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Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 04.08.2010, 2 Sa 422/10

   
Schlagworte: Kündigung: Außerordentlich
   
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 Sa 422/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 04.08.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 26.11.2009, 21 Ca 5136/09
   

Aus­fer­ti­gung


Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ak­ten­zei­chen: 2 Sa 422/10

eits­ge­richt Frank­furt am Main: 21 Ca 5136109)

 

Be­schluss


In dem Be­ru­fungs­ver­fah­ren

Be­klag­te und

Be­ru­fungskläge­rin

Geschäfts­zei­chen


Pro­zess­be­vollmäch­tigt.:


ge­gen


Pro­zess­be­vollmäch­tigt.: 

Kläger und
Be­ru­fungs­be­klag­ter


Geschäfts­zei­chen

wird das Ru­brum und da­mit auch die dies­bezügli­chen An­ga­ben in der Sit­zungs­nie­der­schrift vom 4. Au­gust 2010 und im Ur­teil vom 4. Au­gust 2001 da­hin­ge­hend be­rich­tigt, dass das Ru­brum auf Kläger­sei­te nun­mehr wie folgt lau­tet:


- Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter -


Gründe:


Die An­ga­ben zum Ru­brum sind hin­sicht­lich der An­schrift des Klägers falsch und da­her gemäß §§ 64 Abs. 7 ArbGG, 164 ZPO zu be­rich­ti­gen. Der Kläger hat mit Schrift­satz vom 7. Sep­tem­ber 2009 den Wech­sel sei­ner An­schrift mit­ge­teilt, dies wur­de je­doch nicht in den Ru­brums­an­ga­ben berück­sich­tigt.


Den Par­tei­en wur­de recht­li­ches Gehör gewährt.


Ge­gen die­sen Be­schluss ist man­gels ei­ner ge­setz­lich be­gründe­ten Ver­an­las­sung zur Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben (§§ 78, 72 Abs. 2 ArbGG).


Frank­furt am Main, den 27. Ok­to­ber 2010

- Kam­mer 2 -

______________
BESCHL 30001
Die Ein­rei­chung elek­tro­ni­scher Do­ku­men­te ist In den zu­ge­las­se­nen Ver­fah­rens­ar­ten möglich, sie­he www.LAG-Frank­furtJus­tiz-Hes­sen,de

Aus­fer­ti­gung

Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt

Verkündet am:

04. Au­gust 2010

Ak­ten­zei­chen: 2 Sa 422/10

(Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main: 21 Ca 5136/09)

gez.
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le
 

Im Na­men des Vol­kes


Ur­teil



In dem Be­ru­fungs­ver­fah­ren

Be­klag­te und

Be­ru­fungskläge­rin


Pro­zess­be­vollmäch­tigt.:


ge­gen

Pro­zess­be­vollmäch­tigt.:

Kläger und

Be­ru­fungs­be­klag­ter



Rechts­an­walt Wolf Hech­ler, Fahr­gas­se 91-95, 60311 Frank­furt

hat das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt, Kam­mer 2,

auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 04. Au­gust 2010

durch die Vi­ze­präsi­den­tin des Lan­des­ar­beits­ge­richt

und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter

und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter

als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 26. No­vem­ber 2009 — 21 Ca 5136/09 — wird zurück­ge­wie­sen.

Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


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Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten im Be­ru­fungs­rechts­zug wei­ter­hin um die Rechtsmäßig­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung so­wie um ei­nen Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch.

Der bei Kla­ge­ein­gang 33 Jah­re al­te Kläger ar­bei­te­te seit Ju­ni 2006 in Frank­furt am Main bei der Be­klag­ten, die im ge­sam­ten Bun­des­ge­biet Tank­stel­len be­treibt, re­gelmäßig in Nacht­schicht als Tank­stel­len­mit­ar­bei­ter zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt von ca. € 2.200,00. Im Frühjahr 2009 führ­te die Be­klag­te ein EDV-un­terstütz­tes Pro­gramm A -Ex­tra-Punk­te" ein. Im Zu­sam­men­hang mit die­ser Einführung, zu­vor hat­te die Be­klag­te Kle­bemärk­chen an Kun­den aus­ge­ge­ben, un­ter­wies sie die Mit­ar­bei­ter über die Be­die­nung der hierfür ein­geführ­ten Kas­sen­soft­ware, wo­bei die nähe­ren Ein­zel­hei­ten der un­ter Wei­sung zwi­schen den Par­tei­en strei­tig sind. Bei der Be­klag­ten exis­tiert ei­ne A Ex­tra Part­ner­in­for­ma­ti­on (Dea­ler Ma­nu­al), we­gen de­ren In­halts­ver­zeich­nis und aus­zugs­wei­sen In­hal­ten auf die Ko­pie (BI. 57-60 d.A.) Be­zug ge­nom­men wird. Während sei­ner Schicht am 12. Mai 2009 Ver­buch­te der Kläger in zwei Fällen Umsätze von Kun­den, die ge­tankt und nicht an dem Pro­gramm teil­ge­nom­men ha­ben, in Höhe von € 86,17 und € 50,00 auf die A-Ex­tra-Kar­te sei­nes Kol­le­gen B.


We­gen des wei­te­ren un­strei­ti­gen. Sach­ver­hal­tes, des Vor­trags der Par­tei­en im ers­ten Rechts­zug und der dort ge­stell­ten Anträge wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 26. No­vem­ber 2009 gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Be­zug ge­nom­men (BI. 107-110 d. A.).

Das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main hat durch vor­ge­nann­tes Ur­teil der Kla­ge statt­ge­ge­ben und fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en we­der durch die außer­or­dent­li­che, noch durch die hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten auf­gelöst wor­den ist und die Be­klag­te zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­ur­teilt. Es hat an­ge­nom­men, bei­de Kündi­gun­gen sei­en un­wirk­sam. Zwar stel­le die Ver­bu­chung der zwei Kun­den­umsätze auf die A- , Ex­tra-Kar­te sei­nes Kol­le­gen B an sich ei­nen wich­ti­gen Grund im Sin­ne von § 626 Abs. 1 BGB dar, denn dem Kläger ha­be auch oh­ne aus­drück­li­che Be­leh­rung be­wusst ge­we­sen sein müssen, dass die Bu­chung von Kun­den­umsätzen auf frem­de A -Ex­tra-Kar­ten nicht zulässig sei, oh­ne dass es dar-
 


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auf an­kom­me, ob der Kun­de mit der Ver­bu­chung auf ei­ne frem­de Kar­te ein­ver­stan­den sei. Die A -Ex­tra-Kar­ten sei­en Teil ei­nes um­fas­sen­den Kun­den­bin­dungs­sys­tems und die mit die­sem Sys­tem ver­folg­ten Zie­le sei­en of­fen­sicht­lich und für den Kläger oh­ne wei­te­res er­kenn­bar. Gleich­wohl wäre es der Be­klag­ten zu­mut­bar ge­we­sen, auf sein Fehl­ver­hal­ten zunächst mit ei­ner Ab­mah­nung zu re­agie­ren und ihn hier­durch zu ei­ner zukünf­tig be­an­stan­dungs­frei­en Ar­beits­leis­tung an­zu­hal­ten. Es sei­en kei­ne An­halts­punk­te er­sicht­lich, auf­grund de­rer die Be­klag­te im Fal­le der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses da­von aus­ge­hen konn­te, dass der Kläger trotz ei­ner ein­schlägi­gen Ab­mah­nung auch wei­ter­hin Ar­beits­ver­trags­ver­let­zun­gen im Zu­sam­men­hang mit der Ver­bu­chung von Umsätzen auf frem­de: A -Ex­tra-Kar­ten be­ge­hen würde. Dies gel­te auch un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­haup­tung der Be­klag­ten, der Kläger und an­de­re Mit­ar­bei­ter der Sta­ti­on sei­en durch den Sta­ti­ons­ma­na­ger En­de März/An­fang April 2009 über die aus­sch­ließli­che Zulässig­keit der Ver­bu­chung ei­ge­ner Umsätze be­lehrt und ei­ni­ge Wo­chen später nach ei­nem Miss­brauchs­fall in Stutt­gart auf die Möglich­keit ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung bei Miss­brauch der ei­ge­nen Punk­te­kar­te hin­ge­wie­sen wor­den. Der dies­bezügli­che Vor­trag der Be­klag­ten sei un­sub­stan­ti­iert und da­her un­be­acht­lich. Die Pflicht­ver­let­zung des Klägers wie­ge auch nicht so schwer, dass die Er­tei­lung ei­ner Ab­mah­nung als ent­behr­lich an­ge­se­hen wer­den könne. Man­gels Vor­lie­gen ei­ner Ab­mah­nung sei auch die or­dent­li­che Kündi­gung un­wirk­sam und in­fol­ge des­sen die Be­klag­te zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­pflich­tet. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten der Be­gründung wird auf Bl. 111-117 d.A. Be­zug ge­nom­men.


Ge­gen die­ses Ur­teil hat die Be­klag­te in­ner­halb der zur Nie­der­schrift über die Be­ru­fungs­ver­hand­lung am 4. Au­gust 2010 fest­ge­stell­ten und dort er­sicht­li­chen Fris­ten Be­ru­fung ein­ge­legt.


Sie ver­folgt ihr Be­geh­ren auf Kla­ge­ab­wei­sung teil­wei­se un­ter Wie­der­ho­lung und Ergänzung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens wei­ter. Sie ver­tritt die An­sicht, die Pflicht­ver­let­zung des Klägers wie­ge so schwer, dass das durch den Kläger erschütter­te Ver­trau­en nicht durch ei­ne Ab­mah­nung hätte wie­der­her­ge­stellt wer­den können. Es kom­me auch nicht dar­auf an, dass ihr durch das Ver­hal­ten des Klägers kein wirt­schaft­li­cher Scha­den ent­stan­den sei, da dies nicht sein Ver­dienst, son­dern Fol­ge des in­ter­nen Kon­troll- und Über­wa­chungs­sys­tems der 4- Deutsch­land GmbH ge­we­sen sei. Dem Kläger sei auch ein dau­er­haf­tes Fehl­ver­hal­ten zur Last zu le­gen, da er zu­sam-


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men mit an­de­ren Mit­ar­bei­tern sei­nem Kol­le­gen die Punk­te ha­be zu­schan­zen wol­len. Sie ver­tritt wei­ter­hin die An­sicht, dass die An­for­de­run­gen des Ar­beits­ge­richts zur Dar­le­gung der Be­leh­run­gen des Klägers zu den Fol­gen ei­nes miss­bräuch­li­chen Kar­ten­nut­zungs­ver­hal­tens über­zo­gen sei­en.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 26. No­vem­ber 2009 — 21 Ca 5136/09 ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung eben­falls un­ter Wie­der­ho­lung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens. Er meint, da es sich bei dem -Ex­tra-Kar­ten­sys­tem um ein kom­pli­zier­tes Sys­tem han­de­le, bei wel­chem der Nut­zer z.B. Punk­te sam­meln und an Freun­de oder An­gehöri­ge wei­ter­ge­ben könne, bestünden be­reits Be­den­ken, ei­ne Pflicht­ver­let­zung durch die Wei­ter­ga­be der Punk­te an­zu­neh­men. Dies gel­te ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund, dass zu Zei­ten des Bo­nus­sys­tems in Ge­stalt der Kle­be­mar­ken die­se je­der­zeit an Drit­te wei­ter­ge­ge­ben wer­den konn­ten. Für ihn sei nicht er­kenn­bar ge­we­sen, dass sich in­so­weit ir­gend­et­was geändert ha­be.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­brin­gens wird auf den In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze und die Sit­zungs­nie­der­schrift vom 4. Au­gust 2010 (BI. 165 d.A.) Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das am 26. No­vem­ber 2009 verkünde­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main ist zulässig. Das Rechts­mit­tel ist als in ei­nem Rechts­streit über die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ein­ge­legt oh­ne Rück­sicht auf den Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des und im Übri­gen nach dem Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des statt­haft (§§ 64 Abs. 2, 8 Abs. 2 ArbGG). Die Be­klag­te hat es


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auch form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).


Die Be­ru­fung hat je­doch kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht und mit zu­tref­fen­der Be­gründung fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en we­der durch die außer­or­dent­li­che noch durch die hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 22. Mai 2009 be­en­det wor­den ist und die Be­klag­te zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­ur­teilt. Das Be­ru­fungs­ge­richt kann da­her zur Ver­mei­dung unnöti­ger Wie­der­ho­lun­gen auf die zu­tref­fen­den Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ver­wei­sen, de­nen es in vol­lem Um­fang folgt und des­halb auf sie gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Be­zug nimmt. Im Hin­blick auf die Ausführun­gen der Be­klag­ten im zwei­ten Rechts­zug ist noch Fol­gen­des aus­zuführen.


Zwar ist der Be­klag­ten in­so­weit zu fol­gen, dass das Ver­hal­ten des Klägers, Tank­beträge frem­der Kun­den auf der A -Ex­tra-Kar­ten sei­nes Kol­le­gen ( 3 zu bu­chen als schwer­wie­gen­des Fehl­ver­hal­ten ein­zu­stu­fen ist, oh­ne dass 'es auf die straf­recht­li­che Würdi­gung an­kommt. Das Ar­beits­ge­richt hat be­reits umfäng­lich zur Ziel­set­zung von Kun­den­bin­dungs­sys­te­men hin­ge­wie­sen, oh­ne dass es hier­bei auf die nähe­re Aus­ge­stal­tung (Kle­bemärk­chen, elek­tro­ni­sche Punk­te­samm­lung auf ei­ner Kun­den­kar­te) an­kommt. Selbst­verständ­lich will ein Un­ter­neh­nen, das - wie die Be­klag­te - Einkäufe be­punk­tet, die je­wei­li­gen Kun­den an das Un­ter­neh­men bin­den. Die­se sol­len mit­tels der durch das Bo­nus­sys­tem er­reich­ba­ren Vor­tei­le wei­te­re Umsätze im Un­ter­neh­men und nicht bei Kon­kur­renz­un­ter­neh­men täti­gen. Nur hierfür ist der Ar­beit­ge­ber be­reit, dem Kun­den Vor­tei­le zu­kom­men zu las­sen, die für ihn mit. fi­nan­zi­el­len Be­las­tun­gen ein­her­ge­hen. Sam­meln Mit­ar­bei­ter hin­ge­gen die von Kun­den nicht in An­spruch ge­nom­me­nen Punk­te für ei­ge­ne Zwe­cke, wird die­se Ab­sicht des Ar­beit­ge­bers un­ter­lau­fen. Dies konn­te der Kläger zwei­fels­frei er­ken­nen und hätte des­halb die Bu­chun­gen auf die A- -Ex­tra-Kar­ten sei­nes Kol­le­gen un­ter­las­sen müssen.


Al­ler­dings folgt die Be­ru­fungs­kam­mer der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts, dass ei­ne Ab­mah­nung oder ein vor­he­ri­ger Hin­weis auf die Miss­brauchs­fol­gen nicht ent­behr­lich war. Die Be­klag­te selbst hat aus­geführt, dass der Sta­ti­ons­ma­na­ger die Mit­ar­bei­ter auf die Kon­se­quen­zen ei­nes miss­bräuch­li­chen Ver­hal­tens im Um­gang mit der Kun­den­kar­te hin­ge­wie­sen hat. Al­ler­dings ist die Be­klag­te nicht in der La­ge ge­we­sen, die Umstän-
 


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de, un­ter de­nen die­ser Hin­weis an die Mit­ar­bei­ter und da­mit auch an den Kläger ge­ge­ben wor­den ist, zu kon­kre­ti­sie­ren. Der Kläger hat be­strit­ten, ei­nen sol­chen Hin­weis von dem Sta­ti­ons­ma­na­ger er­hal­ten zu ha­ben. Er hat aus­geführt, in Nacht­schicht zu ar­bei­ten und da­her den Sta­ti­ons­ma­na­ger häufig nicht zu se­hen. Vor die­sem Hin­ter­grund wäre es eben doch er­for­der­lich ge­we­sen, dass die Be­klag­te die nähe­ren zeit­li­chen Umstände dar­ge­legt hätte, aus de­nen sich er­gibt, wann die Be­leh­rung über die Fol­gen ei­nes miss­bräuch­li­chen Ver­hal­tens durch den Sta­ti­ons­ma­na­ger er­folgt ist. Nur dann wäre es dem Kläger möglich ge­we­sen, sub­stan­ti­iert zu der Be­haup­tung der Be­klag­ten Stel­lung zu neh­men. An­sons­ten würde es sich bei der Ver­neh­mung des Zeu­gen C um ei­nen un­zulässi­gen Aus­for­schungs­be­weis han­deln.


Gemäß § 373 ZPO muss die be­weis­pflich­ti­ge Par­tei die­je­ni­gen Tat­sa­chen be­zeich­nen, zu de­nen der Zeu­ge ver­nom­men wer­den soll. Als Tat­sa­chen sind kon­kre­te, nach Zeit und Raum be­stimm­te, der Ver­gan­gen­heit oder der Ge­gen­wart an­gehöri­ge Ge­scheh­nis­se oder Zustände an­zu­se­hen (vgl. BAG Ur­teil vom 25. Au­gust 1982 - 4 AZR 878179, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Ta­rif­li­che Übung; BAG vom 24. Ja­nu­ar 1990 - 4 AZR 493/89, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Ta­rif­verträge: Bau).


Die­sen An­for­de­run­gen genügt der Sach­vor­trag der Be­klag­ten nicht, es fehlt' an der Be­stimmt­heit der zu be­wei­sen­den Tat­sa­chen. Erst durch die be­ab­sich­tig­te Be­weis­er­he­bung sol­len die Grund­la­gen für sub­stan­ti­ier­te Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen ge­won­nen wer­den. Ge­ra­de vor dem Hin­ter­grund ei­nes rol­lie­ren­den Mit­ar­bei­ter­ein­sat­zes gehört es zum Be­weis­vor­trag, Tat­sa­chen vor­zu­brin­gen, aus de­nen sich er­gibt, dass der Kläger zum Zeit­punkt der be­haup­te­ten Hin­wei­se des Sta­ti­ons­lei­ters über­haupt im Be­trieb ge­we­sen ist und Ge­le­gen­heit hat­te, dem Gespräch bei­zu­woh­nen.

Im Hin­blick auf das vom Kläger ge­zeig­te Fehl­ver­hal­ten kann auch nicht auf ei­ne Ab­mah­nung ver­zich­tet wer­den. Die von der Be­klag­ten un­ter Be­zug­nah­me auf die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 2. Mai 2008 (AZ 22 Ca 2654/07, . Be­ru­fungs­ent­schei­dung Hess. LAG vom 11. De­zem­ber 2008 - 9 Sa 1075/08) gestütz­te ge­gen­tei­li­ge Auf­fas­sung über­sieht, dass in dem dort zu­grun­de lie­gen­den Sach­ver­halt ei­ne Mit­ar­bei­te­rin un­be­rech­tigt Kun­den­einkäufe im Wa­ren­wert von mehr als € 30.000,00, der Klägers hin­ge­gen le­dig­lich ein Wa­ren­ein­satz von ca. € 130,00 gut­ge­schrie­ben hat.


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Dass ei­ne sol­che Ab­mah­nung nicht er­folg­ver­spre­chend und des­halb ent­behr­lich sein würde, kann — ent­ge­gen der von der Be­klag­ten ver­tre­te­nen Auf­fas­sung — nicht an­ge­nom­men wer­den.


Grundsätz­lich ist nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ei­ne Ab­mah­nung er­for­der­lich, wenn we­gen ei­nes nicht ver­trags­ge­rech­ten Ver­hal­tens gekündigt wer­den soll und die Störun­gen im Leis­tungs­be­reich lie­gen, wo­bei dies für je­de Kündi­gung gilt, die we­gen ei­nes Ver­hal­tens des Ar­beit­neh­mers oder aus ei­nem Grund in sei­ner Per­son aus­ge­spro­chen wer­den soll, den er durch sein steu­er­ba­res Ver­hal­ten be­sei­ti­gen kann, wenn al­so ei­ne Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens er­war­tet wer­den kann (vgl. BAG vom 11. März 1999 - 2 AZR 507/98, AP Nr. 149 zu § 626 BGB und vom 17. Fe­bru­ar 1994 - 2 AZR 616/93, AP Nr. 116 zu § 626 BGB). Denn nur nach ei­ner ver­geb­li­chen vor­he­ri­gen Ab­mah­nung ist die not­wen­di­ge ne­ga­ti­ve Zu­kunfts­pro­gno­se zu be­ja­hen, dass auch zukünf­tig wei­te­re Ver­trags­ver­let­zun­gen zu befürch­ten sind. Die­se Pro­gno­se ist auch er­for­der­lich, da der Kündi­gungs­zweck zu­kunfts­be­zo­gen aus­ge­rich­tet ist. Ent­schei­dend ist, ob ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr be­steht und ob sich das ver­gan­ge­ne Er­eig­nis auch zukünf­tig be­las­tend aus­wirkt. Des­halb wird erst nach ei­ner Ab­mah­nung die er­for­der­li­che Wahr­schein­lich­keit dafür be­ste­hen, dass sich der Ar­beit­neh­mer auch in Zu­kunft nicht ver­trags­ge­treu ver­hal­ten wer­de (vgl. BAG vom 4. Ju­ni 1997 — 2 AZR 526/96, AP Nr. 137 zu § 626 BGB und vom 26. Ja­nu­ar 1995 — 2 AZR 649/94, AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung).

Von die­sem Grund­satz gel­ten Aus­nah­men nur, wenn durch das zukünf­ti­ge Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers die Störung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr be­ho­ben Wer­den kann. Ei­ne Ab­mah­nung ist des­halb dann ent­behr­lich, wenn es um schwe­re Pflicht­ver­let­zun­gen geht, de­ren Rechts­wid­rig­keit für den Ar­beit­neh­mer oh­ne wei­te­res er­kenn­bar ist und bei de­nen ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist (vgl. BAG Ur­teil vom 10. Fe­bru­ar 1999 - 2 ABR 31/98, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG und vom 1. Ju­li 1999 - 2 AZR 676/98, AP Nr. 11 zu § 15 BBiG). Glei­ches gilt, wenn im Ein­zel­fall be­son­de­re Umstände vor­lie­gen, auf­grund de­rer ei­ne Ab­mah­nung als. nicht er­folg­ver­spre­chend an­ge­se­hen wer­den kann. Ei­ne sol­che Si­tua­ti­on ist je­den­falls dann an­zu­neh­men, wenn der Ar­beit­neh­mer ein­deu­tig nicht ge­willt ist, sich ver­trags­ge­recht zu ver­hal­ten, was wie­der­um der Fall ist, wenn er sei­ne Ver­trags­ver­let­zun­gen hartnä-
 


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ckig und un­ein­sich­tig fort­setzt, ob­wohl er die Ver­trags­wid­rig­keit sei­nes Ver­hal­tens kennt (vgl. BAG vom 4. Ju­ni 1997 a.a.O.). Selbst bei Störun­gen des Ver­trau­ens­be­reichs durch Ei­gen­tums- und Vermögens­de­lik­te kann es da­nach Fälle ge­ben, in de­nen ei­ne Ab­mah­nung nicht .oh­ne Wei­te­res ent­behr­lich er­scheint (vgl. BAG vom 23. Ju­ni 2009 — 2 AZR 103/08, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung, KR/Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264 m.w.N.). Dies gilt et­wa, wenn dem Ar­beit­neh­mer zwar die Ver­bots­wid­rig­keit sei­nes Ver­hal­tens hin­rei­chend klar ist, er aber Grund zu der An­nah­me ha­ben durf­te, der Ar­beit­ge­ber würde die­ses nicht als ein so er­heb­li­ches Fehl­ver­hal­ten wer­ten, dass da­durch der Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses auf dem Spiel stünde (BAG vom 23. Ju­ni 2009 a.a.O.).

Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen ist ei­ne Ab­mah­nung im zu ent­schei­den­den Fall nicht ent­behr­lich.

Auch wenn die Zweck­rich­tung des Bo­nus­sys­tems es selbst­verständ­lich macht, dass kei­ne frem­den Kun­den­umsätze auf ei­ge­ne Kar­ten. bzw. Kar­ten von Ar­beits­kol­le­gen gut­ge­schrie­ben wer­den dürfen, wäre im Hin­blick auf die nach dem Sys­tem teil­wei­se zulässi­gen Um­bu­chun­gen ei­ne Ab­mah­nung not­wen­dig, um dem Kläger die Ge­le­gen­heit zu ge­ben, sein Ver­hal­ten ent­spre­chend aus­zu­rich­ten. Ei­ne un­ein­sich­ti­ge Fort­set­zung des Fehl­ver­hal­tens durch den Kläger kann nicht an­ge­nom­men wer­den. Man­gels sub­stan­ti­ier­ter Dar­le­gung, dass er den Hin­weis auf die ar­beits­recht­li­chen Kon­se­quen­zen ei­nes miss­bräuch­li­chen Ver­hal­tens er­hal­ten hat, liegt kei­ne un­ein­sich­ti­ge Fort­set­zung sei­nes Fehl­ver­hal­tens vor. So­weit die Be­klag­te ei­nen un­abänder­ba­ren Ver­trau­ens­ver­lust in die Red­lich­keit des Klägers be­haup­tet, führt die­ser auf­grund der vom Kläger ge­zeig­ten Ver­hal­tens­wei­se je­den­falls nicht zur Ent­behr­lich­keit ei­ner Ab­mah­nung. Zwar darf die Be­klag­te auf die Ver­trags­treue ih­rer Beschäftig­ten ver­trau­en und ist des­halb nicht ver­pflich­tet, al­le denk­ba­ren Um­ge­hun­gen ei­nes Ver­bo­tes zu um­schrei­ben. Al­ler­dings muss die­ses Ver­bot und die sich bei Ver­let­zung er­ge­ben­den Kon­se­quen­zen dem Ar­beit­neh­mer ein­deu­tig und un­miss­verständ­lich vor Au­gen geführt wer­den. Es ist nach dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten nicht zu er­ken­nen, dass dies ge­sche­hen ist. Der Hin­weis auf Sei­te 18 in dem mehr als 30-sei­ti­gen Be­dien­er­hand­buch genügt die­sen An­for­de­run­gen nicht. Es kann nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass Mit­ar­bei­ter, die persönlich auf ein neu­es Soft­ware­sys­tem ge­schult wer­den, ein Be­dien­er­hand­buch kom­plett durch­le­sen. Es wäre der Be­klag­ten ein leich­tes ge­we­sen, je-
 


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dem Mit­ar­bei­ter auf ei­nem Merk­blatt, des­sen Emp­fang ge­gen­ge­zeich­net. wird, ein­deu­tig auf die Un­zulässig­keit der Bu­chung frem­der Kun­den­geschäfte hin­zu­wei­sen. Auf­grund der un­strei­tig nach den Kar­ten­be­din­gun­gen mögli­chen Über­tra­gung von Punk­ten auf an­de­re Per­so­nen konn­te bei dem Kläger oh­ne ei­ne sol­che Ver­deut­li­chung der Ein­druck ent­ste­hen, in ge­rin­gem Um­fang Kun­den­punk­te ei­nem Kol­le­gen gut­schrei­ben zu können, oh­ne dass dies zum Ver­lust sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses führen würde.


Un­wirk­sam ist auch die hilfs­wei­se aus­ge­spro­che­ne or­dent­li­che Kündi­gung zum 30. Ju­ni 2009. Es gel­ten in­so­weit die oben dar­ge­stell­ten Erwägun­gen zum Er­for­der­nis der Ab­mah­nung, auch wenn nicht ver­kannt wird, dass die An­for­de­run­gen an ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung selbst­re­dend ge­rin­ger sind als an ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung.


Nach­dem die Be­ru­fung in Be­zug auf die Kündi­gun­gen un­be­gründet ist, ist die Be­klag­te folg­lich auch zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens ver­pflich­tet (vgl. BAG GS vom 27. Fe­bru­ar 1985- GS 1/94, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäfti­gungs­pflicht). Nähe­rer und aus­drück­lich auf den Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch be­zo­ge­ner sub­stan­ti­ier­ter Vor­trag der Be­klag­ten zu et­wa über­wie­gen­den ent­ge­gen­ste­hen­den Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­sen liegt nicht vor. Es ist hier wie beim Vor­trag zu Auflösungs­anträgen (vgl. da­zu KR-Spil­ger, 9. Aufl., § 9 KSchG Rn 58) nicht Sa­che des Ge­richts, aus dem Vor­trag zu den Kündi­gungs­gründen ge­ge­be­nen­falls, von sich aus über­wie­gen­de Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­sen ab­zu­lei­ten (vgl. Hess. LAG vom 8. Au­gust 2006 — 15 Sa 1413/05, n.v.).

Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen, weil ihr Rechts­mit­tel kei­nen Er­folg ge­habt hat.

Für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­steht kei­ne ge­setz­lich be­gründe­te Ver­an­las­sung (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

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