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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 18.03.2010, 2 TaBV 2694/09

   
Schlagworte: Betriebsratssitzung, Betriebsrat
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 2 TaBV 2694/09
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 18.03.2010
   
Leitsätze:

1. Gem. § 30 Satz 2 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Festlegung der zeitlichen Lage von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen.

2. Dieser Regelung ist kein damit korrespondierender allgemeiner "Unterlassungsanspruch" des Arbeitgebers zugeordnet; bei Verstößen des Betriebsrats regeln sich die Folgen nach § 23 Abs. 3 BetrVG

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 5.11.2009, 33 BV 12192/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

2 TaBV 2694/09

33 BV 12192/09
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

 

Be­schluss

In Sa­chen

pp  

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 2. Kam­mer,
auf die Anhörung vom 18. März 2010
durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Lan­des­ar­beits­ge­richts Dr. B. als Vor­sit­zen­den
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr R.-R. und Frau J.

be­schlos­sen:

I. Die Be­schwer­de der Ar­beit­ge­be­rin ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 05.11.2009 - 33 BV 12192/09 - wird zurück­ge­wie­sen.

II. Die Rechts­be­schwer­de wird nicht zu­ge­las­sen.

 

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Gründe

I.

Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat strei­ten darüber, ob der Be­triebs­rat ver­pflich­tet ist oder sein soll, sei­ne re­gelmäßigen Sit­zun­gen nicht vor 11:30 Uhr statt­fin­den zu las­sen.

Der Ar­beit­ge­ber be­treibt ei­ne Se­nio­ren­re­si­denz und beschäftigt im frag­li­chen Be­trieb ca. 65 Ar­beit­neh­mer; der aus fünf Per­so­nen ge­bil­de­te Be­triebs­rat hält sei­ne Sit­zun­gen re­gelmäßig je­de zwei­te Wo­che in vol­ler Länge ei­ner Schicht von 7.00 Uhr bis 15.18 Uhr ab. Hier­in sieht der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ver­let­zung der Pflicht des Be­triebs­rats, bei der An­be­rau­mung von Sit­zun­gen auf be­trieb­li­che Not­wen­dig­kei­ten Rück­sicht zu neh­men. Denn in die­ser Zeit fin­de die Grund­pfle­ge der Be­woh­ner statt, mit­hin die zen­tra­le Tätig­keit des Ar­beit­ge­bers. Er­satz­kräfte für die­se Zeit sei­en kos­ten­in­ten­siv und wie­sen nicht die glei­che Qua­li­fi­ka­ti­on wie die dann ab­we­sen­den Be­triebs­rats­mit­glie­der auf. Dem­ge­genüber ist der Be­triebs­rat der Auf­fas­sung, ganztäti­ge Sit­zun­gen al­le 2 Wo­chen sei­en er­for­der­lich und auch ef­fek­tiv, die An­be­rau­mung ei­ner (kürze­ren) Sit­zung wöchent­lich nach Ab­sol­vie­rung selbst ei­ner vierstündi­gen Schicht sei schwie­rig.

Von ei­ner nähe­ren Dar­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird un­ter Be­zug­nah­me auf die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung ab­ge­se­hen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Ar­beits­ge­richt hat den auf Ver­pflich­tung des Be­triebs­rats, sei­ne Sit­zun­gen nicht vor 11:30 Uhr zu be­gin­nen, ge­rich­te­ten Haupt­an­trag als un­be­gründe­ten Glo­balan­trag zurück­ge­wie­sen; es sei­en je­den­falls Fall­ge­stal­tun­gen denk­bar, in de­nen der Ar­beit­ge­ber den von ihm gel­tend ge­mach­ten An­spruch auf Vor­rang der be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten nicht ha­be. Auch der auf Fest­stel­lung der ent­spre­chen­den Ver­pflich­tung des Be­triebs­rats ge­rich­te­te Hilfs­an­trag zu 2) sei un­be­gründet. „Be­trieb­li­che Not­wen­dig­kei­ten“ im Sin­ne von § 30 Satz 2 Be­trVG stünden ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung in der Zeit von 7.00 Uhr bis 15:00 Uhr nicht ent­ge­gen. Un­ter „be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten“ im Sin­ne von § 30 Satz 2 Be­trVG sei­en nur sol­che Gründe zu se­hen, die zwin­gend Vor­rang vor den In­ter­es­sen des Be­triebs­rats hätten. Sol­che Umstände lägen im Streit­fall nicht vor. Der Ar­beit­ge­ber könne ent­spre­chen­de Dienst­pläne auf­stel­len, um die Ver­sor­gung der Be­woh­ner si­cher zu stel­len.

 

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So sei es in den letz­ten vier Jah­ren im Übri­gen auch ge­sche­hen. Das Ge­setz neh­me dies­bezüglich ent­ste­hen­de Mehr­kos­ten in Kauf. Die Ar­gu­men­ta­ti­on des Be­triebs­ra­tes, dass ganztäti­ge Sit­zun­gen al­le 2 Wo­chen ef­fek­ti­ver sei­en als kürze­re wöchent­li­che Sit­zun­gen, sei je­den­falls nach­voll­zieh­bar. Si­cher sei rich­tig, dass die fach­li­che Ex­per­ti­se der Be­triebs­rats­mit­glie­der durch Er­satz­kräfte nicht auf­ge­wo­gen wer­den könne; dies stel­le aber kein un­erläss­li­ches Er­for­der­nis für die be­trieb­li­che Tätig­keit des Ar­beit­ge­bers dar. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten wird auf die Be­schluss­gründe (Bl. 65 ff. d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­sen am 16.11.2009 zu­ge­stell­ten Be­schluss rich­tet sich die Be­schwer­de des Ar­beit­ge­bers, die er mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 10. De­zem­ber 2009 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz ein­ge­legt und mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 8. Ja­nu­ar 2010 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet hat.

Der Ar­beit­ge­ber rügt, das Ar­beits­ge­richt ha­be nicht hin­rei­chend berück­sich­tigt, dass es ihm bei sei­nem An­trag nur um die re­gelmäßigen „Sit­zun­gen“ des Be­triebs­ra­tes ge­he. In ein­zel­nen Fällen, et­wa bei ei­li­gen An­ge­le­gen­hei­ten, sei es dem Be­triebs­rat auch nach Auf­fas­sung des Ar­beit­ge­bers un­be­nom­men, ei­ne ent­spre­chend frühe­re Sit­zung statt­fin­den zu las­sen. Dem­ent­spre­chend han­de­le es sich bei dem Haupt­an­trag nicht um ei­nen „Glo­balan­trag“. Im Übri­gen fol­ge aus § 30 Abs. 2 Be­trVG ein Un­ter­las­sungs­an­spruch des Ar­beit­ge­bers ge­genüber dem Be­triebs­rat, wenn die­ser auf die „be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten“ nicht Rück­sicht neh­me. Das Ar­beits­ge­richt ha­be den Be­griff der „be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten“ zu weit aus­ge­legt. In ei­nem Ver­gleich mit an­de­ren Vor­schrif­ten des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes, die eben­falls auf „be­trieb­li­che Not­wen­dig­kei­ten“ ver­wie­sen, han­de­le es sich hier um den Be­reich von „ein­fa­che­ren“ be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten. Mit­hin müsse ei­ne In­ter­es­sen­abwägung statt­fin­den zwi­schen den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers auf Berück­sich­ti­gung der be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten und den­je­ni­gen des Be­triebs­rats auf Ab­hal­tung der Be­triebs­rats­sit­zung. Bei die­ser In­ter­es­sen­abwägung sei dem In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers der Vor­zug zu ge­ben; die­ses lie­ge ins­be­son­de­re dar­in, dass in den Vor­mit­tags­stun­den der Ar­beits­an­fall am höchs­ten sei, weil zu die­ser Zeit die mor­gend­li­che Grund­pfle­ge durch­geführt wer­de. Die­se be­gin­ne um 6:30 Uhr und sei frühes­tens um 11.00 Uhr be­en­det; die Grund­pfle­ge sei für das Wohl­be­fin­den und die Ge­sund­heit der Heim­be­woh­ner von außer­or­dent­lich großer Be­deu­tung. Sie las­se sich nicht ver­schie­ben und ge­nieße obers­te Prio­rität. Ab ca. 11:30 Uhr las­se die von den Pfle­ge­kräften zu bewälti­gen­de Ar­beit lang­sam nach, so dass ab die­sem Zeit­punkt die re­gelmäßigen Be­triebs­rats­sit­zun­gen oh­ne Ver­s­toß ge­gen das Rück­sicht­nah­me­ge­bot aus

 

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§ 30 Satz 2 Be­trVG ab­ge­hal­ten wer­den könn­ten. Wei­ter sei zu berück­sich­ti­gen, dass es den Be­woh­nern in al­ler Re­gel dar­auf an­kom­me, von „be­kann­ten Ge­sich­tern“ be­treut zu wer­den. Sch­ließlich sei auf die Kos­ten­si­tua­ti­on zu ver­wei­sen. Dem­ent­spre­chend müss­te den be­trieb­li­chen In­ter­es­sen Prio­rität ein­geräumt wer­den; so dass die Anträge be­gründet sei­en.

Der Ar­beit­ge­ber be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Be­schlus­ses des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 05.11.2009 den Be­triebs­rat zu ver­pflich­ten, den Be­ginn der re­gelmäßigen Be­triebs­rats­sit­zung nicht vor 11.30 Uhr an­zu­set­zen;

so­wie hilfs­wei­se

fest­zu­stel­len, dass der Be­triebs­rat auf­grund ent­ge­gen­ste­hen­der be­trieb­li­cher Not­wen­dig­kei­ten nicht be­rech­tigt ist, den Be­ginn der re­gelmäßigen Be­triebs­rats­sit­zun­gen vor 11:30 Uhr an­zu­set­zen.

Der Be­triebs­rat be­an­tragt,

die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Der Be­triebs­rat ver­tritt die Auf­fas­sung, bei­de vom Ar­beit­ge­ber ge­stell­ten Anträge sei­en Glo­balanträge, die im Übri­gen sprach­lich un­klar sei­en, weil das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz den Be­griff „re­gelmäßige Be­triebs­rats­sit­zun­gen“ nicht ken­ne. Im Rah­men des § 30 Satz 2 Be­trVG ste­he dem Ar­beit­ge­ber kein Un­ter­las­sungs­an­spruch ge­genüber dem Be­triebs­rat zu. Er könne „Rück­sicht­nah­me“ ver­lan­gen, aber nicht Un­ter­las­sung be­geh­ren. Dies sei al­len­falls bei gro­ben Verstößen des Be­triebs­rats ge­gen sei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Pflich­ten möglich. Der Be­triebs­rat ha­be im Übri­gen die „be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten“ nicht miss­ach­tet, er ha­be viel­mehr sach­li­che Gründe für die zeit­li­che La­ge der Sit­zung. Die­se wer­den aus­geführt.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird auf den Schrift­satz des Ar­beit­ge­bers vom 8. Ja­nu­ar 2010 (Bl. 84 ff. d. A.) und auf den­je­ni­gen des Be­triebs­rats vom 12. März 2010 (Bl. 110 ff. d. A.) Be­zug ge­nom­men.

 

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II.

1. Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statt­haf­te Be­schwer­de ist form- und frist­ge­recht im Sin­ne von §§ 89 Abs. 1 und 2 ArbGG ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

Die Be­schwer­de ist da­her zulässig.

2. Die Be­schwer­de hat in der Sa­che kei­nen Er­folg.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Anträge des Ar­beit­ge­bers zu Recht zurück­ge­wie­sen. Das Be­schwer­de­ge­richt schließt sich den sorgfälti­gen und über­zeu­gen­den Ausführun­gen des Ar­beit­ge­richts an, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Im Hin­blick auf das Vor­brin­gen der Par­tei­en in der Be­schwer­de­instanz ist ergänzend nur auf fol­gen­des hin­zu­wei­sen:

2.1
Der auf Ver­pflich­tung ge­rich­te­te und da­mit ei­ne Un­ter­las­sungs­pflicht für an­der­wei­ti­ges Ver­hal­ten sta­tu­ie­ren­de Haupt­an­trag ist nicht be­gründet.

§ 30 Satz 2 Be­trVG gibt dem Ar­beit­ge­ber kei­nen „Un­ter­las­sungs­an­spruch“ ge­genüber dem Be­triebs­rat.

2.1.1 Gemäß § 30 Satz 2 Be­trVG hat der Be­triebs­rat bei der An­set­zung von Be­triebs­rats­sit­zun­gen auf die be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten Rück­sicht zu neh­men. Der Be­triebs­rat, dem das Pri­mat bei der zeit­li­chen Fest­le­gung der Be­triebs­rats­sit­zun­gen zu­steht, wird mit die­ser Vor­schrift dar­auf ver­wie­sen, dass er bei der Fest­le­gung der zeit­li­chen La­gen der Be­triebs­rats­sit­zun­gen nicht gänz­lich „frei“ ist, son­dern auf die be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten „Rück­sicht“ neh­men muss. Da­bei sind „be­trieb­li­che Not­wen­dig­kei­ten“ im Sin­ne des § 30 Satz 2 Be­trVG sol­che Gründe, die zwin­gend Vor­rang vor dem In­ter­es­se des Be­triebs­rats auf Ab­hal­tung der Be­triebs­rats­sit­zun­gen zu dem von ihm vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt ha­ben. Dies ent­spricht der – vom Ar­beits­ge­richt her­aus­ge­ar­bei­te­ten – Aus­le­gung des Be­grif­fes der „be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten“, dies wird in der – vom Ar­beits­ge­richt eben­falls dar­ge­stell­ten – herr­schen­den Li­te­ra­tur­mei­nung so ge­se­hen (vgl. bspw. Fit­ting,

 

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Be­trVG, 24. A., § 30 Rd­nr. 10; ErfK/Koch, 9. A. § 30 Rd­nr. 1; GK-Wie­se/Raab, 8. A., § 30 Rd­nr. 8, Düwell/Blan­ke, Be­trVG, 2.A., § 30 Rd­nr. 7).


2.1.2 Der Re­ge­lung in § 30 Satz 2 Be­trVG ist kein da­mit kor­re­spon­die­ren­der „Un­ter­las­sungs­an­spruch“ des Ar­beit­ge­bers ge­gen den Be­triebs­rat zu­ge­ord­net.

Da­bei ist im Grund­satz da­von aus­zu­ge­hen, dass nicht je­de Rechts­pflicht, die die Be­triebs­par­tei­en aus dem Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz trifft, ein „Un­ter­las­sungs­an­spruch“ der­ge­stalt zu­ge­ord­net ist, dass die je­wei­li­ge Ge­gen­sei­te ei­nen ge­richt­lich durch­setz­ba­ren An­spruch gel­tend ma­chen könn­te. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat ei­nen all­ge­mei­nen Un­ter­las­sungs­an­spruch an­er­kannt bei dro­hen­den Verstößen des Ar­beit­ge­bers ge­gen Mit­be­stim­mungs­rech­te aus § 87 Abs. 1 Be­trVG ( Be­trVG BAG vom 03.05.1994 – 1 ABR 24/93 – NZA 1995, 40); eben­so im Fal­le des § 95 Abs. 1 Be­trVG (BAG vom 26.5.2005 – 1 ABR 29/04 – NZA 2005, 1372). Dies be­ruht dar­auf, dass im Rah­men die­ser Vor­schrif­ten jeg­li­ches Han­deln des Ar­beit­ge­bers der Zu­stim­mung des Be­triebs­rats be­darf. Die Be­son­der­hei­ten ei­nes nor­mier­ten Mit­be­stim­mungs­tat­be­stan­des und die sich aus dem Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats er­ge­be­ne Rechts­po­si­ti­on er­for­dern hier ei­nen ef­fek­ti­ven Rechts­schutz. An­de­rer­seits be­steht für den Be­triebs­rat im Rah­men der Be­tei­li­gungs­rech­te aus § 99 Be­trVG kein Un­ter­las­sungs­an­spruch, mit dem ei­ne ge­gen §§ 99 Abs. 1, 100 Abs. 2 Be­trVG ver­s­toßen­de per­so­nel­le Ein­zel­maßnah­me ver­hin­dert wer­den könn­te.; dies wird zum Ei­nen mit der be­son­de­ren Re­ge­lung in § 102 Be­trVG, zum An­de­ren da­mit be­gründet, dass das Ge­setz durch die Re­ge­lung in § 100 Be­trVG in Kauf neh­me, dass ei­ne per­so­nel­le Maßnah­me zu­min­dest vorüber­ge­hend prak­ti­ziert wird, oh­ne dass ih­re ma­te­ri­el­le Rechtmäßig­keit fest­steht (BAG vom 23.6.2009 – 1 ABR 23/08 – NZA 2009, 1430).

Dar­aus er­gibt sich, dass nicht je­der sich aus dem Be­trVG er­ge­ben­den Pflicht ein ge­son­der­ter Un­ter­las­sungs­an­spruch zu­zu­ord­nen ist (vgl. bei­spiels­wei­se BAG vom 17.03.2010 – 7 ABR 95/08 – zum Ver­bot der par­tei­po­li­ti­schen Betäti­gung des Be­triebs­rats nach § 74 Abs. 2 Be­trVG). Die Ver­let­zung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Pflich­ten ist im Grund­satz in der Norm des § 23 Abs. 3 Be­trVG ge­re­gelt; § 23 Abs. 3 Be­trVG ist die Grund­norm zu be­triebs­ver­fas­sungs­wid­ri­gem Ver­hal­ten ei­ner der Be­triebs­par­tei­en. Dort sind zu­gleich die je­wei­li­gen Sank­tio­nen nor­miert, die bei be­triebs­ver­fas­sungs­wid­ri­gem Ver­hal­ten ein­tre­ten können.

 

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Da­bei ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass sons­ti­ge Pflich­ten­krei­se im Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz auch nicht et­wa in glei­cher Wei­se fi­xiert sind wie ein nor­mier­tes Mit­be­stim­mungs­recht. Dies zeigt sich auch im Be­reich des § 30 Satz 2 Be­trVG. Die dort vom Be­triebs­rat ge­for­der­te „Rück­sicht­nah­me­pflicht“ ist nur „rah­menmäßig“ um­schrie­ben und muss – be­zo­gen auf den Ein­zel­fall – kon­kre­ti­siert und kon­tu­riert wer­den. Die hier­aus re­sul­tie­ren­den Pflich­ten können in dem ei­nen oder an­de­ren Be­trieb, in der ei­nen oder an­de­ren kon­kre­ten Ein­zel­si­tua­ti­on va­ri­ie­ren. Das Er­geb­nis der in die­sem Zu­sam­men­hang vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung kann je nach dem Ein­zel­fall un­ter­schied­lich aus­fal­len; fi­xe Gren­zen und Kon­tu­ren exis­tie­ren nicht.

In die­ser Si­tua­ti­on wäre es sys­tem­wid­rig, im Rah­men des § 30 Abs. 2 Be­trVG ei­nen „Un­ter­las­sungs­an­spruch“ an­zu­er­ken­nen, der sei­ner­seits auch sank­ti­ons­be­wehrt und voll­streck­bar sein müss­te. Ei­ne sol­che recht­li­che Struk­tur wohnt der Pflicht des Be­triebs­ra­tes aus § 30 Satz 2 Be­trVG nicht in­ne (da­ge­gen auch Thon in Gross/Thon/Ah­mad/Woi­ta­schek, Be­trVG, § 30 Rd­nr. 1).

Im Rah­men des § 30 Satz 2 Be­trVG ist der Ar­beit­ge­ber viel­mehr im Grund­satz auf ei­nen „Fest­stel­lungs­an­trag“ ver­wie­sen, der dann sei­ner­seits Grund­la­ge ei­ner späte­ren Fest­stel­lung ei­nes „gro­ben Ver­s­toßes“ im Sin­ne von § 23 Abs. 3 sein könn­te. Auch wird es dem Ar­beit­ge­ber möglich sein, in Ein­z­elfällen, und zwar durch­aus auch im We­ge ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung, ei­ne Ver­schie­bung ei­ner kon­kre­ten Sit­zung be­geh­ren zu können. Das Recht, „glo­bal“ auf die zeit­li­che La­ge der re­gelmäßigen Be­triebs­rats­sit­zun­gen ein­wir­ken zu können, steht ihm aus der Vor­schrift des § 30 Satz 2 Be­trVG in­des nicht zu.

2.2 Bezüglich des hilfs­wei­se ge­stell­ten Fest­stel­lungs­an­tra­ges folgt das Be­schwer­de­ge­richt – wie ge­zeigt – den zu­tref­fen­den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beit­ge­bers sind be­trieb­li­che Not­wen­dig­kei­ten im Sin­ne des § 30 Satz 2 Be­trVG (nur) sol­che Gründe, die zwin­gend Vor­rang vor dem In­ter­es­se des Be­triebs­rats auf Ab­hal­tung der Be­triebs­rats­sit­zung zu dem von ihm vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt ha­ben.

 

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Sol­che „In­ter­es­sen“ des Ar­beit­ge­bers, die „zwin­gend Vor­rang“ vor ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung, die um 7:00 Uhr be­ginnt, hätten, wa­ren auch für das Be­schwer­de­ge­richt nicht zu er­ken­nen. Zwar ist die Ar­gu­men­ta­ti­on des Ar­beit­ge­bers plau­si­bel und nach­voll­zieh­bar, dass ge­ra­de die mor­gend­li­che Grund­pfle­ge ei­ne zen­tra­le Auf­ga­be dar­stellt, die von den ein­ge­ar­bei­te­ten und für Qua­lität bürgen­den Ar­beit­neh­mern, die Mit­glie­der des Be­triebs­rats sind, „am bes­ten“ aus­geführt wer­den können. Die­se Kon­stel­la­ti­on dürf­te je­doch in al­len Be­trie­ben, in de­nen Be­triebsräte ge­bil­det sind, ähn­lich bis gleich sein. Denn stets ist es so, dass während der in der Ar­beits­zeit statt­fin­den Be­triebs­rats­sit­zun­gen die Be­triebs­rats­mit­glie­der die ih­nen kon­kret ob­lie­gen­den Ar­beits­auf­ga­ben nicht erfüllen können und er­setzt wer­den müssen, wenn es nicht möglich ist, die Ar­bei­ten zeit­lich zu ver­schie­ben oder an­der­wei­tig zu ver­tei­len. Dies ist der „Grund­tat­be­stand“ der Si­tua­ti­on der Be­triebs­rats­sit­zun­gen, wie er sich in sämt­li­chen Be­trie­ben bei sämt­li­chen Be­triebs­rats­sit­zun­gen dar­stellt. Dass den­noch die Be­triebs­rats­sit­zun­gen während der Ar­beit be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich nicht in Fra­ge ste­hen, be­darf kei­ner wei­te­ren Dar­le­gung.

Es war für das Be­schwer­de­ge­richt nicht er­kenn­bar, dass ge­ra­de im Be­trieb des hie­si­gen Ar­beit­ge­bers Be­son­der­hei­ten ge­ge­ben wären, die die­ser grundsätz­li­chen Kon­stel­la­ti­on ein an­de­res Ge­wicht gäben. Si­cher ist der Be­reich der Pfle­ge ei­ne in­ti­me­re und per­so­nen­ge­bun­de­ne­re Tätig­keit als viel­leicht die Tätig­keit ei­nes Mon­tie­rers am Band. Aber auch hier sind stets Aus­fall­zei­ten, sei es durch Ur­laub oder Krank­heit, zu über­brücken, dies­bezüglich wer­den Dienst­pläne er­stellt, in de­nen – je­den­falls so­weit vor­her­seh­bar – sol­che Aus­fall­zei­ten durch Um­or­ga­ni­sa­ti­on „auf­ge­fan­gen“ wer­den. Zwar ist nach­voll­zieh­bar, dass dies auch zu höhe­ren Kos­ten führen wird, wenn es et­wa um den Ein­satz von Er­satz­kräften geht. Aber auch dies wird von der Wer­tung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes mit um­fasst.

Mit­hin ist nicht zu er­ken­nen, dass „ge­ne­rell“, und ei­ner dies­bezügli­chen ge­richt­li­chen Fest­stel­lung zugäng­lich, „be­trieb­li­che Not­wen­dig­kei­ten“ bei dem Ar­beit­ge­ber da­hin bestünden, dass die re­gelmäßigen Be­triebs­rats­sit­zun­gen „stets“ erst ab 11:30 Uhr be­gin­nen können. So­weit in Ein­z­elfällen auf­grund kon­kre­ter Umstände ein dies­bezügli­ches, und zwar über­wie­gen­des In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers bestünde, wäre dies im Rah­men ei­nes kon­kre­ten Ein­zel­fal­les – wie oben ge­zeigt – zu re­geln.

Ein An­spruch der hier gel­tend ge­mach­ten Art steht dem Ar­beit­ge­ber mit­hin nicht zu.

 

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III.

3. Die Be­schwer­de des Ar­beit­ge­bers war da­her zurück­zu­wei­sen.

Ge­setz­li­che Gründe, die Rechts­be­schwer­de zu­zu­las­sen, wa­ren nicht ge­ge­ben.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­sen Be­schluss ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird hin­ge­wie­sen.

Ge.


Dr. B.

R.-R.

J.

 

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