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BAG, Ur­teil vom 15.10.1992, 2 AZR 227/92

   
Schlagworte: Fragerecht des Arbeitgebers, Diskriminierung: Geschlecht, Schwangerschaft
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 227/92
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.10.1992
   
Leitsätze: 1. Die Frage nach der Schwangerschaft vor Einstellung einer Arbeitnehmerin enthält in der Regel eine unzulässige Benachteiligung wegen des Geschlechts und verstößt damit gegen das Diskriminierungsverbot des § 611a BGB, gleichgültig ob sich nur Frauen oder auch Männer um den Arbeitsplatz bewerben (Aufgabe von BAG Urteil vom 20. Februar 1986 - 2 AZR 244/85 - AP Nr 31 zu § 123 BGB im Anschluß an EuGH Urteil vom 8. November 1990 - Rechtssache C-177/88 - EuGHE 1990, 3941 = AP Nr 23 zu Art. 119 EWG-Vertrag).
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Solingen
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
   

2 AZR 227/92
4 Sa 157/92 Düssel­dorf

Im Na­men des Vol­kes!


Verkündet am
15. Ok­to­ber 1992


U r t e i l

Noll,
Amts­in­spek­to­rin
als Ur­kunds­be­am­ter 

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

pp.

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richt auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 15. Ok­to­ber 1992 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter Hil­le­brecht, die Rich­ter Triebfürst und Bit­ter so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jan­sen und Bin­zek für Recht er­kannt:

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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 1. April 1992 - 4 Sa 157/92 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen !


T a t b e s t a n d :

Die Be­klag­te, die für ei­ne schwan­ge­re Mit­ar­bei­te­rin Frau R , ei­ne Er­satz­kraft benötig­te, schloß nach ei­nem Ein­stel­lungs­gespräch am 2. Sep­tem­ber 1991 mit der Kläge­rin ei­nen münd­li­chen Ar­beits­ver­trag auf un­be­stimm­te Zeit, auf­grund des­sen die Kläge­rin als kaufmänni­sche An­ge­stell­te für ein Brut­to­mo­nats­ge­halt in Höhe von 2750,-- DM tätig wer­den soll­te. Am 4. Sep­tem­ber 1991 nahm die Kläge­rin, die zur Zeit der Ein­stel­lung im fünf­ten Mo­nat schwan­ger war (vor­aus­sicht­li­cher Ent­bin­dungs­ter­min 11. Ja­nu­ar 1992) ih­re Tätig­keit auf, wo­bei sie u. a. mit Frau R zu­sam­men­ar­bei­te­te. In ei­nem Gespräch vom 12. Sep­tem­ber 1991 mit die­ser Mit­ar­bei­te­rin mach­te die Kläge­rin da­von Mit­tei­lung, schwan­ger zu sein mit der Be­haup­tung, sie ha­be erst jetzt vom Arzt von ih­rer Schwan­ger­schaft er­fah­ren.

Mit Schrei­ben vom 17. Sep­tem­ber 1991, das der Kläge­rin am glei­chen Ta­ge zu­ge­gan­gen ist, teil­te die Be­klag­te der Kläge­rin mit, sie fech­te den An­stel­lungs­ver­trag "aus al­len in Be­tracht kom­men­den Ge­sichts­punk­ten, u. a. we­gen Täuschung, Irr­tums" an, weil die Kläge­rin der Fir­men­lei­tung beim Ein­stel­lungs­gespräch die Schwan­ger­schaft ver­schwie­gen ha­be.


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Die Kläge­rin, die in der Kla­ge­schrift noch an­ge­ge­ben hat­te, sie ha­be der Be­klag­ten beim Ein­stel­lungs­gespräch münd­lich von der Schwan­ger­schaft Mit­tei­lung ge­macht, be­strei­tet, beim Ein­stel­lungs­gespräch ge­fragt wor­den zu sein, ob sie schwan­ger sei. Zwar ha­be sie zum Zeit­punkt des Ein­stel­lungs­gesprächs be­reits von ih­rer Schwan­ger­schaft ge­wußt (ihr Mut­ter­paß stam­me vom 13. Ju­ni 1991), da sie aber nicht von sich aus ver­pflich­tet ge­we­sen sei, auf ih­re Schwan­ger­schaft hin­zu­wei­sen, sei das Ar­beits­verhält­nis nicht wirk­sam an­ge­foch­ten wor­den. Die an­geb­li­che Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft ver­s­toße im übri­gen ge­gen § 611 a BGB. Sie be­strei­te, im Gespräch mit Frau R am 12. Sep­tem­ber 1991 erklärt zu ha­ben, erst jetzt von der Schwan­ger­schaft er­fah­ren zu ha­ben.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das zwi­schen den Par­tei­en be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis we­der durch die am 17. Sep­tem­ber 1991 zu­ge­gan­ge­ne münd­li­che Kündi­gung, noch durch die am 17. Sep­tem­ber 1991 zu­ge­gan­ge­ne schrift­li­che Kündi­gung auf­gelöst ist, son­dern über den 17. Sep­tem­ber 1991 hin­aus fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag be­haup­tet, die Kläge­rin sei un­ter drei Be­wer­be­rin­nen aus­ge­sucht und beim Ein­stel­lungs­gespräch aus­drück­lich ge­fragt wor­den, ob sie schwan­ger sei und ha­be hier­auf erklärt: "Nein, das müßte ich wis­sen". Ob­wohl die Kläge­rin mit Frau R , die sie ha­be ver­tre­ten sol­len, zu­sam­men­ge­ar­bei­tet ha­be, ha­be sie erst­mals im Gespräch vom 12. Sep­tem­ber 1991 von ih­rer Schwan­ger­schaft ge­spro­chen. Da­bei



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ha­be sie wahr­heits­wid­rig erklärt, erst jetzt durch Arzt­be­such von der Schwan­ger­schaft er­fah­ren zu ha­ben.

Das Ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, das zwi­schen den Par­tei­en be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis be­ste­he über den 17. Sep­tem­ber 1991 hin­aus fort; im übri­gen, nämlich we­gen der an­geb­li­chen Kündi­gungs­erklärun­gen, hat es die Kla­ge ab­ge­wie­sen, da un­strei­tig kei­ne Kündi­gun­gen aus­ge­spro­chen wor­den sei­en. Die von der Be­klag­ten ge­gen die­ses Ur­teil ein­ge­leg­te Be­ru­fung ist er­folg­los ge­blie­ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet, so daß trotz der Säum­nis der Re­vi­si­ons­be­klag­ten die Re­vi­si­on durch sog. un­ech­tes Versäum­nis­ur­teil zurück­zu­wei­sen war, §§ 557, 381 Abs. 2 ZPO.

Das Ar­beits­verhält­nis ist durch die von der Be­klag­ten erklärte An­fech­tung nicht auf­gelöst wor­den. Zwar hat die Kläge­rin die Be­klag­te über das Be­ste­hen ei­ner Schwan­ger­schaft getäuscht, die­se Täuschung ist je­doch man­gels Zulässig­keit der Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft nicht rechts­wid­rig (§ 123 BGB).

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im we­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Ge­gen die säum­i­ge Kläge­rin ha­be kein ech­tes Versäum­nis­ur­teil er­ge­hen können, weil sich aus dem ei­ge­nen


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Vor­brin­gen der Be­klag­ten kein An­fech­tungs­grund er­ge­be. Denn die von der Be­klag­ten be­haup­te­te aus­drück­li­che Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft sei im An­schluß an die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes zur Fra­ge des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes nach Art. 2 und 3 der Richt­li­nie 76/207 EWG un­zulässig. Nach der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes vom 8. No­vem­ber 1990 kom­me die Ver­sa­gung ei­ner Ein­stel­lung we­gen Schwan­ger­schaft nur Frau­en ge­genüber in Be­tracht und stel­le da­her ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung mit der Fol­ge dar, daß ein Ar­beit­ge­ber ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ver­s­toße, wenn er es ab­leh­ne, mit ei­ner von ihm für ge­eig­net be­fun­de­nen Be­wer­be­rin ei­nen Ar­beits-ver­trag zu schließen, weil er des­we­gen Nach­tei­le befürch­te. Da­bei kom­me es auch nicht dar­auf an, daß die Be­klag­te ge­ra­de ei­ne Schwan­ger­schafts­ver­tre­tung ge­sucht ha­be, denn die Kläge­rin sei nach ih­rer Ein­stel­lung durch­aus in der La­ge ge­we­sen, die ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben zu erfüllen; auch zei­ge ge­ra­de die vor­lie­gen­de Fall­kon­stel­la­ti­on, daß die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­rend i. S. der Recht­spre­chung des EuGH sei. Die Wei­ge­rung der Be­klag­ten, die Kläge­rin wei­ter­zu­beschäfti­gen, hänge un­mit­tel­bar mit ih­rem Ge­schlecht zu­sam­men; dies sei al­so Mo­tiv für die Be­klag­te und des­halb für die Kläge­rin dis­kri­mi­nie­rend ge­we­sen.

Ein An­fech­tungs­recht nach § 119 Abs. 2 BGB schei­de aus, weil die Schwan­ger­schaft kein Dau­er­zu­stand und des­halb kei­ne ver­kehrs­we­sent­li­che Ei­gen­schaft im Sin­ne die­ser Vor­schrift sei. Da­ge­gen ha­be sich die Be­klag­te mit der Be­ru­fung auch nicht ge­wandt.

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II. Dem folgt der Se­nat so­wohl im Er­geb­nis wie auch in der Be­gründung und gibt da­mit die ent­ge­gen­ste­hen­de Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, u. a. im Ur­teil vom 20. Fe­bru­ar 1986 (- 2 AZR 244/85 - AP Nr. 31 zu § 123 BGB) im An­schluß an die neue­re Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs im Ur­teil vom 8. No­vem­ber 1990 (Rechts­sa­che C 177/88 Dek­ker, Eu­GHE 1990, 3941-3977 = AP Nr. 23 zu Art. 119 EWG-Ver­trag) auf.

1. Der in der Re­vi­si­ons­in­stanz al­lein noch anhängi­ge all­ge­mei­ne Fest­stel­lungs­an­trag ist nach § 256 ZPO zulässig. Da die Kläge­rin ge­gen das teil­wei­se kla­ge­ab­wei­sen­de Ur­teil des Ar­beits­ge­richts, das die Kündi­gungs­kla­ge man­gels Vor­lie­gens von Kündi­gungs­erklärun­gen ab­ge­wie­sen hat, kein Rechts­mit­tel ein­ge­legt hat, ist die­se Ent­schei­dung in­so­weit rechts­kräftig. Dies gilt aber nicht für den all­ge­mei­nen Fest­stel­lungs­an­trag auf Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses über den 17. Sep­tem­ber 1991 hin­aus. Die­ser ist in­fol­ge Zurück­wei­sung der von der Be­klag­ten ein­ge­leg­ten Be­ru­fung und Ein­le­gung ih­rer Re­vi­si­on in der Re­vi­si­ons­in­stanz an­ge­fal­len. Die­sen An­trag hat der Se­nat we­gen der für das Ar­beits­verhält­nis und sei­ne Fol­ge­wir­kun­gen be­deut­sa­men Klar­stel­lung als zulässig an­ge­se­hen (Ur­tei­le vom 31. Mai 1979 - 2 AZR 473/77 - AP Nr. 50 zu § 256 ZPO und vom 20. März 1986 - 2 AZR 296/85 - AP Nr. 9 zu § 256 ZPO 1977; BA­GE 57, 231 = AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969).

2. In der Sa­che selbst hat der Se­nat im An­schluß an das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22. Sep­tem­ber 1961 (BA­GE 11, 270 = AP Nr. 15 zu § 123 BGB mit Anm. von La­renz) durch Ur­teil vom
 


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20. Fe­bru­ar 1986 (- 2 AZR 244/85 - AP Nr. 31 zu § 123 BGB) ent-schie­den, die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft vor der Ein­stel­lung sei nicht un­zulässig, wenn sich nur Frau­en um den Ar­beits­platz bewürben. Der Se­nat nei­ge le­dig­lich dann da­zu, in der Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts zu se­hen, wenn sich männ­li­che und weib­li­che Ar­beit­neh­mer glei­cher­maßen um den­sel­ben Ar­beits­platz bewürben. Die­se sog. "ge­spal­te­ne Lösung" ist vom Se­nat (vgl. aaO) im Hin­blick auf die Neu­re­ge­lung des § 611 a BGB, die ih­rer­seits das deut­sche Ar­beits­recht an die Richt­li­nie Nr. 76/207 EWG des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in Be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen (ABl. EG 1976 L 39/40) an­ge­paßt hat, ge­recht­fer­tigt wor­den.

a) Bei der An­wen­dung des na­tio­na­len Rechts - hier des § 611 a BGB - müssen nach dem Grund­satz der ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung (so zur Richt­li­nie 76/207 EWG: Ur­tei­le des EuGH vom 10. April 1984 - Recht­sa­che 14/83 und 79/83 - AP Nr. 1 und 2 zu § 611 a BGB; BAG Ur­teil vom 14. März 1989 - 8 AZR 447/87 - AP Nr. 5 zu § 611 a BGB; Se­nats­be­schluß vom 21. Mai 1992 - 2 AZR 449/91 - zur Veröffent­li­chung be­stimmt) die vom EuGH der Richt­li­nie 76/207 EWG ent­nom­me­nen Rechtssätze be­folgt wer­den (vgl. auch BVerfGE 31, 145, 170; 75, 223, 240 f. und Ur­teil vom 28. Ja­nu­ar 1992 - 1 BvR 1825/82, 1 BvL 16/83 und 1 BvL 10/91 - NZA 1992, 270). Nach dem "Dek­ker"-Ur­teil (vgl. aaO) darf der Ar­beit­ge­ber ei­ne Be­wer­be­rin nicht we­gen ih­rer Schwan­ger­schaft ab­wei­sen
 


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(Ziff. 12 der Ent­schei­dungs­gründe). Nach die­ser Ent­schei­dung ist ei­ne Ver­wei­ge­rung der Ein­stel­lung auf­grund der fi­nan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen der Fehl­zei­ten we­gen der Schwan­ger­schaft als Wei­ge­rung an­zu­se­hen, die im we­sent­li­chen ih­ren Grund in der Schwan­ger­schaft als sol­cher hat; ei­ne sol­che Dis­kri­mi­nie­rung könne nicht mit dem fi­nan­zi­el­len Nach­teil ge­recht­fer­tigt wer­den, den der Ar­beit­ge­ber im Fal­le der Ein­stel­lung ei­ner schwan­ge­ren Frau während de­ren Mut­ter­schafts­ur­laubs er­lei­den würde. Wenn die Tat­sa­che der Schwan­ger­schaft Mo­tiv für die Ein­stel­lungs­ver­wei­ge­rung sei, so kom­me es we­gen der da­mit ver­bun­de­nen Dis­kri­mi­nie­rung der Frau auch nicht dar­auf a (Ent­schei­dungs­gründe Ziff. 17), ob sich auf die sel­be Stel­le ein Mann be­wor­ben ha­be oder nicht.

b) In­so­weit hat der Se­nat in dem erwähn­ten Ur­teil be­reits im glei­chen Sin­ne ent­schie­den (zu II 2 c der Gründe), nämlich die Fra­ge des Ar­beit­ge­bers nach der Schwan­ger­schaft die­ne dem Zweck, die Ein­stel­lung ei­ner Schwan­ge­ren zu ver­hin­dern, an­dern­falls würde er die Fra­ge nicht stel­len; die schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin wer­de und sol­le al­so ge­genüber an­de­ren Be­wer­bern/Be­wer­be­rin­nen be­nach­tei­ligt wer­den. Auf­grund der EuGH-Ent­schei­dung - na­ment­lich auch zur zwei­ten Fra­ge­stel­lung des vor­le­gen­den Ge­richts - sieht sich der Se­nat nicht zu­letzt im Hin­blick auf sei­ne vor­ste­hen­de Aus­sa­ge ge­hin­dert, an der sog. ge­spal­te­nen Lösung fest­zu­hal­ten, zu­mal die na­tio­na­len Ge­rich­te die EWG-Richt­li­ni­en so aus­zu­le­gen ha­ben, daß sie i. S. ih­rer Ziel­set­zung tatsächlich möglichst wirk­sam sind (Ziff. 23 des Dek­ker-Ur­teils, aaO; vgl. auch Grabitz/Per­nice, Komm. zum EWG-Ver­trag, Stand De­zem­ber 1983, Art. 164 Rz 27; Wißmann, DB 1991, 650, 651). Da die auf der


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Richt­li­nie 76/207 EWG be­ru­hen­de Vor­schrift des § 611 a BGB in der In­ter­pre­ta­ti­on des Se­nats im Ur­teil vom 20. Fe­bru­ar 1986 (- 2 AZR 244/85 - AP Nr. 31 zu § 123 BGB) sach­lich in al­len Fällen wir­kungs­los bleibt, in de­nen ein männ­li­cher Mit­be­wer­ber nicht vor­han­den ist oder die Frau - selbst wenn letz­te­res der Fall wäre - dies je­den­falls nur sel­ten bzw. un­ter er­schwer­ten Be­din­gun­gen erfährt, gibt der Se­nat in Be­fol­gung ei­ner ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung die ge­spal­te­ne Lösung zu­guns­ten ei­ner ge­ne­ra­li­sie­ren­den Ver­hin­de­rung der Dis­kri­mi­nie­rung schwan­ge­rer Frau­en auf, oh­ne daß noch auf die vor Verkündung des EuGH-Ur­teils an der Se­nats­recht­spre­chung geäußer­te Kri­tik (vgl. Bell­gart, BB 1986, 2414; Coes­ter, Anm. zu AP Nr. 31 zu § 123 BGB; Col­ne­ric, BB 1986, 1573; Do­nat, BB 1986, 2413; Heil­mann, AiB 1987, 190; Hunold, NZA 1987, 4, 5; Wal­ker, DB 1987, 273, 275) ein­ge­gan­gen zu wer­den braucht.

aa) Dem läßt sich nach Auf­fas­sung des Se­nats nicht mit Er­folg ent­ge­gen­hal­ten, die Richt­li­nie 76/207 EWG, zu de­ren Durchführung § 611 a BGB ins Bürger­li­che Ge­setz­buch ein­gefügt wur­de, führe selbst nicht zu der Ver­pflich­tung, ein Ar­beits­verhält­nis ein­zu­ge­hen (so EuGH vom 10. April 1984 - Rechts­sa­che 79/83 - AP Nr. 2 zu § 611 a BGB). Ei­ner schwan­ge­ren Be­wer­be­rin, die auf Be­fra­gen bei der Ein­stel­lung wahr­heits­wid­rig ih­ren Zu­stand ver­schwei­ge, wer­de aber ein Ar­beits­platz ver­schafft, wenn der Ar­beit­ge­ber zu ei­ner An­fech­tung nicht be­rech­tigt sei (vgl. et­wa Wal­ker, DB 1987, 273, 276). Da­bei wird nicht berück­sich­tigt, daß es ge­ra­de Ziel der Richt­li­nie (Art. 1) ist, den Grund­satz der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en ins­be­son­de­re hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung zu er­leich­tern, was in Art. 3 da­hin kon­kre­ti­siert
 


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wird, daß bei den Be­din­gun­gen des Zu­gangs zu den Beschäfti­gun­gen oder Ar­beitsplätzen kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts er­folgt. Ließe man da­her, nach­dem der Zu­gang mit Hil­fe des Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots er­leich­tert wur­de, an­sch­ließend wie-der ei­ne An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung zu, würde der Sinn der Richt­li­nie in ihr Ge­gen­teil ver­kehrt. Ei­ne der­ar­ti­ge Hand­ha­bung der Richt­li­nie stünde, wenn sie nicht schon durch Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie un­ter­bun­den wird (vgl. da­zu EuGH-Ur­teil vom 8. No­vem­ber 1990 - Rechts­sa­che C 179/88 - AP Nr. 24 zu Art. 119 EWG-Ver­trag, zu 11 und 13 der Gründe), je­den­falls im Wi­der­spruch zu Ziff. 23 des "Dek­ker"-Ur­teils (aaO), wo­nach die Richt­li­nie im Sin­ne ih­rer Ziel­set­zung möglichst wirk­sam aus­zu­le­gen ist.

bb) Es ist schließlich nicht Sa­che der Ar­beits­ge­rich­te (so aber Hunold, NZA 1987, 4, 7), die In­ter­pre­ta­ti­on der auf der EWG-Richt­li­nie 76/207 be­ru­hen­den Vor­schrift des § 611 a BGB an den Aus­wir­kun­gen des Ar­beits­mark­tes zu ori­en­tie­ren, zu­mal die The­se kaum be­weis­bar ist, bei grundsätz­li­cher Un­zulässig­keit der Fra­ge nach vor­lie­gen­der Schwan­ger­schaft wir­ke sich dies im Er­geb­nis zu Las­ten der be­rufstäti­gen Frau aus (eben­so Coes­ter, Anm. zu AP Nr. 31 zu § 123 BGB). Al­len­falls läßt sich ar­gu­men­tie­ren, die Abwälzung der mut­ter­schafts­be­ding­ten öko­no­mi­schen Be­las­tun­gen auf die Ar­beit­ge­ber zeu­ge von ge­setz­ge­be­ri­schem Ver­sa­gen und bedürfe ge­ge­be­nen­falls des kor­ri­gie­ren­den Ein­griffs (so Ge­ne­ral­an­walt Dar­mon in sei­nem Schlußan­trag Ziff. 46 ff. in der Rechts­sa­che C 177/88 Dek­ker, aaO). Im übri­gen hat das BVerfG (Be­schluß vom 23. April 1974 BVerfGE 37, 121, 126-128) am Bei­spiel des § 14


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Abs. 1 Satz 1 MuSchG ent­schie­den, es sei kein Ver­s­toß ge­gen die Ver­fas­sung, Ar­beit­ge­ber und Kran­ken­kas­sen mit fi­nan­zi­el­len Fol­gen des ge­setz­li­chen Mut­ter­schut­zes zu be­las­ten.


c) Al­ler­dings neigt der Se­nat da­zu, ei­ne An­fech­tung durch­grei­fen zu las­sen, wenn das ein­ge­gan­ge­ne Ver­trags­verhält­nis über­haupt nicht rea­li­siert wer­den kann, d. h. wenn die Be­wer­be­rin für die an­ge­streb­te Ar­beit ob­jek­tiv nicht ge­eig­net ist. Auch der EuGH hat in Ziff. 14 des "Dek­ker"-Ur­teils an­ge­merkt, das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot gel­te für den Ar­beit­ge­ber nur hin­sicht­lich ei­ner von ihm "für ge­eig­net be­fun­de­nen Be­wer­be­rin".


Ei­ne sol­che Un­ge­eig­net­heit liegt im Streit­fall al­ler­dings nicht vor. Ab­ge­se­hen da­von, daß die Be­klag­te die Kläge­rin als kaufmänni­sche An­ge­stell­te für ge­eig­net an­ge­se­hen hat, wie die Tat­sa­che der Ein­stel­lung auf un­be­stimm­te Zeit und die an­stands-lo­se Beschäfti­gung bis zum 17. Sep­tem­ber 1992 be­le­gen, kann von ei­ner Nicht­ge­eig­net­heit (Art. 2 Abs. 2 der Richt­li­nie) und/oder ei­nem be­stimm­ten Ge­schlecht als un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung für die Art der vom Ar­beit­neh­mer aus­zuüben­den Tätig­keit (§ 611 a Abs. 1 Satz 2 BGB) nur aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die an­ge­streb­te Tätig­keit über­haupt nicht auf­ge­nom­men wer­den kann oder darf, z. B. bei ei­nem Man­ne­quin oder ei­ner Tänze­rin (vgl. auch den von der Bun­des­re­gie­rung der EG-Kom­mis­si­on über­mit­tel­ten Aus­nah­me­ka­ta­log, BArbBl. 11/1987, 40 ff.). Zu den­ken wäre auch an Fälle, in de­nen Beschäfti­gungs­ver­bo­te nach dem Mut­ter­schutz­ge­setz ei­ner Beschäfti­gung der Be­wer­be­rin ent­ge­gen­ste­hen oder in de­nen von vorn­her­ein ei­ne Tätig­keit z. B. in ei­nem be­fris­te­ten Ar­beits­ver-
 


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trag we­gen so­gleich ein­tre­ten­der Mut­ter­schutz­fris­ten, Er­zie­hungs­ur­laub etc. (vgl. u. a. Bul­la/Buch­ner, MuSchG, 5. Aufl., § 5 Rz 10 - 12; Grönin­ger/Tho­mas, MuSchG, § 9 Rz 53; Heil­mann, MuSchG, § 5 Rz 22; ders. Ar­buR 1987, 118, 120; Zmarz­lik/Zip­pe­rer, MuSchG, 5. Aufl., § 9 Rz 35; Mei­sel/Sow­ka, MuSchG, § 9 Rz 40) nicht möglich ist. Ei­ne sol­che Aus­nah­me­si­tua­ti­on lag hier je­den­falls nicht vor, denn die Be­klag­te hat die Kläge­rin nicht be­fris­tet ein­ge­stellt, son­dern ei­ne Beschäfti­gung war ab 4. Sep­tem­ber 1991 im­mer­hin bis sechs Wo­chen (§ 3 Abs. 2 MuSchG) vor dem 11. Ja­nu­ar 1992 (vor­aus­sicht­li­cher Ent­bin­dungs­ter­min) und im An­schluß an die Mut­ter­schaft möglich. Die Kläge­rin soll­te al­so als Schwan­ger­schafts­ver­tre­tung nicht ge­ra­de nur ei­ne be­stimm­te, fest­lie­gen­de Zeit zur Verfügung ste­hen, so daß sie in­fol­ge gleich­zei­ti­ger Beschäfti­gungs­ver­bo­te auf­grund ei­ge­ner Schwan­ger­schaft ei­ne Tätig­keit für die Be­klag­te über­haupt nicht über­neh­men konn­te. Dies hat auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt, oh­ne daß die Re­vi­si­on dies gerügt hätte.

d) Die Kläge­rin hat folg­lich nicht arg­lis­tig ge­han­delt, wenn sie die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft - von die­sem Sach­vor­trag der Be­klag­ten war we­gen der Säum­nis der Kläge­rin aus­zu­ge­hen (vgl. Baum­bach/Lau­ter­bach/Al­bers/Hart­mann, ZPO, 50. Aufl., § 557 Anm. 2) - falsch be­ant­wor­te­te, weil die Fra­ge un­zulässig war. Ei­ne rechts­wid­ri­ge, arg­lis­ti­ge Täuschung, die zur An­fech­tung des Ar­beits­ver­tra­ges be­rech­tig­te, lag des­halb nicht vor (ständi­ge Recht­spre­chung des BAG seit Ur­teil vom 5. De­zem­ber 1957 - 1 AZR 594/56 - AP Nr. 1 zu § 123 BGB; vgl. zu­letzt Se­nats­ur­teil vom


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21. Fe­bru­ar 1991 - 2 AZR 449/90 - EzA § 123 BGB Nr. 35, zu II 2 der Gründe).

 

Hil­le­brecht 

Triebfürst 

Bit­ter

Pe­ter Jan­sen 

Bin­zek

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