nung ist un­verändert ge­blie­ben. In der Ge­set­zes­be­gründung (BR-Drs. 644/07) ist le­dig­lich da­von die Re­de, dass sich Ta­rif­ver­trags­par­tei­en aus dem Be­reich Post­dienst­leis­tun­gen „für die Auf­nah­me in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz

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aus­ge­spro­chen“ hätten, dass das Ge­setz „in sei­nem die Er­stre­ckung ta­rif­ver­trag­li­cher Ar­beits­be­din­gun­gen be­tref­fen­den Teil bis­lang auf den Bau­be­reich und die Gebäuderei­ni­gung be­schränkt“ sei und künf­tig auch für den Be­reich der Brief­dienst­leis­tun­gen „ die Möglich­keit eröff­net wer­den“ soll, „durch den Ab­schluss ent­spre­chen­der Ta­rif­verträge das Ge­setz nutz­bar zu ma­chen“ (vgl. BR-Drs. a.a.O., S. 2) Noch deut­li­cher heißt im be­son­de­ren Teil der oh­ne­hin knapp ge­hal­te­nen Ge­set­zes­be­gründung: „Auf­grund der be­son­de­ren Struk­tur­merk­ma­le des Be­reichs der Post­dienst­leis­tun­gen ver­bun­den mit der Li­be­ra­li­sie­rung der Postmärk­te auf eu­ropäischer Ebe­ne be­darf es auch dort der Nut­zung des In­stru­men­ta­ri­ums des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes“ (BR-Drs. a.a.O., S. 3). Hier­nach steht außer Fra­ge, dass der Ge­setz­ge­ber da­von aus­ge­gan­gen ist, dass es zur Um­set­zung der in­so­weit ver­folg­ten Vor­stel­lun­gen nur der Nutz­bar­ma­chung des be­ste­hen­den ge­setz­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums durch Ein­be­zie­hung der Bran­che oder des gewähl­ten Bran­chen­aus­schnitts be­durf­te, nicht aber ei­nes Ein­griffs in das vor­ge­fun­de­ne In­stru­men­ta­ri­um des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes selbst, sei es auch nur in Ge­stalt ei­ner au­then­ti­schen (Um-)In­ter­pre­ta­ti­on ei­nes Merk­mals der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge in § 1 Abs. 3a Satz 1, von der im Übri­gen in dem Re­gie­rungs­ent­wurf an kei­ner Stel­le die Re­de ist. Nur am Ran­de sei be­merkt, dass die Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten in die­sem Punkt nur schwer­lich mit ih­ren Ausführun­gen zum Zi­tier­ge­bot gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG – die für sich ge­nom­men über­zeu­gend sind und de­nen der Se­nat folgt - ver­ein­bar ist; hätte der Ge­setz­ge­ber der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge mit der Ge­set­zesände­rung durch das Ge­setz vom 21. De­zem­ber 2007 ma­te­ri­ell ei­nen an­de­ren Ge­halt ge­ben wol­len, spricht viel dafür, dass die Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge in der Fas­sung zu zi­tie­ren ge­we­sen wäre, durch die sie den zu ei­nem Ein­griff in Ko­ali­ti­ons­frei­heit und Ta­rif­au­to­no­mie be­rech­ti­gen­den Ge­halt be­kom­men hätte mit der Fol­ge, dass vor­lie­gend ein Ver­s­toß ge­gen das Zi­tier­ge­bot zu kon­sta­tie­ren wäre.

Auch die Über­le­gung, das Merk­mal müsse im Sin­ne der Be­klag­ten zur Ver­mei­dung ei­nes Ver­s­toßes ge­gen die Dienst­leis­tungs­frei­heit nach Art. 49 EV aus­ge­legt wer­den, über­zeugt nicht. Die­sem Ar­gu­ment liegt zu­grun­de, dass die ei­nen Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie ver­mei­den­de Re­spek­tie­rung an­der­wei­ti­ger Ta­rif­bin­dung zu ei­ner nach der Recht­spre­chung des EuGH un­zulässi­gen Dis­kri­mi­nie­rung von Dienst­leis­tungs­er­brin­gern aus an­de­ren EG-Mit­glieds­staa­ten führen soll, die zu­min­dest

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fak­tisch kei­ne Möglich­keit hätten, ab­wei­chen­de güns­ti­ge­re Ta­rif­verträge mit Wir­kung für ih­re in Deutsch­land ein­ge­setz­ten Ar­beit­neh­mer ab­zu­sch­ließen (vgl. EuGH, Ur­teil vom 24. Ja­nu­ar 2002 – Rs. C- 164/99 – Por­tu­gaia Con­stru­coes Lda., Rn. 34 f.). Es ist aber nicht zu ver­ken­nen, dass die bis­her zum Be­reich all­ge­mein­ver­bind­li­cher Ta­rif­verträge nach § 1 Abs. 3 AEntG er­gan­ge­ne Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts maßgeb­lich durch sol­che Über­le­gun­gen zur Ge­mein­schafts­rechts­kon­for­mität des Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­set­zes be­ein­flusst ist und nach ei­ner letzt­lich auch die Ziel­set­zung ver­bind­li­cher Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen ent­spre­chen­den möglichst um­fas­sen­den Bin­dung al­ler inländi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer strebt. Im Be­reich all­ge­mein­ver­bind­li­cher Ta­rif­verträge nach § 1 Abs. 1 und 3 AEntG geht es in­so­weit aber nur um die Lösung von Ta­rif­kon­kur­ren­zen, die in der Wei­se er­fol­gen soll, dass die mit der Bin­dung kraft All­ge­mein­ver­bind­lich­keit nach § 5 Abs. 4 TVG ein­her­ge­hen­de Pflicht zur Gewährung der Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen nur in­so­weit durch sachnähe­re oder spe­zi­el­le­re Ta­rif­verträge ver­drängt wer­den kann, als die­se für den Ar­beit­neh­mer güns­ti­ger sind (vgl. da­zu BAG, Ur­teil vom 18. Ok­to­ber 2006 – 10 AZR 576/05 – BA­GE 120, 1; Ur­teil vom 20. Ju­li 2004 – 9 AZR 343/03 – BA­GE 111, 247, Be­schlüsse vom 13. Mai 2004 – 10 AS 6/04 –, und vom 9. Sep­tem­ber 2003 – 9 AZR 478/02 (A) - bei­de zi­tiert nach Ju­ris, Ur­tei­le vom 25. Ju­ni 2002 – 9 AZR 405/00 u. Par­al­lel­sa­chen – BA­GE 101, 357). Die­se Recht­spre­chung löst in die­sem Be­reich auch die auf­ge­wor­fe­ne ge­mein­schafts­recht­li­che Fra­ge­stel­lung. Aus Sicht der Be­klag­ten er­gibt sich kei­ne ver­gleich­ba­re Fra­ge­stel­lung, wenn Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen re­geln­de Ta­rif­nor­men mit dem In­stru­men­ta­ri­um der Rechts­ver­ord­nung für al­le nicht an dar­an ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer im Gel­tungs­be­reich für wirk­sam erklärt wer­den; denn die Rechts­ver­ord­nung würde dann als staat­li­che Re­ge­lung zum Schutz der Ar­beit­neh­mer ungüns­ti­ge­ren nor­ma­ti­ven Fest­le­gun­gen ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges vor­ge­hen.

Es er­scheint aber schon nicht zwin­gend, dass die­ser Weg für die Ge­mein­schafts­rechts­kon­for­mität des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes er­for­der­lich ist. Zum ei­nen lässt sich die Fra­ge auf­wer­fen, ob die an­ge­spro­che­ne Recht­spre­chung des EuGH die An­nah­me ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung von Dienst­lei­tungs­er­brin­gung als Fol­ge der hier befürwor­te­ten Aus­le­gung recht­fer­tigt. Denn die Aus­sa­ge des EuGH gilt nur für den Fall, dass der ausländi­sche Dienst­leis­tungs­er­brin­ger recht­lich oder fak­tisch an­ders als ein inländi­scher Ar­beit­ge­ber oder inländi­sche Ko­ali­tio­nen dar­an ge­hin­dert wäre,

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ta­rif­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen zu tref­fen. Dass sich hier­bei tatsächlich ei­ne Schlech­ter­stel­lung von Ar­beit­ge­bern aus an­de­ren Mit­glied­staa­ten ge­genüber inländi­schen Ar­beit­ge­bern er­gibt, wird in der
Vor­ab­ent­schei­dung des EuGH im Sin­ne ei­ner tatsächli­chen Vor­ga­be un­ter­stellt und blie­be des­halb näher zu un­ter­su­chen. Die we­sent­li­che Schwie­rig­keit für den Ab­schluss ei­nes kon­kur­rie­ren­den Min­dest­lohn­ta­rif­ver­tra­ges dürf­te für inländi­schen wie ausländi­sche Ar­beit­ge­ber al­ler­dings dar­in be­ste­hen, über­haupt ei­nen Part­ner auf der Ar­beit­neh­mer­sei­te zu fin­den, der be­reit ist, all­ge­mein­ver­bind­li­che oder ver­ord­ne­te Min­dest­re­ge­lun­gen zu un­ter­bie­ten. Hin­zu­neh­men hat der Dienst­leis­tungs­er­brin­ger aus dem EU-Aus­land je­den­falls die all­ge­mei­nen Er­schwer­nis­se, die sich für ihn dar­aus er­ge­ben, dass er sei­ne Leis­tun­gen in ei­nem an­de­ren Mit­glieds­staat an­bie­tet, et­wa in sprach­li­cher oder lo­gis­ti­scher Hin­sicht. Die ei­gent­li­che Pro­ble­ma­tik für ausländi­sche Ar­beit­ge­ber dürf­te dar­in lie­gen, dass ein kon­kur­rie­ren­der Ta­rif­ver­trag für ausländi­sche Ar­beits­kräfte ge­schlos­sen wer­den müss­te, de­ren In­ter­es­sen durch inländi­sche Ge­werk­schaf­ten bei ei­nem nur vorüber­ge­hen­den Auf­ent­halt nicht zu­letzt im Hin­blick auf die von ih­nen ver­tre­te­nen In­ter­es­sen deut­scher Ar­beit­neh­mer und mögli­che Kon­kur­renz­si­tua­tio­nen nur un­zu­rei­chend ver­tre­ten wer­den. Recht­lich und grundsätz­lich auch tatsächlich sind Ta­rif­ab­schlüsse mit ausländi­schen Ar­beit­ge­bern aber je­den­falls zulässig und möglich (vgl. nur Schaub, Ar­beits­rechts­hand­buch, 12. Aufl., § 198 V 5, Rn. 66; auch Lak­ies, in Däubler a.a.O., Rn. 108). Auch kann – wor­auf be­reits das Ver­wal­tungs­ge­richt hin­ge­wie­sen hat - den Möglich­kei­ten ei­ner Rechts­fort­bil­dung durch die Ar­beits­ge­rich­te zur Lösung des Pro­blems durch Ver­ord­nung fest­ge­leg­ter Min­dest­be­din­gun­gen ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges und da­mit kon­kur­rie­ren­der ta­rif­li­cher Nor­men nicht vor­ge­grif­fen wer­den. Sch­ließlich muss nach der Kon­se­quenz ge­fragt wer­den, die sich ergäbe, wenn das nach den vor­ste­hen­den Ausführun­gen zu­grun­de zu le­gen­de Verständ­nis der Ermäch­ti­gungs­norm da­zu führ­te, dass die An­wen­dung des mit dem Kor­rek­tur­ge­setz ge­schaf­fe­nen In­stru­ments der Rechts­ver­ord­nung ge­gen die Dienst­leis­tungs­frei­heit nach Art. 49 EV ver­stieße. Sie läge nämlich nicht dar­in, dass die Ermäch­ti­gung ent­ge­gen dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers ge­mein­schafts­kon­form aus­zu­le­gen wäre, son­dern in der ak­tu­el­len Un­an­wend­bar­keit die­ses In­stru­ments als ge­mein­schafts­rechts­wid­ri­gen in­ner­staat­li­chen Rechts. Das wäre we­gen der Möglich­keit, ta­rif­li­che Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen nach § 1 Abs. 1 und 3 AEntG für all­ge­mein­ver­bind­lich erklären zu las­sen, de­ren Ver­ein­bar­keit mit Ge­mein­schafts­recht durch die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ge­si­chert er­scheint, als auch im

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Hin­blick auf die Pflich­ten der Be­klag­ten aus der zi­tier­ten Richt­li­nie des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes über die Ent­sen­dung von Ar­beit­neh­mern im Rah­men der Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen ge­mein­schafts­recht­lich un­be­denk­lich.

Können nach al­lem nur (über­haupt) nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer aus dem Be­reich der Brief­dienst­leis­tun­gen, wie in § 1 Abs. 1 Satz 4 AEntG um­schrie­ben, im Ver­ord­nungs­we­ge an den Ta­rif­ver­trag vom 29. No­vem­ber 2007 ge­bun­den wer­den, über­schrei­tet die Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­ters für Ar­beit und So­zia­les vom 28. De­zem­ber 2007 die Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung, weil sie ei­ne um­fas­sen­de Bin­dung al­ler Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer an die­sen Ta­rif­ver­trag un­abhängig vom Be­ste­hen an­der­wei­ti­ger ta­rif­li­cher Bin­dun­gen vor­sieht und dies auch dem erklärten Wil­len des Ver­ord­nungs­ge­bers ent­spricht. Dies kann auch der Kläger zu 2. als Ver­let­zung sei­ner grund­recht­li­chen Po­si­ti­on mit Er­folg rügen, denn er kann je­den­falls be­an­spru­chen, dass Ein­grif­fe in de­ren Schutz­be­reich im Übri­gen ver­fas­sungs­gemäß er­fol­gen, al­so der Vor­be­halt des Ge­set­zes aus Art. 80 Abs. 1 GG ge­wahrt wird.

Bei die­sem Be­fund ist es auch nicht möglich, die Ver­ord­nung teil­wei­se, nämlich so­weit sie - von der Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung ge­deckt - nur ech­te Außen­sei­ter un­ter den Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern im Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 bin­den würde, im We­ge ei­ner auf die Ge­set­zes­kon­for­mität zie­len­den ein­schränken­den Aus­le­gung des Ver­ord­nungs­rechts zu er­hal­ten. Ei­ne sol­che ein­schränken­de Aus­le­gung ent­spricht nicht dem Wil­len des Ver­ord­nungs­ge­bers, dem es nach dem un­miss­verständ­li­chen Wort­laut des § 1 Brie­fArbbV ge­ra­de dar­um ging, al­le nicht an den Ta­rif­ver­trag vom 29. No­vem­ber 2007 ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer an die nor­ma­ti­ven Re­ge­lun­gen des Ta­rif­ver­tra­ges zu bin­den und der da­bei un­zu­tref­fend da­von aus­ging, dass die Ermäch­ti­gung dies zu­ließe. Dass der Ver­ord­nungs­ge­ber bei zu­tref­fen­dem Verständ­nis der Ermäch­ti­gungs­norm den Weg an­ge­sichts der Be­ru­fung von Be­trof­fe­nen auf kon­kur­rie­ren­de Min­dest­lohn­ta­rif­verträge den Weg ei­ner Be­schränkung auf nicht an­der­weit ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer be­schrit­ten hätte, steht nach den po­li­tisch ver­laut­bar­ten und mit der Be­gründung des 2. AEntGÄndG so­wie Ver­ord­nungs­be­gründung fi­xier­ten Ab­sich­ten nicht fest. Es er­scheint nicht aus­ge­schlos­sen, dass in die­sem Fal­le zusätz­li­che Ände­run­gen an der

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Ermäch­ti­gungs­norm vor­ge­nom­men wor­den wären, um den Hand­lungs­rah­men des Ver­ord­nungs­ge­bers zu er­wei­tern. Bei die­ser La­ge ist die Ver­ord­nung we­gen Ver­s­toßes ge­gen den Ge­set­zes­vor­be­halt un­wirk­sam und nich­tig, was ei­ner gel­tungs­er­hal­ten­den Aus­le­gung ent­ge­gen­steht.

Dass der Hin­weis der Be­klag­ten, dem­zu­fol­ge der Wort­laut der Brie­fArbbV in­so­weit dem al­ler bis­he­ri­gen Min­dest­ar­beits­be­din­gungs­ver­ord­nun­gen auf der Grund­la­ge des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes ent­spricht, nach al­lem oh­ne Be­deu­tung für die recht­li­che Be­ur­tei­lung ist, be­darf kei­ner nähe­ren Erläute­rung. Die­se Ar­gu­men­ta­ti­on deckt nur auf, dass das vom Ge­setz­ge­ber plan­voll zur Verfügung ge­stell­te In­stru­men­ta­ri­um des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes in § 1 Abs. 3a AEntG in der bis­he­ri­gen Fas­sung nicht ge­eig­net ist, um Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen für al­le inländi­schen Ar­beit­ge­ber in der nun­mehr be­ab­sich­tig­ten Wei­se ver­bind­lich zu re­geln. Sol­che Fest­le­gun­gen sind nämlich durch staat­li­chen Rechts­satz oh­ne ei­nen Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie oder je­den­falls ih­re be­schränken­de Aus­ge­stal­tung nicht möglich. Dies be­legt der zwi­schen­zeit­lich ein­ge­brach­te Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung zur Neu­fas­sung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes vom 7. Ok­to­ber 2008 (BT-Drs. 16/10486) ein­drucks­voll, in des­sen Be­gründung zwar die Aus­wir­kun­gen der bis­he­ri­gen Rechts­la­ge nicht of­fen­ge­legt und ein­geräumt, im Re­ge­lungs­werk aber ge­se­hen und aus­geräumt wer­den, in­dem be­reits die Ermäch­ti­gungs­norm nun­mehr auf die Bin­dung an den zu er­stre­cken­den Ta­rif­ver­trag ab­stellt, der Er­lass der Rechts­ver­ord­nung je­doch an zusätz­li­che Vor­aus­set­zun­gen ge­knüpft wird (vgl. § 7 Abs. 1 Ent­wAEntG) und in § 8 Abs. 2 Ent­wAEntG der Vor­rang ei­nes durch Rechts­ver­ord­nung nach § 7 er­streck­ten Ta­rif­ver­tra­ges vor an­der­wei­ti­gen ta­rif­li­chen Bin­dun­gen ge­re­gelt wird.

b) Da­von ab­ge­se­hen greift die Brie­fArbbV auch des­halb un­zulässig in ver­fas­sungsmäßige Rech­te des Klägers zu 2. ein, weil die Be­klag­te bei ih­rem Er­lass ge­gen das ge­setz­lich in § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG vor­ge­schrie­be­ne Ver­fah­ren ver­s­toßen hat. Nach der Be­stim­mung gibt das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les den in den Gel­tungs­be­reich der Rechts­ver­ord­nung fal­len­den Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern so­wie den Par­tei­en des Ta­rif­ver­tra­ges Ge­le­gen­heit zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me. Die­sem Anhörungs­ge­bot, dem der Se­nat im Hin­blick auf das Feh­len sons­ti­ger ma­te­ri­el­ler An­for­de­run­gen für den Er­lass der Rechts­ver­ord­nung, aber hand­greif­li­cher Be­trof­fen­heit je­den­falls der Ar­beit­ge­ber­sei­te im grund­recht­lich

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geschütz­ten Be­reich we­sent­li­che – im Übri­gen auch nicht et­wa mit dem Kon­sul­ta­ti­ons­er­for­der­nis nach § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 des Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­set­zes (vgl. da­zu BVerwG, Ur­teil vom 2. April 2008 – 6 C 14.07 – ju­ris, Rn. 39) ver­gleich­ba­re Be­deu­tung für die Abwägung der für und wi­der den Er­lass der Rechts­ver­ord­nung strei­ten­den Erwägun­gen und der da­mit ein­her­ge­hen­den Be­wer­tung des öffent­li­chen In­ter­es­ses an der An­wend­bar­keit ta­rif­ver­trag­lich ver­ein­bar­ter Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen bei­misst, ist vor dem Er­lass der Brie­fArbbV vom 28. De­zem­ber 2007 nicht genügt wor­den.

Die Be­klag­te ver­kennt in­so­weit mögli­cher­wei­se, dass § 1 Abs. 3a AEntG den Er­lass der Rechts­ver­ord­nung nur in An­knüpfung an das Be­geh­ren der Par­tei­en des Ta­rif­ver­tra­ges vor­sieht, die­sen für all­ge­mein­ver­bind­lich zu erklären. Es be­steht da­her ein un­mit­tel­ba­rer Be­zug zwi­schen den nor­ma­ti­ven Re­ge­lun­gen des Ta­rif­ver­tra­ges und dem Anhörungs­er­for­der­nis; die Stel­lung­nah­me der be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer soll sich auf die ge­trof­fe­ne Ta­rif­ver­ein­ba­rung be­zie­hen. Sie soll nicht et­wa all­ge­mein das Pro­jekt be­tref­fen, in ei­ner Bran­che Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen mit dem In­stru­men­ta­ri­um des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes fest­zu­le­gen. Das nämlich ist – und war auch hin­sicht­lich der Einführung des Post­min­dest­lohns in Ge­stalt et­wa der Sach­verständi­gen-Anhörung im Aus­schuss für Ar­beit und So­zia­les des deut­schen Bun­des­ta­ges am 5. No­vem­ber 2007 der Fall – be­reits Ge­gen­stand des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens, wes­halb der Anhörung im Ver­fah­ren zum Er­lass der Rechts­ver­ord­nung grundsätz­lich ei­ne an­de­re wei­ter­ge­hen­de Funk­ti­on zu­kommt, was je­den­falls vor­aus­setzt, dass die Anhörung bezüglich des spe­zi­fi­schen Re­gel­werks zu er­fol­gen hat, das Ge­gen­stand des Ver­ord­nungs­rechts wer­den soll.

Hier­von aus­ge­hend genügte die An­fang No­vem­ber ein­geräum­te Möglich­keit zur Stel­lung­nah­me durch die er­folg­te Veröffent­li­chung im Bun­des­an­zei­ger den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen für den Er­lass der Brie­fArbbV nicht. Ge­gen­stand die­ser Veröffent­li­chung war nämlich der ei­nen wei­te­ren Gel­tungs­be­reich um­fas­sen­de­re Ta­rif­ver­trag vom 11. Sep­tem­ber 2007, der von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en später auf­ge­ho­ben und durch den nun­mehr die Grund­la­ge für den Ver­ord­nungs­er­lass bil­den­den Ta­rif­ver­trag vom 29. No­vem­ber 2007 er­setzt wur­de. Die Auf­he­bung des al­ten und der Ab­schluss ei­nes neu­en Ta­rif­ver­tra­ges führt da­zu, dass für das bis­he­ri­ge Ver­ord­nungs­er­lass­ver­fah­ren der Grund ent­fiel und sei­ne Fort­set­zung ei­nes neu­en Grun­des in Ge­stalt ei­nes neu­en

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An­tra­ges der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en auf All­ge­mein­ver­bind­lich­keit be­durf­te. Es mag da­hin­ste­hen, ob die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit ih­rem Schrei­ben vom 29. No­vem­ber 2007 dies recht­lich zu­tref­fend er­fasst ha­ben; je­den­falls genügt ihr Schrei­ben in­halt­lich, um dar­in den er­for­der­li­chen neu­en An­trag bezüglich des Ta­rif­ver­tra­ges vom 29. No­vem­ber 2007 zu se­hen. Han­delt es sich bei der tatsächlich naht­lo­sen Fort­set­zung des Ver­ord­nungs­er­lass­ver­fah­rens je­doch recht­lich um ein neu­es Ver­fah­ren be­durf­te es auch ei­ner er­neu­ten Anhörung. Dies galt förm­lich schon we­gen der Ein­lei­tung ei­nes neu­en Ver­fah­rens, war aber in der Sa­che je­den­falls im Hin­blick auf die Ab­wei­chun­gen des neu­en Ta­rif­ver­tra­ges von der Fas­sung, zu der be­reits ei­ne Anhörung durch­geführt wor­den war, er­for­der­lich. Es konn­te nicht un­ter Hin­weis dar­auf, dass durch die bis­he­ri­ge Fas­sung des Ta­rif­ver­tra­ges ein größerer Kreis Be­trof­fe­ner als nach der nun­mehr zur Dis­kus­si­on ste­hen­den an­zuhören war, als ent­behr­lich an­ge­se­hen wer­den. Die­ses Ar­gu­ment, des­sen Ver­wen­dung si­cher­lich dem durch das Ent­fal­len des Post­mo­no­pols am 1. Ja­nu­ar 2008 aus­gelösten Zeit­druck bei der Um­set­zung der po­li­ti­schen Vor­ga­ben ge­schul­det war, über­sieht, dass die Be­schränkung der Min­dest­lohn­re­ge­lung auf sol­che Be­trie­be und Be­triebs­ab­tei­lun­gen, die über­wie­gend ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­dienst­leis­tun­gen er­brin­gen, die Wett­be­werbs­la­ge un­ter den Kon­kur­ren­ten der Post AG wenn nicht schon of­fen­sicht­lich, so doch mit be­acht­li­cher Wahr­schein­lich­keit be­ein­fluss­te, wo­zu in der Ver­gan­gen­heit, als al­le Be­trie­be, die ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen befördern mit Aus­nah­me aus­sch­ließli­cher Ku­rier­dienst­leis­tun­gen und der Beförde­rung von Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten er­fasst wer­den soll­ten, Stel­lung zu neh­men kei­ne Ver­an­las­sung be­stan­den hat­te. In­so­weit hält der Se­nat die Aus­sa­ge des Klägers zu 2. in der münd­li­chen Ver­hand­lung für plau­si­bel, dass die Her­aus­nah­me sol­cher Be­trie­be aus dem Gel­tungs­be­reich, die ge­le­gent­lich auch Brief­dienst­leis­tungs­aufträge über­neh­men, die nach­tei­li­gen Aus­wir­kun­gen der Rechts­ver­ord­nung auf die Haupt­kon­kur­ren­ten der Post AG noch verschärft ha­be. Ob dies tatsächlich so ist, kann in­des­sen da­hin­ste­hen, weil die Anhörung der be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG ge­ra­de der Klärung der Aus­wir­kun­gen der be­ab­sich­tig­ten kon­kre­ten Re­ge­lung dien­te und des­halb nicht un­ter Vor­weg­nah­me ei­nes be­stimm­ten Anhörungs­er­geb­nis­ses un­ter­las­sen wer­den durf­te.

Hier­von aus­ge­hend sind die hilfs­wei­se von der Be­klag­ten ge­stell­ten Be­weis­anträge, auch so­weit es sich nicht oh­ne­hin nur um Be­weis­er­mitt­lungs­anträge han­delt, für die

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Ent­schei­dung nicht er­heb­lich; der Hilfs­be­weis­an­trag zu 2 a) un­ter­streicht die vor­ste­hen­den Ausführun­gen des Se­nats zur Er­for­der­lich­keit ei­ner (er­neu­ten) Anhörung so­gar. Der Se­nat konn­te mit­hin in der Sa­che ent­schei­den, oh­ne die­sen Anträgen nach­zu­ge­hen.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 162 Abs. 3 Vw­GO. Die Ent­schei­dung über die vorläufi­ge Voll­streck­bar­keit be­ruht auf § 167 Satz 1 Vw­GO in Ver­bin­dung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zi­vil­pro­zess­ord­nung.

Die Re­vi­si­on ist we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Rechts­sa­che gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO zu­ge­las­sen wor­den.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die Ent­schei­dung steht den Be­tei­lig­ten die Re­vi­si­on an das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zu.

Die Re­vi­si­on ist bei dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Har­den­berg­s­traße 31, 10623 Ber­lin, in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ser Ent­schei­dung schrift­lich ein­zu­le­gen. Die Re­vi­si­ons­frist ist auch ge­wahrt, wenn die Re­vi­si­on in­ner­halb der Frist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Sim­son­platz 1, 04107 Leip­zig, schrift­lich oder in elek­tro­ni­scher Form un­ter www.bverwg.de mit ei­ner qua­li­fi­zier­ten elek­tro­ni­schen Si­gna­tur im Sin­ne des Si­gna­tur­ge­set­zes ver­se­hen ein­ge­legt wird. Die Re­vi­si­on muss die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung be­zeich­nen.

Die Re­vi­si­on ist in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ser Ent­schei­dung zu be­gründen. Die Be­gründung ist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Sim­son­platz 1, 04107 Leip­zig, schrift­lich oder in elek­tro­ni­scher Form ein­zu­rei­chen. Die Re­vi­si­ons­be­gründung muss ei­nen be­stimm­ten An­trag ent­hal­ten, die ver­letz­te Rechts­norm und, so­weit Ver­fah­rensmängel gerügt wer­den, die Tat­sa­chen an­ge­ben, die den Man­gel er­ge­ben.

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Im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren müssen sich die Be­tei­lig­ten durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen. Dies gilt auch für die Ein­le­gung der Re­vi­si­on. Als Be­vollmäch­tig­te sind Rechts­anwälte und Rechts­leh­rer an ei­ner Hoch­schu­le im Sinn des Hoch­schul­rah­men­ge­set­zes mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt zu­ge­las­sen. Ein als Be­vollmäch­tig­ter zu­ge­las­se­ner Be­tei­lig­ter kann sich selbst ver­tre­ten. Behörden und ju­ris­ti­sche Per­so­nen des öffent­li­chen Rechts ein­sch­ließlich der von ih­nen zur Erfüllung ih­rer öffent­li­chen Auf­ga­ben ge­bil­de­ten Zu­sam­men­schlüsse können sich durch Beschäftig­te mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt ver­tre­ten las­sen; das Beschäfti­gungs­verhält­nis kann auch zu ei­ner an­de­ren Behörde, ju­ris­ti­schen Per­son des öffent­li­chen Rechts oder ei­nem der ge­nann­ten Zu­sam­men­schlüsse be­ste­hen. Rich­ter dürfen nicht vor dem Ge­richt auf­tre­ten, dem sie an­gehören.


Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Eidt­ner
ist we­gen zwi­schen­zeit­li­cher Be­en­di­gung sei­ner Ab­ord­nung an das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt an der Un­ter­schrifts­leis­tung ge­hin­dert.

Wol­ni­cki

Bath  

Wol­ni­cki


B./Me.

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